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Von Dessoir zu Döring

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Textdaten
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Autor: A. H.
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Titel: Von Dessoir zu Döring
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 81–83
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[81]

Von Dessoir zu Döring.

Eine Skizze aus dem Schauspielerleben.

Du lieber Gott, das war eine traurige Zeit! Als armer Schauspieler hatte ich, dem berühmten Syrakuser Spaziergänger nacheifernd, die Reise von Wien nach Berlin zu Fuß zurückgelegt. Mit Wehmuth gedenke ich des Zustandes, in welchem ich meinen Einzug in die nunmehrige Hauptstadt des deutschen Reiches hielt. Meine beinahe sechswöchentliche Wanderung, verbunden mit Hunger und Noth, mit Uebernachten im Freien und tausend sich täglich erneuernden Sorgen, hatte meinem äußeren Menschen den Stempel größter Dürftigkeit aufgedrückt, und der Contrast einer hochmodernen, enganliegenden Hose (wie man solche in Berlin erst später trug) mit meinem sonstigen Habit forderte selbst den ausgelassenen Spott der lieben Straßenjugend heraus.

Unbekümmert um diese „kleinen Seelen“ verfolgte ich jedoch mein hohes künstlerisches Ziel. Ich mietete mir ein Stübchen. Nun schrieb [82] ich zwei gleichlautende Briefe, den einen an Dessoir, den andern an Döring, in welchen ich meinen unbesiegbaren Drang zur Kunst hervorhob, von meiner Reise sprach und um Hülfe bat. Ich wollte von beiden Meistern, nach vorhergegangener Prüfung, die schriftliche Bestätigung haben, daß ich „talentvoll“ sei, um mit dieser Empfehlung meine Carriere zu beginnen. Jedem der Briefe schloß ich ein kleineres Couvert bei, das, mit einer Freimarke versehen, meine Adresse trug. Ich ersuchte „um gütigen Bescheid, um Bezeichnung einer Stunde, in der ich am wenigsten zur Last falle“, und bat, die Antwort „in das beiliegende Couvert zu stecken“. Zwei lange Tage vergingen. Endlich erschien der Briefträger. Sofort erkannte ich an meiner Adresse meine eigene Schrift. Ich öffnete, fand ein Zettelchen, das die wenigen, für mich aber berauschenden Worte enthielt:

„Besuchen Sie mich morgen zwischen elf bis zwölf Uhr!

Ergebenst Dessoir.“

Wer war glücklicher als ich? Im Hause, wo ich logirte, wohnte auch ein Dr. B., dessen drei erwachsene Söhne studirten. Der älteste, jetzt in Berlin als Arzt thätig, bettelte mir sofort das verheißungsvolle Zettelchen als einen hochinteressanten Beitrag zu seiner Autographensammlung ab. Die Zukunftsdoctoren luden mich nun ein, ihnen in ihren Zimmern etwas vorzudeclamiren; es mußte dasselbe sein, was ich Dessoir vorzutragen gedachte.

Als ich Schiller’s liebeglühenden, schwärmerischen „Mortimer“ zum Besten gab, war meine Zuhörerschaft sofort überzeugt, der morgige Tag werde entscheiden, ich werde mit Hülfe Dessoir’s eine glänzende Carriere machen. Nach einer unruhig verbrachten Nacht erhob ich mich am nächsten Morgen zeitig, unternahm einige Gedächtnißauffrischungen durch Recitirung einiger Scenen aus dem „Don Carlos“; feurig forderte ich ferner „von meinem Vater, daß er mir Etwas zu zerstören gebe, da es heftig in meinen Adern braust, da ich sogar schon dreiundzwanzig Jahre alt sei und noch immer nichts für die Unsterblichkeit gethan habe.“ Aber der alte, wackelige Großvaterstuhl in meinem Zimmer, an den ich meine Worte richtete, blieb kalt und ungerührt, wie die meisten Darsteller des eisigen Philipp bei dem anfängerischen Lallen der unbeholfenen Don Carlosse auf den deutschen Bühnen. Indem ich dem undankbaren Lehnstuhl noch nach vieler Wortverschwendung mitgetheilt, „daß mein Geschäft aus sei“, begab ich mich frisch und fröhlich an die Vollendung meiner Toilette, um mich dann dem berühmten Dessoir vorzustellen.

