Verhütung der Drüsenerkrankung bei Kindern
Verhütung der Drüsenerkrankung bei Kindern.
Das kindliche Alter ist für Drüsenerkrankungen ungemein empfänglich; ja man kann sogar sagen, daß verhältnismäßig nur wenige Kinder völlig gesunde Lymphdrüsen besitzen. Einen Beweis dafür liefert eine Untersuchung von 2506 Kindern in den Schulen der Kantone Graubünden und Aargau, die vor einigen Jahren von Dr. Volland in Davos-Dörfli angestellt wurde. Da hatten von 628 Kindern im Alter von 7 bis 9 Jahren nicht weniger als 607, d. h. 96% geschwollene Halslymphdrüsen! Je älter die Schulkinder wurden, desto geringer war der Prozentsatz der mit krankhaft veränderten Lymphdrüsen Behafteten, betrug aber noch immerhin bei Kindern im Alter von 13 bis 15 Jahren 84%! Wenn auch diese Statistik nicht für alle Gegenden maßgebend sein kann, giebt sie doch zu denken. Geschwollene Lymphdrüsen sind ja immer ein Zeichen einer geschwächten Gesundheit, und wenn auch viele im Laufe der Jahre abschwellen, so muß ein großer Teil derselben doch auf skrophulöse Anlage oder gar auf eine Ansteckung mit Tuberkelbacillen zurückgeführt werden. Es ist ja erwiesen, daß in schweren Fällen der Skrophulose die erkrankten Lymphdrüsen wirklich Tuberkelbacillen enthalten. Diese gefährlichen Spaltpilze können lange Zeit in den Drüsen durch Einkapselung von der Weiterverbreitung abgeschlossen und bei guter Pflege vom Körper vernichtet werden. Oft aber schwebt der Träger eines solchen Krankheitsherdes in der steten Gefahr, über kurz oder lang eine Aussaat des Giftes in den ganzen Organismus oder vornehmlich in die Lungen und Hirnhäute zu bekommen, welche gewöhnlich tödlich endet. In der That gehen viele der skrophulösen Kinder an rasch verlaufender Entzündung der Hirmhäute zu Grunde oder verfallen in reiferen Jahren der Lungenschwindsucht.
Man hat in der letzten Zeit überhaupt mehrere Anhaltspunkte ermittelt, die darauf hinweisen, daß Drüsenerkrankungen in sehr naher Beziehung zur Tuberkulose stehen können. Sehr häufig erkranken im kindlichen Alter die am Halse gelegenen Mandeln. Diese Entzündungen werden durch eine ganze Anzahl mehr oder weniger gefährlicher Bakterienarten hervorgerufen; als Folgen solcher Entzündungen bleiben vielfach vergrößerte Mandeln zurück. In der Sitzung der Pariser medizinischen Akademie vom 30. April d. J. hat nun Prof. Dieulafoy mitgeteilt, daß auch in solchen Mandeln Tuberkelbacillen sich einnisten können. Er untersuchte Personen mit vergrößerten Mandeln, die sonst gar keine Erscheinungen der Tuberkulose darboten, entnahm kleine Stückchen der Mandeln und impfte dieselben Meerschweinchen ein; da zeigte es sich, daß in einer Reihe von Fällen die geimpften Meerschweinchen tuberkulös wurden. Die vergrößerten Mandeln können also unter Umständen die gefährlichen Keime in sich bergen; dieselben erweisen sich nicht schädlich, wenn das Kind sich normal entwickelt, bei guter Ernährung, im Genuß frischer Luft kräftig bleibt, dann überwindet der Organismus den Feind. Wird aber das Kind schädigenden Einflüssen ausgesetzt und geschwächt, dann kann der schlummernde Krankheitsfunke erwachen und Anlaß zu einer gefährlichen Allgemeinerkrankung geben.
In Anbetracht solcher Thatsachen ist es darum von höchster Wichtigkeit, die Wege zu ermitteln, auf welchen der Krankheitsstoff in die Drüsen gelangt, um eine derartige Ansteckung zu verhüten.
Dr. Volland hat nun neuerdings eine Erklärung gegeben, die sehr wahrscheinlich und namentlich für Mütter und Kinderpflegerinnen beachtenswert ist. Er meint, daß diese Ansteckung zumeist schon zu der Zeit erfolgt, in welcher das Kind laufen lernt. Es rutscht da vielfach auf allen Vieren umher und beschmutzt sich die Hände mit Stuben- und Straßenstaub. In diesem Lebensalter ist aber beim Kinde infolge des Zahnens die Absonderung von Mund- und Nasenschleim besonders reichlich und führt zu kleinen Verletzungen an den Naseneingängen und Mundwinkeln. Durch den Reiz, den diese kleinen Schäden der Schleimhaut erzeugen, wird das Kind veranlaßt, sich mit den Händen ins Gesicht zu fahren und den daran hängenden Staub förmlich in die wunden Stellen einzureiben. Ist nun zufällig in dem Staube tuberkulöser Stoff enthalten, so ist damit die Ansteckung erfolgt.
