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Vernünftige und Christliche Gedancken über die Vampirs/§.23

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Textdaten
Autor: Johann Christoph Harenberg
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Titel: Vernünftige und Christliche Gedancken über die Vampirs ...
Untertitel: §.23 - Dieses wird annoch aus algemeinern Gründen erläutert.
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Erscheinungsdatum: 1733
Verlag: Johann Christoph Meißner
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Erscheinungsort: Wolfenbüttel
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Quelle: Digitalisat des Göttinger Digitalisierungszentrums bzw. bei Commons
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§. XXIII.

[86] Was ist demnach deutlicher und gewisser, als daß eine deutliche und gründliche Erkänntnis der Dinge das eintzige Mittel sey, die betriegliche Einbildung wegzuräumen und das Gemühte davon loszumachen? Diesem Mittel stehet die unordentliche Einbildung oder Phantasey entgegen. Denn wenn die Bilder-mäßige Erkenntnis der Ordnung der Dinge, so fern dieselbe möglich oder würcklich ist, entgegen stehet, so wird der Verstand in seiner Beurtheilungs-Kraft gehindert und verfinstert. [87] Man stellet ihm zwar auch wohl bey der unrichtigen Vorstellung ein Licht vor, und vermeynet grosse Erkänntis zu besitzen. Allein es ist ein Irr-Licht, welches auf mancherley Abwege führet. Bald stellen sich die phantastischen Leute eine Ordnung des Reichs der Gnaden und der Herrlichkeit vor, welche der göttlichen und geoffenbahrten Ordnung wiederspricht: Bald erkläret man die Ordnung, so in dem Reiche der Natur festgestellet ist, also, daß man entweder erdichtete Ursachen angiebt, oder den Lauf der Natur samt seinen Würckungen mit der Ordnung der göttlichen Gnaden-Würckungen verwechselt. An statt der göttlichen Wahrheit verfällt man auf ein innerliches Wort, welches so mannigfältig und wiedersprechend ist, als es Persohnen giebt, welche sich dasselbe zu besitzen rühmen. Und weil man diese wiedersprechende Mannigfaltigkeit nicht läugnen kan, so verfällt man so weit, daß man glaubt, es schaden die Irrthümer überhaupt der Heiligkeit nicht das geringste. Den Uhrsprung solcher Phantasie betreffend, so ist solcher theils natürlich, theils künstlich. Der natürliche Uhrsprung bestehet in der Ermangelung einer deutlichen und gründlichen Erkänntnis. Bey Kindern und den meisten Frauenzimmer ist die Beurtheilungs-Kraft schwach und ungeübt. Einige Menschen gehen mit solchen Wercken vielfältig um, welche die Einbildungs-Kraft zu einen hohen Grad der Lebhaftigkeit erhebet, und die Deutlichkeit der Gedancken verhindert. Hieher rechnet man die Mahler, die Bildhauer, die Leser unreiner mystischer Bücher, diejenige, so ihnen durch [88] Bilder ein Kunst-Gedächtnis gemacht haben, und dergleichen Persohnen, welche nichts denn sinnliche (a)[1] Vorstellungen lieben. Die sinnlichen Vorstellungen entstehen durch die Rührungen in den Gliedmassen der Sinnen, und äussern sich durch ein cörperliches Bildgen, so in den subtilen Theilen des Gehirns gewürcket wird. Wannenhero man sich nichts zu verwundern hat, daß diese Würckung sich nach dem Zustande der flüßigen und subtilen Theile des Leibes richtet, welche so wohl in den äusserlichen Gliedmassen der Sinnen, als auch in den innern Säften des Gehirns und der Theile, so mit dem Gehirn in Verbindung stehen, anzutreffen sind. Die Nachahmung und der Umgang gewisser Persohnen kan gleichfals viel zur unrichtigen Phantasey beytragen. Es sind Exempel bekannt, daß einiger verzückter Leute Umgang und Gespräche andere, so blödes Verstandes sind, in gleiche Verzückungen getrieben habe. Oscitante uno; oscitat & alter. Insonderheit thun die Kranckheiten, so die Nerven angreiffen, oder die Säfte durch alzugeschwinde Hitze, auch wohl Verschleimung, umtreiben, einen grossen Beytrag zu einer unrichtigen Phantasey. Die hypochondriaci und diejenigen, so mit [89] passionibus hystericis, philtris, und eingenommenen Giften behaftet sind, bekräftigen dieses zur Gnüge. Man kan sich nicht gnug über die Gebehrden und Vorstellungen derjenigen verwundern, welche in dem untersten Theile von Italien durch die Taranteln gestochen werden. Von dem Tarantismo sind die vornehmsten und meisten Umstände gar deutlich beschrieben bey dem SAMUEL HAFENREFFER in Nosodochio L. III. c. 12. p.475. sq. ed. Ulmæ 1660.8.


  1. (a) Phantastische und geistlich-hoffärtige Weiber muß man hier nicht vergessen. Priscilla und Maximilla, so den Tertullianum verführt haben, und Entzückungen nebst thörichten Weissagungen liebeten, sind hievon die klaresten Exempels. PROSPER in Chronico ad. a. 170. VINCENTIVS Lirinensis in Commonitorio I. §. 24. p. 59.