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Von einem armen reichen Manne

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Textdaten
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Autor: Adolf Loos
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Titel: Von einem armen reichen Manne
Untertitel:
aus: Adolf Loos: Sämtliche Schriften in zwei Bänden – Erster Band, herausgegeben von Franz Glück, Wien, München: Herold 1962, S. 201–207
Herausgeber: Franz Glück (1899–1981)
Auflage:
Entstehungsdatum: 1900
Erscheinungsdatum: 1962
Verlag: Herold
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Erscheinungsort: Wien
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft: erstdruck unter dem titel „vom armen reichen mann“ im „neuen wiener tagblatt“, 34. jahrgang, 26. april 1900.
Quelle: PDF bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[201]
VON EINEM ARMEN REICHEN MANNE
(26. april 1900)


Von einem armen reichen manne will ich euch erzählen. Er hatte geld und gut, ein treu es weib, das ihm die sorgen, die das geschäft mit sich brachte, von der stirne küßte, einen kreis von kindern, um die ihn jeder seiner arbeiter beneiden konnte. Seine freunde liebten ihn, denn, was er angriff, gedieh. Aber heute ist es ganz, ganz anders geworden. Und das kam so:

Eines tages sagte sich dieser mann: „Du hast geld und gut, ein treues weib und kinder, um die dich jeder deiner arbeiter beneiden kann. Aber bist du denn glücklich? Sieh, es gibt menschen, denen alles das fehlt, worum man dich beneidet. Aber ihre sorgen werden hinweggescheucht durch eine große zauberin, die kunst. Und was ist dir die kunst? Du kennst sie nicht einmal dem namen nach. Jeder protz kann seine visitkarte bei dir abgeben, und dein diener reißt die flügeltüren auf. Aber die kunst hast du noch nicht bei dir empfangen. – Ich weiß wohl, daß sie nicht kommt. Aber ich werde sie aufsuchen. Wie eine königin soll sie bei mir einziehen und bei mir wohnen.“

Es war ein kraftvoller mann, was er anpackte, wurde mit energie ausgeführt. Das war man bei seinen geschäften so von ihm gewohnt. Und so ging er noch am selben tage zu einem berühmten architekten und sagte ihm: „Bringen sie mir kunst, die kunst in meine vier pfähle. Kosten nebensache.“

Der architekt ließ sich das nicht zweimal sagen. Er ging in die wohnung des reichen mannes, warf alle seine möbel hinaus, ließ ein heer von parkettierern, spalierern, [202] lackierern, maurern, anstreichern, tischlern, installateuren, töpfern, teppichspannern, malern und bildhauern einziehen und hui, hast du nicht gesehen, war die kunst eingefangen, eingeschachtelt, wohlverwahrt in den vier pfählen des reichen mannes.

Der reiche mann war überglücklich. Überglücklich ging er durch die neuen räume. Wo er hinsah, war kunst, kunst in allem und jedem. Er ergriff kunst, wenn er eine klinke anfaßte, er setzte sich auf kunst, wenn er sich in einem sessel niederließ, er vergrub sein haupt in kunst wenn er es ermüdet in die kissen senkte, sein fuß versank in kunst, wenn er über die teppiche schritt. Mit einer ungeheuren inbrunst schwelgte er in kunst. Seitdem auch sein teller mit dekor versehen worden war, schnitt er sein bœuf à l’oignon noch einmal so kräftig entzwei.

Man pries ihn, man beneidete ihn. Die kunstzeitschriften verherrlichten ihn als einen der ersten unter den mäzenen, seine zimmer wurden als vorbildlich abgebildet, erläutert und erklärt.

Aber sie verdienten es auch. Jeder raum bildete eine abgeschlossene farbensymphonie. Wand, möbel und stoffe waren in der raffiniertesten weise zusammengestimmt. Jedes gerät hatte seinen bestimmten platz und war mit den anderen in den wunderbarsten kombinationen verbunden.

Nichts, garnichts hatte der architekt vergessen. Zigarrenabstreifer, bestecke, lichtauslöscher, alles, alles war von ihm hergestellt worden. Aber es waren nicht die landläufigen architektenkünste, nein, in jedem ornamente, in jeder form, in jedem nagel war die individualität des besitzers ausgedrückt. (Eine psychologische arbeit, deren schwierigkeit jedermann einleuchten wird.)