Die Menge des Krankheitsstoffes ist in der Regel äußerst gering; er wird darum von kräftigen Kindern überwunden, bei schwächlicheren dringt er aber in die Lymphdrüsen ein, wo er vorläufig ruhen bleibt, um zur Geltung zu kommen, wenn der kleine Körper durch schädliche Einwirkungen ungünstig beeinflußt wird.
Dr. Volland empfiehlt darum folgende Mittel, um das Kind vor dieser Gefahr zu schützen: Die Mutter oder Wärterin sollte den reichlich abgesonderten Mund- und Nasenschleim unermüdlich entfernen, um das Wundwerden zu vermeiden. Sie soll sorgfältig darauf achten, daß das Kind nie mit den Händchen auf den Fußboden kommt. Auch muß alles das, was am Boden gelegen hat, vorher gereinigt werden, bevor es das Kind wieder zum Spielen erhält. Es muß beim Laufenlernen stets geführt werden oder in geeigneten Stützapparaten stehen. Ist es einmal gefallen, so müssen die Händchen sofort wieder gewaschen werden und der Sinn für Reinlichkeit derselben ist beim Kinde sehr früh zu wecken.
[499] Solche Forderungen lassen sich nun leicht niederschreiben, sind aber im praktischen Leben ungemein schwierig zu erfüllen. Wir wollen sie auch etwas abmildern und den Müttern die äußerste Reinlichkeit in der Haltung ihrer Kleinen aus Herz legen. Wird diese beobachtet, so ist das Menschenmögliche geschehen.
Beobachtet man im täglichen Leben, wie kleine Kinder gewartet werden, so muß man allerdings zu der Ansicht gelangen, daß gerade auf diesem Gebiete große Fehler begangen werden. Schon die jungen Mütter aus besseren Ständen haben selten die zu einer rationellen Kinderpflege nötigen Vorkenntnisse; naturgemäß fehlt es ihnen auch an Erfahrung und gar oft können sich die Kleinen glücklich schätzen, wenn in einem Haushalte eine alte erfahrene Großmutter der jungen Frau zur Seite steht. Schlimm ist es aber, wenn die Pflege der kleinen Kinder alten Kinderfrauen, die ohne jede Bildung sind, oder jungen Mädchen anvertraut wird. Die letzteren versichern zwar in der Regel, daß sie „Liebe zu Kindern“ mitbringen, aber diese meist recht fragliche Liebe genügt durchaus nicht. Dr. Volland hat darum recht, wenn er die Forderung aufstellt, man sollte in Zukunft in besonderen Anstalten auch Kinderpflegerinnen ausbilden. Dieselben müßten mit den Grundsätzen der Kinderhygiene vertraut gemacht werden, und, zweckmäßig unterrichtet, würden sie wohl imstande sein, die Verbreitung ansteckender Krankheiten in der Kinderwelt zu verhüten. Außerdem würde ihre Thätigkeit auf dem Gebiete der Säuglingsernährung, der Hautpflege und auch der ersten Erziehung sehr günstig sein. In wohlhabenden Familien würden gute geprüfte Kinderpflegerinnen, die Lust und Liebe zu ihrem Beruf hätten, sicher lohnende Stellungen finden, und ein anderer Teil derselben könnte sich in Kinderhorten, in welchen die Kleinen der wenig bemittelten Stände zeitweilig verpflegt werden müssen, nützlich erweisen. Die Ausführung des Gedankens würden wir mit Freuden begrüßen, würde doch dadurch der Frauenerwerb erweitert werden, und zwar nach einer Richtung hin, die der Natur und dem Charakter des Weibes so sehr zusagt.
Wir betonen dabei, daß die Ausbildung der Kinderpflegerinnen eine derartige sein müßte, daß sie das gesamte Gebiet der Kinderhygiene umfaßte; denn nur alsdann wurden dieselben dazu beitragen können, der Verbreitung von Leiden, die als Geißeln unseres Kulturgeschlechtes zu betrachten sind, Einhalt zu gebieten.
Es wäre ja ein gar schwerer Irrtum, wenn man meinen wollte, daß die Verhütung der Ansteckung lediglich durch Abwehr der unsichtbaren Bacillen zu erstreben sei.
