Von der Roseninsel eines Königs
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Selten war die Zeit der Rosen so früh schon eingezogen bei uns, selten eine so schöne gewesen, wie im Frühsommer eines der letzten Jahre. Der Strauch der Heckenrose am Zaune des Feldes war nicht minder reich mit Knospen und Blumen überdeckt, als das Remontantenbäumchen in den sorglich umhegten Gärten der Stadt und als der schlichtgrüne Busch der wundervollen, durch nichts an Duft, Farben und Form erreichten hundertblättrigen Rose, die freilich vor dem mannigfaltigen Reiz der eingewanderten Schönen sich auf’s Land geflüchtet hat und eine Bäuerin geworden ist. Es liegt etwas Zauberhaftes in dem Dufte dieser Blume, zumal wenn er von einer größeren Anpflanzung verstärkt und verdichtet einherweht; wenn er in den Harzgeruch der Tannenwälder sich mischt, deren kräftiges, männliches Grün sich zu Duft vergeistigt hat, ist es, als ob hier das zarteste jungfräuliche Roth in Aetherform uns begrüße. Dabei steigt vor dem Erzähler die Erinnerung an ein Fleckchen Erde empor, auf welchem eine der schönsten Sammlungen von Allem, was Rose heißt, vereinigt ist – wenn irgendwo auf Erden das Märchen von der Liebe der Nachtigall zur Rose wirklich gespielt, so muß hier dessen Schauplatz gewesen sein.
Dies Fleckchen Erde ist die Roseninsel im Würmsee in den oberbairischen Bergen.
Bekanntlich wird der Würmsee im Volksmunde nach dem an seinem nördlichen Ufer gelegenen Markte Starnberg benannt, der, noch zu Anfang des Jahrhunderts nur von irgend einem einsam wandernden Naturfreunde, wie Lorenz Westenrieder, besucht und beschrieben, seit seiner Entdeckung und zumal seit Herstellung der Eisenbahn eine Art Vorstadt von München geworden ist; eine beträchtliche Anzahl reicher Leute hat sich schöne Landhäuser gebaut, und es ist wohl zu glauben, daß in weiteren dreißig Jahren der ganze See von einem Kranze reizender Villen und Ansiedlungen eingerahmt sein wird. Andere und zwar sehr Viele beziehen wenigstens auf ein paar Monate oder Wochen eine Miethwohnung in einem der Uferdörfer und begnügen sich mitunter mit der ärmlichsten Bauernstube, nur um ihre „Sommerfrische“ zu haben – ein völlig einheimisch gewordener Begriff, wenn auch die Benennung zunächst von den benachbarten Tirolern eingewandert ist, welche in den südlichen Gegenden regelmäßig aus den heißen Thälern in die frischen Berge flüchten. Alle aber machen wohl mindestens eine Fahrt an den Starnberger See. Da hallt es dann in den Wäldern von den Chören der Liedertafler oder Turner, von den Gesängen der Studenten oder Maler, die unser vortreffliches Bild eben bei munterer Landung zeigt, der irgendwo eine romantische Lagerung folgen wird; in den Dörfern am See wimmelt es von Gästen, welche Keller und Hühnerstall entvölkern und erst spät Abends sich verlaufen, um Reich und Herrschaft den ständig eingemietheten Sommerfrischlern endlich zu überlassen. Am ganzen See ist kaum ein Haus, sicher kein Ort, der nicht städtische Sommergäste aus aller Herren Landen beherbergte – hier mehr, dort weniger, je nach der Mode, und je nachdem von dem einen oder anderen Orte besonderes Rühmen gemacht wird. Es giebt daher der Klagen viele, welche, wenn sie so glücklich sind, eine noch unentweihte Scholle zu entdecken, diese Wissenschaft wie ein kostbares Geheimniß für sich und ihren nächsten Kreis bewachen und dem Ort, wenn ja die Rede darauf kommt, lieber verleumden und schlecht machen, um nur vielen Besuch und den Alltagsstrom abzuhalten. –
Es war ein herrlicher Morgen in der ersten Rosenzeit, als das Dampfschiff dem Gestade, auf welchem Starnberg in Abstufungen hinansteigt, den Rücken wendete und wieder zum ersten Mal den Bergen entgegenrauschte, die sich in lockender Ferne emporhoben; ein duftiger Flor hing darüber, wie ein Schleier, welcher ein schönes Antlitz noch verschönt, indem er es zu verhüllen scheint. Es war frisch und kühl auf dem Deck, die sommerliche Völkerwanderung begann erst in einzelnen Vorläufern; man hatte volle Freiheit, dem Zuge der Berglinien zu folgen, von der breiten Benedictenwand an zum schroffgezackten Karwendel, über Heimgarten und Herzogstand hinweg bis zu der das felsige Wettersteingebirge abschließenden Zugspitze – ein einsamer riesiger Thron, welcher des ihn bewältigenden Fürsten zu harren scheint. Die Gesellschaft war noch klein; sie bestand außer einigen Landleuten aus einem Häuflein Studenten, welche zum ersten Mal einen Ausflug in’s Hochland zu machen vorhatten und in einer Art feierlicher Scheu die fernen Säulen des Tempels betrachteten, dessen Geheimnisse sich ihnen nun so bald erschließen sollten.
