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Untergang des deutschen Panzerschiffes „Großer Kurfürst“ am 31. Mai 1878

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Titel: Untergang des deutschen Panzerschiffes „Großer Kurfürst“ am 31. Mai 1878
Untertitel: Volksblatt. Eine Wochenzeitschrift mit Bildern. Jahrgang 1878 Nr. 23, S. 179–181, Nr. 25, S. 196–199
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Herausgeber: Dr. Christlieb Gotthold Hottinger
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Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Dr. Hottinger’s Volksblatt
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Erscheinungsort: Straßburg
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[179]

Untergang des deutschen Panzerschiffes „Großer Kurfürst“
am 31. Mai 1878.

Groß ist die Freude, welche die Deutschen an der Entwicklung ihrer jungen Kriegsflotte haben. Die Zeit liegt noch nicht lange hinter uns, in der von einer solchen noch nicht die Rede sein konnte; sie entstand erst in den letzten Jahren. Die Freude an ihr ist eine um so berechtigtere, als sie nicht zu Angriffskriegen verwandt werden, sondern nur die Vertheidigung der heimischen Küsten ermöglichen und die Deutschen im Auslande schützen soll. Ganz vor Kurzem wurde letzterer Zweck in Nicaragua in Mittelamerika in der ehrenvollsten Weise erreicht. Die Regierung dieses [180] Landes weigerte sich, einer daselbst mißhandelten deutschen Familie Genugthuung zu geben. Als nun deutsche Kriegsschiffe kamen, um – wenn nöthig mit Anwendung von Gewalt – zu zeigen, daß das Deutsche Reich seine Angehörigen auch fern von ihrem Vaterlande nicht ungestraft beleidigen lasse, wurden die gestellten Forderungen bewilligt.

So groß diese Freude war, so schmerzlich berührte die Trauernachricht, daß das prächtige Panzerschiff „Großer Kurfürst“ am 31. Mai in Folge eines Zusammenstoßes mit dem Panzerschiffe „König Wilhelm“ gesunken sei, ein Unglück, das mehr als 200 deutschen Männern den Tod gebracht habe. Wie das kam, erfahren wir durch nachfolgende amtliche Mittheilung.

Der Bericht des Kontre-Admirals Batsch an den Chef der Admiralität lautet:

  „Seiner Majestät Schiff „König Wilhelm“
  im Kanal, den 31. Mai 1878.

Ew. Excellenz habe ich die traurige Pflicht, im Verfolg der von Folkestone bereits abgehenden Telegramme den durch eine Kollision[1] mit Seiner Majestät Schiff „König Wilhelm“ heute herbeigeführten Verlust S. M. S. „Großer Kurfürst“ zu melden.

Die Katastrophe vollzog sich, als ich, nachdem Dover passirt und der Kurs des Geschwaders auf Dungeneß gesetzt war, um 10 Uhr Vormittags das Deck soeben verlassen hatte und im Begriffe stand, wieder hinaufzugehen. Oben angekommen, sah ich den „Großen Kurfürst“ in einer diagonalen Stellung vor dem Steuerbordbug des Flaggschiffs und erschien mir schon da der Zusammenstoß unvermeidlich. Er erfolgte auch sogleich derart, daß der Rammbug dieses Schiffes den hintern Theil des Unterschiffes des andern aufriß, das letztere zwar abglitt, aber doch so schnell füllte, daß die Absicht des Kommandanten, mit der vorhandenen Maschinenkraft das Schiff auf Strand zu setzen und auf diese Weise vor dem Kentern und Sinken zu bewahren, leider nicht mehr erreicht werden konnte. Das Schiff neigte sich zusehends, füllte dann auch von oben durch die Pforten, kenterte und sank. Die Mannschaft war, soweit die kurze Zeit (die Sache vollzog sich nach meiner Schätzung in etwa einer Viertelstunde) es gestattete, aus allen Räumen auf Deck gerufen worden; „König Wilhelm“ sandte, so schnell es ging, alle Böte, dasselbe geschah von S. M. S. „Preußen“, eine Anzahl englischer Böte (Fischer-Lootsen etc.) waren ohnehin da, trotzdem aber muß ich die an Sicherheit grenzende Befürchtung aussprechen, daß der weit größere Theil der Verunglückten ihr Grab in den Wellen gefunden habe. Als gerettet konnte ich nur diejenigen melden, die von unseren Booten an Bord dieses Schiffes und S. M. S. „Preußen“ geborgen worden waren.

