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Vor der Eroberung des Goldlandes Peru

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Textdaten
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Autor: J.
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Titel: Vor der Eroberung des Goldlandes Peru
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 34, S. 561, 562–563
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Versuche Francisco Pizarros Peru zu erobern
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[561]

Karl der Fünfte empfängt Franz Pizarro vor der Eroberung Perus.
Nach dem Oelgemälde von Angel Lizcano.
Nach einer Photographie von B. Schlesinger’s Kunstverlag in Stuttgart (J. Laurent u. Comp. in Madrid).

[562]

Vor der Eroberung des Goldlandes Peru.

(Mit Illustration S. 561.)

Karl V., in dessen Reich die Sonne niemals unterging, stand eben auf der Höhe seines Ruhmes. Die Schlacht bei Pavia war geschlagen, Frankreich zu Boden geworfen und der ritterliche Franz I. Karl’s Gefangener. Auch Italien mußte sich vor den siegreichen Waffen des spanischen Herrschers beugen, auf dessen Haupt sich Kronen unermeßlicher Reiche vereinigten. Er stand eben im Begriff, sich zum deutschen Kaiser krönen zu lassen, als Ferdinand Cortez ihm das Scepter des alten Aztekenreiches zu Füßen legte und in Sevilla ein Mann landete, der die in der Neuen Welt bereits eroberte Beute zu verzehnfachen und in den Ruhmeskranz Spaniens frische Lorbeerzweige zu winden gedachte.

Dieser Mann war allerdings ein Abenteurer schlimmster Sorte, dessen Vergangenheit mehr dunkle Flecke als lichte Strahlen aufwies. In Sevilla wußte man noch ganz genau, daß Franz Pizarro in seiner Jugend Schweinehirt gewesen – und dazu ein schlechter, der seinem Herrn davonlief. Dann war er gemeiner Söldner in dem nach Italien abgesandten Heere und ward nach Jahren nach Sevilla verschlagen, von wo er, der unersättlichen Lust nach Abenteuern folgend, sich nach der Neuen Welt einschiffte. Was er dort gethan und geleistet, das war noch in unklares Dunkel gehüllt; gewiß aber soll er geraubt und geplündert haben für Drei. Dieser Mann setzte jetzt den Fuß auf den spanischen Boden, um in grenzenloser Vermessenheit den König selbst von Angesicht zu Angesicht zu schauen! Brachte er etwa große Schätze mit, welche der Krone Spaniens stets willkommen waren? Er sah danach nicht aus, aber seine Schulden aus alter Zeit hatte er in Sevilla nicht bezahlt, und so machte man mit dem Angekommenen kurzen Proceß und warf ihn ins Gefängniß.

Doch da kamen Boten des Königs, die ihn frei ließen und nach Toledo, wo der Hof gerade versammelt war, beorderten. Die amtlichen Nachrichten über Pizarro lauteten doch günstiger als sein Ruf, den der Volksmund verbreitete. Oft, bei wichtigen Anlässen war sein Name in den Berichten der Statthalter von Darien, der aufblühenden spanischen Kolonie an der Landenge von Panama, erwähnt worden. Er war Einer jener berühmten Spanier, die von der Spitze eines Hügels zum ersten Mal die unendlichen Wogen des Stillen Oceans mit ihren erstaunten Blicken maßen und mit ihrem Heldenführer Balboa das erste Te deum im Angesicht des neuentdeckten Weltmeeres sangen. In den Kriegs- und Raubzügen gegen die Küstenindianer hatte er sich oft hervorgethan, ein tüchtiger und unermüdlicher Fußgänger, wußte er tagelang die Spur des Feindes im Urwald zu verfolgen und ruhte nicht eher, bis er sein Ziel erreichte. Auch war er mitgewesen auf jenen Schiffen, die jenseit der Neuen Welt die unbekannten Fluthen mit ihrem Kiel theilten, um, gegen den Süden steuernd, das Goldland zu entdecken. Sechs Sonnen von Darien entfernt, so erzählten die Indianer, liege das Land, in dem das Gold wachse und in dem die Mächtigen in großen Palästen wohnen, nur von goldenen und silbernen Schüsseln essen und riesenhafte aus reinem Golde geschmiedete Götterbilder anbeten! Seit der Entdeckung und Eroberung von Mexiko schenkte man solchen Berichten den vollsten Glauben und wartete ungeduldig auf die erste Kunde von der Entdeckung dieses „Goldlandes“ – und die Kunde kam, und Pizarro war der glückliche Pfadfinder: er hatte, wenn auch vorerst aus der Ferne, das gelobte Land der spanischen Abenteurer geschaut. In Anbetracht solcher Verdienste vergaß ihm der Kaiser seine Vergangenheit und gewährte ihm die Gnade einer Audienz.

