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Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen/T1A3 Einleitung

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Vorrede Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen – Erster Theil (1759) von Carl Philipp Emanuel Bach
Einleitung
Erstes Hauptstück. Von der Finger-Setzung


[1]
Einleitung.


 §. 1.  Zur wahren Art das Clavier zu spielen, gehören hauptsächlich drey Stücke, welche so genau mit einander verbunden sind, daß eines ohne das andere weder seyn kan, noch darf; nehmlich die rechte Finger-Setzung, die guten Manieren, und der gute Vortrag.

 §. 2.  Da diese Stücke nicht allzu bekant sind, und folglich so oft dawider gefehlet worden: so hat man mehrentheils Clavier-Spieler gehöret, welche nach einer abscheulichen Mühe endlich gelernet haben, verständigen Zuhörern, das Clavier durch ihr Spielen eckelhaft zu machen. Man hat in ihrem Spielen das runde, deutliche und natürliche vermißt; hingegen, an statt dessen lauter Gehacke, Poltern und Stolpern angetroffen. Indem alle andere Instrumente haben singen gelernet; so ist bloß das Clavier hierinnen zurück geblieben, und hat, an statt weniger unterhaltenen Noten, mit vielen bunten Figuren sich abgeben müssen, dergestalt [2] daß man schon angefangen hat zu glauben, es würde einem angst, wenn man etwas langsames oder sangbares auf dem Clavier spielen soll; man könne weder einen Ton an den andern ziehen, noch einen Ton von dem andern durch einen Stoß absondern; man müsse dieses Instrument bloß als ein nöthiges Uebel zur Begleitung dulden. So ungegründet und widersprechend diese Beschuldigungen sind, so gewisse Zeichen sind sie doch der schlechten Art, das Clavier zu spielen. Ich weiß nicht, da man solchergestalt das Clavier für unsre heutige Music so gar ungeschickt hält, und mancher dadurch abgeschreckt werden kan, solches zu erlernen, ob nicht selbst die Wissenschaft, welche schon jetzo ziemlich rar zu werden anfängt, nicht noch mehr fallen werde, indem sie gröstentheils durch grosse Clavier-Spieler auf uns gebracht worden ist.

 §. 3.  Ausser den Fehlern wider oben angeführte drey Punckte, hat man den Scholaren eine falsche Haltung der Hände gewiesen, wenigstens hat man ihnen solche nicht abgewöhnt; dadurch ist ihnen folgends alle Möglichkeit abgeschnitten worden, etwas Gutes heraus zu bringen, und man hat von den steifen und am Drath gezogenen Fingern schon auf das übrige schliessen können.

 §. 4.  Jeder Lehr-Meister bey nahe, dringt seinen Schülern seine eigene Arbeiten auf, indem es heute zu Tage eine Schande zu seyn scheint, nichts selber setzen zu können. Dahero werden den Lehrlingen, andere gute Clavier-Sachen, woraus sie was lernen könten, unter dem Vorwande, als ob sie zu alt oder zu schwer wären, vorenthalten. Besonders ist man durch ein übles Vorurtheil wider die frantzösischen Clavier-Sachen eingenommen, welche doch allezeit eine gute Schule für Clavier-Spieler gewesen sind, indem diese Nation durch eine zusammenhängende und propre Spiel Art sich besonders vor andern unterschieden hat. Alle nöthige Manieren sind ausdrücklich dabey gesetzt, die linke Hand ist nicht geschont und an Bindungen fehlet es nicht. Diese aber [3] tragen zur Erlernung des wohl zusammenhängenden Vortrages das Hauptsächlichste bey. Der Lehr-Meister kan oft selbst nicht mehr als sein Machwerk spielen; seine verwöhnte und ungeschickte Maschine theilt seinen Gedancken das Steife mit; er kan nichts anders setzen, als was er bezwingen kan; mancher wird für einen guten Clavier-Spieler gehalten, ohngeacht er kaum weiß, wie die Bindungen gespielt werden müssen; folglich sehen wir daher eine grosse Menge elender Arbeiten für das Clavier und verdorbener Schüler entstehen.

