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Vor den Ruinen eines Kunsttempels

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Titel: Vor den Ruinen eines Kunsttempels
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aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 669–673
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[669]

Vor den Ruinen eines Kunsttempels.

Vor achtundzwanzig Jahren war es, Montags am zwölften April. Der Tag war trübe und jähe Windstöße fegten naßkalt über den Strom, dennoch befand sich die gesammte Residenz in Bewegung, ein gewisser Freudenrausch hatte sich mehr oder minder aller Schichten der menschlichen Gesellschaft bemächtigt, und schon vom Morgen an deutete das Treiben auf Straßen und Plätzen die Gruppen, die überall in eifrigen Gesprächen zusammenstanden, und die Gesichter der Vorübergehenden darauf hin, daß etwas Ungewöhnliches, ein Begebniß seltenster Art in Aussicht stand.

Und es war auch der Fall, ein seit Jahren mit Spannung und Sehnsucht erwarteter Tag, er war nun gekommen; heute Abend sollte der grandiose neue Musentempel, das Werk des genialen deutschen Meisters, der schau- und hörlustigen Menge zum ersten Mal seine reichgeschmückten weiten Hallen erschließen – mit Einem Wort, das nach Gottfried Semper’s Entwürfen erbaute neue Dresdener Hoftheater, zu welchem man vor nahezu drei Jahren, am 1. Mai 1838, den Grundstein gelegt hatte, heute Abend sollte es mit einer Galavorstellung feierlich eröffnet werden.

Wohl die meisten unserer Leser kennen den schönen Renaissancehalbrundbau, wie er sich mit seinen künstlerisch vollendeten Friesen und Statuen von Rietschel und Hähnel, seinen beiden Frontons und Vorhallen unweit der „Großen Brücke“ und der Brühl’schen Terrasse, nahe dem Schloß und der katholischen Kirche, gegenüber dem Museum und „Helbigs“, auf jenem gewissermaßen weltberühmten Platz, wo sich ein guter Theil des Dresdener Fremdenverkehrs zu concentriren pflegt, als eines der würdigsten Denkmale neuer deutscher Kunst erhob – sie werden daher ermessen können, mit welcher fieberhaften Aufregung Jung und Alt, Hoch und Niedrig dem Beginn der siebenten Abendstunde entgegenharrte. Seit langer Zeit schon hatte ja die Pflege der Kunst den Dresdenern das mangelnde Volks- und öffentliche Leben ersetzen müssen, wie sie das zum Theil noch heute thun muß, und speciell die Bühne sich eines Cultus zu erfreuen gehabt, für den selbst Kreise Theilnahme zeigten, welche anderwärts in der Regel sich außerhalb solcher Interessen bewegen.

Der Theaterzettel des Eröffnungsabends liegt vor mir: man hatte Deutschlands größten Dichter gewählt, die neuen weltbedeutenden Bretter einzuweihen , man gab Torquato Tasso, und classisch wie das Stück selbst war in ihrer Weise auch die Besetzung [670] der einzelnen Rollen. Emil Devrient, damals noch im Vollbesitze seiner unvergleichlichen Mittel, seines ganzen lyrischen Schmelzes, gab den Tasso und wußte über Erscheinung und Action jene poetische Weihe zu breiten, wie sie die Gestalt des Tasso erheischt; von allen Schanspielern unserer Tage wohl derjenige, welcher mit dem leiblichen und geistigen Rüstzeuge zu dieser Rolle von der Natur am reichsten ausgestattet war. Caroline Bauer, in jenen Tagen hochgefeiert, später freilich von ihrer Nachfolgerin Marie Meyer-Bürk überholt, spielte die Prinzessin; Franzisca Berg, nachmals eine unserer vorzüglichsten und vielseitigsten Charakterdarstellerinnen geworden und noch immer zu den ersten Notabilitäten des Dresdener Hoftheaters gehörend, die Sanvitale; Friedrich Porth endlich, auch noch Einer der lebenden Koryphäen unserer Bühne, war mit seinem ernst durchdachten, beständigen und gemessenen Spiel ganz der Mann für den auf festem Grunde ruhenden, sich selbst beschränkenden, welt- und lebensklugen Antonio.