Welch ein Gegensatz tritt uns in diesen beiden Männern entgegen! Kaiser Karl V., ein hervorragender Staatsmann, der sich mit weitgehenden Plänen befaßt und das Errungene auszubauen und zu erhalten trachtet; Franz Pizarro, ein gleichfalls weithinaus schauender Geist, der jedoch nur Raubzüge plant und Zerstörung brütet. Kaiser Karl, der, von tiefer Religiosität erfüllt, in schönen Künsten und Wissenschaften Erholung sucht und im späten Alter die Geschichte seines großen Lebens niederschreibt; – Pizarro, ein blinder Fanatiker, der nicht einmal seinen Namenszug schreiben gelernt und unter wichtige Aktenstücke elende Krakelfüße setzt!

Und doch wußte Pizarro in den Prunkgemächern des Schlosses zu Toledo, ein geschickter Anwalt seiner Sache, Karl V. so zu rühren, daß der Kaiser Thränen vergoß und auf die Pläne des Emporkömmlings bereitwillig einging. In jener Audienz legte der ehrgeizige Abenteurer den Grundstein, auf dem er sein späteres Wirken aufbaute und jene Geschichte der Eroberung und Vernichtung Perus einleitete, die mit Recht eine teuflische Tragödie im Paradiese genannt wurde.

In der spanischen Kolonie Darien, so etwa lautete der Bericht Pizarro’s, faßte er mit zwei anderen Männern den Plan, das Goldland Peru zu entdecken und für seinen König zu erobern. Almagro, ein Mann ebenfalls dunkler Herkunft, aber kriegerischen und ehrgeizigen Geistes, und Pater Luque, ein in Geschäftssachen bewanderter und vermögender Geistlicher, waren seine Genossen. Alle Drei leisteten den Schwur auf ihr Bündniß und nahmen die dreifach getheilte Hostie, daß sie einander treu beistehen und Mühen und Gewinn redlich theilen wollten.

Um die Mitte November 1524 lichtete das Schiff Pizarro’s im Hafen von Panama die Anker und steuerte nach dem geheimnißvollen Süden. Der Stille Ocean strafte sich selbst Lügen; Stürme folgten auf Stürme, und nur mit unendlicher Mühe, unter fortwährender Lebensgefahr gelang es den Schiffern, das Kap de Piñas, den südlichsten damals bekannten Küstenpunkt, zu umschiffen. Neue Küstenstrecken tauchten auf, aber jeder Landungsversuch brachte Pizarro nur bittere Enttäuschung. Nirgends ein Zeichen der Kultur, überall dichte, sumpfige Wälder, in denen Fiebermiasmen brüteten und unzählige Mückenschwärme hausten! Endlich nach [563] siebzehntägiger Fahrt winkte ein freundlicher Hafen. Hier landete man – aber von der Besatzung des Schiffes waren nur noch achtzig Mann am Leben; vierunddreißig „schliefen bereits den Todesschlaf auf dem Grunde des Meeres“.

Die Nahrungsmittel waren ausgegangen, die Hungersnoth drohte, und so beschloß Pizarro, mit dem größten Theil der Mannschaft an Ort und Stelle zu bleiben und das Schiff nach den Perleninseln zu senden, damit es frische Vorräthe bringe. Siebenundvierzig Tage harrte er auf dessen Rückkehr und kämpfte inzwischen mit den fürchterlichsten Gegnern, mit Hunger und Krankheit, denen wiederum zwanzig Mann erlagen, denn die blendende Pracht der tropischen Natur erwies sich trügerisch und wollte die Fremden nicht nähren. Seethiere, Muscheln, Eidechsen, saure und bittere Früchte bildeten ihre kümmerliche Nahrung – und die Ueberlebenden trennten sich von dem freundlich dreinschauenden Gestade, indem sie es Puerto del hambre, das heißt Hungerhafen, nannten. Endlich wurde ein von kriegerischen Kannibalen bewohntes Dorf erobert und darin einige Goldsachen gefunden, aber schon am nächsten Tage mußten die Spanier unter starken Verlusten der Uebermacht weichen.

Glücklicher war Almagro, der mit dem zweiten Schiffe Pizarro gefolgt und auf Dörfer mit reinlichen Wohnungen gestoßen war, auch etwas mehr Gold erbeutet hatte.

Mit ähnlichen Entbehrungen, aber mit glücklicherem Enderfolg war die zweite Fahrt nach Peru verbunden. Auf der hohen See traf Almagro ein großes Schiff, eigenartig gebaut, aus dicken, rohrartigen Stämmen einer leichten Holzart, welche mittelst Hanfstricken zu einem Floß zusammengefügt waren. Ein Häuschen stand darauf, an dünnen Stämmen waren Segel befestigt, große Steine dienten als Anker. Die Spanier trafen mit peruanischen Händlern aus der Stadt Tumbez zusammen. Die ersten Anzeichen einer eigenartigen Kultur traten ihnen entgegen; reicher Gold- und Silberschmuck, feine wollene oder baumwollene Kleider, in welche prachtvolle farbige Muster eingenäht waren, wurden eingetauscht, und Pizarro konnte sie jetzt seinem König vorlegen. Im Kodex 120 der Wiener Bibliothek ist eine ausführliche Liste jener zum ersten Mal eingetauschten peruanischen Waaren vorhanden.