Die Havarie[2] dieses Schiffes am Bug ist nicht unbedeutend, läßt sich aber vor der Ankunft in Portsmouth und vor dem Docken nicht übersehen. Das Kompartement Nr. 1 ist voll Wasser und dringt dasselbe auch in Nr. 2. Ich sandte sofort von Ort und Stelle ein Telegramm an den kommandirenden Admiral in Portsmouth und bat um ein Dock.[3]

Ueber die Ursache der Kollision lasse ich alle Betheiligten vernehmen und kann hier nur kurz anführen, daß ein Befehl des Wachhabenden, Backbord-Ruder zu stützen und dasselbe Steuerbord zu legen, falsch verstanden, und statt Steuerbord hart Backbord gelegt wurde, so daß auch das Rückwärtsgehen der Maschine nichts mehr fruchtete.

Die Formation des Geschwaders war doppelte Kiellinie mit gewöhnlichen Distanzen, aber mit einem geschlossenen Treffenintervall von ein Hektometer.

„Gr. Kurfürst“ befand sich jedoch wohl reichlich vor seiner Position. Beide vorderen Schiffe wollten einem quer vorübersegelnden Schiffe ausweichen, thaten es auch, und schor namentlich „Gr. Kurfürst“ weit nach Stbd. aus, lenkte aber, als das Schiff vorbei, wieder zurück in [181] seinen Kurs; dies hat auch „König Wilhelm“ thun wollen, und ereignete sich dabei die gerade umgekehrte Ausführung des Ruderkommandos, welche demnächst die entsetzliche Katastrophe herbeiführte. Ueber den Befund der Havarie, die das Flaggschiff erlitten, berichte ich, sobald die ganze Bedeutung derselben konstatirt ist. Da das nicht so ohne Weiteres zu beurtheilen war, da ferner namentlich die Steuerfähigkeit des Schiffes nicht ganz sicher erschien, und da die Entfernung nach Portsmouth immerhin keine unbeträchtliche ist, habe ich außer der Begleitung durch S. M. S. „Preußen“ es für nöthig erachtet, die Begleitung eines vom Konsul zu Dover angebotenen Schleppdampfers anzunehmen, den ich entlassen will, sobald in keiner Weise mehr Gefahr für dies Schiff zu befürchten ist.“

Als gerettet wurden 213 Mann, als vermißt 274 angegeben; es ist Hoffnung vorhanden, daß sich von letzteren einige noch nachträglich einfinden, aber für die Allermeisten wurde das Meer zum Grabe. Auffallender Weise konnten, wie dies auch sonst bei Seeleuten häufig vorkommt, Viele nicht schwimmen, sonst wären, da Hilfe schnell vorhanden und das Meer ruhig war, bei Weitem mehr gerettet worden.

Ganz Deutschland trauert über diesen schweren Verlust, der es so kurz vor dem andern traurigen Ereignisse, dem Mordversuch auf den Kaiser, traf.

Der „Große Kurfürst" war 94 Meter lang, über 16 Meter breit und sein Schiffskörper ganz mit Eisen beschlagen. Er hat etwa 8 Millionen Mark gekostet.

Nähere Mittheilungen über diesen traurigen Unglücksfall hoffen wir später bringen zu können.


[196]

Erlebnisse eines Geretteten vom deutschen Panzerschiff „Großer Kurfürst“.

Das war ein Auflauf, als ein Matrose am Pfingstmontag in dem schönen Heidelberg seinen Weg zu dem einzigartig prächtigen Schlosse einschlug, um dort sein Auge zu weiden an der wundervollen Aussicht über Berg, Fluß und Thal, welche sich dem Beschauer darbietet. Und warum drängten sich die Leute um ihn? Seine Mütze hatte die Umschrift: „Großer Kurfürst“. Großer Kurfürst! Welch einen Schmerz erweckt dieser Name in jedem deutschen Herzen! Einen ähnlichen Eindruck, wie wenn Deutschland eine Schlacht verloren hätte, machte ja die Kunde vom Untergange dieses Panzerschiffes, vom Tode so vieler Mann seiner [197] Besatzung. Hier war ein dem Verderben glücklich Entronnener. Was er wohl Alles erlebt haben mochte? Das hätten damals diejenigen gerne gewußt, welche ihn in Heidelberg umringten und mit Fragen bestürmten; das würdest gewiß auch Du gerne erfahren, mein werther Leser. In freundlicher Weise hat dies der Matrose ermöglicht. Zuvorkommend beantwortete er die Fragen; auch wurde er nicht müde, weitere Auskunft zu geben, als der Schreiber dieser Zeilen ihn kurz darauf in seiner Heimath besuchte, um ihn zu bitten, er möchte den Lesern des „Volksblattes“ einige seiner Erlebnisse erzählen. Im Nachfolgenden sind dieselben kurz berichtet. Wir lassen unsern Gewährsmann selbst reden:

„Es war prächtiges Wetter und ganz stille See; unsere drei stattlichen Panzerschiffe – König Wilhelm, Großer Kurfürst und Preußen – sahen so schmuck aus, daß einem das Herz im Leibe lachte. Stolz und majestätisch fuhren sie dahin. Wir sahen die englische Küste nahe vor uns und freuten uns, nachdem wir bis jetzt erst kleinere Uebungsfahrten gemacht hatten, nun auch einmal zu einer ehrenvollen Aufgabe verwandt zu werden; wir hatten ja die Bestimmung, über Portsmouth und Gibraltar nach Salonichi zu fahren, um nöthigen Falls ein gewichtiges Wort bei der Lösung der „orientalischen Frage“ mitzusprechen.