Im alten unscheinbaren Hause hatte man sich mit den Decorationen sehr bescheiden beholfen, der Luxus, den man davon heute im neuen erblickte, war für Dresden etwas Unerhörtes; Desplechin’s Plafond mit seinen Bildnissen von Schiller, Goethe, Mozart und Beethoven, Julius Hübner’s im vollen Zauber ihrer Farbenfrische leuchtende Vordergardine, und der Kronleuchter mit dem milden Silberschein seiner zweihundert Lampen überbot Alles, was die kühnste Phantasie sich in dieser Beziehung vorgestellt haben mochte. – All diese Pracht ist nun dahin! Die Nachricht davon hat längst die ganze cultivirte Welt durchlaufen, und wir können unsere Leser nur zu der entsetzlichen Katastrophe zurück und vor die Ruinen des unvergleichlichen Kunsttempels führen.

Es war nahe der Mittagsstunde des 21. September, als die rasch sich folgenden Pulse der Sturmglocke, welche hier in großväterlicher Sitte noch ihre Stimme erheben darf, von einer inmitten der Stadt ausgebrochenen Feuersbrunst Kunde gaben. Merkwürdiger Weise schien sich in meinem Vorstadtviertel kein Mensch um den Brand zu kümmern. Von Rauch oder Gluthschein war hier keine Spur zu erschauen, keiner der mir Begegnenden konnte mir sagen, wo es brenne, und ich hatte schon eine ziemliche Weile herumgefragt, bis mir Jemand im Vorübereilen zurief: „Wissen Sie es denn noch nicht? Das Theater steht in Flammen und ist unrettbar verloren!“

Die Mittheilung klang mir mehr als fabelhaft; in so rapider Geschwindigkeit sollte ein Kolossalbau wie unser Schauspielhaus, der überdies fast hart an der Elbe lag und, wie sich alle Welt tröstete, durch bequeme Vorrichtungen sofort unter Wasser zu setzen war, zerstört werden können, nein, das war unmöglich! Dennoch wandte ich mich natürlich hastigen Schrittes dem bezeichneten Orte zu. Noch war es nicht halb ein Uhr, als ich den Theaterplatz erreichte, und – die Schreckensbotschaft war nur allzu wahr gewesen, bereits war der Dachstuhl des Gebäudes bis aus wenige Reste gegen Westen hin vernichtet! Von keiner Schranke mehr gehemmt, schlug die Flamme in den sommerlich blauen Himmel hinauf, züngelte aus den Fenstern des oberen Stockes heraus, leckte an den Firsten des nördlichen Frontons, schmolz das Kupfer, mit welchem die Dachung gesäumt war, daß ein eigenthümlich greller blaugrüner Dampf sich mitten durch den ungeheuren gelblich-grauen Qualmschwall deutlich verfolgen ließ, und umspielte die Standbilder in den Nischen, bis auf Augenblicke die Rauchsäule die Oberhand gewann, haushoch emporsteigend und Feuer und Flammen, Haus und Menschen in dem dicken brenzlichen Gebrodel unterzugehen schienen. Das Innere des Gebäudes selbst war von oben bis unten dem Untergang verfallen, ein grausenvoll schönes Gluthenchaos, aus welchem, wie aus einem Kunstfeuerwerke, abwechselnd bald dieser, bald jener Theil in hellerer Lohe hervortrat.

