Vom wiedererstandenen „Ludwig“
Wer um die Mitte des Juli dieses Jahres von Lindau nach Rorschach fuhr, wurde sehr bald auf drei der gewöhnlichen Bodensee-Schleppschiffe aufmerksam gemacht, die etwa drei Viertelstunden von Rorschach und eine halbe Stunde vom sogenannten Rheinhorn entfernt, fortwährend von Booten und Gondeln umschwärmt, vor Anker lagen. „Dort,“ sagten die baierischen Dampfschiffsleute, „hat der Bauer den „Ludwig“ bis auf 18 Fuß gehoben, aber er soll schon wieder e Bissel hinunter sein. Er wird ihn schwerlich gar ’raus kriegen.“
Diese drei Schiffe waren der „Delphin“, welchen die badische Dampfschiff-Verwaltung in Constanz für die „Erprobung des deutschen Taucherwerks“ gratis und aufs Beste ausgerüstet Herrn Bauer zur Benutzung überlassen hatte, der „Welfe“, welcher von der würtembergischen Verwaltung in Friedrichshafen, und der „Trabant“, welcher von der baierischen Verwaltung in Lindau (letzterer für Verankerung etc. sehr mangelhaft ausgerüstet) gemiethet worden war. Zwischen Delphin und Trabant schwammen die Ballone, Kameele und Fässer, welche den Ludwig trugen. Auf jedem Schiffe arbeitete eine Locomobile (von Welter in Mülhausen) für je zwei der Bauer’schen Luftpumpen, deren lange Gutta-Pertscha-Schläuche theils in den Taucherhelm, theils zu den am Ludwig befestigten Hebekörpern liefen. Der „Welfe“, abseits geankert, diente als Magazinschiff.
„Er ist schon wieder e Bissel hinunter!“ Diese Worte konnte man in Rorschach stets hören, wenn Besucher früh am Morgen oder gleich nach einem starken Wehen zum „Ludwig“ gekommen waren. Wunderlicherweise deutet dieser halb bedauerliche, halb tadelnde Ausspruch auf einen der größten Vortheile und zugleich auf die großartige Sicherheit dieser Bauer’schen Schiffshebeweise hin: ist nämlich das gesunkene Schiff bis in die Nähe des Niveau gehoben, so spielt Bauer förmlich mit der Last, er läßt sie nach Belieben sinken und wieder steigen. Ersteres geschieht nun stets bei drohendem Unwetter, um die zu hoch über dem Niveau schwimmenden Ballons wieder so tief ins, Wasser zu bringen, daß auch der stärkste Wellenschlag sie nicht losreißen oder sonst beschädigen kann. Es wird dies einfach durch Ablassen von so viel Luft aus den Ballons bewirkt, als zum Versenken des gehobenen Schiffs um so und so viel Fuß sich nöthig zeigt. Die hohen Ballons am „Ludwig“ wurden jeden Abend durch Niedersenken des Schiffs vor etwaigen Stürmen der Nacht gesichert. Nach ein- bis zweistündigem Auspumpen der Ballons erreicht das Schiff wieder die vorher gewonnene Höhe. Wer mit dieser ruhigen und sichern Procedur das Heben der Schiffe mittelst mechanischer Kräfte vergleicht, bei welchen der geringste Sturm durch fortwährendes Zerren, Stoßen und Reißen hebende wie zu hebende Schiffe stets schwer beschädigt und oft zertrümmert, der wird den außerordentlichen Werth der Bauer’schen Durchführung dieser Erfindung auch in dieser Beziehung gerecht würdigen.
Nachdem die an sich sehr schwierige Arbeit der tieferen Befestigung der Ballons und Kameele am „Ludwig“ durch die schlimmen Winde sehr verzögert worden war, konnte Bauer endlich die Abführung desselben von seiner letzten Hebestelle nach dem Schweizerufer wagen.