Bald war die Haltestelle zu Possenhofen erreicht, von welcher der Pfad den See entlang durch Wiesen und unter prachtvollen Gruppen alter Buchen sich dahinschlänget und in eine nicht minder schöne Parkanlage führt, in die auf Geheiß des verstorbenen Königs Maximilian von Baiern das ganze Gestade umgeschaffen wurde. Die schönen Ufer mit ihren malerischen Hängen, Matten, Wäldern und seltenen alten Bäumen sind dadurch für alle Zeit der zerstörenden Gier der Habsucht, wie dem sich abschließenden Dünkel der Eigensucht entzogen: sie sind ein Gemeingut geworden „für alle Wanderer, die des Weges fahren“ und dankbar des Königs gedenken, der ein Freund der Menschheit im schönsten Sinne des Wortes war und mit ihr Frieden haben wollte wie mit seinem eigenen Volke. Deshalb war er auch ein Freund der Natur und flüchtete zu ihr in die Einsamkeit, wo und wie er es nur konnte, und wenn es durchaus unmöglich war, da gebrauchte er seine königliche Macht und ließ sie zu sich kommen, und so entstanden die Anlagen mit Alleen, Gebüsch- und Blumengruppen in den Straßen und zwischen den Steinmassen der Paläste, so verwandelte er die unwegsamen, häßlichen und sogar gefährlichen Isaranhöhen des Gasteigs in einen fortlaufenden Garten und baute sich einen anmuthvollen Wintergarten neben seiner Königsburg.
In den erwähnten Parkanlagen sollte ein großes Schloß gebaut werden und Alles in sich vereinigen, was Wissenschaft, Kunst und Dichtung des Schönen und Edlen zu bieten vermögen; der kaum begonnene Bau gerieth mit dem Tode des Königs in’s Stocken, der Park aber ist geblieben und ebenso das schräg gegenüberliegende Eiland, das, von Gebüsch und hohen Bäumen eingerahmt, jeden Einblick in sein Inneres abwehrt.
Das eben ist die Roseninsel, auch eine der Schöpfungen König Maximilian’s, und zwar eine seiner liebsten, eine der wenigen, an deren Vollendung sich zu erfreuen ihm selbst noch vergönnt war. Mit der Erlaubnißkarte des Hofmarschallamts in der Tasche kann man ihr getrost nahen; ohne diese versagt der Fischer die Ueberfahrt in das kleine Paradies unerbittlich; denn der Verlust des Dienstes hängt über ihm, wie das feurige Schwert der Paradieswächter.
Wenige Ruderschläge genügen, den schmalen Wasserstreifen zurückzulegen, welcher das Inselchen vom Lande trennt, mit dem es früher zweifellos zusammenhing. Bis ganz zuletzt stand hier das Wohnhaus einer Fischerfamilie, die es aber, nachdem es niedergebrannt war, nicht wieder aufbaute, sondern auf das Festland übersiedelte. Die Insel ging dann käuflich an König Maximilian über, der sich in ihr eine Zuflucht für jene philosophische Ruhe und Beschaulichkeit erschuf, welche er so sehr liebte. Ein einfaches Gebäude halb im englischen Cottage-, halb im italienischen Stil mit einem Thurm, der eine herrliche Rundschau gewährt, entstand an der Stelle des Fischerhauses, von dem jetzt in Wien lebenden Architekten Kreuter analog der früher gleichfalls von ihm erbauten, jüngst in der „Gartenlaube“ erwähnten Elsholtz’schen Villa hergestellt.
