Von Schleswig nach Rendsburg und meine Gefangennahme bei den Preußen
Alle Verbindungen in Schleswig waren durch den Krieg in Unordnung gerathen. Nirgends wußte man in der Stadt Schleswig, ob man mittelst der Eisenbahn nach Flensburg gelangen könne, nicht einmal im Bureau der Eisenbahnstation. „Ich weiß nur, daß sogleich ein Militärzug nach Rendsburg geht, welcher Gefangene führt,“ sagte der Beamte; „ob Sie mitfahren können, wie weit? von Alledem weiß ich nichts. Versuchen Sie’s.“ Das war ein schlechter Trost. Ich wandte mich an einen österreichischen Hauptmann, den ich auf dem Perron traf. „Der Zug, den Sie hier sehen,“ erwiderte er, „geht allerdings mit Gefangenen nach Rendsburg. Bis Klosterkrug will ich Sie gern mitnehmen. Ob Sie dort weiter kommen können, weiß ich nicht.“ Alle Wagen des langen Zuges waren bereits mit dänischen Soldaten gefüllt, mehrere hundert Gefangne, welche die tapfern österreichischen Truppen auf den Schlachtfeldern von Wedelspang, Jagel und Oeversee gemacht hatten. Sie sollten über Rendsburg nach Spandau und Magdeburg gebracht werden. Ich stieg mit dem Hauptmann und noch zwei jüngern Officieren in eins der vorderen Coupes. Der Zug brauste fort. „Merkwürdig,“ sagte der Hauptmann, in seinen Gefangnenlisten blätternd, „immer dieselben Namen. Da habe ich nun zwanzig Gefangene auf dem Zuge, welche sämmtlich „Petersen“ heißen. Wird nun einer von diesen zwanzig Petersen entlassen, so ist es ein Kunststück, den richtigen Petersen herauszufinden.“
Nach einigen Minuten hielt der Zug bei Klosterkrug. Noch heute lauten die Billets in dänischer Sprache. „Slesvic to Klosterkro“ stand auf dem Billet, welches ich in der Hand hielt. Nur dänische Frechheit vermag so Etwas. Niemals hat die österreichische Regierung Aehnliches in der Lombardei und in Venetien versucht. Ich stieg aus, und der Zug brauste weiter nach Rendsburg zu. Aber wie bedauerte ich bald, daß ich überhaupt versucht hatte, mittelst der Eisenbahn nach Flensburg kommen zu wollen! Niemand wußte mir auf der einsamen Station zu sagen, ob und wann ein Zug nach Flensburg kommen oder abgehen würde. Und dazu war ein längerer Aufenthalt auf der Station eine Art von Bivouak. Das Bahnhofsgebäude war vollkommen wüst und leer. Man sah, die Dänen hatten in diesen Räumen gehaust. Ich versuchte, in einem der übrig gebliebenen Oefen mir selbst Feuer anzumachen. An zwei Stellen war der Fußboden aufgebrochen, um Pulver hineinzulegen und das Bahnhofsgebäude, welches den auf das Danewerk vorrückenden Oesterreichern als Deckung dienen konnte, in die Luft zu sprengen. Ich brach an diesen Stellen noch einige Holzstücke aus und steckte sie in den Ofen. Aber der Ofen rauchte. Ich wollte mir einen andern Raum suchen. Endlich kam ich zu einer geschlossenen Thüre. Inwendig hörte ich Stimmen. Ich öffnete die Thür, und sah ein vollständig kriegerisches Bild vor mir. Ich trat in einen Wartesalon erster Classe. Der Boden war mit Heu und Stroh bedeckt, Tornister, Waffen, Soldatenmäntel lagen umher, um ein im Ofen brennendes prächtiges Feuer aber lagerten ein Dutzend österreichischer Soldaten. Der Saal war dunstig genug, allein ich dachte, das erste Element des menschlichen und thierischen Lebens sei die Wärme, und ließ mich auf einen Tornister in der Nähe des Ofens mitten unter den Ungarn, Slavoniern und Kroaten nieder. Ich befand mich bei der österreichischen Wachtmannschaft, welche den Bahnhof besetzt hielt. General v. Gablenz, der Sieger vor Schleswig und bei Oeversee, hatte hier einige Stunden nach dem Abzuge der Dänen sein Hauptquartier gehabt. Glänzende Thaten des Feldherrn und der Soldaten und das Lob eines liebenswürdigen, humanen und der politischen Lage des Landes gegenüber höchst taktvollen und klugen Benehmens werden in der Geschichte dieses Krieges seinen Namen zieren.