Dieser Festtag, der 21. Juli (ein Dienstag), kam jedoch nicht mit günstigen Aussichten. Von Constanz her drohte der alte Taucherfeind Wind und zeigte die weißen Köpfe seiner näher und näher springenden Wellenkatzen. Dennoch arbeiteten die Locomobilen fleißig zum Auspumpen der Ballons. Gegen 9 Uhr trat das Hintertheil des „Ludwig“ immer mehr hervor, und bald begann auch das Vordertheil zu steigen. Um ½10 Uhr stand zum ersten Male das Deck des Hintertheils so hoch, daß Obertaucher A. Schrof als der Erste den Ludwig betrat und zwischen den Trümmern des Steuerrades und seiner zerstörten Umgebung herumging. Die ungeschickte Heberei des Hochholzer, der bekanntlich nach Bauer’s ersten Hebearbeiten im Jahre 1861 den „Ludwig“ mit mechanischen Mitteln herausholen wollte, zeigte nun ihre traurigen Früchte. Alles Hervorragende am „Ludwig“, das seine Haken und Schlingen (die er nicht durch Taucher hatte befestigen lassen, sondern mit denen er blindlings von oben am gesunkenen Schiffe herumfischte, um feste Haltpunkte zu finden) erreicht hatten, war abgebrochen, abgerissen und starrte in Fetzen, Splittern und Stücken hervor: für die Taucher die schlimmste Gefahr und eine außerordentliche Erschwerung der Taucherarbeit.
Das erste Möbel, welches Schroff in die Hand fiel, war ein Fußschemelchen neben den Trümmern der Bank rechts vom Steuerrad. Der Ludwig stieg immer mehr. Die Radkasten treten hervor, die Glocke wird sichtbar. Es ist ¾10 Uhr – und im Westen rückt der lange schwarze Strich vom Untersee her, der die höheren Wellen bezeichnet, näher und näher.
Da faßt Bauer den Entschluß, den „Ludwig“ noch heute vor den Zufällen eines abermaligen Wellenspiels zu sichern. Abfahrt zum Hafen! geht’s von Schiff zu Schiff. Die badische Flagge wird am Delphin aufgehißt. Sie bedeutet für die in Rorschach wohnende Gattin Bauer’s das Zeichen, einen würtembergischen Dampfer von Friedrichshafen telegraphisch zum „Ludwig“ herbeizurufen. Zugleich kommt Bauer’s Kanone, aus Eisen vom dänischen Christian VIII. gegossen, auf das Deck und verkündet der Schweizerküste die Hebung und Abfahrt des „Ludwig“. Alles voll Leben und Thätigkeit, die Luftschläuche wandern von Ballon zu Ballon, von Kameel zu Kameel, um jede Tragkraft auf ihre Höhe zu bringen.
Gegen 2 Uhr näherte sich die Rauchsäule des „Wilhelm“ und um ½3 Uhr fuhr er am „Ludwig“ vor. Während Bauer an Bord desselben stieg, arbeiteten fortwährend alle vier Pumpen (die beiden „Bremen“, „Nürnberg“ und „Stettin“) am Auf- und Nachpumpen der Ballons und Kameele. Mit einem Male brauste es auf zwischen den Arbeitsschiffen, und da stand der Ludwig mit beiden Radkästen vollkommen gleich 3 Fuß über dem Wasser, sodaß die Fenster desselben ganz frei waren und den Einblick in das Innere gestatteten. Aus der Küche langte Taucher A. Schroff eine Flasche Cognac heraus, welche sofort von Mund zu Mund wanderte; in der Küche stand von dem Geschirr noch Vieles in hübscher Ordnung. Weiter gingen die Forscherblicke vor der Hand noch nicht. Allmählich kam das Geländer zu beiden Seiten der Radkasten zum Vorschein. Auch der Stern trat wieder in’s Freie.
Während Bauer mit dem Dampfer „Wilhelm“ den Bogen nach dem Rheinhorn und Staad zu bis zum kleinen Hafen von Rorschach, als den für den „Ludwig“ bestimmten Lauf, befuhr, hatte der Telegraph die Kunde von Dem, was da geschehen sollte, so rasch in die Schweiz getragen, daß der nächste Bahnzug ganze Heerhaufen herbeizog, die nun den heranbrausenden Dampfer „Friedrichshafen“ Kopf an Kopf anfüllten; zugleich mehrten sich die vom Schweizerufer herbeieilenden Gruppen von Gondeln und Booten. Endlich kam Bauer zurück, um die letzten Hebearbeiten anzuordnen und den Transport vorzubereiten. Nachdem die Arbeitsschiffe sich ankerfrei gemacht, setzte sich 5 Minuten nach 5 Uhr der ganze Zug in Bewegung; voraus der Dampfer „Wilhelm“, dahinter an ihren drei Tauen die beiden Arbeitsschiffe Delphin und Trabant mit dem „Ludwig“ in der Mitte wie in Reih’ und Glied; rechts zwischen dem „Wilhelm“ und dem „Ludwig“ – Wilhelm Bauer in einer Gondel, um den Lauf der Schlepptaue zu beaufsichtigen und den der Schiffe zu dirigiren; hinter dem Ludwig, an ihn befestigt, zwei mächtige Kameele, auf dem einen derselben Taucher Franz Schroff stehend, dahinter ein großes Boot der Arbeiter am „Ludwig“ und ein ganzes Geschwader von Kähnen und Gondeln. Rechts und links immer mehr heranziehende Fahrzeuge.