Die Gemächer des Hauses fallen dem Besucher sofort durch die Einfachheit ihrer Haltung und Einrichtung auf, aber gerade dieses fügt sich so recht in die stille Harmonie des Ganzen. Nord- und Westseite sind fast ganz vom dunkelgrünen üppig wuchernden Epheulaube bedeckt, während an der Veranda der Ostseite wilde Weinreben, Geisblatt und dergleichen sich emporranken und in vielfachen Verschlingungen sich so fest umarmen, als wollten sie für alle Ewigkeit nicht von einander lassen – ein Bild deutscher Treue und Beständigkeit.
Vor dem Hause steht eine Säule mit einer hübschen weiblichen Statuette, einer Jägerin, welche den Falken von der Faust steigen läßt. Der Schaft der Säule ist der Länge nach blau und weiß gestreift, während Sockel, Capitäl und Statuette vergoldet sind und im Strahle der Sonne hell glänzen. Das Ganze ist ein Geschenk des verstorbenen Königs Friedrich Wilhelm des Vierten von Preußen, welcher einstmals mit König Max auf der Roseninsel dinirte und zum dauernden Andenken hieran die Säule für seinen Gastfreund gießen ließ. Zwei ähnliche Säulen kamen dann auch
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Am östlichen Ufer der Insel erhebt sich eine einfache Rotunde, deren Schindeldach auf einem Doppelkreise unbehauener Stämme ruht, im Innern mit vier Ruhebänken versehen, von welchen aus über das dem Gestade entlang wachsende dichte Schilf hinweg ein weiter Ausblick auf die blaue Fläche des Sees, die jenseitigen Uferhöhen mit ihren Dächern und Landhäusern und auf die im Süden sich aufthürmenden Berge sich bietet. Der einzige Schmuck dieses idyllischen Tempels beschaulicher Ruhe sind der Epheu und die wilde Rebe, die auch hier die rauhe Rinde seiner Natursäulen umschlingen.
Den Plan zu den Anlagen der Roseninsel hat der als erste Gartenkünstler in Europa geltende Ober-Gartendirector in Potsdam, Lenné, geliefert, der beim Anblick der Insel in ihrer ursprünglichen Gestalt mit den ihr schon von der Natur selbst gegebenen malerischen Baumgruppen den bezeichnenden Ausruf gethan haben soll: „Wenn mein königlicher Herr das in Potsdam hätte, was Baierns Herrscher hier hat, dann brauchte er mich nicht.“
Wenn König Ludwig der Zweite, der mit dem wittelsbachischen Throne auch dieses anmuthige Eiland mit all’ dem Schönen, was es in seinem verborgenen Schooße birgt, von seinem Vater ererbt hat, von Schloß Berg aus die Insel mittels des niedlichen Dampfers, den er sich für seine Fahrten hier bauen ließ, zuweilen besucht, so geschieht dies meist in der späteren Nachmittagszeit; er erscheint dann nur in Begleitung eines Adjutanten und hält sich in der Regel zwei bis drei Stunden auf. Mahlzeiten werden daselbst nur veranstaltet, wenn der König, was selten der Fall, hohe Gäste mitbringt.
Die Lebensweise des Königs bei seinen kurzen Besuchen auf der Roseninsel ist vielmehr auch hier dieselbe wie drüben in Berg und überall; sie läßt sich in die vier Worte zusammenfassen: Thätigkeit in der Einsamkeit. So mag es denn den Leser der Gartenlaube wohl interessiren, bei dieser Gelegenheit auch Etwas aus dem „verzauberten Schlosse“ zu hören, wie Jemand das Schloß Berg genannt hat, das vom andern Ufer des Sees dort zu uns herüberleuchtet, mit hellen Mauern und auf seinem Giebel die flatternde Fahne des bairischen Königshauses.