Am folgenden Tage gegen halb zwölf Uhr stand ich pochenden Herzens vor einem Hausthore auf dem Leipziger Platze. In meiner Todesangst empfahl ich meine Seele Gott, schritt in das Haus, machte eine Wendung links, stolperte einige Stufen aufwärts und zog leise, mit hörbarem Herzklopfen, die Klingel, die zu Dessoir’s im Hofparterre gelegener Wohnung führte. Ein Mädchen ließ mich eintreten, fragte nach meinem Namen und verschwand in einer Thür rechts. Nach einer peinvollen Minute erschien der große Schauspieler aus derselben Thür. Forschend betrachtete er mich eine Secunde. „Sie sind also der junge Mann, der mein Urtheil wünscht?“ begann der anscheinend kranke Dessoir mit leisem, umflortem Tone. Ich verbeugte mich stumm, verlegen zur Erde blickend. „Treten Sie näher!“ ermunterte er mich, da ich noch immer in der Nähe der Thür stand, durch die ich eingetreten war. Meine Befangenheit begann zu schwinden, als ich in das stillernste Antlitz dieses leidenden Mannes schaute. Er ermuthigte mich zum Sprechen, als er meine Verlegenheit bemerkte. Nach einigen Fragen und Antworten, während deren Austausch ich ungefähr in der Mitte des Salons stand, in welchem wir uns befanden, lud mich der ernste Mann ein, an einem breiten Fenster Platz zu nehmen. Ein großes Trittbrett vor demselben gewährte Raum für zwei sich gegenüberstehende Fauteuils.

Nachdem Dessoir sich gesetzt hatte und ich ihm gegenüber Platz genommen, redete er mich, mit verschränkten Armen sich zurücklehnend und mich ruhig betrachtend, also an:

„Ich habe Ihnen blos deshalb geschrieben, daß Sie mich heute besuchen mögen, um Ihnen zu sagen, daß die Erfüllung Ihrer Bitte eine absolute Unmöglichkeit ist. Kein Mensch auf dieser bewohnten Erde kann Ihnen sagen, daß Sie talentvoll sind, kein Mensch, daß Sie nicht talentvoll sind.“

„Aber,“ erlaubte ich mir bescheiden einzuwenden, „sobald Sie mich ‚sprechen‘ gehört, können Sie sich ja über den Grad meiner Begabung ein Urtheil bilden. Gestatten Sie, daß ich Ihnen Etwas vordeclamire!“