Die Mannschaft sollte eben eingeübt werden im „Klarmachen zum Gefecht, “ d. h. sich so aufstellen, wie wenn es gelte zum Gefecht vorzugehen. Da wird ein Signal mit Trommel und Horn gegeben; Geschütze werden geladen; Scharfschützen begeben sich nach oben; die Bordwand wird vermittelst Scharnierstücken heruntergeklappt u. dgl. m.

Wohl schien es bedenklich, daß „Großer Kurfürst“ und „König Wilhelm“ so gar nahe bei einander waren, aber wir vertrauten auf die erprobte Führung unserer Capitäne, zumal da wir wußten, daß sich Contre-Admiral Batsch auf unserm Admiralitätsschiff „König Wilhelm“ befand. Da kommt plötzlich eine englische Barke vor unsere Linie. „Großer Kurfürst“ biegt aus, „König Wilhelm“ will es auch thun, aber aus einem Grunde, den wir auf unserem Schiffe natürlich nicht erkennen konnten, kommt dieser schnell auf uns zu und stößt unter einem Winkel von etwa 45 Grad in der Höhe des „Großmastes“ auf unser Schiff.

Der Stoß war nicht einmal so furchtbar, als man vermuthen sollte; ich fiel nicht zu Boden und meinte zuerst, wie dies auch meine Kameraden vermutheten, der „Große Kurfürst“ habe nur einen Leck bekommen. Aber schon nach einer Minute fing er an der linken Seite an zu kentern (sich umzukehren).

Sofort wurde Mannschaft an die Pumpen commandirt. Sie begab sich, obwohl sie die Gefahr erkannte, nach unten, um dem Befehle nachzukommen, aber das Schiff sank so rasch, daß man es mit den Augen wahrnehmen konnte. Kaum war daher die Mannschaft unten, so machte sie kehrt; denn daß Wasser drang schon mächtig in die oberen Schiffsräume ein. Die Maschinisten, die sich bei der Feuerung befanden, hatten keine Zeit mehr heraufzukommen; sie merkten kaum, was geschehen war, und fanden – mit Ausnahme eines Einzigen – einen schrecklichen Tod, entweder durch Brand, indem die Kohlen aus den Oefen herausstürzten, weil das Schiff sich seitwärts legte, oder durch Erstickung oder durch’s Wasser. Im Arrestlokal befanden sich gerade drei Mann, welche noch rechtzeitig herausgelassen wurden, widrigenfalls ihnen ein qualvoller Tod sicher gewesen wäre.

Als das Schiff immer tiefer und immer schneller sank, erscholl auf dem Deck der Ruf: „Rette sich, wer kann!“ Bisher war allen Befehlen pünktlichster Gehorsam geleistet worden. In großer, wahrhaft staunenswerther Ruhe wurden dieselben ausgeführt. Als aber jener Ruf ausgesprochen war, hatte natürlich das Commando ein Ende. Jeder dachte an die Rettung seines Lebens. Ich zog meine Stiefel aus, um besser schwimmen zu können, löste die Bänder meiner Beinkleider, damit sich kein Wasser darin ansammle, und wagte den Sprung über Bord. Die Nichtschwimmer zögerten noch, bis auch sie der Augenschein belehrte, daß die einzige Möglichkeit des Entrinnens im Verlassen des Schiffes liege. Es ist gewiß auffallend, daß die Mehrzahl der Mannschaft nicht schwimmen konnte, während man doch meinen sollte, gerade die, welche während einer langen Zeit ihres Lebens außer dem Schiff, auf welchem sie fahren, nur Wasser und Himmel sehen, müßten’s darin nahezu den Fischen gleichthun können. Und doch hält die Meisten ein thörichter Aberglaube ab, die edle Schwimmkunst zu erlernen; sie meinen nämlich, wenn sie auf offener See Schiffbruch leiden, müßten sie sich, sofern sie schwimmen könnten, noch lange abplagen, um dann doch aus Mangel an Kräften dasselbe Geschick zu erdulden wie die Nichtschwimmer. Aber wer weiß, ob ich nicht auch auf offener See eine Planke ergreifen und mich daran so lange halten kann, bis mich ein Rettungsboot aufnimmt, und wie erst wird mir diese Kunst zu Gute kommen, wenn ich bei einen, solchen Unglücksfalle eine Küste in Sicht habe! Das weiß ich: hatte ich nicht schwimmen können, so wäre ich jetzt nicht an dieser Stelle.