Mit der Eisenbahn, das sah ich mit jeder Minute mehr, war nicht weiter zu kommen. Zum Glück fuhr bald nachber ein Bauer in seinem Stuhlwagen vorüber, der mich willig nach Schleswig mitnahm.
Ich befand mich nun auf der Straße, auf der die dänische Armee nach Verlassen des Danewerkes und der Schanzen um Schleswig ihren jedenfalls meisterhaften Rückzug gemacht hatte. Das war Morgens zwischen 6–8 Uhr geschehen. Die Kaiser-Husaren waren ihr immer auf den Fersen. General von Gablenz selbst gleich hinter den Kaiser-Husaren. Beim Fußholzer Krug stieß die österreichische Avantgarde zuerst auf die dänische Nachhut. Die Wege waren glatt gefroren. Nur mit großer Mühe konnten die Husaren sich vorwärts bewegen. Auch sie hatten mehrere Tage und Nächte bei dem fürchterlichen Wetter im Bivouak zugebracht. Aber immer ging es vorwärts, um die Dänen zu erreichen und zum Stehen zu bringen.
Endlich kam ich an die Idstedter Haide. Hier wurde vor dreizehn Jahren die Schlacht geschlagen, welche Schleswig-Holsteins Schicksal entschied und ohne die Annahme einer grenzenlosen Unfähigkeit oder einer fast unglaublichen Verrätherei gar nicht zu erklären ist. Bei Hellingbeck sah ich die ersten Todten. Es waren Kaiser-Husaren, die tapfern Verfolger, welche bei Oeversee das Gefecht zum Stehen gebracht hatten. Einzelne Tschako’s und Dolmans waren auf der Straße zerstreut. Sich scheuend, jagten die Pferde an den todten Körpern vorüber. Vom Fußholzer Krug bis nach Oeversee bestand die Verfolgung der österreichischen Truppen aus einer fortlaufenden Reihe von kleinen Scharmützeln. Die dänischen Truppen, Infanterie und Artillerie, benutzten jeden günstigen Terrainabschnitt, um die vorrückenden Oesterreicher aufzuhallen.
Ich gelangte nach Oeversee. Hier war es zu einem vollständigen Gefecht gekommen, oder zu einer Schlacht, will ich lieber sprechen, „denn die Schlacht bei Solferino,“ sagte mir der österreichische Officier, den ich am heutigen Abend auf der Hauptwache kennen lernen sollte und der bei Oeversee gekämpft hatte, „war im Verhältniß zur Zeit und zu den Streitkräften nicht so blutig, wie das Gefecht bei Oeversee.“ Es dauerte nur anderthalb Stunden. In diesen anderthalb Stunden verlor die Brigade Nostiz, mit der Feldmarschalllieutenant von Gablenz die Verfolgung unternahm, nicht weniger als 600 Mann an Todten und Verwundeten, unter ihnen ein Drittel ihrer Officiere. Namentlich zeichneten sich die Regimenter Belgien und Hessen und das neunte Jägerbataillon durch eine unvergleichliche Bravour aus. Die Dänen hatten, fast zehntausend Mann stark, eine ausgezeichnet günstige Position mit Infanterie und Artillerie besetzt. An einem hochgelegenen Waldrande standen sie in drei Stufen übereinander, jede einzelne Stellung durch Erddämme und Knicks geschützt, während die Oesterreicher ganz ungedeckt jede Position erstürmen mußten. Aber als die Letzteren sahen, daß sie das Gefecht wirklich zum Stehen gebracht hatten, stürmten sie unaufhaltsam eine Position nach der andern mit dem Bajonnet, obschon die Dänen ihnen an Zahl um das Doppelte überlegen waren, und eine Truppenmacht von 10.000 Mann noch zwischen Oeversee und Flensburg in der Reserve stand. Keinen Augenblick verstummte das Hurrah der Stürmenden auf der ganzen Linie. Jeder Fußbreit Boden, wie ich sah, war hier mit Blut erobert worden.