„Behalten Sie Platz!“ sagte Dessoir, leise lächelnd, ohne seine Stellung nur irgendwie zu verändern, als ich mein Fauteuil verlassen wollte. „Sie können hier im Zimmer declamiren wie ein Gott und werden auf der Bühne stets ein Stümper bleiben, wenn es Ihnen an Darstellungstalent fehlt. Es ist das Urtheilen eine eigenthümliche Sache. Wenn ich zum Beispiel die Hantirungen, die Tüchtigkeit eines Tischlers zu beurtheilen habe – wo werde ich ihn aufsuchen? In seiner Werkstatt! Umgeben von seinen Geräthen und Werkzeugen, von seinen Hobelspähnen und Materialien, die er be- und verarbeitet, wird er mir durch sich selbst und durch das unter seinen Händen werdende Werk ein anschauliches Bild von seiner Tüchtigkeit geben. Ich werde den Tischler in seinem eigentlichen Elemente zu beobachten haben, und dann erst über ihn und sein Werk urtheilen. Um wie viel mehr ist es einleuchtend, daß ich einen Schauspieler nur da, wo er in seinem eigentlichen Elemente ist, nur auf der Bühne, werde richtig beurtheilen können, da ich überdies sein Werk, seine Darstellung, nicht festhalten, nicht als greifbaren Gegenstand meiner Kritik unterwerfen kann, wie das Erzeugniß des Tischlers. Ich werde ihn, nicht umgeben von all den Erfordernissen der Bühnentäuschung, nur halb verstehen können. Woran soll ich mich also halten, wenn ich mir hier im Zimmer ein Urtheil über Sie bilden soll? Sie können unglücklicher Weise ein herzlich schlechter Rhetoriker sein. Ist es darum schon ausgemacht, daß Sie auch ein recht schlechter Schauspieler werden? Und ist denn das auch nur annähernd etwas ‚Schauspielerisches‘, was Sie mir hier vorsprechen könnten? Sie kennen ja noch gar nichts. Woher sollten Sie das auch, der Sie noch nie auf einer Bühne gestanden! Und wieder muß ich Sie auf den Tischler verweisen. Zuerst war er einige Jahre Lehrling, dann Geselle und später erst Meister. Ihr jungen Leute hingegen denkt mit einem kühnen Sprunge aus dem Privatleben in’s Künstlerthum hinüber zu voltigiren, und ein ehrlicher Mann soll Euch jetzt schon anhören und ansehen, ob Ihr auf der Bühne reussiren werdet. Wer das kann, leistet Unmögliches oder betrügt wissentlich.“

„Aber wenn Sie mich sprechen hörten,“ warf ich ein und fühlte dabei einen unangenehmen Druck auf den Kehlkopf, als wenn ich einen Aerger unterdrückte, „dann könnten Sie mir doch wenigstens sagen, ob meine Mittel ausreichen.“

Und wieder wollte ich aufspringen, um sofort zu beginnen, Dessoir aber hielt mich zurück, seine beiden Hände auf meine Schulten: legend, mich sanft in das Fauteuil drückend.

„Die Mittel! Die Mittel!“ erwiderte er in etwas lebhafterem Tempo, und seine Züge, die bis dahin fast unbeweglich geblieben, bewegten sich leicht und fingen an, jedem seiner nun lauter gesprochenen Worte charakteristische Färbung zu verleihen: „Lieber Herr, wenn alle Diejenigen, welche Mittel haben, auch den dazu erforderlichen Verstand hätten, dieselben auf der Bühne richtig anzuwenden, so hätten wir keinen Mangel an guten Schauspielern. Der Geist muß die Materie zu durchdrängen wissen; er muß das Fehlen der Mittel unsichtbar machen; er muß, mit dem Gemüthe vereint, das Herz des Hörers gefangen nehmen und Diejenigen aus dem Felde schlagen, die nur zum Ohre sprechen.“

Einen Augenblick umgab uns feierliche Stille. Dessoir blickte zum Fenster hinaus. Die mit Nachdruck gesprochenen letzten Worte wirkten mächtig auf mich. Der Meister richtete seine Augen wieder auf mich.

„Und was nützt Ihnen auch eine Vorhersagung,“ fuhr er fort, „die doch nicht eintrifft?“ Dabei stützte er gedankenvoll das Haupt in seine Rechte, die mit ihrem Ellbogen auf dem Fensterkissen ruhte. „Sehen Sie mich an, junger Mann!“ setzte er hinzu. „Als ich mich der Bühne widmete, waren es gerade die Wohlmeinenden, die mir den ehrlichen Rath ertheilten, doch diesem unseligen Berufe zu entsagen, für den ich nun einmal ,gar nichts‘ hätte. Aber ich ließ mich nicht beirren und strebte mit rastlosem Eifer meinem Ziele zu – und ich bin zufrieden. Andere, die mit mir zugleich ‚angefangen‘, haben mit den glänzendsten Vorhersagungen den Weg zum Ruhme betreten; man prophezeite ihnen goldene Berge; sie sollten phänomenale Erscheinungen am deutschen Kunsthimmel werden – – und heute kommen die vor Jahren Vielgepriesenen zu mir, um ‚Collecte‘ zu machen. Wer will etwas voraussagen!? Die Zeit, lieber Herr, straft uns Lügen.“