 §. 5.  Man martert im Anfange die Scholaren mit abgeschmackten Murkys und andern Gassen-Hauern, wobey die lincke Hand bloß zum Poltern gebraucht, und dadurch zu ihrem wahren Gebrauche auf immer untüchtig gemachet wird, ohngeacht sie vorzüglich auf eine vernünftige Art solte geübt werden, indem es um so viel schwerer hält, daß sie mit der rechten, eine gleiche Geschicklichkeit erlangen kan, je mehr diese bey allen übrigen Handlungen ihre Dienste thun muß.

 §. 6.  Fängt endlich der Schüler durch Anhörung guter Musiken an, einen etwas feinern Geschmack zu kriegen, so eckelt ihm vor seinen vorgeschriebenen Stücken, er glaubt alle Clavier-Sachen sind von derselben Art, folglich nimmt er seine Zuflucht besonders zu Singe-Arien, welche, wenn sie gut gesetzt sind, und die Gelegenheit da ist, solche von guten Meistern singen zu hören, zu Bildung eines guten Geschmacks und zur Uebung des guten Vortrags geschickt sind, aber nicht zu Formirung der Finger.

 §. 7.  Der Lehrmeister muß diesen Arien Gewalt thun und sie auf das Clavier setzen. Ausser andern daraus entstehenden Ungleichheiten leidet hier abermahls die linke Hand, indem solche mehrentheils mit faulen oder gar Trommel-Bässen gesetzt sind, welche zu ihrer Absicht so seyn mußten, aber beym Clavierspielen der lincken Hand mehr Schaden als Nutzen bringen.


[4]  §. 8.  Nach allen diesem verliert der Clavier-Spieler diesen besondern Vortheil, welchen kein anderer Musikus hat, mit Leichtigkeit im Tacte feste zu werden, und dessen kleinste Theilgen auf das genaueste zu bestimmen, indem in eigentlichen Clavier-Sachen so viele Rückungen, kleine Pausen und kurtze Nachschläge vorkommen, als in keinen andern Compositionen. Auf unserm Instrumente fallen diese sonst schwere Tact-Theilgen zu erlernen besonders leichte, weil eine Hand der andern zu Hülfe kommt; folglich entsteht hieraus unvermerckt eine Festigkeit im Tacte.

 §. 9.  An statt dieser kriegt der Schüler durch oben angeführte Bässe eine steife lincke Hand, indem kaum zu glauben steht, was das geschwinde Anschlagen eines Tons ohne Abwechselung der Finger, den Händen für Schaden thut. Mancher hat es schon mit seinem Nachtheil durch ein vieljähriges fleißiges General-Baßspielen, erfahren, als bey welchem oft beyde Hände, besonders aber die lincke, solche geschwinde Noten durch beständige Verdoppelung des Grund-Tones vorzutragen haben.[1]

[5]  §. 10.  Bey dieser Steife der linken Hand, sucht der Meister es bey der rechten wieder einzubringen, indem er seine Schüler besonders die Adagio und rührendesten Stellen, dem guten Geschmack zu noch mehrerem Eckel, aufs reichlichste mit lieblichen [6] Trillerchen verbrämen lehret; oft wird mit alten Schulmeister-Manieren, oft mit herausgestolperten und zur Unzeit angebrachten Laufern, wobey die Finger zuweilen den Koller zu kriegen scheinen, abgewechselt.


[7]  §. 11.  Bevor wir diesen Fehlern durch gegründete Vorschriften abzuhelfen suchen, müssen wir noch etwas von dem Instrumente sagen. Man hat ausser vielen Arten der Claviere, welche theils wegen ihrer Mängel unbekant geblieben, theils noch nicht überall eingeführt sind, hauptsächlich zwey Arten, nemlich die Flügel und Clavicorde, welche bis hieher den meisten Beyfall erhalten haben. Jene braucht man insgemein zu starcken Musicken, diese zum allein spielen. Die neuern Forte piano, wenn sie dauerhaft und gut gearbeitet sind, haben viele Vorzüge, ohngeachtet ihre Tractirung besonders und nicht ohne Schwierigkeit ausstudiret werden muß. Sie thun gut beym allein spielen und bey einer nicht gar zu starck besetzten Music, ich glaube aber doch, daß ein gutes Clavicord, ausgenommen daß es einen schwächern Ton hat, alle Schönheiten mit jenem gemein und überdem noch die Bebung und das Tragen der Töne voraus hat, weil ich nach dem Anschlage noch jeder Note einen Druck geben kan. Das Clavicord ist also das Instrument, worauf man einen Clavieristen aufs genaueste zu beurtheilen fähig ist.

