Vom Pfluge in die Akademie
In einem Sonntage des Monats Juli 1870, wenige Tage früher, ehe der Aufruhr des Krieges gegen Frankreich durch die Gauen des Rheines und das ganze deutsche Vaterland brauste, versammelte sich in Düsseldorf zu einer Leichenfeier eine Menschenmenge, wie man sie in dieser Kunst- und Musenstadt bei gleicher Veranlassung nie zuvor gesehen hatte. Männer, Frauen und Kinder aus allen Ständen, die ganze Künstlerschaft, um ihr Vereinsbanner geschaart, hatten sich vereinigt, um einem theuren Abgeschiedenen das Ehrengeleit auf seinem letzten Wege zu geben. Den man so gefeiert dahintrug, war der geniale Historienmaler Theodor Mintrop, ein Mann und Künstler in des Wortes vollster Bedeutung, der es, wenn ihm auch Fürsten und Könige die äußeren Zeichen der Anerkennung versagt hatten, doch erreicht hatte, daß man seinem blumen- und blüthengeschmückten Sarge die Palme der Lilie, die Sinnbilder des Ruhmes und der Reinheit, beide mit gleichem Rechte vorantragen durfte.
Wie so Vielen, die nach der Hand im Reiche der Kunst oder der Poesie die vollsten und reichsten Kränze des Ruhmes erringen sollten, stand auch die Wiege Mintrop’s an bescheidener, fast niedriger Stätte. Auf einem einsam gelegenen Bauernhofe in der preußischen Provinz Westphalen war der nachmals so gefeierte Künstler im Jahre des ersten Pariser Friedens geboren. Dieser Hof liegt an der linken Uferseite der Ruhr, in der Nähe der alten Abteistadt Werden, inmitten von Feld und Wald, mit einer unendlichen Fernsicht in den reichsten Garten der Natur. Dort sieht man die Schiffe zum alten Vater Rhein ziehen, da rauschen die Mühlen in den stillen Schluchten der schroffen Berge, in den Schooß der Erde steigt der Bergmann, um das schwarze Gold der Steinkohlen dem mächtigen Schacht zu entheben, und auf diesem Fleckchen Erde vermischten sich Märchen und Sagen, bald schauerlicher, bald lieblicher Art, mit den Träumen des sanften Knaben. Der Vater Mintrop’s war ein strenger Charakter, seine Mutter eine einfache Frau, voll tiefen Gefühls, – fünfzehn schöne Menschenblumen erblühten an ihrer Brust, von denen der Tod jedoch die meisten frühzeitig wieder knickte. Theodor war der drittgeborene Sohn, und wohl schon bei der Geburt wurde er von den Genien der Kunst zu dem geweiht, wodurch er sich auszeichnen sollte. Schon in der Schule trat sein ungemeines Zeichentalent hervor und der Lehrer, der dieses anfangs unterstützte, mußte das Streben des Knaben bald dämpfen, damit er nicht ganz in der einen Neigung aufging. Schon aber schien dieser fast ganz in der Gewalt der Kunst, denn aus den Zahlen und Buchstaben, die er schrieb, bildeten sich ihm Gestalten, die sich nicht bannen ließen, bis sie gezeichnet waren. Zu Hause machte er seine Versuche an Wänden und Thüren mit Kreide, Röthel oder Kohle, doch alle seine Zeichnungen waren weit über den Begriff der Kindheit hinaus. In großen Zügen stellte er plastische Gruppen aus dem Landleben dar, für das er ja selbst bestimmt war, z. B. das Aufladen von Holz oder Frucht, das Fällen von Bäumen, Tragen von Lasten und dergleichen.
Zeitig der Schule entlassen, mußte er alsbald kräftig Hand anlegen, um die Arbeiten des Bauernstandes zu erlernen. So sehen wir ihn an der Pflugschar, die Sense, den Dreschflegel mit kräftigen Armen führen, wobei ihn aber immer die Musen unsichtbar umschweben und sein Inneres mit dem Thau des Ewigen nähren, denn in den Augenblicken der Ruhe ist ihm nichts heiliger als ein Verkehr mit den Gestalten seiner Phantasie.
[197]
[198] Im Jahre 1834 folgte er der allgemeinen Conscription und wurde hierdurch in ein westphälisches Infanterie-Regiment eingereiht, das in Köln und Münster Garnison hatte. Dieses Ablösen von seiner heimischen Scholle war für den schüchternen Landmann von unberechenbarem Vortheil, denn es erschloß sich ihm die Welt; er lernte die Menschen, lernte unsere großen Dichter kennen, und zum ersten Male schaute er voll Entzücken in das Allerheiligste der Kunst, wodurch nun seine Seele erst recht befruchtet werden sollte.