Und trotzdem drohte dem Unternehmen ein schmachvolles Ende. Die Kunde von den zahllosen Menschenopfern, welche die Expedition forderte, veranlaßte den Gouverneur von Darien zu energischen Maßregeln. Er sandte ein Schiff nach der Gorgo-Insel, auf welcher die Spanier noch schlimmere Noth als in dem Hungerhafen zu dulden hatten, damit es Pizarro und seine Mannschaft zur Rückkehr nach Panama zwinge.

Die Leute Pizarro’s haben jene Insel „die Hölle“ genannt und waren gern bereit, der Aufforderung des Schiffskapitäns zu folgen. Da sprang Pizarro auf, zückte sein Schwert, zeichnete eine Linie auf dem sandigen Boden von West nach Ost und rief nach Süden zeigend: „Castilianer! Dieser Weg führt nach Peru und seinen Schätzen, jener nach Panama und an den Bettelstab. Wählt! Wenn Ihr auch Alle mich verlaßt, ich allein werde das Goldland erobern.“

Er überschritt die Linie; nur dreizehn folgten ihm, und die Geschichte Spaniens nennt sie „die berühmten dreizehn“ (Los trece de la fama).

Endlich wurde der Hafen von Tumbez erreicht. Staunend sahen die Spanier eine große von starker Veste überragte Stadt. „So weit das Auge reichte, erstreckte sich landeinwärts eine grünende, fruchtbare, von wohl angelegten Kanälen bewässerte Ebene, gleich einem Gemüsegarten.“

Gastfreundlich wurden die Fremden empfangen, und nach Begrüßung und Bewirthung eines in der Stadt gerade anwesenden Inka an Bord des spanischen Schiffes ging der Spanier Alonso de Molinas in Begleitung eines Negersklaven ans Land. Nach seiner Rückkehr pries er den Goldreichthum und die Wohlhabenheit der Einwohner, und sein Bericht veranlaßte Pizarro, anderen Tages einen zweiten Kundschafter nach Tumbez zu senden.

„Pedro de Candia, so hieß er, legte sein glänzendes Panzerhemde an, setzte einen funkelnden Helm auf, nahm den blitzenden stählernen Schild an den Arm, gürtete sein Schwert um und bewaffnete sich noch außerdem mit einer Arkebuse.

So ausgerüstet betrat er die Stadt, wo seine Erscheinung begreiflicherweise die höchste Verwunderung hervorrief. Hell leuchteten und blitzten Rüstung und Waffen in den Strahlen der tropischen Sonne: Das war ein Huirakotscha, ein wahrer ‚Sohn des Glanzes‘, den Blitz und Donner in seiner Hand! Pedro de Candia nämlich unterließ nicht, seine Donnerbüchse gegen ein Brett abzufeuern, daß die Holzsplitter umherflogen. Um aber doch den Halbgott näher auf seine himmlische Sendung zu prüfen, ließ man einen Jaguar auf ihn los.

Anstatt den Spanier anzufallen, soll sich der Tiger demüthigst zu seinen Füßen geschmiegt haben. Von nun an unterlag es keinem Zweifel: der Fremdling war ein Sohn des Sonnengottes und mußte als solcher nach dem Tempel seines Vaters geleitet werden.“[1]

Der Bericht Pedro’s de Candia überstieg noch die Mittheilungen des ersten Kundschafters. Der Tempel des Sonnengottes war inwendig von oben bis unten mit Goldplatten getäfelt; in dem Palast des Herrschers, der für seinen zeitweisen Aufenthalt in der Stadt bestimmt war, bestanden sämmtliche Gefäße aus lauterem Gold und Silber, und in dem diesen Palast umgebenden Garten sah man goldene und silberne Menschen- und Thierbildnisse, Bäume und Gesträuche aus gleichem edlen Metall. In der Stadt herrschte überall die trefflichste Ordnung. Durch die reinlichen Straßen zogen sich Wasserkanäle, wohlgepflegte Bäume beschatteten die Plätze. In den Häusern überall Ueberfluß an Nahrungsmitteln und fein gewebten Stoffen! Und Tumbez war nur die Hauptstadt einer entlegenen Provinz des großen Inkareiches.

Es war kein Zweifel mehr: das Goldland, von dem die Indianer fabelten, war entdeckt worden. Mit geheuchelter Freundschaft und geheuchelter Gesittung zogen die Spanier längst der fruchtbaren Küste heimwärts, um bald in größerer Zahl zurückzukehren und die Rechte der Eroberer geltend zu machen.

Auf Grund dieser Berichte erhielt Pizarro von Karl V. die nöthigen Vollmachten und zog drei Jahre später, 1531, an der Spitze von 180 Soldaten und 37 Reitern in Caxamarca ein. Mit dieser Handvoll tollkühner Abenteurer wagte er den Riesenmarsch über die Anden, wagte, den Inka inmitten seines 50000 Mann starken Heeres gefangen zu nehmen, und brachte es fertig, das „Reich der vier Sonnen“ und eine der eigenartigsten Kulturen der Welt im Laufe weniger Jahre zu vernichten. J.     


  1. Vergl. „Das Inka-Reich“. Von Dr. B. Brehm. Jena, Fr. Mauke’s Verlag.