 §. 12.  Zur Eigenschaft eines guten Clavicords gehört: daß es ausser einem guten nachsingenden schmeichelnden Ton die gehörige Anzahl Tasten habe, welche sich wenigstens von dem grossen C bis ins erstrecken muß. Dieses ist deswegen nöthig, damit man manchesmal andere Sachen darauf probiren könne, indem die Componisten gern so hoch setzen, weil andere Instrumente [8] dieses noch so ziemlich bequem haben können. Diese Tasten müssen ein richtiges Gewichte in sich haben, welches den Finger wieder in die Höhe hebt. Der Bezug muß vertragen können, daß man es sowol ziemlich angreifen als schmeicheln kan, und dadurch in den Stand gesetzet wird, alle Arten des forte und piano reine und deutlich heraus zu bringen. Verträget es dieses nicht, so werden in einem Falle die Sayten überschrieen und der Spieler kan seine Stärcke nicht brauchen; im andern Falle wird es entweder gar nicht oder unrein und undeutlich ansprechen.

 §. 13.  Ein guter Flügel muß ebenfalls ausser dem guten Ton und den gehörigen Tasten eine gleiche Befiederung haben; die Probe hiervon ist, wenn man die kleinen Manieren nett und leicht heraus bringen kan, und wenn jeder Taste gleich geschwinde anspricht, nachdem man durch einen[WS 2] gleichen und geringen Druck mit dem Nagel vom Daumen ihre Reihe überstrichen hat. Die Tractirung eines Flügels muß nicht zu leichte und läppisch seyn; die Tasten müssen nicht zu tief fallen, die Finger einigen Widerstand haben und von dem Tangenten wieder aufgehoben werden. Hingegen muß er aber auch nicht zu schwer niederzudrücken seyn. Denen zu Gefallen, welche noch keine Instrumente von dieser vorgeschriebenen Weite besitzen, habe ich meine Probe-Stücke so eingerichtet, daß sie auf einem Instrumente von vier Octaven können gespielet werden.

 §. 14.[WS 3]  Beyde Arten von Instrumenten müssen gut temperirt seyn, indem man durch die Stimmung der Quinten, Quarten, Probirung der kleinen und grossen Tertien und gantzer Accorde, den meisten Quinten besonders so viel von ihrer größten Reinigkeit abnimmt, daß es das Gehör kaum mercket und man alle vier und zwantzig Ton-Arten gut brauchen kan. Durch [9] Probirung der Quarten hat man den Vortheil, daß man die nöthige Schwebung der Quinten deutlicher hören kan, weil die Quarten ihrem Grund-Tone näher liegen als die Quinten. Sind die Claviere so gestimmt, so kan man sie wegen der Ausübung mit Recht für die reinste Instrumente unter allen ausgeben, indem zwar einige reiner gestimmt aber nicht gespielet werden. Auf dem Claviere spielet man aus allen vier und zwantzig Ton-Arten gleich rein und welches wohl zu mercken vollstimmig, ohngeachtet die Harmonie wegen der Verhältnisse die geringste Unreinigkeit sogleich entdecket. Durch diese neue Art zu temperiren sind wir weiter gekommen als vor dem, obschon die alte Temperatur so beschaffen war, daß einige Ton-Arten reiner waren als man noch jetzo bey vielen Instrumenten antrift. Bey manchem andern Musico würde man vielleicht die Unreinigkeit eher vermercken, ohne einen Klang-Messer dabey nöthig zu haben, wenn man die hervorgebrachten melodischen Töne harmonisch hören solte. Diese Melodie betrügt uns oft und läßt uns nicht eher ihre unreinen Töne verspüren, bis diese Unreinigkeit so groß ist, als kaum bey manchem schlechtgestimmten Claviere.

