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Vater und Kind

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Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Vater und Kind
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aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 624
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Tod des Sohnes
Blätter und Blüthen
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[624] Vater und Kind. Wie ein Vaterherz gemartert werden kann, hat Menschenerfahrung und Menschendichtung in tausendfältiger Weise bis jetzt gezeigt. Sollte aber wohl je grausamer das Schicksal Herz und Seele eines Vaters zerdrückt haben, als wie es vor Kurzem bei folgendem Schiffsunglück auf der Elbe geschehen ist? Ein Jollenführer aus einer hannöverschen Elbmarsch nimmt auf seine Fahrt von einer Elbstation zu einer einige Meilen entfernten andern seinen siebenjährigen Knaben, an dem er seine Freude hat, mit sich auf’s Schiff. „Nu will ik em wegbringen,“ sagt er scherzend zu einigen ihm auf dem Wege von seinem Hause zum Ufer der Elbe Begegnenden. Das Kind muß indeß, da widriger Wind weht und lavirt werden muß, auf der Fahrt meistens in der kleinen Cajüte der Jolle sitzen. Ein solch’ kleines Flußschiff hat in der niedrigen Diminutivcajüte nach der Hinterseite allerdings zwei Fenster, jedes ist aber kaum einen Quadratfuß groß. Dem Kinde dauert die Zeit in diesem engen Raume lang, doch ist bald die Fahrt vollendet. „Eenmol leggt wi noch üm,“ sagt der Schiffer zum Söhnchen in die Cajüte hinein, „dann kummst Du mit an’t Land.“ Dieses „Umlegen“ beim Laviren besteht darin, daß plötzlich eine fast entgegengesetzte Richtung beim Quersegeln angenommen wird. Die größte Genauigkeit im Handhaben des Segels und des Steuerruders ist dabei erforderlich. Also noch einmal „umlegen“, aber ein Windstoß oder sonst ein Zufall wirft die Jolle um, so daß sie Wasser faßt, und der Schiffer nebst seinem Knechte in die Elbe geschleudert wird. Ersterer sinkt unter das Schiff, kommt aber nach einiger Zeit wieder hervor; der Knecht hat indeß glücklicher Weise das kleine mitgeführte Boot erhascht und bestiegen und nimmt seinen Herrn auf. Die Jolle liegt zur Seite und füllt sich immer mehr mit Wasser. Und das Kind? – Es ist in der Cajüte dem Tode verfallen; denn die niedrig im Schiffe liegende Cajütenthür ist wie der daran stoßende Schiffsraum schon mit Wasser gefüllt. Von dieser Seite aus also keine Rettung.

Jetzt beginnt nun der schaudererregende, erschütternde letzte Act. Das Kind hält seinen Kopf und Oberkörper, irgendwie in der schiefliegenden Cajüte noch sich fest klammernd, über Wasser. „Vatter, help’ mi!“ hört der Unselige in seinem Boote sein Kind rufen. Er legt sich mit dem Boote hinter das Schiff unmittelbar vor die kleinen Cajütenfenster. Das Wasser steigt, er sieht ein Kind, er streckt durch ein Fenster den Arm zu ihm hinein – vergebens, das Fenster ist viel zu eng schon für den Kopf des Kindes. Die Oeffnung erweitert, und das Kind wäre gerettet. Eine Axt, eine Axt! oder ein Hammer noch so schwer! Die Angst hätte Kraft zur Zertrümmerung des festen Holzes beim Fenster gegeben. Aber nichts ist da als die unbewehrte Faust. Der Vater schlägt sich die Fäuste blutig, er fühlt es nicht, aber es hilft auch nicht – immer wieder ruft das Kind, ohnmächtig fallen von außen die Fauststreiche gegen die eichenen Schiffsbohlen. Keine Hülfe vom Ufer oder von einem andern Schiffe! Dem letzten Angstschrei des sterbenden Kindes folgt die geistige und körperliche Erschöpfung des unglücklichen Vaters.

Ja, er hat das Kind nun weggebracht auf Nimmerwiederkehr! Das Bild aber des Todes seines Kindes vor seinen Augen, seiner Ohnmacht zu helfen steht ihm für immer fest im Sinn. Der würdige Geistliche, dem diese Mittheilung verdankt wird, erzählte, er sei hingegangen nach dem Hause des Schmerzes, um zu trösten. Eine schwere Aufgabe! Die Mutter hatte nicht einmal die schreckliche Weise des Todes ihres Kindes erfahren, aber sie weinte, weinte viel Thränen – der Vater saß thränenlos, meistens stumm vor sich hinbrütend, nur dann und wann preßte es sich aus seiner Brust in den weichen Lauten der hiesigen plattdeutschen Mundart: „Ik kunn di jo nich helpen, mien lütt Hannes, ik kunn jo nich!“