Der zum Schlosse Berg gehörige Park, der sich fast bis Leoni hinaufzieht, bleibt, wie ein Anschlagzettel besagt, während der Anwesenheit des königlichen Hofes für Jedermann verschlossen, das heißt, wie mir dieser Ukas seiner Zeit von dem in der Nähe der Einfahrt der Burg langweilig herumlungernden Gensd’armen verdeutscht wurde, so lange die königliche Hofhaltung sich daselbst befindet, also auch wenn der König zeitweilig in Person nicht anwesend ist. Aber einen Blick in den Schloßhof dürfen wir doch werfen. Wie ist da Alles so still mitten am Tage! Nur selten huscht ein dienstbarer Geist leisen Schrittes vorüber, und kein Geräusch tönt in unser Ohr, als das eintönige Plätschern der Fontaine, die in Mitte des Schloßhofes ihre im Strahle der Mittagssonne glitzernde Wassersäule hoch emporsendet, und dann und wann aus den Küchenräumen das Klappern von Kochgeschirren. Die Hoftafel in Berg wird übrigens nur für zwei Personen servirt, für den König und seinen Adjutanten; die übrigen Bewohner des Schlosses gehören zum niederen Dienstpersonal. Eine Erweiterung der königlichen Tafel giebt es nur dann, wenn der König, was selten der Fall, fürstliche Gäste hat, oder Minister aus der Stadt heraus zur Audienz kommen, die dann in der Regel zur Tafel gezogen werden. Die Küche ist sehr einfach; auch ißt der König unregelmäßig und nicht viel, wie er überhaupt in Bezug auf materielle Bedürfnisse sehr anspruchslos ist. Wenn er zum Beispiel das Seeufer entlang reitet – und er pflegt seine Touren zu Pferde in keiner andern Begleitung, als in der eines Reitknechts zu machen – so trinkt er in der Regel bei einem armen Schuhmacher in der Nähe von Amerland ein Glas Wasser, wofür dieser jedesmal ein Geschenk von einem Gulden erhält. Hier im Walde werden auch gewöhnlich die Pferde gewechselt, indem ein zweiter Reitknecht daselbst solche bereit hält.
Einmal ritt der König auf den Herzogstand – ein sechstausend Fuß hoher Berg zwischen dem Kochel- und Walchensee – nach dem Hause, welches sein Vater auf demselben hatte bauen lassen, und wollte von da auch noch zu dem auf dem Gipfel des Berges stehenden Pavillon zu Roß hinaufkommen; nachdem ihm jedoch von solchen Ritte abgerathen worden war, begab er sich zu Fuße hinauf. Auf dem Herzogstand hielt er sich damals drei Tage lang auf, blieb jedoch beim schönsten Wetter im Zimmer sitzen und beschäftigte sich mit Lesen. Nur einmal ließ er sich sein Mahl auf das Plateau des Hauses bringen und betrachtete, während er es verzehrte, die Gebirgswelt, die sich vor seinen Augen ausbreitete. Das dortige Jagdpersonal hatte geglaubt, und der üblichen Trinkgelder wegen gehofft, der König werde bei dieser Gelegenheit ein wenig den Philosophen mit dem Nimrod vertauschen, wurde aber in dieser Erwartung vollständig getäuscht. Den Rückweg vorn Herzogstand herunter trat er bei Nacht an und ließ sich hierbei nicht vorleuchten, er befahl vielmehr dem Jägerburschen, der dies mit einer Fackel thun wollte, ihm zu folgen, da er den Weg recht wohl kenne, und sauste in seiner ungeschwächten Jugendkraft den Berg hinab, daß er einmal fast unter die Latschen, zwischen denen der Weg sich hinwindet, hineingefallen wäre.
Eine Untugend hat König Ludwig der Zweite fast mit allen Männern gemein: auch er nimmt an der Consumtion des „stinkgiftigen Schmauchkrauts“ Theil, indem er theils Cigarren, theils aus Wasserpfeifen (Nargileh) türkischen Tabak raucht.
Als Freund körperlicher Bewegung ist er auch Schwimmer, und aus einem ganz einfachen Badehäuschen im See, welches seinen Zugang vom Schloßpark her hat, und worin er zu verschiedenen Tageszeiten, meist aber Abends badet, schwimmt er oft, in mondhellen Nächten noch um neun und zehn Uhr, hinaus in die weite, anlockende Wasserfläche des Sees.
