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Von der totalen Sonnenfinsterniß

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Textdaten
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Autor: Max Wilhelm Meyer
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Titel: Von der totalen Sonnenfinsterniß
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 31, S. 509–511
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Hinweis auf die Sonnenfinsternis vom 19. August 1887 und die Möglichkeiten für Laien, wertvolle Beobachtungen zu machen
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[509]

Von der totalen Sonnenfinsterniß.

Von M. Wilhelm Meyer.

Was ist eigentlich während der am nächsten 19. August zu erwartenden Sonnenfinsterniß so gar Sonderliches zu sehen, da man schon seit langer Zeit im Voraus so viel Aufhebens davon macht?

Diese Frage wird gewiß sehr vielen Lesern auf den Lippen schweben, welche schon, seit den Schuljahren, sich oft durch berußte Gläser solche Himmelserscheinungen angesehen haben. Sie sahen dabei, wie sich über die strahlende Scheibe der Sonne an einer bestimmten Stelle die Himmelsbläue der Umgebung mehr und mehr hinschob, als löse sich die Sonne hier in Luft auf. Man erfuhr bald und begriff es auch leicht, daß um diese Zeit der Mond theilweise vor die Sonne trat, dessen übrige Scheibe, soweit sie noch nicht vor der Sonne stand, deßhalb nicht erkennbar wurde, weil die allgemeine Helligkeit der Luft Alles mit blaustrahlendem Lichte überzog. Aus demselben Grunde sieht man ja auch die Sterne am Tage nicht.

Sonnenaufgang am 19. August vom Kyffhäuser bei Nordhausen aus gesehen.
(Totale Finsterniß.)

Der Mond trat bei diesen Sonnenfinsternissen allerdings niemals ganz und gar vor die Sonne. Es blieb immer eine mehr oder minder große Sichel vom Tagesgestirn strahlend am Himmel stehen. Die Finsterniß war eben nur eine „partielle“, und man mußte sich, wenn man kein ganz ungewöhnlich großes Interesse an Himmelsereignissen zu nehmen pflegte, eingestehen, daß eigentlich nichts sonderlich Merkwürdiges dabei zu sehen war.

Diesmal aber soll die Sonnenfinsterniß eine „totale“ werden. Wird dabei wesentlich mehr zu sehen sein?

Man erfährt, daß dabei die ganze Sonne vom Monde bedeckt wird, und könnte deßhalb, da man ja die Erscheinung selbst noch nicht gesehen hatte, verleitet sein zu glauben, daß eben dann die ganze Sonnenscheibe verschwunden zu sein scheine und ein blauer Himmel ohne Sonne zu uns herableuchte; denn selbst wenn bei partiellen Finsternissen nur noch eine sehr schmale Sichel herabschien, war dennoch der ganze Himmel blau und heiter geblieben, wie zuvor. Nichts hatte sich an dem allgemeinen landschaftlichen Bilde unserer Umgebung verändert.

Die Sonnensichel während des Sonnenaufgangs in Berlin.

Aber man wäre sehr im Irrthum, wollte man den Eindruck einer totalen Sonnenfinsterniß mit dem einer partiellen überhaupt in Vergleichung ziehen. Sobald die Totalität eintritt und die Erde an den betreffenden Stellen in den Mondschatten einhüllt, verwandeln sich ganz plötzlich Himmel und Erde wie von dem Zauberspruche eines bösen Dämons verdammt. Ein Schrecken überkommt Alles, was lebt; der Pulsschlag der Natur scheint zu stocken, und wie im grauen Alterthum, so stürzen auch heute die abergläubischen Völker verzweifelt auf die Kniee und bitten reumüthig um Abwendung des fürchterlichen Zornes, in welchem die Gottheit vom verdunkelten Himmel herab mit Vernichtung alles Lebens und Lichtes droht. Die Erzählungen, welche sich in Bezug auf diesen tiefen Eindruck totaler Sonnenfinsternisse, die dann gewöhnlich mit großen Ereignissen im Staatsleben in Verbindung gebracht wurden, bis auf uns überliefert haben, sind ja zum Theil Jedermann bekannt. Der Anblick des Phänomens muß deßhalb zu den mannigfaltigsten kulturhistorischen Reminiscenzen anregen.