Am heftigsten mußte im Wäldchen gekämpft worden sein. Dort lagen die Todten am zahlreichsten. Die österreichischen Soldaten [158] waren meistens in den Kopf geschossen. Die Gesichter der auf dem Rücken im Schnee liegenden Jäger und Infanteristen waren mit Blut bedeckt. Die Dänen hatten noch in der Entfernung von drei Schritt Feuer gegeben. Dann hatten die Oesterreicher die Gewehre umgekehrt und den Dänen mit den Kolben die Köpfe eingeschlagen. Vor einem Zaun, hinter dem die Dänen in der Position am Waldrande zuerst Posto gefaßt hatten, lag eine lange Reihe österreichischer Jäger und Infanterie todt. Blutlachen hatten den Schnee geröthet. Dolmans und Husarenkäppis bedeckten zu beiden Seiten die Ränder der Straße. Hinter dem Zaune lagen die Dänen, ebenfalls in langer Reihe, meistens die Köpfe mit dem Kolben eingeschlagen. Man konnte ganz deutlich sehen, wie der Zaun vertheidigt und dann genommen war. Die Blutlachen, die Leichen mit den zerschossenen und eingeschlagenen Köpfen, die todten Pferde – ein schrecklicher Anblick! Eine Jägercompagnie zählte nach der Schlacht nur noch 27 Mann.
Feldmarschalllieutenant v. Gablenz war während des Gefechts stets an den gefährlichsten Stellen. Keine Bitte, sich weniger auszusetzen, konnte ihn zurückhalten. Rund um ihn fielen Menschen und Pferde; er selbst erhielt eine matte Kugel, welche an seiner Säbelscheide abprallte. Dem Herzog Wilhelm von Würtemberg, welcher als Oberst das Regiment Belgien commandirte, wurden bekanntlich zwei Zehen abgeschossen. Unleugbar schlugen sich die Dänen vortrefflich. Jeder Knick mußte mit dem Bajonnet unter Kleingewehr- und Artilleriefeuer genommen werden. Sie verwendeten ihre Truppen auf das Zweckmäßigste und manövrirten nach allen Regeln der Taktik. Die 600 dänischen Gefangenen, welche eingebracht wurden, waren meistens Jüten und Inseldänen, unter ihnen kein einziger Ueberläufer. Der Grimm und die Erbitterung sprachen aus ihren Zügen. Sie schlugen sich bis auf den letzten Augenblick.
Unter einem Trupp Gefangener, die man in der ersten Verwirrung noch nicht entwaffnet halte, legte plötzlich ein Seeländer auf den ganz in der Nähe stehenden Feldmarschalllieutenant von Gablenz an. Der General wäre verloren gewesen. Da schlug ein Jäger den Dänen mit dem Gewehrkolben nieder. Ohne Ausnahme zeichneten sich alle österreichischen Officiere durch unerschrockene Tapferkeit und unverwüstliche Kaltblütigkeit aus; ich nenne unter den Vielen nur Oberstlieutenant Schönfeld vom Generalstabe, Oberlieutenant Baron Mertens, Rittmeister Baron Löwenstern, Ordonnanzofficier des Feldmarschalls, einen Schleswig-Holsteiner, dessen Bruder in Angeln begütert ist, Lieutenant Otterstedt, Oberstlieutenant Vlatitz[WS 1], Chef des Generalstabes – ich müßte sie Alle nennen. Als es dunkel wurde, brachen die Dänen das Gefecht ab. Dann wurden mit Hülfe von Fackeln und Laternen die Verwundeten auf dem blutbedeckten Schlachtfelde aufgesucht. Gar mancher ist nicht gefunden worden und ist an seinen Wunden im Schnee und in der Kälte gestorben.
