Vom unzufriedenen Wolf
Es war einmal ein Wolf, der schlief in seiner Höhle und hatte einen recht angenehmen Traum. Es träumte ihm nämlich, er werde heute eine sehr gute Mahlzeit halten und als er erwachte, freute er sich schon auf das, was er nun finden werde. Er verließ daher seine Höhle und es dauerte nicht lange, so fand er einen grossen Laib Brot. Er sah ihn an, drehte ihn mit der Pfote um und roch daran. Obwohl er das Brot recht gut fand, ließ er es dennoch liegen und gieng davon; denn er dachte etwas besseres zu finden, weil ihm von einer guten Mahlzeit geträumt hatte. Nach einer Weile fand er einen grossen Laib Käs. Das ist besser, meinte er und machte es mit ihm, wie mit dem Brot. Er hoffte aber noch etwas besseres zu bekommen und wanderte wieder weiter. Diesmal dauerte es bereits ein wenig länger, ehe er etwas finden konnte und zudem bekam er Hunger. Endlich fand er einen grossen schönen Schinken. Schon freute er sich darüber und machte es mit ihm, wie mit dem Brot und dem Käs. Weil er jedoch immer wieder etwas besseres gefunden hatte, ließ er auch den Schinken liegen und ging abermals weiter. Darauf wanderte er lange Zeit fort, suchte kreuz und quer, konnte aber nichts mehr finden und der Hunger quälte ihn schon sehr. Daher entschloß er sich umzukehren, um wenigstens den Schinken zu fressen. Als er jedoch an die Stelle kam, wo der Schinken gelegen hatte, war von diesem nichts mehr zu sehen. Da meinte er: ist doch der Käs auch gut und wanderte noch weiter zurück. Allein auch der Käs war verschwunden und ebenso gieng es ihm mit dem Brot. Er hoffte aber noch immer, sein Traum werde in Erfüllung gehen und schlug einen anderen Weg ein.
Nach einiger Zeit kam er auf eine Wiese, wo zwei Ziegenböcke lustig herumsprangen. Diese gewahrten den Wolf jedoch erst, als er schon ganz in ihrer Nähe war und zu ihnen sagte: einer von ihnen müsse sich fressen lassen, denn ihn plage der Hunger und ihm habe geträumt, daß er heute eine gute Mahlzeit bekommen werde. Die Ziegenböcke aber suchten sich durch eine List zu retten und sagten zum Wolf: sie wären gerne bereit dieses Opfer zu bringen, wenn er vorher einen Streit zwischen ihnen schlichten wolle. Ihr Vater habe ihnen nämlich diese Wiese zu ganz gleichen Theilen vermacht und sie könnten bei der Theilung nicht einig werden. Er solle sich daher in die Mitte der [413] Wiese stellen und sie würden dann, jeder von einem anderen Ende derselben, zu gleicher Zeit auf ihn loslaufen. Hernach möge demjenigen, der zuerst bei ihm ankomme, der bessere Theil der Wiese gehören und den später ankommenden könne er fressen. Der Wolf war damit einverstanden und glaubte seine Mahlzeit sei gesichert. Die Ziegenböcke gingen hierauf auf ihre Plätze und rannten dann in mächtigen Sprüngen auf den Wolf los. Sie kamen jedoch zugleich bei ihm an und stiessen von beiden Seiten so heftig auf ihn ein, daß er vor Schmerz laut heulte und sie bat, sie möchten nur aufhören zu stossen, er wolle ihnen gerne das Leben schenken. Die Ziegenböcke hörten wohl auf zu stossen, aber bis sich der Wolf wieder erholte waren sie längst verschwunden.
Nun bereute der Wolf seine Ungenügsamkeit und zog von Hunger gequält wieder weiter. Nachdem er einige Zeit gewandert war, sah er eine Stute mit einem Füllen auf der Weide. Da dachte er, jetzt bekomme ich endlich doch eine gute Mahlzeit, gieng sogleich auf die Stute los, erzählte ihr seinen Traum und sagte zugleich, daß sie ihm das Füllen zum Fressen überlassen müsse. Die Stute sagte darauf, er könne das Füllen haben, allein sie mache die Bedingung, daß er ihr früher aus dem Hinterfusse einen Dorn herausziehe, den sie sich eingetreten habe, als sie über einen Zaun gesprungen sei. Als jedoch der Wolf den Fuß der Stute untersuchen wollte, schlug diese mit beiden Hinterfüssen so stark gegen ihn aus, daß er ein gutes Stück weg flog und ganz betäubt liegen blieb. Die Stute aber sprang mit dem Füllen eiligst davon.
Nachdem der Wolf wieder zur Besinnung gekommen war, schleppte er sich nur langsam weiter und kam so zu einer Mühle, bei der er eine Sau mit zwölf Jungen bemerkte. Er gieng ganz traurig zu ihr hin, erzählte auch ihr seinen Traum und bat sie nur um ein Ferkel, um seinen Hunger zu stillen. Die Sau sagte, er könne eines von ihren Jungen haben, nur müsse er ihr dieselben zuvor baden helfen, sie seien dann besser zum fressen. Dem Wolf war dies recht und er stellte sich hiezu auf die Wasserrinne des Mühlbachs. Statt ihm aber nun ein Ferkel zu reichen, gab ihm die Sau einen Stoß und er fiel in die Rinne. Da riß ihn das Wasser fort über das Mühlrad hinunter und er hatte Mühe, daß er nicht ertrank.
Darauf gieng er ganz matt den Bach entlang und traf da einen Mann beim Fischen. Den bat er nur um ein Fischl, weil er so Hunger habe. Der Mann aber sagte, er solle ihm zuerst beim Fischfangen helfen. Da stieg der Wolf in das Wasser, wo ihm der Mann einen [414] Weidenkorb an den Schwanz band; den mußte der Wolf weiterziehen und der Mann gab dann statt Fische so viele Steine in den Korb, daß der Wolf nicht mehr weiter konnte. Da rief der Mann mehrere Bauern, die in der Nähe waren, herbei und diese schlugen den Wolf, bis er liegen blieb.
Als sich der Wolf wieder etwas erholt hatte und nur mühsam fortschleppte, sah er auf einem Holzäpfelbaum einen Mann, der die sauern Holzäpfel abnahm. Zu diesem gieng er hin und bat ihn recht inständig, er möge ihm nur einen Apfel geben, weil er sonst verhungern müsse und dabei hob er die Vorderpfoten bittend in die Höhe. Der Mann aber glaubte, der Wolf wolle zu ihm auf den Baum steigen und wohl gar ihn selbst fressen; daher warf er die Hacke, welche er bei sich hatte, nach dem Wolf und traf ihn damit auf den Kopf und der Wolf war todt. –
Dieses Märchen verdanke ich einer Mittheilung des 71jährigen, aus Oberplan im Böhmerwalde gebürtigen Hrn. J. Pranghofer (d. Z. Verwalter in St. Martin bei Linz), welcher es in der Jugendzeit von seiner Großmutter erzählen hörte. Das Märchen hat übrigens Ähnlichkeit mit: ‘Der Traum des Wolfes’ in J. W. Wolf’s ‘Deut. Hausmärchen’ S. 419, ist aber viel reichhaltiger und wohl auch älter. Zu vgl. sind auch die Abenteuer des Wolfes im ‘Reinardus vulpes’ und ‘Reinecke Vos’.
STOCKERAU in Niederösterreich im Mai 1879. | C. M. BLAAS. |