[83] Schon vorher hörte ich unruhige Schritte vor der Thür, die zu den anderen Zimmern führte. Jetzt wurde dieselbe leise ein wenig geöffnet ein Frauenkopf wurde sichtbar. „Wir wollen essen, Dessoir,“ sagte die Dame und verschwand nach kurzer bejahender Antwort des Angeredeten. Sobald sich die Thür geöffnet hatten war ich von meinem Platze aufgestanden. Wir verließen das Trittbrett und standen wieder in der Mitte des anheimelnden Salons. Stehend besprachen wir das Weitere schnell. Mit sich steigernder Theilnahme redete der Meister.

Ich sollte, meinte er, durch seine Empfehlung in nächster Zeit auf dem Liebhabertheater „Urania“ auftreten, und nachdem er mich dort werde gesehen haben, wollte er, so weit dies möglich, ein Urtheil abgeben und mir auch sonst behülflich sein. Mit einem warmen Händedruck erwiderte der berühmte Schauspieler meine stammelnde Danksagung, gab mir das Geleite bis zur Thür, die auf den Treppenflur führte, öffnete und schloß dieselbe – und wie aus einem Traume erwachend, fand ich mich vor dem bereits erwähnten Hausthor wieder, die helle Mittagssonne und das frische Grün der Anpflanzungen des Leipziger Platzes freudig begrüßend und tief Athem holend.

Am Nachmittag desselben Tages ließ es mir keine Ruhe, nun auch Meister Döring’s Meinung zu hören. In einem dunkelgrau angestrichenen Hause der Charlottenstraße, gegenüber dem königlichen Schauspielhause, befand sich damals des Altmeisters Wohnung. Bald hatte ich die Treppen erklommen und läutete. Eine Dame öffnete, fragte nach meinem Namen und meinem Begehren, ersuchte mich zu warten, schloß die Thür und überließ mich eine Minute lang auf dem Corridor meinen Gedanken. Bald öffnete die Dame wieder und forderte mich auf, ihr zu folgen. Ein dunkler, länglicher Gang führte zu zwei hellen Zimmern, von denen das zweite anscheinend das Arbeitszimmer des großen Mimen war; denn geschäftig kam er nur aus demselben entgegen, eine Feder in der Hand, in langem grauem Schlafrock, sonst aber sorgfältig frisirt und völlig toilettirt.

„Sie sehen, wie viel ich zu thun habe,“ sagte der lebhafte Herr, mich mit seinen leuchtenden Augen musternd. „Ich konnte Ihnen nicht schreiben, habe zu viel der Arbeitslast. Auch wußte ich, daß Sie ohnedies kommen würden. Da! Nehmen Sie vor Allem Ihr Dings da zurück!

Und dabei überreichte er mir, es mit dem Daumen und Zeigefinger von der Oberfläche seines Schreibsecretärs nehmend, das kleine Couvert, das mit meiner Adresse versehen war.

„Kostet ja Geld, das Zeugs! Die Marke können Sie noch mal benutzen. Stecken Sie’s ein! So! Und nun, was soll ich für Sie thun? Was thu’ ich mit dem Declamiren“ fuhr er fort, als er meinen Wunsch hörte, ihm Etwas Vorsprechen zu dürfen. „Wenn Sie reden können, können Sie noch lange keine Komödie spielen; es ist zweierlei reden und spielen. – Und wie stehen Sie da!“ eiferte er in komischer Hast weiter; „wenn Sie zum Theater gehen wollen, dürfen Sie nicht so bucklig dastehen. Ist das ’ne Haltung! Sehen Sie mich an!“ rief er, sich kerzengerade dicht an meine rechte Seite stehend, „ich bin ein alter, Sie sind ein junger Mensch. Nun sehen Sie selbst! Sie sind ja jetzt schon hin. Wo wollen Sie die Kraft zu den Strapazen der Komödie hernehmen? Glauben Sie, das ist so leicht? Da! Sehen Sie her! Das Repertoire! Vorgestern hatt’ ich zu thun, gestern, heute, morgen. Das greift an. Sie sind ja nur so ein schwächliches Männchen – keine Figur! Kein Mark! Gehen ja zu Grunde, bevor Sie was geworden.“