Eine Stunde vor Flensburg sollte ich einen andern noch erschütternderen Anblick haben. Der Schneesturm war wieder so heftig geworden, daß ich genöthigt war, die Pferde ausruhen zu lassen und in einem an der Straße liegenden einsamen Gehöft einzutreten. Die größere Stube war ganz mit österreichischen Soldaten angefüllt, in der kleinern saß der Besitzer des Hofes, neben ihm auf der Bank lag sein todter einziger Sohn. Die Dänen hatten bei ihrem Rückzüge von Oeversee nach Flensburg Pferde und Wagen des Bauern requirirt. Der Sohn führte den Wagen. Mit durchschossenem Kopfe sollte ihn der Vater wiedersehen. Wahrscheinlich war er, als er auf dem Rückwege die Vorpostenkette der Dänen passirte, in der Dunkelheit erschossen worden. Der Todte hatte die Bescheinigung, daß die Fuhre geleistet sei und er zurückkehren könne, noch in der Tasche. Die Pferde und der Wagen waren fort. „Nun habe ich Alles verloren,“ rief der verzweifelte Vater, „meinen einzigen Sohn, meine Pferde und meinen Wagen.“ Nie werde ich diese fürchterliche Scene in der schwach erleuchteten Stube vergessen.
Flensburg war voll vom Getümmel des Krieges. Wagen an Wagen bedeckten die Straßen, welche sich noch im Dunkel des bereits hereingebrochenen Abends mit Vorräthen, Munition und Kriegsvorräten aller Art auf der Straße nach Gravenstein in der Richtung nach Düppel hinaus bewegten. Zwischen den Wagen Truppenmassen und Geschütze. Darüber ein winterlicher Nachthimmel, aus dem unaufhörlich Schneemassen herabwirbelten. Fahnen in den schleswig-holsteinischen Farben hingen aus den Fenstern der kleinern Häuser; der Wind, der in ihren Falten rauschte, war von einer eisigen Temperatur. Deutsche Fahnen sah ich keine einzige. Der preußische Feldmarschall von Wrangel wollte die deutschen Fahnen nicht dulden, und die Flensburger Bürger hatten nicht den Muth, sie trotzdem aufzustecken. Nirgends in Schleswig-Holstein hatte ein österreichischer General ein ähnliches Verbot ergehen lassen. Auf dem Markte wehte eine riesige schleswig-holsteinische Fahne. Ich trat in den an demselben liegenden Gasthof zur Stadt Hamburg ein, wo ich auch vor drittehalb Jahren schon gewohnt hatte. Der Besitzer ist ein Mann, der sich immer durch Festhalten an der deutschen Sache in Flensburg ausgezeichnet hat. Er heißt Döll. Vor dem Hause wehte eine schleswig-holsteinische, eine österreichische und eine preußische Fahne. Zwei österreichische Jäger, Tapfere aus dem Gefecht bei Oeversee, standen als Posten auf der Freitreppe. Der Flur, die untern Räume waren überfüllt von Gästen.
Bekannte aus Angeln verschafften mir noch ein Plätzchen. An der andern Seite des Tisches saßen Flensburger Bürger. Ich hielt ihnen vor, daß sie noch immer sich ihrer dänischen Beamten nicht entledigt hätten.
Sie antworteten mit einer Menge flauer Entschuldigungen. Vergebens erinnerte ich sie an das Beispiel Schleswigs, Eckernfördes, Tönnings, Friedrichsstadts und aller südschleswigschen Ortschaften, wo die Bewohner binnen der ersten vierundzwanzig Stunden nach dem Einzuge der Preußen und Oesterreichs vollkommen mit dem Ausschuß Seelands aufgeräumt hatten. Flensburg hat sich unter den schleswigschen Städten immer durch aus dem Handelsinteresse hervorgehende dänische Sympathien hervorgethan. Sämmtliche dänische Beamten, Pastoren und Schulmeister waren heute noch, drei Tage nach dem Einzüge der preußischen Truppen in Flensburg, im Besitz ihrer Stellen; in den Schulen wurde noch der Unterricht in dänischer Sprache ertheilt; selbst der Löwe, dieses berüchtigte Denkmal dänischen Uebermuthes, stand noch auf dem Friedhofe und blickte höhnisch auf die Gräber der auf dem verrätherischen Schlachtfelde bei Idstedt Gefallenen. Wrangel würde wahrhaftig nicht gewagt haben, ihn wieder aufzurichten, wenn man ihn von seinem mit den Namen dänischer Generale gezierten hohen Postamente hinabgestürzt hätte.