Am Morgen des 19. August werden die Bewohner des nordöstlichen Deutschlands bis selbst nach Mitteldeutschland herab die äußerst seltene Gelegenheit haben, diese tiefgehende Wirkung des über ihnen vorbeiziehenden Mondschattens zu bewundern. Denn obgleich wohl totale Sonnenfinsternisse auf der Erde überhaupt beinahe alle Jahre stattzufinden pflegen, so bewegt sich doch der Mondschatten dabei nur sehr selten über Gebiete, die nicht allzuweit von einem bestimmt ins Auge gefaßten Orte entfernt liegen, und man kommt aus diesem Grunde sehr selten in die Lage, die wunderbaren und ganz unbeschreiblich eigenartigen Erscheinungen zu beobachten, welche eben nur unter dem Mondschatten selbst sichtbar werden; denn zu einer größeren Reise bloß zu dem Zwecke, eine totale Sonnenfinsterniß zu beobachten, werden sich doch wohl nur Astronomen entschließen.

Die Sonnensichel während des Sonnenaufgangs in Köln.

Durch Theile Deutschlands zog der Mondschatten zuletzt am 28. Juli 1851, wobei er auch nur unsere östlichsten Provinzen berührte, und das nächste Mal wird der letztere uns erst wieder am 11. August 1999 besuchen. Da es uns nun diesmal ganz besonders leicht gemacht wird, wäre es geradezu bei Jedermann als eine ganz unverantwortliche Gleichgültigkeit aufzufassen, wenn er die gute Gelegenheit, das eindrucksvollste aller Himmelsschauspiele zu bewundern, unbenutzt an sich vorübergehen lassen wollte. Man braucht dazu ja nur ein offenes Auge und ein empfängliches Herz mitzubringen.

Allerdings früh aufstehen muß man zu dem Zwecke. Der Mondschatten beginnt eben seine lange Reise, welche diesmal, nachdem er Deutschland verlassen hat, durch Rußland, Sibirien, China, Japan und einen großen Theil des Stillen Occans führt, bei uns. Der lange dunkle Kegel, welchen der Mond beständig hinter sich her durch das Universum schleppt, berührt die Erde [510] überhaupt zuerst auf einer Linie, die etwa von Holzminden herab bis nach Jena oder Rudolstadt führt. Auf dieser Linie geht deßhalb die Sonne total verfinstert auf. Da sich nun der Mond von Westen nach Osten um die Erde bewegt, so läuft auch der Mondschatten in dieser Richtung hin über die Erdoberfläche und bedeckt dabei einen langgestreckten Erdstrich, welcher jedoch nur etwa 22 Meilen Breite hat. Durch die auf S. 511 beigegebene Karte kann man sich über den Verlauf des Mondschattens und der Sonnenfinsterniß überhaupt orientiren. Der dunkler schraffirte Streifen giebt den Weg des Mondschattens an; die schräg etwas nach rechts von oben nach unten verlaufenden Linien lassen die mittlere Ortszeit erkennen, zu welcher der Moment der Totalität für die betreffenden Gegenden eintritt. Die dem Wege des Mondschattens parallel laufenden Linien deuten an, wie groß hier die größeste Phase der Finsterniß wird. Letztere wird bekanntlich in Zollen angegeben, von denen zwölf auf den Durchmesser der Sonne gehen. Zur besseren Anschaulichkeit sind auch noch fünf kleine landschaftliche Bilder mitgetheilt, welche die Finsterniß in verschiedenen Gegenden darstellen und dem Leser zugleich die verschiedenen Phasen der Erscheinung veranschaulichen sollen. Das erste Bild stellt uns den Sonnenaufgang bei Nordhausen vor und zeigt also die Sonne gänzlich verfinstert, umgeben vom Glanze der Corona, welche uns sogleich noch näher beschäftigen wird. Das zweite giebt die Größe und Lage der Sonnensichel im Momente des Aufgangs für Berlin. Die Sonne ist hier also um diese Zeit erst zum Theil verfinstert. Indem sie nun weiter emporsteigt, schiebt sich der Mond immer mehr vor die Sonne, um sie etwa eine Viertelstunde nach Aufgang gänzlich zu verfinstern. Das dritte Bild versetzt uns nach Köln gleichfalls im Momente des Sonnenaufgangs. Der Mond ist hier schon wieder im Davonziehen. Die Sonnensichel ist also nach oben ausgebogen und sieht vollkommen anders aus, als zur Zeit, da sie in Berlin aufgeht. Die beiden letzten Bilder endlich stellen den Moment der größesten Phase für zwei außerhalb des Mondschattenweges, nördlich und südlich von demselben gelegene Orte dar, nämlich für Kiel, wo die Finsterniß noch 11½ Zoll beträgt, und für Wien mit 11 Zoll in der entgegengesetzten Richtung. Der Leser wird sich aus diesen Darstellungen leicht ein Bild der Finsterniß´für seinen besonderen Standpunkt im Vornherein entwerfen können, um dadurch sogleich auf die Beobachtung genügend vorbereitet zu sein. Nöthigenfalls sollte man eine kleine Reise nicht scheuen, um einen möglichst günstig gelegenen Ort aufzusuchen. Es wird sich zweifellos der Mühe lohnen.