Kopf an Kopf stand die Menge auf dem weiten Platze, auf der Freitreppe der Brühl’schen Terrasse, auf der Elbbrücke, auf den Zwingerwällen, überall, wo sich nur eine Ansicht des Zerstörungswerkes gewinnen ließ – aber still, ernst, schweigend, und auf Allen lastete der Schmerz über das große Trauerspiel, das sich unabwendbar vor ihren Augen begab. Die Löschversuche waren – die Tageblätter haben ausführlich darüber berichtet – von der kläglichsten Art und in der kurzen Frist einer Stunde hatte das große Feuergrab Alles verschlungen, was jahrelanger Kunstfleiß aufgebaut und gesammelt hatte: Gallerien und Bogen, Foyers und Corridore, Statuen und Bilder, Costüme und Decorationen. Durch welchen sträflichen Leichtsinn bei der Anfertigung von Gummischläuchen eine so ungeheure Katastrophe sich ereignen konnte, ist zur Genüge bekannt, und ich will die Leser der Gartenlaube nicht noch einmal mit den einstimmig laut gewordenen Anklagen gegen diejenigen Personen behelligen, welche für ein so schmerzliches Ereigniß dem Lande gegenüber verantwortlich gemacht werden müssen. –

„Unsere Schiller und Goethe sind doch unvergänglich!“ rief mir ein schlichter Mann aus dem Volke zu, als ich, unter competentester Führung, mich zu einem Gange durch die mittlerweile durch eine große Plankeneinfassung dem allgemeinen Zutritt verschlossenen Trümmer anschickte. Und, wahrhaftig, da standen sie, rechts und links vor dem Hauptportale des Hauses, unverletzt, die Rietschel’schen Statuen unserer beiden Dichterheroen, und ebenso unverletzt über ihnen die kleineren Standbilder Mozart’s und Gluck’s, wie überhaupt diese, die östliche Seite des Gebäudes, der eigentliche Halbrundbau, von den Flammen am wenigsten gelitten hat. Auch Rietschel’s schöner Fries im Nordfronton, der Furienzug aus den Eumeniden des Aeschylos, ein Relies von außerordentlichem Leben, ist noch ziemlich vollständig erhalten, und fröhlich girrend, als seien sie nie aus ihrem häuslichen Behagen aufgescheucht worden, flatterten die Tauben nach wie vor um die verschiedenen Figuren der Gruppe.

Ganz unbarmherzig aber hat die „losgelassene Feuersmacht“ weiter rechts herum an der westlichen Façade gehaust; hier grinst uns vollständiger Ruin entgegen, schwarze, gluthverzehrte, zerfallende Steinmassen. Die obere Etage fehlt gänzlich mit Ausnahme von zwei sich thurmartig erhebenden Mauerresten, und in den dachlosen Bau schauen „des Himmels Wolken hoch hinein“. Durch die „öden Höhlen“ der Bogenfenster blickt man durch und durch über Bühne und Zuschauerraum hinweg bis zum Eingangsoval hinüber und bis auf die jenseit des Platzes stehenden Schloßbaulichkeiten hinaus, und mitten in einem jener Bogen kommt der Schloßthurm als seltsamer Abschluß des Bildes zum Vorschein. Hähnel’s Bacchusrelief, welches diese Rückseite des Theaters schmückte, die, beiläufig, früher noch für den Anbau eines großen Concertsaales in Aussicht genommen war, existirt nur noch in der Erinnerung; er selbst ist den Flammen bis auf die letzten Steinbrocken zum Opfer gefallen. Klagend gleichsam, vereinsamt und verwaist, blickt Karl Maria von Weber von seinem Granitpostament herab in die grauenvolle Zerstörung, welche ihm unmittelbar gegenüber gerade die gewaltigsten Dimensionen angenommen hat; die geweihte Stätte, wo seine urdeutschen herzinnigen Weisen so oft die Hörer entzückt, wo die erste Opernvorstellung, am zweiten Eröffnungsfestabend, seine Enryanthe gewesen, sie liegt hier in Schutt und Asche, und wahrscheinlich ersteht auf ihrer Stelle keine neue!

Einen traurigen Anblick gewährt auch die dem Museum zugekehrte Fronte des Hauses. Rietschel’s anderer Fries, die Musik und ihre Wirkung auf das Gemüth des Menschen versinnlichend, ist zwar nicht spurlos von der Erde vertilgt, wie der Hähnel’sche, aber halbverwüstet, verräuchert und verrußt, macht er einen um so wehmütigeren Eindruck, obschon auch zwischen seinen verstümmelten und zerstückten Gestalten die alte Taubenschaar ihr anheimelndes Wesen treibt. Die meisten größeren und kleinen Statuen in den Nischen der Außenwände sind zum Glück ziemlich unversehrt geblieben, dasselbe gilt von dem untern Stockwerk des Gebändes, in so weit nur die Umfassungsmauern in Betracht kommen.