Luxuriöser als das Badehäuschen soll ein türkischer Kiosk eingerichtet sein, den sich der königliche Einsiedler an einer versteckten Stelle des Parkes bauen ließ, und der, wenn er nächtlicher Weile erleuchtet ist, einen phantastisch schönen Anblick gewähren soll. Wenn der König ausnahmsweise Jemand einlädt, dieses sonst für alle Welt verschlossene und unnahbare Heiligthum, in welchem er sich zuweilen in alleiniger Gesellschaft seiner Bücher und Schriften stundenlang aufhält, mit ihm zu betreten, so gilt das als eine besondere Gunst und Derjenige, so derselben theilhaftig wird, als persona gratissima.
Bei den Anwohnern des Starnbergersees ist der König sehr beliebt; denn so würdevoll und gemessen – ein Herrscher vom Scheitel bis zur Sohle – er da auftritt, wo er öffentlich als Landesfürst erscheint, so leutselig und ungezwungen ist er im persönlichen Einzelverkehr mit Jedermann, wie er denn gern die Fischer bei ihrer Arbeit anspricht und sich auf’s Freundlichste nach ihren Verhältnissen erkundigt. Damit geht aber auch des Königs Neigung, Wohlthaten zu spenden, Hand in Hand, so daß ein paar hundert Gulden, die er oft bei seinen Ausflügen zu diesem Zweck mitnimmt, zuweilen nicht ausreichen.
Seine Umgebung ist dem Könige überaus zugethan, und ihre übereinstimmende Klage ist nur die, daß er nicht darnach strebe, sich populär zu machen und dadurch den Werth seiner vortrefflichen Charaktereigenschaften noch mehr zu erhöhen. Unter diese Eigenschaften gehört des Königs eminenter Selbstbildungstrieb und sein eiserner Fleiß, so daß er, wie er überhaupt nicht leicht vor Mitternacht schlafen geht, nicht selten bis Morgens drei oder vier Uhr liest oder auch schreibt. So besteht denn auch, wenn er einen mehrtägigen Ausflug, zum Beispiel auf den Lindenhof, macht, sein im Uebrigen sehr einfaches Gepäck zumeist aus Büchern, welche bei Ankunft am Bestimmungsorte zuerst ausgepackt werden müssen. Auf diese Weise, und da, wie es an Höfen Sitte ist, Derjenige, welcher sich zu einer Audienz meldet, auch angeben muß, was ihn zu derselben veranlaßt, erklärt es sich, daß der König auf alle Audienzen geschäftlicher Natur wohl vorbereitet ist und in Bezug auf den Gegenstand, um welchen es sich zuweilen handelt, ein Wissen bekundet, über welches Diejenigen, die zum ersten Male von ihm empfangen werden, nicht wenig überrascht sind. Der König spricht bei den Audienzen in der Regel viel und den betreffenden Gegenstand erschöpfend, und mit Wärme rühmen die Betheiligten auch die außerordentliche Liebenswürdigkeit, womit er Jedem entgegenkommt und die ihm alle Herzen gewinnt.
Eine Eigenschaft des Königs, die wir Baiern in der gegenwärtigen [655] Zeit der hierarchischen Anmaßungen und Uebergriffe nicht hoch genug schätzen können, ist sein entschiedener Widerwille gegen jene Art von Pfaffenthum, wie sie sich zur Zeit in ihren fluchwürdigen Bestrebungen, den Strom der Wissenschaft und Geistescultur zurückzudämmen, breit macht. Er soll in dieser Beziehung wiederholt geäußert haben: „Sie treiben, was nicht ihres Amtes ist, und was ihres Amtes wäre, das thun sie nicht.“ Von Personen, welche schon öfter Gelegenheit hatten an der königlichen Tafel theilzunehmen, ist es auch nicht unbemerkt geblieben, daß der Erzbischof von München, so oft er zu derselben beigezogen wird, nie in der unmittelbaren Nähe des Königs placirt ist, daß er aber, hierdurch der Gefahr entrückt, vom König angesprochen zu werden, sich mit um so größerem Behagen und Eifer den Genüssen der Küche hingiebt, die dem hochwürdigsten Oberhirten auch sehr gut anzuschlagen scheinen.