Die größte Phase der Sonnenfinsterniß in Kiel.

In je östlicheren Gegenden man den Mondschatten aufsucht, desto höher wird die Sonne bereits zur Zeit der Totalität über dem Horizonte stehen, desto sicherer wird man also sein, das Phänomen unbehindert von den Dünsten des Horizontes, die der Morgendämmerung selten fehlen, zu beobachten. Andererseits kann man indeß auch in den westlichen Gebieten des Mondschattens Seltsames genug sehen. Der gewaltige Schattenkegel, welcher hier zuerst mit lang gestrecktem Leibe die umschwingende Erdkugel trifft, kommt dort von der Höhe der Atmosphäre her zu uns herab; er berührt zuerst die Wolken über unseren Häuptern, ehe er uns trifft. Man wird ihn hier wie eine dunkle Kluft, die sich in weitem Bogen mit außerordentlicher Schnelligkeit auf uns herabstürzt, herannahen sehen. Kurz bevor er die Erde berührt, erscheinen dann jene seltsamen Schattenstreifen, welche man schon bei früheren Gelegenheiten wie geisterhafte, schnell vorüber züngelnde große Schlangen wahrnahm und über deren Ursprung man noch nicht vollkommen im Klaren ist. Die Richtung der Bewegung dieser schattenhaften Schlangen scheint mit der des jeweilig herrschenden Windes in Beziehung zu stehen. Sie rühren deßhalb höchst wahrscheinlich von jenen Wallungen her, welche für uns der Sonnenrand oft zeigt, wenn wir ihn durch eine ungleichmäßig erhitzte und bewegte Luft beobachten. Jedermann, der die Sonnenfinsterniß ansieht, kann hierüber, zum Beispiel an weißen Häuserwänden, interessante und dankenswerthe Beobachtungen sammeln, indem er sich die Bewegungsrichtung und Größe dieser Streifen merkt.

Die größte Phase der Sonnenfinsterniß in Wien.

Sobald die Sonne total verfinstert ist, verwandelt sich das ganze Bild der Landschaft; denn nun trifft gar kein direkter Sonnenstrahl mehr rings umher die Atmosphäre, und ihre heiter blaue Färbung verliert sich deßhalb ganz plötzlich. Der ganze Himmel färbt sich gewittergrau und wir sehen mit einem Male den Mond tiefschwarz an Stelle der Sonne stehen, umgeben von dem mysteriösen silbergrauen Glanze der „Corona“, jener weiten, räthselhaften Atmosphäre der Sonne, welche sich nur in diesen Momenten dem menschlichen Auge enthüllt.

