Von einem Zuchthäusler
[175] Von einem Zuchthäusler. Einer unserer alten Mitarbeiter, Theodor Oelckers, ist im Monat Januar dieses Jahres nach längeren Leiden dahin gegangen. Er ist es als Mensch wie als Schriftsteller werth, daß wir ihm ein Wort der Erinnerung widmen. Am 21. Juni 1816 zu Leipzig geboren, trat er bereits 1839 als Schriftsteller auf; seine literarischen Erzeugnisse, welche leider lange nicht so bekannt sind, als sie es in der That verdienen, umfassen an Novellen, Romanen, Gedichten, humoristischen Geschichten, politischen Werken etc. über vierzig Bände. Daneben hat er siebenzig Bände gefeierter englischer und französischer Verfasser übertragen und ist theils als Leiter, theils als Mitarbeiter für eine große Zahl von Zeitschriften thätig gewesen. Bei der politischen Bewegung des Jahres 1848 nahm er an dem Vereinsleben in seiner Vaterstadt regen Antheil, „er hatte das Unglück, mit Millionen anderer Deutschen von der Wiederherstellung eines einigen deutschen Vaterlandes zu träumen und in den Jahren 1848 und 1849 seine Hoffnungen desfalls auf das deutsche Parlament zu setzen, auch die von diesem Parlamente geschaffene und von achtundzwanzig deutschen [176] Souveränen anerkannte Reichsverfassung als eine zu Recht bestehende Errungenschaft zu betrachten, für welche jeder gute Deutsche nöthigenfalls mit Gut und Blut einstehen müsse.“ So kam es, daß er wegen verschiedener ihm zur Last gelegter Handlungen bezüglich der Revolution zu Dresden als Hochverräther zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe in Eisen verurtheilt wurde. Was er in den Gefängnissen zu Leipzig, Hubertusburg und Waldheim durchlebt und beobachtet, das hat er in einem Buche niedergelegt (Aus dem Gefängnißleben, Leipzig 1860), welches durch den in mildester Form gebotenen reichen Stoff von dauerndem Werthe nicht nur für Beurtheilung der einschlagenden politischen Verhältnisse oder der Gefängnißverwaltung ist, sondern auch dem späteren unbefangenen Geschichtschreiber grelle Streiflichter in Bezug auf den Stand der Humanität in den jüngsten Reactionsjahren bieten wird; ja, wir glauben nicht zu viel zu sagen, wenn wir das in Rede stehende Buch einen ergreifenden Beitrag zur Geschichte der Cultur oder wenigstens der Civilisation nennen. Es genüge, daß wir eine einzige Thatsache daraus anführen: der Schriftsteller Oelckers bekam seinen Platz als Wollreiniger in der Kämmerei angewiesen zwischen einem Mordbrenner und einem Raubmörder! –
Das Auftreten Oelckers’ im öffentlichen wie im Privatleben trug stets und überall das Gepräge des männlich Bewußten, einfach Würdigen, Selbstlosen, Ehrenhaften. So hat er auch die Züchtlingsjacke getragen, so seine Beobachtungen mit überlegenem Bewußtsein aufgezeichnet. Körperlich fast erliegend blieb sein Sinn ungebeugt, und als man von oben her das Ansinnen an ihn stellte, um Begnadigung zu bitten, sagte er: „Für uns schickt sich nicht, wessen andere sich nicht scheuen. Die höchste Aristokratie versteht sich zu Zeiten zur niedrigsten Volksschmeichelei, und wieder zu anderen Zeiten scheut sie sich nicht, patriotische Gesinnungen als verbrecherische zu bezeichnen. So ist es leider immer gewesen. Für uns andere aber ist nur anständig, uns unter allen Umständen streng gleich zu bleiben, an die Sache, die wir vertreten, stets zuerst, und an unser persönliches Wohl und Wehe stets zuletzt zu denken.“
Am Abend vor Pfingsten des Jahres 1859 wurde er endlich, weil man den kranken Mann doch nicht im Zuchthause sterben lassen wollte – nach zehnjähriger Haft – der Freiheit wiedergegeben; aber auch diese hat ihm nur wenig Blumen geboten. Im Jahre 1861 begab er sich nach Porto Alegre in Brasilien, wo ihm ein Comité der dortigen Deutschen auf Gerstäcker’s Vorschlag die Leitung der „Deutschen Zeitung“ übertragen hatte. Auch hier setzte er den Kampf gegen die Finsterniß und Tyrannei, namentlich gegen die dortigen Jesuiten fort; er gelangte indeß bald zu der Ueberzeugung, daß der Erfolg bei den dortigen Verhältnissen nicht der aufgewendeten Kraft entspräche, und kehrte nach Europa zurück (1862).
Mannigfache Erlebnisse, deren Schilderung sich der Oeffentlichkeit
entzieht, bestimmten seinen ohnehin dem lauten Treiben abholden Sinn, sich
mehr und mehr in kleine Kreise von Freunden zurückzuziehen. In diesen
wußte man aber die stille, harmlose Heiterkeit seines Wesens, der sich
häufig ein Zug von Ironie und satirischem Humor beimischte, wohl zu
schätzen und übersah willig die kleinen Eigenheiten beim Hinblick auf seinen
biedern, treuen, verlässigen, echt deutschen Charakter. Wie er gelebt und
gewirkt, ruhig, unerschrocken, unerschütterlich fest, so ist er auch gestorben.
An einem der ersten Novembertage des vorigen Jahres trat er in das
Redactionszimmer der Gartenlaube und sagte in derselben schlichten Weise,
als handele es sich um einen Artikel für die Zeitschrift: „Ich will nun
sterben gehen, die Zeit ist da!“ Und als ihm der Redacteur dieser Blätter erschrocken bemerkte, mit dem Sterben habe es noch Zeit, sagte er fast
herb: „Ich bin kein Kind, lieber K., und auch kein altes Weib, das sich
vor dem Tode fürchtet. Ich weiß, wie es mit mir steht, und wollte Sie
nur bitten, mit dem Gelde, das ich Ihnen bringe, die Bedürfnisse für
die letzten Monate meines Lebens zu decken. Ich werde das Geld nicht
ganz aufbrauchen.“ Er hat’s wirklich nicht aufgebraucht, denn acht Wochen
später lag er bereits auf der Todtenbahre. Zu einem Freunde, der ihn auf
dem Krankenlager besuchte, sagte er lächelnd: „Ja, wenn man’s nur voraus
wüßte, daß der Tod Einem plötzlich käme, so könnte man sich dessen
doch wenigstens im voraus freuen!“ So schaute er ruhig auf sein Leben,
gelassen dem Tode entgegen. Mit Recht konnte an seiner Gruft das
Wort ausgesprochen werden: „Wenn er etwas beschloß, führte er es aus;
wenn er etwas that, war es das Rechte und er that es recht. Das Eine
sagt Alles: Jeder Zoll ein deutscher Mann!“ K. A.