 §. 15.  Jeder Clavierist soll von Rechtswegen einen guten Flügel und auch ein gutes Clavicord haben, damit er auf beyden allerley Sachen abwechselnd spielen könne. Wer mit einer guten Art auf dem Clavicorde spielen kan, wird solches auch auf dem Flügel zuwege bringen können, aber nicht umgekehrt. Man muß also das Clavicord zur Erlernung des guten Vortrags und den Flügel, um die gehörige Kraft in die Finger zu kriegen, brauchen. Spielt man beständig auf dem Clavicorde, so wird man viel Schwierigkeiten antreffen, auf dem Flügel fortzukommen; man wird also die Clavier-Sachen, wobey eine Begleitung von andern Instrumenten ist, und welche also wegen der Schwäche des Clavicords auf dem Flügel gehöret werden müssen, mit [10] Mühe herausbringen; was aber mit vieler Arbeit schon muß gespielet werden, das kan unmöglich die Würkung haben, die es haben soll. Man gewöhnt sich bey beständigem Spielen auf dem Clavicorde an, die Tasten gar zu sehr zu schmeichlen, daß folglich die Kleinigkeiten, indem man nicht den hinlänglichen Druck zu Anschlagung des Tangenten auf dem Flügel giebt, nicht allezeit ansprechen werden. Man kan sogar mit der Zeit, wenn man blos auf einem Clavicorde spielt, die Stärcke aus den Fingern verliehren, die man vorhero hatte. Spielt man beständig auf dem Flügel, so gewöhnt man sich an in einer Farbe zu spielen, und der unterschiedene Anschlag, welchen blos ein guter Clavicord-Spieler auf dem Flügel herausbringen kan, bleibt verborgen, so wunderbar es auch scheint, indem man glauben solte, alle Finger müsten auf einerley Flügel einerley Ton herausbringen. Man kann gar leicht die Probe machen, und zwey Personen, wovon der eine ein gutes Clavicord spielt, der andere aber blos ein Flügel-Spieler ist, auf diesem letztern Instrumente ein Stück mit einerley Manieren kurtz hinter einander spielen lassen, und hernach urtheilen, ob sie beyde einerley Würckung hervorgebracht haben.

 §. 16.  Nachdem nunmehro die gehörige Wissenschaft der Tasten, Noten, Pausen, Eintheilung des Tacts u. s. w. da ist, so lasse man seine Scholaren eine gantze Zeit durch nichts anders als die Exempel über die Applicatur im Anfange langsam und nachhero immer hurtiger üben, damit mit der Zeit die Setzung der Finger, so schwer und verschieden sie auch bey dem Clavier ist, durch diese Uebung so geläufig werde, daß man nicht mehr darüber dencken darf.

 §. 17.  Hauptsächlich übe man die Exempel, wo über jedem die Applicatur beyder Hände angezeiget ist, im Einklange, damit die Hände gleich geschickt werden.

[11]  §. 18.  Alsdenn gehe man das Capitel von den Manieren fleißig durch und übe solche, damit sie in gehöriger Fertigkeit geschickt heraus gebracht werden können; und da dieses eine Aufgabe ist, woran man beynahe Zeit Lebens lernen kan, indem diese Manieren zum Theil mehr Fertigkeit und Geschwindigkeit erfordern als alle Passagien, so halte man den Scholaren damit nicht länger auf, als bis man wegen dieses Punckts mit seiner natürlichen Fähigkeit und Jahren zur Noth zufrieden seyn kan.

 §. 19.  Man gehe sogleich an die Probe-Stücke, man lehre sie erstlich ohne Manieren, welche besonders zu üben sind, um hernach mit denenselben nach denen Regeln, welche in dem Capitel von dem guten Vortrage abgehandelt sind, zu spielen. Dieses muß im Anfange auf dem Clavicorde allein geschehen, hernach kan man mit dem Flügel abwechseln.