Mit mächtigen Eindrücken, ein ganz neuer Mensch, kehrte er nach seiner Dienstzeit auf den stillen Hof, in die liebe Heimath zurück. Sein Vater hatte inzwischen das Gut mit allen Sorgen und Arbeiten dem ältesten Sohne übertragen, und unserm jungen Freunde blieb nur die Wahl, entweder bei seinem Bruder in Dienst zu treten, oder sich sonst wo in Dienst zu verdingen. In seiner Heimath gilt nämlich noch das Recht der Erstgeburt, das dem ältesten männlichen Sprossen des Stammes den Besitz der sämmtlichen Liegenschaften nach dem Abgange des Vaters zuerkennt, während die anderen Kinder ihren Lebensweg nach Gefallen suchen, nicht selten gehemmt von der Fessel, die durch das alte Erbgesetz an Geist und Körper haftet.
Mintrop blieb als Knecht bei seinem Bruder, denn er liebte den Boden, auf dem er geboren, zu sehr, und wollte das Glück einer Heimath gern mit dem rinnenden Schweiße des Angesichts verdienen. Und redlich schaffte er in dem Tagewerke, das ihm in immer schwerer Weise jeder neue Morgen brachte. Aber dazwischen gab es freie Sonntage, stille Abende, und da trat die Muse leichtgeschürzt in sein Kämmerlein und schaute ihn mit großen Augen freundlich an. Bald hieß er im Umkreise seiner Heimath nur „der Maler“, denn staunenerregend war hier und da, ohne daß es sein Wille gewesen, ein Bild von ihm in Kreide oder Wasserfarben zur Kenntniß des Landvolks gelangt und manche schmucke Maid sah ihn noch freundlicher an, als seine Muse.
Am glücklichsten waren aber durch ihn die Mitbewohner des Hofes, wenn er ihnen an den langen Winterabenden Gedichte von Goethe und Schiller vortrug, oder aus des großen Briten Werken: Hamlet, Macbeth und König Lear Vorlesungen hielt. Da stockte den Mädchen am Spinnrad der Athem, den Männern ging der Brand der Pfeife aus, denn bei seinem Leben nahmen die Gestalten des Dichters Fleisch und Bein an, die Jeder deutlich zu sehen vermeinte.
So gingen Jahre vorüber. Was die Sehnsucht nach dem vollen ganzen Künstlerleben im Stillen an dem geweihten Menschenkinde verzehrte, das ersetzte freilich die kräftigende ländliche Beschäftigung und die heilsam wirkende Natur. Aber doch war er auf dem Wege mit sich selbst zu zerfallen, denn er war schon ein „alter Knecht“ geworden, Vater und Mutter waren heimgegangen zu ihren Vätern, die Hoffnung, ein Künstler zu werden, war längst in einem Aschenhäuschen zusammengebrannt und das Gefühl der Besitzlosigkeit und Abhängigkeit hing trauerschwer und düster vor der Zukunft. Doch gerade in diese seine trübe Stimmung fiel für ihn das Sonnenlächeln des Glücks und die endliche Erlösung.
Es war im October des Jahres 1844. Der Himmel goß seinen ganzen Glanz auf das Sterbekleid der Natur. Die Wandervögel zogen von dannen und unser Freund war mit seinen blanken Pferden und der Pflugschar auf dem Acker, um diesen umzustürzen. Seine Seele war von Wehmuth voll, er sah den abziehenden Wanderschwärmen im blauen Aether seufzend nach und gewahrte nicht, was sonst um ihn sich bewegte. Da trat ein Fremder zu ihm heran, mit dem er bald im tiefen Gespräch war. Dieser, sein nachmaliger unzertrennlicher Gefährte und Freund, der Genremaler Eduard Geselschap, hatte bei einem Ausfluge nach der Ruhr von dem seltenen Genie gehört und wollte sich überzeugen, wie weit der Volksmund die Wunder übertrieb, die man an Mintrop gepriesen hatte. Wie staunte er aber, als er nun die ohne jegliche Hülfe, aus dem freien Zuge des Geistes entstandenen, in der That großartigen Blätter des schlichten Landmanns sah! Es war genug für den Kenner, um den durch sein Lob beglückten, bescheidenen Autor dringend aufzufordern, den Pflug zu verlassen und für immer ein Jünger der Kunst zu werden. Bei Mintrop war kein Kampf mehr nöthig, er war sogleich entschlossen.