[203] Der architekt aber wehrte alle ehren bescheiden ab. „Nein“, sagte er, „diese räume sind gar nicht von mir. Da drüben in der ecke steht nämlich eine statue von Charpentier. Und wie ich es jedem verübeln würde, wenn er ein zimmer als seinen entwurf ausgeben wollte und nur eine einzige meiner türschnallen verwendet hätte, kann ich mir nun nicht herausnehmen, diese zimmer als mein geistiges eigentum auszugeben.“ Das war edel und konsequent gesprochen. Mancher tischler, der eines seiner zimmer mit einer Walter Craneschen tapete versehen hatte und doch die darin befindlichen möbel sich zuschreiben wollte, weil er sie erfunden und ausgeführt hatte, schämte sich in den tiefsten grund seiner schwarzen seele hinein, als er von diesen worten erfuhr.

Kehren wir nach dieser abschweifung zu unserem reichen manne zurück. Ich habe ja schon gesagt, wie glücklich er war. Einen großen teil seiner zeit widmete er von nun an dem studium seiner wohnung. Denn das mußte gelernt sein; das sah er wohl bald. Da gab es viel zu merken. Jedes gerät hatte einen bestimmten platz. Der architekt hatte es gut mit ihm gemeint. An alles hatte er gedacht. Für das kleinste schächtelchen gab es einen platz, der gerade dafür gemacht war.

Bequem war die wohnung, aber den kopf strengte sie sehr an. Der architekt überwachte daher in den ersten wochen das wohnen, damit sich kein fehler einschleiche. Der reiche mann gab sich alle mühe. Aber es geschah doch, daß er ein buch aus der hand legte und es in gedanken in ein fach schob, das für zeitungen angefertigt war. Oder daß er die asche seiner zigarre in jener vertiefung des tisches abstrich, die bestimmt war, den leuchter aufzunehmen. Hatte man einmal einen gegenstand in die [204] hand genommen, so war des ratens und des suchens nach dem richtigen platz kein ende, und manchmal mußte der architekt die detailzeichnungen aufrollen, um den platz für eine zündholzschachtel wieder zu entdecken.

Wo die angewandte kunst solche triumphe feierte, durfte die angewandte musik nicht zurückbleiben. Diese idee beschäftigte den reichen mann sehr. Er machte eine eingabe an die straßenbahngesellschaft, in der er ersuchte, sich statt des sinnlosen läutens des Parsifalglockenmotives zu bedienen. Allein er fand bei der gesellschaft kein entgegenkommen. Dort war man für moderne ideen noch nicht genug empfänglich. Dafür wurde ihm gestattet, die Pflasterung vor seinem hause auf eigene kosten ausführen zu lassen, wodurch jedes fuhrwerk gezwungen wurde, im rhythmus des Radetzkymarsches vorbei zu rollen. Auch die elektrischen läutewerke in seinen räumen erhielten Wagner- und Beethoven-motive, und alle berufenen kunstkrititker waren voll des lobes über den mann, der der „kunst im gebrauchsgegenstande“ ein neues gebiet eröffnet hatte.

Man kann sich vorstellen, daß alle diese verbesserungen den mann noch glücklicher machten.

Es darf aber nicht verschwiegen werden, daß er es vorzog, möglichst wenig zuhause zu sein. Nun ja, von so viel kunst will man sich auch hie und da ausruhen. Oder könnten sie in einer bildergalerie wohnen? Oder monate lang in „Tristan und Isolde“ sitzen? Nun also! Wer wollte es ihm verdenken, wenn er neue kräfte im café, im restaurant oder bei freunden und bekannten sammelte. Er hatte sich das anders gedacht. Aber der kunst müssen opfer gebracht werden. Er habe doch schon so viele gebracht. Sein auge wurde feucht. Er gedachte vieler alter [205] dinge, die er lieb gehabt hatte und die er manchmal vermißte. Der große lehnstuhl! Sein vater hatte immer das nachmittagsschläfchen darin gemacht. Die alte uhr! Und die bilder! Aber: die kunst verlangt es! Nur nicht weich werden!