 §. 20.  Einen grossen Nutzen und Erleichterung in die gantze Spiel-Art wird derjenige spüren, welcher zu gleicher Zeit Gelegenheit hat, die Singe-Kunst zu lernen, und gute Sänger fleißig zu hören.

 §. 21.  Damit man die Tasten auswendig finden lerne und das nöthige Noten-Lesen nicht beschwerlich falle, wird man wohl thun, wenn man das Gelernte fleißig auswendig im Finstern spielet.

 §. 22.  Da ich bey Bezeichnung der Probe-Stücke alles nöthige beygefüget habe, und ich solche zu vielen mahlen mit der grösten Achtsamkeit durchgespielet, damit mir auch nicht die geringste Kleinigkeit entwischen möchte, so glaube ich, daß, wenn man alles in acht nimmt, hierdurch die Geschicklichkeit der Hände sowohl als der Geschmack hinlänglich gebildet werden kan, andere und schwerere Sachen zu erlernen.

 §. 23.  Ich habe zu Vermeidung aller Zweydeutigkeit die Triolen ohne 3, das Abstossen der Noten ohne Striche mit blossen [12] Punckten, und die abgekürtzten Wörter: f. p. u. s. w. an den meisten Oertern ohne hintenstehende Punckte angedeutet.

 §. 24.  Damit ich allerley Exempel der Finger-Setzung in allerley Ton-Arten, des Gebrauchs der Manieren und des guten Vortrags bey allerley Leidenschaften habe anbringen können, und dieses Werck vollständig erscheine, so habe ich nicht verhindern können, daß nicht zuletzt die Probe-Stücke in der Schwierigkeit zugenommen hätten. Ich habe geglaubt es sey gut, jederman zu dienen, nicht lauter Stücke von der ersten Leichtigkeit beyzufügen, und nicht vieles unberührt zu lassen. Ich hoffe, daß die mühsam hinzugefügte Applicatur und Spiel-Art die schwerern Stücke nach vorher gegangenem deutlichen Unterrichte gantz leichte machen werde. Es ist schädlich, die Scholaren mit zu vielen leichten Sachen aufzuhalten; sie bleiben hierdurch immer auf einer Stelle, einige wenige von der ersten Art können zum Anfange hinlänglich seyn. Es ist also besser, daß ein geschickter Lehrmeister seine Schüler nach und nach an schwerere Sachen gewöhnet. Es beruht alles auf der Art zu unterweisen und auf vorhero gelegten guten Gründen, hierdurch empfindet der Schüler nicht mehr, daß er an schwerere Stücke gebracht worden ist. Mein seliger Vater hat in dieser Art glückliche Proben[WS 4] abgelegt. Bey ihm musten seine Scholaren gleich an seine nicht gar leichte Stücke gehen. Solchergestalt darf sich auch niemand vor meinen Probe-Stücken fürchten.

 §. 25.  Solte es einigen wegen ihrer Fertigkeit gelüsten, solche nur obenhin den blossen Noten nach vom Blatte wegzuspielen; so bitte ich gar sehr, diese Stücke vorhero mit gehöriger Achtsamkeit bis auf alle die geringsten Kleinigkeiten durchzusehen, bevor sie solche ausüben wollen.