Bei weitem wichtiger ist es, den Körper der Kleinen gesund zu erhalten und derart zu stärken, daß er den Kampf mit den Krankheitserregern siegreich zu überwinden vermag. In dieser Hinsicht bestehen auch im Hinblick auf die Skrophulose die alterprobten hygieinischen Grundsätze zu Recht. Wir müssen die Pflege und Ernährung der Kinder derart einrichten, daß in ihnen keine Anlage zur Skrophulose erzeugt wird, und das können wir wohl, da uns die Ursachen dieses Leidens bekannt sind.
Skrophulös werden Kinder, die vom frühesten Alter an unzweckmäßig ernährt werden, die keine Mutterbrust und wenig Kuhmilch erhalten, dafür aber mit allerlei Mehlbrei aufgepäppelt werden. Skrophulös werden Kinder, die nach dem Säuglingsalter zu früh an der Kost der Erwachsenen teilnehmen, mit Brot und Kartoffeln, mit überwiegender Pflanzenkost gefüttert werden. Gefördert wird ferner die Anlage zu diesem schlimmen Leiden durch Mangel an reiner frischer Luft, Aufenthalt in dumpfen feuchten Wohnungen, Vernachlässigung der Hautpflege. Wo diese Unterlassungssünden in der Kindererziehung begangen werden, da wächst ein geschwächtes Geschlecht heran, dessen Körper mehr oder weniger baufällig, dessen Stoffwechsel träge ist. Solche Kinder haben leicht verletzbare, widerstandslose Haut, leiden leicht an Ausschlägen, Nasen-, Rachen-, Augen- und Ohrenkatarrhen; sie haben eine skrophulöse Anlage und sind höchst empfänglich für Ansteckung mit Tuberkelbacillen, die sich in den Drüsen niederlassen und von dort aus den ganzen Körper bedrohen. Vermeidet man in der Kinderpflege solche Schäden, so verhütet man mit großer Sicherheit die Entwicklung der skrophulösen Anlage und die Empfänglichkeit für die Tuberkulose; ja mit diesen einfachen hygieinischen Mitteln vermag man Kinder, die von ihren Eltern die krankhafte Anlage ererbt haben, über die ihnen drohenden Gefahren hinwegzuleiten und sie zu gesunden Menschen heranzuziehen.
Und wenn dennoch der tückische Feind das Kind befallen, wenn sich die ersten Anzeichen der Skrophulose und anderer Erkrankungen der Drüsen zeigen sollten, dann soll man nicht verzagen, sondern die diätetischen Heilmethoden in energischerer Weise zur Anwendung bringen. Je frühzeitiger dann das Kind der Kur unterworfen wird, desto sicherer ist die Aussicht auf Erfolg. Und worin die Kur besteht, das ist heute zur Genüge bekannt. Groß sind ja die Erfolge, welche von unseren Heilstätten für skrophulöse Kinder jahraus jahrein erzielt werden, und was dort den Kranken geboten wird, das sind weniger Arzneien, als gute, zweckmäßige Ernährung, Licht und Luft, Bewegung in frischer Gebirgs- oder Seeluft, den Stoffwechsel anregende und kräftigende Sool- oder Seebäder!
Leider sind diese diätetischen Heilmittel, wie einfach sie erscheinen mögen, nicht für alle erschwingbar. Wie viele Familien sind nicht an die engen Wohnungen der Städte durch Erwerbsverhältnisse gebunden! Sie können ihren geschwächten Kindern die Wohlthat eines Aufenthaltes im Gebirge und auf dem Lande nicht gewähren! Aber auch für diese, die da hart mit der Lebensnot ringen, hat der gemeinnützige Sinn unseres Jahrhunderts zu sorgen gewußt. In den Kinderheilstätten finden auch Unbemittelte Aufnahme und durch mildthätige Gaben wird es möglich gemacht, daß jährlich Tausende armer Kinder die Ferienkolonien aufsuchen. Durch diese gemeinnützigen Schöpfungen werden die Erzfeinde, die in inniger Bundesgenossenschaft am Marke des Volkes nagen, die Skrophulose und die Tuberkulose, am nachdrücklichsten bekämpft und sozusagen im Keime erstickt. Es sollten darum diesen Unternehmungen die reichsten Hilfsmittel zufließen.
Der Sommer ist eingezogen in Deutschlands Gauen. Er bringt die Zeit, in der Tausende und aber Tausende geknickter Kinderblumen sich im heiteren Sonnenschein zur Lebensfreude emporzurichten vermögen. Nützen wir ihn, und wer es irgend kann, der gebe sein Scherflein zu dem großen Werke der Volksverjüngung und Volksstärkung, der fördere mit That und Beitrag unsre Kinderheilstätten und Ferienkolonien! M. Schütz.