Geselschap eilte mit dem Schatze von Zeichnungen nach Düsseldorf, gewann für sie sogleich den Director der Akademie, Wilhelm v. Schadow, und einige Wochen später zog der glückliche Bauer als Schüler in die Räume der Malerschule, auf den Kampfplatz des geistigen Lebens, wo er so Viele besiegt. – Die schon verlebten dreißig Jahre fühlte er nicht; es genirte ihn auch nicht im mindesten, daß er als Mann zwischen Schülern saß, die eben dem Knabenalter entwachsen waren. Sein angestrengter Fleiß ließ jene auch bald weit hinter sich zurück, denn schon nach ein paar Jahren bezog er sein eigenes Atelier, und nun hätte er wohl mit keinem König getauscht.
Sein erstes Bild war eine Madonna mit Christus und Johannes, jetzt Eigenthum der städtischen Galerie in Düsseldorf. Das zweite Werk, „Engelständchen“, eine Kreidezeichnung, wurde durch Kupferstich vervielfältigt und ist genugsam bekannt durch die hohe Reinheit und Poesie seines Gedankens. Dann folgte wiederum eine Madonna, bestimmt als Altarbild für die Pfarrkirche seiner Heimath. Die Aufstellung dieses Bildes gestaltete sich zu einem wahren Feste für die ganze Umgegend seiner Geburtsstätte, für den tieffühlenden Künstler zu einer herzverzehrenden Trauer, daß seine Eltern diesen seinen Sieg nicht erlebt hatten.
Von zwei Madonnen und der Engelschaar also in die Kunst eingeführt, entstanden hierauf in reicher Folge die lieblichsten und großartigsten Compositionen, die den Namen Mintrop für alle Zeiten verklären und deren Zahl zu groß ist, als daß wir hier auch nur Einzelnes hervorheben könnten.
Erwähnen wollen wir an dieser Stelle nur ein noch ungedrucktes Märchen „König Heinzelmann“ in einigen sechszig Blättern, worin der Künstler sich selbst und einen Abschnitt seines Lebens darstellte, und welche einzig in ihrer Art durchdacht sind. Dieses Märchen ist im Besitze des Xylographen R. Brendamour und wartet noch auf den verständnißvollen Verleger, dem das Licht der wahren Kunst aufgegangen ist. Den Anfang dieses Märchens bildet das auch die Spitze der vorstehenden Zeilen schmückende Initial von der Hand Mintrop’s. Bis auf den kleinsten Strich des Künstlers wiedergegeben, trägt es, wie alle seine Schöpfungen, den Stempel höchster Genialität. – Die Darstellung erklärt sich, wie es ja jedes wahre Kunstwerk thun soll, von selbst. Sie ist eine Hindeutung auf den Kampf zwischen Romantik oder Poesie und Industrie, den der Inhalt des besagten Werkes in Bild und Wort schildert. – Wir sehen hier die Industrie, die herrschende Göttin der Gegenwart, triumphirend durch das Land ziehen. Ihr Thron ist der rollende Schienenwagen. Der alte Gott Mercur hat sich ihr untergeordnet, er schwebt dienstbar mit und über der siegreichen Fürstin. Ihr Haupt trägt seinen beflügelten Hut, die linke Hand seinen Stab; in der rechten schwingt sie den Beutel mit Gold. – Rasend stürmt das feuerfüßige Ungethüm vor dem langnachziehenden Wagenzuge daher, dunklen Qualm und siedende Wasserströme zugleich dem Rachen entsendend. – Aber bei dem Stöhnen des Dampfdrachen, dem Rollen der Wagen und dem jubilirenden Hochrufe der Industrie sinken die Elfen, die im Mondschein ihren Reigen tanzten, eilig in die stillen Fluthen des Weihers, Erlkönig schleicht mit dem todten Körperchen des Knaben ängstlich davon, die guten Zwerge schlüpfen erschreckt in ihre Verstecke, und nun für immer sind wohl die stillen Gründe der Wälder und Felder leer von den Gestalten der verscheuchten deutschen Poesie.
Unerschöpflich war Mintrop’s Phantasie, unergründlich sein Wesen im Guten und Erhabenen, im stillen Wohlthun und zarten Freudespenden; unerschöpflich schien auch seine physische Kraft. Dem war aber leider nicht so! Tückisch überfiel ihn gerade in der Zeit, als er im besten Schaffen war und seine Zukunft sich lichtete und sorgenfreier zeigte, ein Feind, dessen Kraft keines Sterblichen Macht gewachsen ist und welchem er für immer unterlag, nachdem er sechsundzwanzig Jahre im Allerheiligsten der Kunst, ein treuer und reiner Jünger, geschafft hatte.