  1. Ich habe für nöthig gefunden denen zu Gefallen, welchen das Amt den General-Baß zu spielen aufgetragen ist, meine Gedancken über die Art geschwinde Noten auf einem Tone mit der lincken Hand abzufertigen, bey dieser Gelegenheit zu eröfnen. Es ist dieses sonst die sicherste Gelegenheit, wodurch die besten Hände verdorben und steif werden können, indem dergleichen Noten bey unserer jetzigen Setz-Art sehr gewöhnlich sind. Es können ferner diejenigen durch diese Anmerckung sich rechtfertigen, von welchen ausdrücklich verlangt wird, alle Noten mit der lincken Hand auszudrücken. Da das Durchgehen der Noten im General-Basse überhaupt bekannt genug ist, so versteht es sich von selbst, daß die rechte Hand, in diesem Falle ebenfalls nicht alle Noten anschlägt. Die geschwinden Noten auf einem Tone, von deren Schädlichkeit ich spreche, sind die Acht-Theile in geschwinder Zeit-Maasse, und in gemäßigter die Sechszehn-Theile. Ich setze ferner zum voraus, daß ausser dem Claviere noch ein anderes Instrument den Baß mitspielt. Ist das Clavier alleine, so spielt man solche Noten, wie die Schwärmer, mit abgewechselten Fingern. Es wird zwar auf diese Art, durch Hinweglassung der Octave, der Baß nicht allezeit durchdringend genug seyn, man muß aber diese kleine Unvollkommenheit andern grössern Uebeln vorziehen. Man thut also am besten, man läßt von solchen Noten nach Beschaffenheit der Zeit-Maasse und der Tact-Art, eine, drey, [5] oder fünfe ohne Anschlag durchgehen, und die anzuschlagenden spielt man mit der Octave auch wohl bey fortissimo mit beyden vollen Händen, mit schweren Anschlägen, etwas unterhalten, damit die Sayten genugsam zittern können, und ein Ton sich mit dem andern wohl vereinige. Man kan allenfalls, um die Mitbegleitenden nicht zu verwirren, den ersten Tact, wie er geschrieben stehet, spielen, und nachhero die Noten durchgehen lassen. Sonsten hätte man, wenn ja jede Note auf dem Flügel solte und müste gehöret werden, noch dieses Mittel übrig, daß man in diesem Falle durch einen mit beyden Händen abwechselnden Anschlag die vorgeschriebene Bewegung hervor brächte; doch habe ich aus der Erfahrung, daß diese Art zu begleiten für die Mitspielenden etwas verführerisch ist, weil die rechte Hand beständig zu spät kommt, und dieses hat mich in meiner Meynung bestärckt, daß das Clavier allezeit das Augenmerck des Tactes seyn und bleiben wird. So wenig unrecht, ja so nützlich die Art von Begleitung in gewissen Fällen ist, wenn bey haltenden Noten, welche alle Stimmen haben, das Clavier die Tact-Theile durch den Anschlag deutlich hören lässet; so leichte kan man das Nöthige und Nützliche so wohl aus dem Durchgehenlassen, als das Schädliche und Unmögliche aus dem Ausdrucke aller Noten erweisen. Dieses letztere ist schädlich; andere Instrumentisten können diese Art Noten mit der Zunge und dem Gelencke heraus bringen; der Clavirist allein muß mit dem gantzen steifen Arme dieses Zittern hervorbringen, wenn er wegen Verdoppelung der Octave mit den Fingern nicht abwechseln kan. Hierdurch wird die lincke Hand aus doppelter Ursache steif, und folglich unvermögend Passagien rund heraus zu bringen, erstlich, weil alle Nerven in einer beständigen Steife erhalten werden, zweytens, weil die übrigen Finger nichts zu thun haben. Man versuche es, und spiele einen mit Passagien versehenen Baß, nachdem man sich vorhero an Trommel-Bässen müde gepauckt hat, man wird mercken, daß die linke Hand und der gantze Arm in einer solchen Müdigkeit, Drehnung[WS 1] und Steife sich befinden wird, daß man in der Folge unbrauchbar ist. Solchergestalt ist dieses Tockiren auch nicht möglich, indem man heut zu Tage sehr viel solche Bässe zu sehen kriegt, von denen manchmahl kaum einer wegen seiner Länge durchzudauren ist. Bey allen Arten von Music ruhen bisweilen die andern Musici, nur allein das Clavier ist meistentheils ohne Ablösung bisweilen drey, vier und noch mehrere Stunden durch in beständiger Arbeit. Gesetzt man wäre