Des Königs Dampfer steht nicht, wie man glauben sollte, in Berg, sondern in einer großen Schiffhütte zu Starnberg, und wenn der König auf ihm fahren will, muß deshalb nach Starnberg telegraphirt werden. Es ist so zu sagen ein Miniaturdampfer, ein zierliches, schlank und leicht gebautes Schiff, nur etwa dreißig bis vierzig Fuß lang, mit schmalem Kiel, die Außenseite in der oberen Hälfte grün, in der unteren weiß. Die Spitze des Schnabels ziert ein vergoldetes bairisches Wappen mit Krone, und der halbrunde Bogen des Radkastens zeigt in einfacher gothischer Schrift den Namen des Schiffes „Tristan“. Ebenso einfach ist dieses selbst eingerichtet. Die sehr kleine Kajüte des Hintertheils, welches kein Deck hat, ist mit ein paar schmalen rothsammtenen Divans, zwei eben solchen Fauteuils und einem des engen Raumes wegen nur einen Fuß breiten, jedoch mit einer gleich breiten Aufschlageplatte versehenen, im Gegensatze zu den dunklen Sitzmöbeln hellpolirten Tischchen eingerichtet, und quer über das Deck des Vordertheils, in der Nähe der Maschine, steht ein Sopha mit grünem Lederüberzug, während zu beiden Seiten dem Deckgeländer entlang sich je eine Rohrgeflechtbank hinzieht. Der Boden des Decks ist parketirt.
Auf diesem Dampfer fährt Ludwig der Zweite herüber bis weit über die Mitte des Sees zu dem anmuthigsten aller Eilande, zu der Roseninsel, vor sich die stolze Reihe der hochragenden, in leichten Duft gehüllten Alpen, über sich den in seiner tiefen Bläue oft an Italien mahnenden wolkenlosen Himmel. Dazu rauschen von den grünen Ufern her die sonnenglitzernden Wellen gegen den Kiel des Schiffs, dessen Name schon an die berühmteste Lieblingsneigung des Königs erinnert, und lassen es in ihrem leichten anmuthigen Spiel kaum ahnen, wie auch sie, zur Zeit des Herbstes von den nachtdunklen Stürmen gejagt, sich bäumen und tosen und, auf ihrem Kamme den weißen Gischt, gegen die ihres Sommerschmuckes beraubten Gestade in wildem Anprall branden können.
Der Abschied von der Insel hält schwer. Es liegt eine so harmonische Ruhe auf dieser weltvergessenen Einsamkeit, daß man sich ungern losreißt aus der herzerweiternden Beschränkung, wieder hinauszutreten in die Welt, welche das Gemüth nur zu häufig zusammenpreßt und -schraubt, so weit und schrankenlos sie auch erscheint …
Es war im nächsten Jahre, als ich auf’s Neue der Lockung unterlag, denselben Weg wieder zu gehen. Als wir an die Roseninsel kamen, gedachte ich meines Besuchs und zugleich eines schönen Paares, das damals seine Verlobung gefeiert und das ich eben auf der Roseninsel in vertrautem Gespräche gesehen hatte. Ich hatte den schönen Anblick noch nicht vergessen, den mir dasselbe bei heimlichem Betrachten geboten. Ich hatte mein Auge damals von dem Paare nicht wenden können; denn ohne Zweifel: zwischen ihnen wuchs eine Blume, wie man es wohl auf altdeutschen Bildern zu sehen pflegt, immer höher empor, – auch eine Rose und wohl die schönste, die duftigste von allen, die in Wahrheit zu pflücken nur wenigen Auserwählten vergönnt ist.
Damals hatte mir der Steuermann des Schiffs, auf dem das Paar mit mir zur Roseninsel gefahren war, Mancherlei über das erstere erzählen können, und nun forschte ich bei ihm begierig über das weitere Geschick der beiden jungen vornehmen Leute nach. „Das ist auch ganz anders gegangen, als man erwartet hatte,“ erwiderte er kopfschüttelnd. „Das schöne Paar ist uneins geworden und wieder auseinander gekommen; es ist einmal nicht anders auf der Welt, nicht aus jeder Knospe wird eine Rose!“
Eben fuhren wir an der Insel vorbei, – tief in Gedanken wiederholte ich die Worte des Steuermannes: „Nicht aus jeder Knospe wird eine Rose – das ist Rosenschicksal!“