Einmal geschah es, daß er seinen geburtstag feierte. Frau und kinder hatten ihn reich beschenkt. Die sachen gefielen ihm ausnehmend und bereiteten ihm herzliche freude. Bald darauf kam der architekt, um nach dem rechten zu sehen und entscheidungen in schwierigen fragen zu treffen. Er trat in das zimmer. Der hausherr kam ihm freudig entgegen, denn er hatte vieles auf dem herzen. Aber der architekt sah die freude des hausherrn nicht. Er hatte etwas ganz anderes entdeckt und erbleichte. „Was haben sie denn da für hausschuhe an?“, stieß er mühsam hervor.

Der hausherr besah seine bestickten schuhe. Aber er atmete erleichtert auf. Diesmal fühlte er sich ganz unschuldig. Die schuhe waren nämlich nach einem originalentwurfe des architekten gearbeitet worden. Er antwortete daher überlegen:

„Aber herr architekt! Haben sie das schon vergessen? Die schuhe haben sie ja selbst gezeichnet!“

„Gewiß“, donnerte der architekt, „aber für das schlafzimmer. Hier zerreißen sie mit diesen zwei unmöglichen farbflecken die ganze stimmung. Sehen sie denn das nicht ein?“

Der hausherr sah es wohl ein. Er zog rasch die schuhe aus und war zu tod froh, daß der architekt nicht noch seine strümpfe unmöglich fand. Sie gingen ins schlafzimmer, wo der reiche mann wieder seine schuhe anziehen durfte.

[206] „Ich habe“, begann er hier zaghaft, „gestern meinen geburtstag gefeiert. Meine lieben haben mich mit geschenken förmlich überschüttet. Ich habe sie rufen lassen, lieber herr architekt, damit sie uns ratschläge geben, wie wir die sachen am besten aufstellen könnten.“

Das gesicht des architekten verlängerte sich zusehends. Dann brach er los:

„Wie kommen sie dazu, sich etwas schenken zu lassen?! Habe ich ihnen nicht alles gezeichnet? Habe ich nicht auf alles rücksicht genommen? Sie brauchen nichts mehr. Sie sind komplett!“

„Aber“, erlaubte sich der hausherr zu erwidern, „ich werde mir doch noch etwas kaufen dürfen!“

„Nein, das dürfen sie nicht! Nie und niemals! Das fehlte mir noch. Sachen, die nicht von mir gezeichnet sind? Habe ich nicht genug daran getan, daß ich ihnen den Charpentier gestattete? Die statue, die mir den ganzen ruhm meiner arbeit raubt! Nein, sie dürfen nichts mehr kaufen!“

„Wenn mir aber mein enkerl eine kindergartenarbeit schenkt?“

„Dann dürfen sie sie nicht nehmen!“

Der hausherr war vernichtet. Aber noch gab er sich nicht verloren. Eine idee, jawohl, eine idee!

„Und wenn ich mir in der Secession ein bild kaufen wollte?“ fragte er triumphierend.

„Dann versuchen sie doch, es irgendwo aufzuhängen. Sehen sie denn nicht, daß für nichts mehr platz ist? Sehen sie denn nicht, daß ich für jedes bild, das ich ihnen hergehängt habe, auch einen rahmen auf der wand, auf der mauer dazu komponiert habe? Nicht einmal [207] rücken können sie mit einem bilde. Probieren sie doch, ein neues bild unterzubringen.“

Da vollzog sich in dem reichen manne eine wandlung. Der glückliche fühlte sich plötzlich tief, tief unglücklich. Er sah sein zukünftiges leben. Niemand durfte ihm freude bereiten. Wunschlos mußte er an den verkaufsläden der stadt vorübergehen. Für ihn wurde nichts mehr erzeugt. Keiner seiner lieben durfte ihm sein bild schenken. Für ihn gab es keine maler mehr, keine künstler, keine handwerker. Er war ausgeschaltet aus dem künftigen leben und streben, werden und wünschen. Er fühlte: Jetzt heißt es lernen, mit seinem eigenen leichnam herumzugehen. Jawohl! Er ist fertig! Er ist komplett!