„Von woher ist der Eingang wohl am gefahrlosesten?“ frug mein Geleiter, als wir innerhalb der weiten Plankenumzäunung standen, welche zur Aufnahme des Getrümmers bestimmt ist, mit dessen Abräumung in den nächsten Tagen begonnen werden soll. Denn zwar lag fast eine Woche zwischen dem Unglückstage und heute, noch immer jedoch glimmte und glühte es drinnen auf der Brandstätte, ja oft genug loderte es hell auf, so daß die Feuerwehr fortwährend noch die Spritzen handhaben mußte.

„Hier, meine Herren,“ antwortete der Inspector der eben activen Löschmannschaft, nachdem wir in den um das Erdgeschoß laufenden Corridor getreten waren, der wenigstens dem oberflächlichen Blicke noch so ziemlich in seiner alten Gestalt erscheint, und deutete mit der Hand auf einen rauchenden Berg schwarzen Steingeröll – ein Anblick wie etwa um den Kraterrand eines Vulcans.

[671]

Der Brand des Hoftheaters in Dresden.
Nach der Natur aufgenommen.

[672] „Das ist der Aufgang zum vierten Range gewesen, freilich sieht man jetzt nichts mehr davon,“ erläuterte mein fachkundiger Führer, während wir unter drohendster Gefahr für unsere Stiefelsohlen auf dem rollenden und nachgebenden Gebröckel Fuß zu fassen suchten

Aber wie soll ich beschreiben, was ich von der Höhe unsers Schutthügels aus vor meinen Augen sah? Der Eindruck läßt sich nur in die kurzen Worte fassen: ringsum nichts als ein wüstes Gewirr von verkohltem Gebälk, von Steinen und Trümmern, hier steil aufsteigend, dort tief abfallend wie Berg und Thal, aus welchem rechts und links noch Rauchwolken aufwirbelten oder Flammen aufzischten, wenn der Wasserstrahl des Spritzenschlauches in die Gluth traf, und jetzt da, dann dort neue Mauernschichten sich loslösten, um in dem allgemeinen Chaos zu versinken. Daß der Bau einst in Bühne, in Schnürböden und Versenkungsräume, in Logen und Galerien, in Foyers und Garderobezimmer, in Büffetsaal und so manche andere Localität eingetheilt gewesen war, davon ließen sich blos noch schwache Umrisse erkennen.

„Die Bogen dort in der Mauer uns zur Rechten sind Alles, was von der königlichen Loge und den hinter ihr liegenden Salons noch übrig ist,“ sagte mein Begleiter. „Oben auf derselben Seite ist das Unheil geboren worden; an der Wand hier hat der Unglückliche sich herabgeflüchtet und Alles in Brand gesteckt, woran er, selbst brennend, auf seinem Wege vorübergekommen ist. Gegenüber auf der andern Seite, im Erdgeschosse, sehen Sie in den Mauertrümmern noch einige Vorsprünge und Unterschiede; sie bezeichnen die Stelle, wo sich sonst die Garderoben der Schauspieler befunden haben, und geben Ihnen durch ihre noch sichtbaren Grenzlinien eine Vorstellung, wie gar dürftig und winzig alle diese Räumlichkeiten in dem stattlichen Hause hergerichtet gewesen sind. Hatte man doch das Ankleidezimmer für das weibliche Chorpersonal, so wie gewisse höchst notwendige Localitäten für die oberen Galerien bei der Anlage völlig vergessen und sie nachher an- und einflicken müssen, wie es eben gehen wollte.“