Der große Krieg gegen Frankreich verschlang mit so viel anderem Weh auch den Schmerz um den Verlorenen; als aber jenes übermüthige Volk geschlagen war, da suchte man seine lieben Erinnerungen wieder vor, und Männer wie Bendemann, Knaus und Scheuren traten mit Anderen zu einem Comité zusammen, um dem Geschiedenen ein Denkmal zu errichten, das den zukünftigen Geschlechtern von seinem Grabe aus von dem [199] genialen Künstler und edlen Menschen Kunde bringen sollte. Die Beiträge wurden bei Freunden und Verehrern gesammelt und die Angelegenheit so eifrig betrieben, daß nach wenig Monden das gesteckte Ziel in seinem ganzen Umfange erreicht war. Denn schon im Spätherbst vorigen Jahres wurde das Ehrendenkmal, bestehend aus der Bronzebüste des Verewigten, nach einem getreuen Modell des Bildhauers Julius Bayerle, einem dunkeln, feingezeichneten Granit-Piedestal und einem Geländer von getriebenem Eisen, ganz wie die beigegebene Zeichnung dasselbe zeigt, unter einer poetischen Festfeier enthüllt.
Man hatte zu dieser Feier einen Sonntag gewählt, um auch dem Volke, dessen eigenstes Kind Mintrop ja gewesen, sein Bild im Glanze zu zeigen, und es war nicht müßige Neugier, was die Stadt fast entvölkerte und so viele Tausende zu einer Wallfahrt nach dem Friedhofe veranlaßte.
Die Feier war eine für Viele vielleicht zu kurze, aber von einer ergreifenden Wirkung, und manches schöne Frauenauge konnte der Erinnerung an den edlen Todten den Tribut der Thräne nicht versagen.
Zum Festredner war Emil Rittershaus aus Barmen ersehen, der, ein persönlicher Freund des Verstorbenen, die Bedeutung und das Andenken desselben, nachdem die Hülle des Denksteins gefallen war, in folgenden vortrefflichen Versen pries:
Noch hatte nicht der Sommer welk und bleich
Geküßt der Rosen frühlingsfrischen Mund,
Da ward gebettet in der Erde Grund
Ein Künstlerhaupt gefällt vom Todesstreich
Nach mancher schweren, trüben Leidensstund’.
Nicht fehlten Blumenkranz und Lorbeersprossen,
Der Freunde Thränen nicht dem Heiligthume
Des Sargs, doch unter donnernden Geschossen
Verklang das Todtenlied, und blutbegossen
Stieg himmelan der deutschen Ehre Blume. –
Noch einmal tönt der Grabgesänge Schall;
Die Schaar der Freunde steht herum im Ring,
Daß sie ein Dankeszeichen Jenem bring’,
Der mit dem letzten Lied der Nachtigall,
Dem letzten Lenzeslächeln schlafen ging.
Die alten Wunden schmerzen nun auf’s Neue.
Wer wäre hier, der nicht den Gram empfände! –
O, seht sein Bild! Das ist die Stirn, die freie,
Die stolze Stirn, darauf zu hoher Weihe
Der Genius gelegt die Segenshände!
Der Schönheit folgt ein großer Jüngerzug;
Klein ist die Schaar, die ihre Gunst gewinnt,
Wie man auch schlau um sie zu werben sinnt!
Sie suchte ihn, als er noch mit dem Pflug
Die Scholle brach, des Volkes schlichtes Kind.
Er blieb ihr treu in keuschem, reinem Minnen,
Und heilig hielt er ihre Gottesgaben.
Sein Geist, er rang das Höchste zu gewinnen;
Sein Herz war golden, ohne Falsch sein Sinnen! –
O Gott – und das ist Alles hier begraben!
Nein, Alles nicht! Wohl brennt des Kummers Qual,
Doch fort die Zähre aus dem Angesicht!
Die Klage ziemt bei jenen Todten nicht,
Auf die der Ruhmessonne voller Strahl
Verklärend wirft das helle, ew’ge Licht!
Staub wird der Leib und selbst das Erz, es läßt es
Die Zeit nicht spurlos beim Vorüberschreiten;
Das Moos, die Fasern in die Inschrift preßt es,
Allein des Künstlers Edelstes und Bestes,
Das tragen Engel bis in ferne Zeiten!
Getrost! Was er gedichtet mit dem Stift,
Ureigen war’s, nicht von dem Fleiß errafft
Aus fremdem Schatz! Das ist die Meisterschaft,
Der Zauber, der die Seelen zündend trifft
Und in sich trägt des ew’gen Gebens Kraft! –
Dem Himmel Dank, daß diesem Künstlerkreise
Daß deutscher Kunst ein solcher Mann beschieden! –
Ihm zum Gedächtniß, Gott Zu Ehr’ und Preise
Stimmt an, ihr Chöre, nun des Sanges Weisen! –
Schlaf’, theurer Freund, in Deiner Gruft in Frieden.