Es gefiel mir heute nicht in dem Gastzimmer des Wirthshauses. Trotz des Schneesturmes ging ich wieder aus, um eine Zeitung zu lesen. Als ich zurückkam, trat mir in demselben Zimmer ein preußischer Officier in Helm und Schärpe, zwei österreichische Jäger hinter sich, entgegen. „Sind Sie Herr Gustav Rasch?“ fragte er.
„Allerdings,“ antwortete ich. „Was wünschen Sie?“
„Ich habe den Auftrag von der Commandantur, Sie zu verhaften. Wollen Sie den schriftlichen Befehl sehen, da ist er.“
Ich lachte und sagte dem Officier, daß ich, da in Flensburg kein Belagerungszustand herrsche, der preußischen Commandantur das Recht einer Verhaftung nicht zugestehe. Der Lieutenant bedauerte in den höflichsten Formen, daß er mir diese Unannehmlichkeit machen müsse, mich auch nur auf die Commandantur zu führen habe, die Gründe meiner Verhaftung wisse er nicht.
„Ich verlange, zu dem preußischen Regierungscommissar, Freiherrn von Zedlitz, geführt zu werden, den ich allein als eine mir gegenüber berechtigte Persönlichkeit anerkenne.“
„Ich werde Sie zu Herrn v. Zedlitz führen,“ erwiderte mir der Officier. „Warum soll ich es nicht thun, verboten ist es mir nicht. Vielleicht befreie ich Sie auf diese Weise von der ganzen Unannehmlichkeit.“
Wir gingen, ich neben dem Officier, die beiden Jäger hinter mir. Wenige Schritte von dem Hause, in dem der preußische Regierungscommissar wohnte, wurden wir von einem in einen grauen Officiermantel gehüllten Manne angehalten, der sich auf dem ganzen Wege hinter uns hergeschlichen hatte. Er sprach eindringlich mit dem mich begleitenden Officier. Dann verschwand er. Aber ich hatte ihn wohl erkannt. Ich war auf ihn bereits im Döll’schen Gasthofe als auf ein höchst verdächtiges Subject aufmerksam gemacht worden. Er heißt Zweigert, soll früher Officier in der päpstlichen Armee gewesen sein, befindet sich im preußischen Hauptquartier in einer höchst zweifelhaften Stellung und wird von allen Patrioten und auch von den Officieren gemieden. „Es thut mir außerordentlich leid, daß ich Sie nicht zu Herrn v. Zedlitz führen kann, sondern Sie sofort auf die Commandantur bringen muß,“ sagte der mich geleitende Officier, „es wird mir soeben ausdrücklich verboten, Sie zu dem Regierungspräsidenten zu führen.“
[159] Ich war entrüstet. „Wohlan, gehen wir auf die Commandantur,“ sagte ich. Noch wenige Schritte, und wir waren vor dem Hause angelangt, wo der Major Funk, derzeitiger Commandant der Stadt Flensburg, wohnt. Er empfing mich in etwas barscher Weise. Ich verlangte sofort zu dem preußischen Regierungscommissar geführt zu werden, und protestirte gegen meine Verhaftung als eine Gewaltthat. Alle Vorstellungen waren umsonst. „Ich muß Sie auf die Hauptwache führen lassen,“ erwiderte der Commandant, „finden Sie sich in die Sache, Sie sehen, wir haben hier die Gewalt.“
Ich schaute mich um in dem Zimmer und sah nur bewaffnete Soldaten. „Allerdings, das sehe ich,“ erwiderte ich, „und ich bin augenblicklich ohne Waffen. Aber ich werde mir die Satisfaction holen!“
Immer der Officier neben und die beiden Jäger hinter mir, kam ich in der preußischen Hauptwache an, welche in dem ehemaligen Zuchthause in Flensburg aufgeschlagen war. Das alte Zuchthaus war voll von Militärgefangenen. Das große Vorzimmer zur Officierstube wimmelte von österreichischen Soldaten, welche hier auf Stroh campirten. Tornister, Waffen und Soldatenmäntel hingen an den Wänden oder lagen auf der Erde. In der Officierstube trat uns ein hochgewachsener österreichischer Jägerlieutenant entgegen und nahm mich in Empfang. „Ich soll Ihnen besonders sagen, Herr Camerad,“ schloß der preußische Officier seine Meldung, „daß der Arrestant mit Niemandem correspondirt.“ Dann ging er, sich mehrmals gegen mich entschuldigend. Er übernahm es, sofort den Major im großen Generalstabe, Geerz, einen gebornen Schleswiger, von meiner Verhaftung in Kenntniß zu setzen.