Es waren dies nicht die einzigen Mängel und Mißstände gewesen, welche sich bei der inneren Einrichtung des Gebäudes herausstellten; vielmehr zeigten sich nach und nach vielerlei Unzuträglichkeiten, wie ich schon oben vorübergehend bemerkt; so zum Beispiel die Enge sämmtlicher Corridore. Desgleichen sollen die Hähne der Wasserleitung, auf welche letztere man für die Eventualität eines Brandes doch ein so felsenfestes Vertrauen gesetzt hatte, derart angebracht gewesen sein, daß sie so gut wie unzugänglich wurden, wie denn auch das Gerücht behauptet, – das jetzt in übergroßer Geschäftigkeit tagtäglich eine Fülle von Wahrheit und Dichtung zu Tage fördert – sie seien völlig eingerostet und folglich unbrauchbar gewesen. Endlich haben – und hierauf machte mich mein Cicerone ausdrücklich aufmerksam – viele Zwischenwände und Decken anstatt aus festem Gemäuer lediglich aus Holzwerk bestanden.

Dicht unter meinen Füßen entdeckte ich, zum Theil in dem Geröll vergraben, eine eigenthümlich geformte schwarze Masse; was aus dem Getrümmer und der Asche emporragte, sah mir wie ein großer eiserner Ring aus.

„Was mag das da gewesen sein?“ frug ich.

„Dies hat man bei seinen Lebzeiten immer ganz besonders bewundert,“ lautete die Antwort, „und es war auch buchstäblich der Glanz unsers Schauspielhauses – der Kronleuchter, jetzt nichts mehr als ein Stück nutzlosen alten Eisens. Es hat einst Tausende von Thalern gekostet, und was von ihm geblieben, ist keinen Groschen mehr werth. Unter der Asche dort liegen auch die Ueberreste unserer in ihrer Art einzig gewesenen Rüstkammer, merkwürdige alte Waffen und Requisitstücke, die kostbarsten, die wohl je ein Theater besessen hat.“

Mitten in der allgemeinen Verheerung fielen mir einzelne noch gänzlich unversehrte Mauern auf, so unter Anderem verschiedene Kaminführungen, denen man kann eine Beschädigung anmerkte, und ich sprach mein Erstaunen über den merkwürdigen Umstand aus.

„Allerdings erscheint das merkwürdig,“ entgegnete mein Gewährsmann, „allein wir haben da einen neuen und schlagenden Beweis von der geringen Haltbarkeit unsers Sandsteines; alle Sandsteinmauern des Hauses sind vernichtet, zerglüht, zerbröckelt, mit Einem Worte, total werthlos geworden; was Sie hier an Mauerwerk erhalten sehen, ist Backsteinbau, dieser leistet den Flammen einen weit energischern Widerstand als der Sandstein. Die aus diesem letztern errichteten Mauern sind vollständig verloren, mit Ausnahme der äußeren Umfassungsmauern, welche bei einem Neubau allenfalls noch benützt werden könnten.“

