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Völker ohne Brod

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Textdaten
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Autor: A. C. W.
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Titel: Völker ohne Brod
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 756
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[756] Völker ohne Brod. Unter diesem Titel verstehen wir nicht etwa hungernde Völker, sondern solche, die sich ganz wohl satt essen, aber ohne – Brod. Das mag vielleicht bei uns und in den übrigen Civilisationsmittelpunkten wunderlich erscheinen und unsere Leser auf die Vermuthung führen, daß wir ihnen etwas von der Lebensweise und den Nahrungsmitteln eines hinterasiatischen Volksstammes erzählen wollen – fehlgeschossen! Jene Völker ohne Brod sind unsere nächsten Nachbarn: die Südösterreicher, Italiener und Rumänen. Selbstverständlich gilt dieses „ohne Brod“ nur von den großen Volkskreisen jener Länder, nicht von der dortigen besser situirten Gesellschaft, wie auch nicht von den großen Städten.

Schon wenige Meilen von Wien, in den Bergen der Obersteiermark, wird in den Dörfern nur wenig Brod, ja in manchen ländlichen Haushaltungen gar keines gegessen. Das tägliche Hauptgericht der Leute, das übrigens gleichzeitig ganz gut das Brod ersetzt, ist nämlich der sogenannte Sterz, der aus Buchweizenmehl bereitet wird. Der Buchweizen, in Oesterreich „Heiden“ genannt, gedeiht in den Alpenthälern der Steiermark, Krains, Kärnthens, sowie in einem Theile Tirols in ganz vorzüglicher Weise.

Die Bereitung des Sterzes geschieht, indem man in eine tiefe Casserole Buchweizenmehl thut und dieses auf dem Feuer unter fortwährendem Rühren mit einem hölzernen Löffel warm werden läßt. Alsdann gießt man etwas kochendes, gesalzenes Wasser zu, was, während man zu rühren fortfährt, so lange wiederholt wird, bis das Buchweizenmehl in Verbindung mit dem Wasser eine Menge bröckeliger Theilchen bildet. Wenn die ganze Masse in der Casserole stark dampft, ist dies ein Zeichen, daß jene gar gekocht ist. In den Haushaltungen der Landbevölkerung der Steiermart, Krains und Kärnthens wird der Sterz zum Frühstück mit süßer, oder im Sommer mit sauerer Milch vermischt, zu Mittag mit Fleischbrühe oder geröstetem Specke und Abends wieder mit Milch genossen. Bei dieser kräftigen Nahrungsweise verlangt der Bewohner jener Alpenländer nur selten oder gar nicht nach Brod. Selbst in den feineren Städtehaushaltungen ist der Sterz ein gern gesehenes Gericht und somit die Nationalspeise eines großen Theiles von Südösterreich.

In dem jenen Ländern benachbarten Italien wird im Volke bekanntlich auch wenig Brod, desto mehr aber Polenta gegessen. Die Bereitung derselben ist der des Sterzes ganz ähnlich; nur wird zur Herstellung der Polenta Maismehl genommen, von dem zumal das lombardische als vorzüglich geschätzt wird. Auch wird die Polenta nicht, wie der Sterz, zu bröckeligen Theilchen gerührt, sondern man formt aus der ganzen Masse einen großen Kuchen, der mit einem Draht oder Bindfaden in kleine Portionen geschnitten wird. Der gewöhnliche Italiener genießt die Polenta auch kalt statt des Brodes, während sie auf dem Tisch der wohlhabenden Classe etwas verfeinerter erscheint.

Die Rumänen endlich, welche entweder der Rest einer großen römischen Colonie oder romanisirte Slaven sind, haben, was culturhistorisch jedenfalls sehr bemerkenswerth, eine der italienischen Polenta ganz ähnliche Nationalspeise, die gleichfalls aus Maismehl bereitet und Mamaliga genannt wird. Nur genießt man diese nicht, wie die Polenta, in festem, sondern in mehr breiartigem Zustande.

Jedes dieser drei hier genannten Nahrungsmittel läßt das Brod unschwer entbehren, weil es viel kräftiger und schmackhafter als dieses ist. Namentlich vermag der gewöhnliche Italiener mit einem Stück Polenta und einem halben Liter Wein einen vollen Tag schwer zu arbeiten. – In culturhistorischer Beziehung kann man fast mit Gewißheit schließen, daß die drei Nationalgerichte: Sterz, Polenta und Mamaliga, weit in die vorchristliche Zeit zurückreichen.

A. C. W.