In diesem Augenblicke beginnt deßhalb erst die geradezu fieberhafte Thätigkeit, welche während der kurzen Minuten der Totalität die Astronomen der nächsten Umgebung des Tagesgestirnes widmen müssen, um jenen Geheimnissen abermals einen Schritt näher zu kommen, welche sich hier, in gar seltsamem Widerspruche mit der gewöhnlichen Anschauung, wegen allzu starken Lichtes selbst vor unseren geschärftesten Blicken beharrlich verborgen zu halten wissen. Die veränderliche Gestalt, die Ausdehnung, die physische Beschaffenheit dieser „Corona“ können absolut nur während totaler Sonnenfinsternisse ergründet werden. Die Totalität dauert aber in den günstigsten Fällen nicht über acht Minuten an; im Falle der zu erwartenden aber währt dieselbe für uns nur höchstens (für die deutschen Orte in der Mitte des Schattenweges) zwei Minuten. Es ist ganz unmöglich, in dieser kurzen Zeit auch nur einen kleinen Theil der gestellten Aufgaben mit Ruhe zu erledigen, und gerade deßhalb ist die Mitwirkung des Publikums, wo sie überhaupt möglich ist, ungemein wünschenswerth.

Es sei aus diesem Grunde ganz besonders darauf hingewiesen, daß Zeichnungen der Form jener Corona, die bei jeder Sonnenfinsterniß sich gänzlich verschieden darstellt, auch von astronomischen Laien, welche eben nur ein geübtes Auge haben, stets als sehr erwünschte Beiträge aufgenommen sein werden. Arbeitstheilung wird dabei zweckmäßig sein, so daß mehrere Zeichner sich darüber einigen, welches Stück der Sonnenumgebung jeder aufnehmen soll.

Es kann auch von wissenschaftlichem Interesse werden, wenn farbengeübte Augen sich die Vertheilung der Dämmerungsnüancen während des Eintritts der Totalität merken. Die vielen Besucher [511] der Berliner Jubiläums-Kunstausstellung vom vergangenen Jahre werden sich gewiß des so ungemein wirkungsvollen Gemäldes von Gabriel Max erinnern, welches den Heiland am Kreuze darstellt, während, der allerdings irrthümlichen Ueberlieferung gemäß, die Sonne sich verfinstert hat. Der berühmte Maler hat hier, um die eigenthümlich bedrückende Farbenvertheilung über den Himmel hin naturgetreu wiederzugeben, vom Astronomen lernen müssen. Nun gilt es einen vergeltenden Dienst: die Maler mögen auch einmal den Astronomen helfen. Gleichzeitig aber möchten wir auch vor andauerndem Hineinschauen in die Sonnenscheibe warnen, da dieses oft Augenleiden und sogar eine theilweise Erblindung des Auges zur Folge hat.

Maßstab 1:12,000,000
Der Verlauf des Mondschattens während der totalen Sonnenfinsterniß
am 19. August in Deutschland.

Ferner kann es möglicherweise wichtig werden, die Sterne, welche in diesem kritischen Momente plötzlich erscheinen, nach ihrer Lage zur verfinsterten Sonnenscheibe aufzuzeichnen. Die Astronomen suchen längst bei solchen Gelegenheiten nach einem kleinen Planeten ganz in der Nähe der Sonne. Wenn auch die Wahrscheinlichkeit für dessen Existenz nach der neueren Forschung bedeutend abgenommen hat, so ist es dennoch nicht unmöglich, daß selbst der Laie die allerwichtigste diesbezügliche Entdeckung mit einem bloßen Opernglase oder kleinen Fernrohre machen kann. Der blendende Schleier ist eben diese wenigen Minuten hindurch von den Geheimnissen der nächsten Sonnennähe weggezogen. Jedermanns Auge hat dann in diese sonst ganz unzugänglichen Räume Zutritt und kann sich von den aufgedeckten Wissensschätzen aneignen, was ihm die Eile und der Zufall des Augenblicks in die Hände spielt.

Wer also glaubt, daß Wissen Goldes werth ist, für den wird das schöne Sprichwort, daß Morgenstunde Gold im Munde führt, sich am 19. August glänzend bestätigen.