Gewiß ist der Verlust ein ungeheurer, wenn man ihn aber, wie dies in der ersten Bestürzung geschehen ist, ohne Weiteres auf die runde Ziffer von einer Million Thaler veranschlagt, so kann dies selbstverständlich nicht das Ergebniß einer auf bestimmten Anhaltspunkten beruhenden Schätzung ausdrücken, sondern soll überhaupt nur die materielle Größe des Unglücks bezeichnen. Getrennt vom Schauspielhause, in ziemlicher Entfernung von demselben, stehen die zur Unterkunft von Decorationen und Coulissen, Garderobe, Meublement und sonstigen Requisiten eigens errichtetet massiven Baulichkeiten, und so ist, wie dies die öffentlichen Blätter bereits berichtet, der bei Weitem größere Theil dieser Besitzthümer, von denen der Inhalt der Theatergarderobe allein einen Werth von über zweimalhunderttausend Thalern repräsentirt, erhalten geblieben. Das Nämliche gilt von der werthvollen Bibliothek, den Partituren und Singstimmen, welche gleicherweise in abgesonderten Localitäten aufbewahrt werden. Im Schauspielhause selbst, und zwar in dem sogenannten Concertsaale, befanden sich nur diejenigen Decorationsstücke, die, so zu sagen, stereotyp auf dem Tapete waren. Es war dies freilich keine kleine Anzahl, und unter vielen andern gehörten dazu die von französischen Künstlern für das neue Haus gemalten farbenreichen Decorationen, der viel bewunderte Tassogarten und der ursprünglich für den Sommernachtstraum bestimmte, doch auch für Verdi’s Troubadour benützte Waldbogen, ebenfalls eine besondere Lieblingsdecoration des Publicums. Von alledem hat nichts gerettet werden können, wie überhaupt das vor den Flammen Geborgene – mit Ausnahme der auf nahezu zehntausend Thaler taxirten musikalischen Instrumente des Orchesters, deren Erhaltung man ausschließlich der Aufopferung einer alten Theaterdienerin und ihres Sohnes zu verdanken hat – im Verhältniß zu dem Zerstörten kaum in Betracht kommt. Namentlich bleibt die Vernichtung sämmtlicher Noten des Chores zu beklagen, und Jahre dürften darüber hingehen, ehe es möglich wird, diese Einbuße auch nur zum Theile wieder zu ersetzen. Einzig und allein die vortreffliche Schulung der Sänger und Sängerinnen, die, so behauptet man, im Stande sind, ihre Partien, in den häufiger gegebenen Opern wenigstens, ohne Noten aus dem Gedächtniß vorzutragen, mindert den Verlust in Etwas.

Schwerer als dies Alles aber fällt der Untergang jener schon erwähnten sogenannten Rüstkammer in’s Gewicht. Ist es auch nicht ganz richtig, wenn man diesen Verlust als Gegenstände von historischer Bedeutung umfassend und somit geradezu als unersetzlich angiebt – denn historisch in dem Sinne, als von geschichtlich hervorragenden Persönlichkeiten oder Localitäten herrührend, war die Mehrzahl dieser Dinge nicht –: so bleibt der pecuniäre Werth derselben immerhin ein sehr beträchtlicher, da er auf mindestens achtzehntausend Thaler zu veranschlagen ist. Die Dresdener Theaterrüstkammer nahm hinsichtlich der Solidität ihres Inhalts in Deutschland wohl den ersten Rang ein und umfaßte eine Menge interessanter und kostbarer Requisiten; zum Beispiel die Hellebarden der unter August dem Starken errichtetet glänzenden polnischen Nobelgarde; eine Anzahl alter Radschloßgewehre mit elegant ausgelegten Schäften, mit denen vordem die Garde des Kurfürsten Johann Georg’s des Zweiten bewaffnet gewesen war; eine Reihe der schönsten reich mit Bronze verzierten Stahl- und Neusilberrüstungen, allerdings von moderner Arbeit, indeß nach den besten alten Modellen gefertigt; viele Garnituren von sogenannten Topfhelmen oder Sturmhauben byzantinischer Art, gleichfalls echten Mustern auf das Sorgsamste nachgebildet; Schwertkuppeln aller Formen und Zeitalter. Was auf den meisten anderen, selbst großen Theatern aus Pappe im Verein mit Silber- und Goldpapier hergestellt zu werden pflegt, in Dresden wurde es aus Metall geschmiedet und gegossen. So waren die Schilder der Amazonen in Meyerbeer’s Afrikanerin sammt und sonders aus blankem Stahl gearbeitet, desgleichen trugen die an ersten Acte derselben Oper antretenden Trabanten des portugiesischen Hofes durchweg Armschienen, Brust- und Rückenharnische und Pickelhauben aus Weißblech. Außerordentlich reich war die Sammlung an griechischen Harnischen und Helmen, alle nach den trefflichsten antiken Vorbildern copirt und im Laufe der Zeit mit vieler Mühe zusammengebracht. Ferner gab es Hunderte der künstlerisch vollendetsten [673] Hüft- oder Jagdhörner aus Messing mit schönen Schmucksteinornamenten, die den seltensten und geschichtlich merkwürdigsten Exemplaren des historischen Museums bis in die kleinste Einzelheit getreu nachgeformt waren. Auch die Collection der prachtvollsten Fahnen, unter denen zumal die ganz neuerdings erst mit großen Kosten hergestellten Innungsfahnen aus Richard Wagner’s Meistersingern zu nennen sind, dürfte als höchst ansehnlich gelten. Alle diese Schätze, – so kann man sie mit Fug und Recht bezeichnen – haben nun die unerbittlichen Flammen verschlungen, oder doch im günstigsten Falle schwer beschädigt; dicht aneinander gepreßt und übereinander geschichtet standen, hingen und lagen sie im engsten Locale zusammen, unmittelbar neben dem mit Coulissen und Decorationstücken vollgepfropften Concertsaale, so daß an eine Rettung des Besitzes nicht gedacht werden konnte.