dieser Arbeit gewachsen; so würde, auch der festeste Musicus, durch eine gantz natürlich erfolgende Müdigkeit schläfrig und unvermerckt im Tacte schleppend werden. Er wird hierdurch aus dem Vermögen und der Lust gesetzt [6] andere rührende Gedancken richtig vorzutragen, weil er durch die Trommel-Bässe, welche oft ohne besondern Ausdruck sind, und wobey sich nichts dencken lässet, müde und verdrüßlich worden ist. Dieses schädliche Tockiren ist ferner wider die Natur der Flügel so wohl, als der piano forte, beyde Instrumente verliehren hierdurch ihren natürlichen Ton, und die Deutlichkeit; der Tangente von den Flügeln spricht selten geschwinde genug an. Die Frantzosen, welche die Natur des Claviers sehr gut wissen, und welchen wohl bekannt ist, daß man auf selbigem etwas mehreres als ein blos Geklimper hervor bringen kan, pflegen zu dem Ende noch jetzo in ihren General-Bässen bey solchen Arten von Noten den Clavieristen besonders anzudeuten, daß er solche nicht alle anschlagen darf. Ausser dem kommt man durch langsame schwere, Anschläge, dem in vielen Bässen durch Puncte oder Striche über die erste Noth einer Figur angedeuteten Ausdrucke zu Hülffe. Es können ein Haufen Fälle vorkommen, wobey ein deutlicher und in beyden Händen gleicher Anschlag nicht nur nützlich, sondern auch höchst nothwendig ist. Das Clavier, welchem unsere Vorfahren schon die Anführung anvertrauten, ist solchergestalt am besten im Stande, nicht allein die übrigen Bässe sondern auch die ganze Musick in der nöthigen Gleichheit vom Tacte zu erhalten; diese Gleichheit kan auch dem besten Musico, ob er schon übrigens sein Feuer in seiner Gewalt hat, im andern Falle durch die Ermüdung schwer werden. Da dieses nun bey einem geschehen kan; so ist diese Vorsicht, wenn viele zusammen musiciren, um so viel nöthiger, jemehr hierdurch das Tact-Schlagen, welches heut zu Tage blos bey weitläuftigen Musicken gebräuchlich ist, vollkommen ersetzet wird. Der Ton des Flügels, welcher gantz recht von den Mitmusicirenden umgeben stehet, fällt allen deutlich ins Gehör. Dahero weiß ich, daß sogar zerstreuete und weitläuftige Musicken, bey welchen oft viele freywillige und mittelmäßige Musici sich befunden haben, blos durch den Ton des Flügels in Ordnung erhalten worden sind. Steht der erste Violinist folgends, wie es sich gehört, nahe am Flügel; so kan nicht leicht eine Unordnung einreissen. Bey Singe-Arien, worinnen das Zeit-Maas sich schleunig verändert, oder worinnen alle Stimmen gleich lärmen, und die Singe-Stimme allein lange Noten oder Triolen hat, welche wegen der Eintheilung einen deutlichen Tact-Schlag erfordern, haben die Sänger auf diese Art eine grosse Erleichterung. Dem Basse wird es ohnedem am leichtesten, die Gleichheit des Tactes zu erhalten, je weniger er gemeiniglich mit schweren und bunten Passagien beschäftiget ist, und je öfter dieser Umstand oft Gelegenheit giebt, daß man ein Stück feuriger anfängt als beschliesset. Will jemand anfangen zu eylen oder zu schleppen, so kan er durchs Clavier am deutlichsten zu rechte gebracht werden, [7] indem die andern wegen vieler Passagien oder Rückungen mit sich selbst genug beschäftiget sind; besonders haben die Stimmen, welche Tempo rubato haben, hierdurch den nöthigen, nachdrücklichen Vorschlag des Tacts. Endlich kan auf diese Art, weil man durch das zu viele Geräusche des Flügels an der genauesten Wahrnehmung nicht verhindert wird, sehr leicht das Zeit-Maas, wie es oft nöthig ist, um etwas weniges geändert werden, und die hinter, oder neben dem Flügel sich befindenden Musici haben einen in beyden Händen gleichen, durchdringenden und folglich den mercklichsten Schlag des Tacts vor Augen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Dehnung? „Drehnung“ nicht in Grimms Deutsches Wörterbuch vorhanden.
  2. Vorlage: eiuen
  3. Vorlage: 14,
  4. Vorlage: Probeu
Vorrede Nach oben Erstes Hauptstück. Von der Finger-Setzung
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