Die nothwendigen einzelnen Commandorufe waren für einige Minuten plötzlich die einzigen menschlichen Stimmen, die in dem stattlichen Geschwader laut wurden, einen so ernsten Eindruck übte der fest und stät dahin wallende Zug aus – für die armen Unglücklichen im Schooße des „Ludwig“ der großartigste Leichenzug. Aber neue Eindrücke verwischen die Stimmung der Trauer und heben das allgemeine Gefühl noch höher. Der Dampfer „Leopold“ kommt heran, grüßt mit der Flagge und mit drei Schüssen und schließt sich dem Zuge an, um dem wiedererstandenen alten Bruder „Ludwig“ das Ehrengeleite in’s Leben zurück zu geben. Herrlich, ohne Anstoß, ohne die geringste Störung, zieht die Flotille in weitem Bogen, dem Ufer von Staad sich nähernd, dahin, die beiden Arbeitsschiffe ununterbrochen thätig, matter werdende Ballons aufzupumpen. Um ¾7 stößt der „Ludwig“ auf Grund, kurzer Aufenthalt, Aufpumpen der Kameele und untersten Ballons, und flott ist er wieder, und wieder geht es, und zwar in weitem Bogen, in den tieferen See zurück, prachtvoll und feierlich dahin. Ein baierischer Dampfer fährt nach Lindau vorüber, aber diesmal fehlt ihm die Flagge nicht. Um 7 Uhr beginnt der Kanonendonner vom Ufer her und erstreckt sich immer weiter von Berg zu Berg. Der „Wilhelm“ donnert seinen Gruß entgegen, die Böller des „Leopold“ und einzelner Boote folgen nach, alle Flaggen gehen grüßend und festlich auf und nieder. Da wird auch der „Ludwig“ lebendig, die Taucher Hoch und Aug. Schroff in ihrem Tauchanzug erscheinen auf demselben, und während Hoch die deutsche Fahne schwingt und auf dem rechten Radkasten des „Ludwig“ aufpflanzt, läßt Aug. Schroff zum ersten Male nach zwei Jahren vier Monaten die wohltönende feierliche Stimme des Erstandenen, die Schiffsglocke des Ludwig, erschallen. Da will das Hoch kein Ende nehmen, und Vielen stehen dazu die Thränen in den Augen. Mitten in diesen Jubel donnert der Gruß des würtembergischen Dampfschiffs „Königin“ darein, das sich ebenfalls dem Triumphzug einer deutschen Erfindung anschließt. Und wieder vorwärts geht es, jetzt mit vollem Vertrauen auf die Tüchtigkeit der Hebeapparate und mit voller Siegesgewißheit nicht mehr ängstlich und besorgt das sichere Ufer entlang, sondern kühn gerade aus über Abgründe von 180 und 240 Fuß Seetiefe dahin. Immer näher braust das Hoch der Volksmenge am Ufer, an welchem endlich bei anbrechender Dämmerung die stolze Flotille hält und der „Ludwig“ zwischen seinen getreuen Begleitern an’s Land stößt.
Das war der Triumphzug des „Ludwig“, der Triumphzug Bauer’s und seiner Erfindung. Sie ist erprobt, sie hat ihre beiden schwersten Aufgaben gelöst: ein Schiff, das fast dritthalb Jahre im See gelegen, ist aus einer Tiefe von fast 80 Fuß zur Oberfläche emporgehoben, und, auf der Höhe fest erhalten, hat es eine fast dritthalbstündige Fahrt bestanden. Hätte das Ufer um Rorschach herum einen Hafen mit einer Schiffswerfte, so würde das gehobene und transportirte Schiff auch sofort geborgen sein. Das Schweizerufer bietet diesen Schutz und diese Hülfe nicht, und eben darum muß Bauer das Schiff noch bis über die Kajütenfenster emporheben, den Leck verstopfen, den Schiffsraum durch Auspumpen von seiner Wasserlast befreien und damit das Fahrzeug wieder flott machen.
Eine genaue Beschreibung des „Ludwig“, seines äußeren und inneren Zustandes, soll die getreue Abbildung desselben begleiten.