Der Verlust des Theatermeublements – darunter die theuersten Geräthe aller Stylarten, von der griechischen bis zur allermodernsten – der Vasen, Gefäße, Trinkgeschirre und der übrigen in diese Kategorie schlagenden Requisiten mag sich auf mindestens zwölftausend Thaler belaufen, und in den verbrannten – Perrücken ist das ganz erkleckliche Capital von etwa zweitausendfünfhundert Thalern zu Grunde gegangen. Wie mancher Monat wird verstreichen müssen, ehe Schneider, Klempner, Gürtler, Stahl- und Lederarbeiter, Schreiner und Haarkräusler und noch andere Handwerker und Künstler, die, wie ich mich selbst überzeugte, bereits die Hand ans Werk legen, nur das Nothdürftigste dieser Coulissenerfordernisse wieder angefertigt haben! Um eine Sammlung aber von nur annähernder Vollständigkeit zu besitzen, wird es der jahrelangen Thätigkeit und Umsicht des kenntnißreichen Theaterbeamten bedürfen, dessen Freundlichkeit ich diese Details verdanke.

Wohl jedes einzelne Bühnenmitglied ist von dem Unglück materiell mit betroffen worden, indessen sind diese Verluste im Allgemeinen nicht sehr erheblicher Natur, und was die Dresdener Localpresse in den ersten Tagen nach dem Brande darüber mitgetheilt, hat sich inzwischen als ziemlich übertrieben herausgestellt – es müßte denn der Verlust einiger Theaterperrücken, welchen ein bekannter Charakterdarsteller zu beklagen haben soll, für eine ihn schwer heimsuchende Calamität gelten. –

Möge recht bald neues Leben aus den Ruinen blühen! Wer theilte ihn nicht, diesen augenblicklichen Hauptwunsch der reizenden Elbresidenz, wo jetzt jeder Tag neue Projecte gebiert, wie und wo der dramatischen Kunst das geeignetste Interimszelt aufzuschlagen ist? Wo aber auch nach Jahren einst der feste neue Musentempel stehen möge: die Stätte, auf welcher die unvergeßliche, die große Wilhelmine Schröder viele Jahre lang ihre eigentliche Kunstheimath fand, zu der sie nach ihren Siegesläufen durch Europa wieder und immer wieder mit alter Lust zurückkehrte, wo sie jedem Ton und jedem Blick ihr reiches Herz geschenkt, wo sie die unvergänglichen Gestalten ihres Fidelio und Romeo, ihrer Agathe und Euryanthe, ihrer Donna Anna und Norma geschaffen; die Stätte, auf welcher Emil Devrient durch seinen Posa, seinen Tasso, seinen Hamlet entzückt und begeistert; wo Joseph Tichatschek sich den unbestrittenen Ruhm als erster deutscher Heldentenor ersungen hat; die eine Marie Beyer-Bürk, einen Bogumil Dawison, eine Franziska Berg, einen Eduard Winger, einen Friedrich Porth, einen Anton Mitterwurzer und noch viele, viele andere Namen vom hellsten Klange zu den Ihrigen zählen durfte – die Stätte lebt „eingeweiht für alle Zeiten“ ewig fort in der Erinnerung der Menschen.