Als er fort war, saßen wir uns in der trüben Wachtstube einander am Tische gegenüber, der österreichische Jägerlieutenant und ich. Er war ein Tiroler, aus Imst im obern Innthale gebürtig, ein liebenswürdiger junger Mann, unterrichtet, intelligent, von einnehmenden Manieren, einer der Tapfern von Oeversee.
Bald waren wir miteinander im interessantesten Gespräch. Er holte Wein und Cigarren. „Jeder unserer Officiere,“ sagte er, „hat von Kieler Damen einige Flaschen Wein und funfzig Stück Cigarren zum Geschenk erhalten. Kommen Sie, trinken wir den Wein und rauchen wir die Cigarren. Vielleicht kommt Beides von schöner Hand.“ Wir ließen frisches Holz in den großen Ofen legen, schoben unsere Stühle vor das flackernde Feuer und tranken auf „das schöne Land Tirol“. Die Wachtstube war übrigens ganz miserabel eingerichtet. Nichts als die kahlen Wände, ein gebrechlicher Tisch und vier Stühle. Der Nachtwind pfiff durch die mit einem Teppich verhangenen, zerbrochenen Fensterscheiben. An der Wand war ein Strohlager ausgebreitet. Auf dem Stroh schliefen zwei Männer, Jeder mit einem Mantel bedeckt. Der Eine trug die Uniform eines Unterofficiers der dänischen Cavallerie. „Auch zwei Arrestanten,“ sagte der Jägerlieutenant, „Sie werden sie schon morgen früh kennen lernen. Der eine ist Correspondent einer Pariser Zeitung, der andere ein dänischer Cavallerieunterofficier, ein geborner Schleswiger. Sie sind schon mehrere Tage hier.“ Dann knüpften wir den Faden unsers unterbrochenen Gespräches wieder an. Die öde Wachtstube verschwand mit ihren kahlen Wänden vor unsern Blicken. Draußen tobte der Schneesturm mit fürchterlicher Gewalt und übertönte das Rasseln der Wagen, welche noch während der Nacht nach Gravenstein hinausfuhren. Um drei Uhr schliefen wir in unsere Mantel gehüllt neben einander einen erquickenden Schlaf.
Das Schicksal des Krieges hatte es auch diesmal nicht böse mit mir gemeint. Ich saß freilich gefangen in der elenden Officiersstube einer preußischen Hauptwache im Lande des „verlassenen Bruderstammes“, aber das Kriegsglück hatte mich an die interessanteste Stelle der Stadt Flensburg gestellt. Die großen Fenster gingen hinaus auf die Straße, welche nach Gravenstein und zu den Düppler Schanzen führte, die in den nächsten Tagen der Schauplatz neuer, blutiger Kriegsscenen werden sollten. Von frühem Morgen an rasselten die Wagen und Geschütze vorüber, welche auf dem neuen Kriegstheater eine Rolle zu spielen hatten. Der ganze Belagerungspark zog an mir vorbei, endlose Wagenreihen mit Pontons zu Brücken, mit Munition, mit Brod und Fleischvorräthen, mit Lazaretheinrichtungen, mit Gepäck. Es war ein mit jeder Minute wechselndes, interessantes Bild des Krieges.
