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Venus Mors

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Richard Dehmel
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Titel: Venus Mors
Untertitel:
aus: Aber die Liebe
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Dr. E. Albert & Co. Separat-Conto
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: München
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans dieser Ausgabe auf Commons
S. 228-229
Kurzbeschreibung:
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Bild
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Bearbeitungsstand
fertig
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[228]

 VENUS MORS


Eine rote Feuerlilie schreitet
riesig durch die Weltennacht.
Von der Sonne bis zum Sirius breitet
sich ihr Scharlachkelch. Der Schacht

5
des gezähnten Schlundes kocht von Gluten,

düster flammt des Rachens Zackenfirne;
um die wirbelnden Gestirne
schlingt sie hungrig ihre Samenruten.

Gelb aufzüngelnd schlürft sie die getrennten

10
Welten gierig in den wilden Schooß,

aus den schwarzen Firmamenten
ringen Sonne, Sirius sich los;
[229] lodernd sehn sie die Unendlichkeiten
ihrer alten Sehnsucht überbrückt,

15
aus den Angeln wanken sie verzückt,

zu einander stürzen die befreiten.

Taumelnd folgen, brodeln, glühen
ringsum die Trabantenlüfte;
aus der brennenden Lilie sprühen

20
Lavastürme durch die Himmelsgrüfte.

Auf der Erde ras’t ihr Licht als Mord,
sengend frißt es Wälder, Ströme, Quellen,
Asche trieft aus blendenden Wolkenhöllen,
alle Kreatur verdorrt.

25
Nur ein Brautpaar will noch fühlend enden,

keuchend, schon erblindet beide;
mit den heißen Liebeshänden
nestelt er an ihrem Kleide.
Aber in der Nacht der Seele

30
wird der grelle Durst zur Wut;

wühlend wittert er ihr Blut,
beißt er, schlürft er sich in ihre Kehle.

Alles saugt der große Flammenschlund,
kreisend will er überschäumen,

35
rissig klafft der zuckende Muttermund,

Dämpfe bersten, Feuerpollen säumen
den zerfetzten Riesenblütenrand,
eine neue Welt entrollt der toten,
strahlend quillt sie aus dem morgenroten

40
furchtbar’n Siriusliebestodesbrand.