Dabei wandte er sich schnell, nahm vom Schreibtisch eine goldene Dose und führte seiner scharfgeschnittenen Charakternase eine gehörige Prise zu. Ich wagte auf meine Entbehrungen während der langen Fußreise hinzudeuten und hinzuzufügen, daß ich mich gegenwärtig beinahe krank fühle.

Des Meisters Züge veränderten sich zusehends, seine angenommene Strenge wich dem Mitgefühl.

„Nun ja! Will’s glauben!“ sagte er mit einigermaßen gerührtem Tone. „Aber ich kann Ihnen keine Empfehlung geben, wenn ich keine Komödie von Ihnen gesehen,“ setzte er strenger hinzu „Auf die Rhetorik allein geb’ ich nichts,“ vollendete er, mit einer kurzen Bewegung sich wieder umwendend und die Dose mit hörbarem Schlag aus ihren früheren Platz stellend.

Zögernd theilte ich nun dem Altmeister den Plan mit, daß ich in der „Urania“ auftreten möchte. Unrühig hörte er zu.

„Also sind wir fertig,“ begann er plötzlich. „Bevor Sie auftreten, sagen Sie’s mir! Ich komme hin und wenn ich sehe, daß Sie ’was taugen, bin ich immer für Sie da. Dann läßt sich weiter reden – jetzt ist jeder Ton zu viel.“ Und als ob er mich hinauscomplimentiren wollte, ergriff der bewegliche Mann wieder die Feder, mit der Linken hastig einige Papiere auf dem Schreibtische ordnend. Ich empfahl mich also; rasch folgte mir der Meister. „Abgemacht! Ich komme,“ rief er mir noch nach, sich wieder in sein Arbeitszimmer begebend. Im dunklen Gange schien die Dame von vorhin auf Beendigung meiner Audienz schon gewartet zu haben; sie öffnete mir zuvorkommend die Corridorthür und nahm noch von meinen letzten Verlegenheitsbücklingen nachsichtig Notiz. Wie ich später erfuhr, war diese gewissenhafte Pförtnerin Döring’s Schwägerin.

Ich habe die Bühne der „Urania“ nie betreten, da ich in Berlin keine Subsistenzmittel erlangen konnte. Ich fing mit „Chor und kleinen Rollen“ in der Provinz an und arbeitete mich nach und nach aus eigener Kraft empor.

Dessoir sah ich nur noch einmal, und zwar bei Gelegenheit eines Gastspiels in Meiningen, als er zum Geburtstage des kunstsinnigen Herzogs im Winter 1869 den Brutus in „Julius Cäsar“ darstellte. Ich war dort für kleine komische Rollen engagirt, und hatte nicht den Muth, mich dem sinnigen Dessoir in Erinnerung zu bringen. Ich wollte mir diese Freude für spätere Jahre aufsparen. Leider starb Dessoir, ehe ich wieder nach Berlin kam.

Altmeister Döring hatte ich noch oft das Glück zu sehen. Oft, wenn ich ihn in der bekannten Berliner Weinstube bei Lutter und Wegener begrüßte, fixirte er mich scharf; denn trotz der Veränderung, welche die letzten zehn Jahre an mir vollzogen, schien ihm doch mein Gesicht bekannt vorzukommen. Ihn abermals zu sprechen hatte ich nie Gelegenheit. Heute ruhen diese beiden Zierden der deutschen Bühne in kalter Erde eingebettet; sie weilen vereint in jenen Regionen, in denen es nun einmal kein Rollenmonopol giebt.

A. H.