Am Morgen hatte ich bereits an den preußischen Regierungscommissar geschrieben und seine sofortige Intervention beansprucht. Nun machte ich auch die Bekanntschaft meiner beiden Mitgefangenen. Der Eine war, wie schon erwähnt, Unterofficier in der dänischen Cavallerie, ein geborener Schleswiger. Er hatte sich bei Nübel einer preußischen Patrouille gefangen gegeben. Unglücklicherweise hatte er sich geäußert, daß die Düppler Schanzen von den Dänen verlassen sein. Eine Recognoscirung, bei der funfzehn Mann gefallen oder verwundet waren, hatte das Gegentheil ergeben. Jetzt wurde er bis auf Weiteres gefangen gehalten. Der andere war der Correspondent des Pariser Blattes „Le Siècle“, Eugène d’Arnould. Auf einen Befehl des Feldmarschalls Wrangel, ihn festzunehmen, wo er sich in Schleswig betreten ließe, war er bei Missunde verhaftet und zu Wagen nach Flensburg gebracht worden. Sein ganzes Verbrechen bestand darin, seinen Correspondenzen eine preußenfeindliche Färbung gegeben zu haben. Er befand sich schon vier Tage auf der Hauptwache, jeder Bequemlichkeit entbehrend, zum Nachtlager nur das Stroh. Er hatte mit dem großen Befreier Süditaliens unter den Tausend von Marsala den Feldzug nach Sicilien mitgemacht. Im Lager von Capua hatte ich seinen Namen als den des Capitains einer Compagnie Infanterie gehört. Meine Gegenwart war ihm eine Erscheinung des Himmels. Der Arme verstand kein Wort Deutsch und war nicht im Stande, sich auch nur ein Mittagsessen zu bestellen. Auch ihm hatte man jede Communication mit der Welt außerhalb der Hauptwache abgeschnitten.
Den langen Nachmittag hatte ich Muße genug, aus einer guten Karte und mit Hülfe des schleswigschen Unterofficiers die Stellung von Düppel zu studiren. Um acht Uhr Abends saß ich mit dem commandirenden Officier der Hauptwache, dem Lieutenant v. Otterstedt, der auch bei Oeversee mit gefochten hatte, vor dem lodernden Feuer. Wir tranken einen „schleswig-holsteinschen“ Thee, und d’Arnould sang mit mir den berühmten Gesang der Girondisten, der auf so manchen Schlachtfeldern erklang. Das „mourir pour la patrie“ des Refrains hörten die öden Wände der ehemaligen Zuchthauswache gewiß heute zum ersten Male.
Der andere Morgen brachte mir meine Befreiung. Auf ein energisches Schreiben an den Commandanten, mich binnen zwei Stunden freizulassen, widrigenfalls ich äußerst unangenehme Schritte thun würde, wurde ich nun zu dem Regierungscommissar v. Zedlitz geführt. In den höflichsten Formen erklärte er mir, daß ich bei Vermeidung militärischer Escorte Schleswig sofort verlassen müsse, da die Anwesenheit einer durch ihre jahrelange literarische und politische Thätigkeit so prononcirten Persönlichkeit, wie die meinige, mit der Ruhe im Herzogthum unvereinbar sei. Die Flensburger Bürger hatten nichts für meine Befreiung gethan, der Major vom großen Generalstabe hatte gefürchtet, sich zu compromittiren, wenn er sich um mich bekümmerte. Die österreichischen Officiere äußerten entrüstet: „Wir machen nur die Dänen auf dem Schlachtfelde zu Gefangenen, welche die Waffen in der Hand haben.“ Niemand, als ein alter Freund, Dr. Mahler, den ich zufällig in Flensburg getroffen, hatte sich um meine Freilassung bemüht.Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Franz Freiherr von Vlasits