Von dem bösen Flachsspinnen (1812)
Andere Ausgaben unter diesem Titel siehe unter: Die drei Spinnerinnen. |
Vorzeiten lebte ein König, dem war nichts lieber auf der Welt als Flachsspinnen, und die Königin und seine Töchter mußten den ganzen Tag spinnen, und wenn er die Räder nicht schnurren hörte, war er böse. Einmal mußte er eine Reise machen, und ehe er Abschied [48] nahm, gab er der Königin einen großen Kasten mit Flachs und sagte: „der muß gesponnen seyn, wann ich wieder komme.“ Die Prinzessinnen wurden betrübt und weinten: „wenn wir das alles spinnen sollen, müssen wir den ganzen Tag sitzen und dürfen nicht einmal aufstehen.“ Die Königin aber sprach: „tröstet euch, ich will euch schon helfen.“ Da waren im Lande drei besonders häßliche Jungfern, die erste hatte eine so große Unterlippe, daß sie über das Kinn herunterhing, die zweite hatte an der rechten Hand den Zeigefinger so dick und breit, daß man drei andere Finger hätte daraus machen können, die dritte hatte einen dicken breiten Platschfuß, so breit wie ein halbes Kuchenbrett. Die ließ die Königin zu sich fordern und an dem Tage, wo der König heim kommen sollte, setzte sie alle drei nebeneinander in ihre Stube, gab ihnen ihre Spinnräder und da mußten sie spinnen, auch sagte sie einer jeden, was sie auf des Königs Fragen antworten solle. Als der König anlangte, hörte er das Schnurren der Räder von weitem, freute sich herzlich und gedachte seine Töchter zu loben. Wie er aber in die Stube kam und die drei garstigen Jungfern da sitzen sah, erschrack er erstlich, dann trat er hinzu und fragte die erste, woher sie die entsetzlich große Unterlippe habe? „vom Lecken, vom Lecken!“ Darauf die zweite, woher der [49] dickte Finger? „vom Faden drehen, vom Faden drehen und umschlingen!“ dabei ließ sie den Faden ein paarmal um den Finger laufen. Endlich die dritte: woher den dicken Fuß? „vom Treten, vom Treten!“ wie das der König hörte, befahl er der Königin und den Prinzessinnen, sie sollten nimmermehr ein Spinnrad anrühren und so waren sie ihrer Qual los.
Anhang Band 2
[LXI] Num. 14. (vom Flachsspinnen.) Prätor im Glückstopf 404–406. erzählt das Märchen auf folgende Weise. Eine Mutter kann ihre Tochter nicht zum Spinnen bringen und gibt ihr darum oft Schläge; ein Mann der das einmal mit ansieht, fragt, was das bedeuten solle. Die Mutter antwortet: „ach, ich kann sie nicht vom Spinnen bringen, sie verspinnt mehr Flachs, als ich schaffen kann.“ Der Mann sagt: „ei, so gebt sie mir zum Weib, ich will mit ihrem unverdrossenen Fleiß zufrieden seyn, wenn sie auch sonst nichts mitbringt.“ Die Mutter wars von Herzen gern zufrieden und der Bräutigam bringt der Braut gleich einen großen Vorrath Flachs, davor erschrickt sie innerlich, nimmts indessen an und legts in ihre Kammer und sinnt nach, was sie anfangen soll. Da kommen drei Weiber vors Fenster: eine so breit vom Sitzen, daß sie nicht zur Stubenthüre herein kann, die zweite mit einer ungeheuern Nase, die dritte mit einem breiten Daumen, die bieten ihre Dienste an und versprechen das aufgegebene zu spinnen, [LXII] wenn die Braut am Hochzeittage sich ihrer nicht schämen, sie für Basen ausgeben und an ihren Tisch setzen wolle. Sie willigt ein, sie spinnen den Flachs weg, worüber der Bräutigam die Braut lobt. Als nun der Hochzeittag kommt, so stellen sich die drei abscheulichen Jungfern auch ein; die Braut thut ihnen Ehre an und nennt sie Basen. Der Bräutigam verwundert sich und fragt, wie sie zu so garstiger Freundschaft komme, „ach, sagt die Braut, durchs Spinnen sind alle drei so zugerichtet worden, die eine ist unten so breit vom Sitzen, die zweite hat sich den Mund ganz abgeleckt, darum steht ihr die Nase so heraus und die dritte hat mit dem Daumen den Faden so viel gedreht.“ Darauf ist der Bräutigam betrübt worden und hat zur Braut gesagt, sie sollt nun ihr Lebtage keinen Faden mehr spinnen, damit sie kein solches Ungethüm würde. – Eine mündliche Erzählung aus dem Corveischen stimmt im Ganzen damit, nur sind es zwei steinalte Frauen, welche drei Kammern voll Flachs spinnen, die eine dreht das Rad, die andere klopft blos mit dem Finger auf den Tisch, und so oft sie klopft, fällt ein Strang Garn fertig zur Erde.