Doch zurück zu der Erzählung meiner Rettung! Die erste Welle, die mich im Wasser erreichte, nahm mir meine Mütze vom Kopfe; ich griff natürlich nicht nach ihr; jetzt galt’s ja das Leben! Ich mochte fünf Minuten im Wasser gewesen sein, als ich fühlte, daß meine Kräfte nahezu erschöpft waren. Da sah ich nicht weit von mir ein Rettungsboot des „König Wilhelm“. Ich hielt meine Arme in die Höhe und rief, so laut ich konnte. Die Bemannung erblickte mich wohl nicht, sie hörte mich vermuthlich auch nicht; denn sie kam mir nicht zu Hilfe. Schrecklicher Augenblick! Da dachte ich an meine Lieben im fernen Vaterlande. Ach, wenn ich sie doch wieder sehen könnte! Zu meiner großen Freude kam nun ein englisches Schifferboot in meine Nähe. Ich nahm alle Kräfte zusammen und schwamm darauf zu. Und wirklich, man bemerkte mich! Eine Leine wurde mir [198] zugeworfen, ich konnte sie ergreifen, aber ach! ich war schon so entkräftet, daß ich mich nicht fest daran zu halten vermochte. Doch die See schob mich an das Boot heran. Drei Schiffer faßten mich und holten mich über. Gott sei Dank, ich war gerettet, gerettet!

Mein erster Blick galt dem unglücklichen „Großen Kurfürsten“. Während des Schwimmens hatte ich gefürchtet, Feuer werde in seine Pulverkammer kommen, diese in die Luft sprengen, so daß ich noch von irgend einem Schiffstheil getroffen und in die Tiefe geworfen würde. Es war zum Glück nicht der Fall gewesen. Vom Boote aus sah ich nur noch einige Augenblicke den Kiel des „Großen Kurfürsten“ über den Spiegel hervorragen, und ein aufsteigender Wasserstrahl ließ darauf schließen, daß der Kessel gesprungen sei.

Die braven Schiffer, welche mich aus dem Meere gezogen hatten, fuhren in ihrem Rettungswerke fort. Es gelang mir, mit ihrer Hilfe noch einen Münchener Cadetten, dessen Kräfte ebenfalls fast erschöpft waren, dem Tode zu entreißen.

Man mußte aber auch gräßliche Auftritte erleben! So sah ich, wie ein Schwimmer einen Nichtschwimmer, der sich krampfhaft an ihn anklammerte, erwürgte, um ihn los zu werden. Ein anderer trat einem auf den Leib, um ihm plötzlich den Athem zu stopfen. Es war ein Kampf um’s eigene Leben. Wenige Secunden entschieden die Frage: Sollen wir beide versinken, oder soll ich dich abschütteln, um wenigstens mein Leben zu retten? Es läßt sich leicht denken, mit welcher Zähigkeit Schwimmer von Nichtschwimmern umklammert wurden; gelang es jenen nicht, diese von sich los zu machen, so sanken sie insgesammt in die Tiefe. Das kam mehrfach vor. Auch ein Rettungsboot ging unter, weil sich zu Viele daran hielten. Manche wurden ferner – natürlich ohne Absicht – todt geworfen, indem Leute Schiffstheile vom Bord herabschleuderten, damit sie sich unten daran halten könnten. Und da kam es unglücklicher Weise vor, daß sie schon im Wasser befindliche Männer trafen. Einer der betrübendsten Fälle war der folgende, der mir von Kameraden später erzählt wurde. Ein Bootsmann-Maat (Maat=Gehilfe), ein sehr geübter Schwimmer, suchte sich auf den „König Wilhelm“ zu retten. Derselbe war gleich nach dem Zusammenstoß rückwärts gefahren, um bei dem etwaigen Platzen des Kessels des „Großen Kurfürsten“ außer Gefahr zu sein. Es war also eine hübsche Strecke, welche der wackere Mann zurücklegen mußte. Aber es gelang ihm. Vor dem Bug angekommen, konnte er sich vor Erschöpfung kaum mehr halten. Zwei Mann vom „König Wilhelm“ sahen ihn um’s Leben ringen und wollten zu seiner Hilfe eben über Bord springen, als ihm Einer in der Verwirrung einen bereit stehenden Eimer zuwarf, damit er denselben erfassen könne. Aber – er traf ihn auf den Kopf, so daß der Arme sofort in die Tiefe stürzte. Großer Gott! Was haben die Leute Alles ausgestanden in diesen wenigen Minuten!

Aehnliche Boote wie das unsrige sah man noch viele; die meisten Schiffbrüchigen wurden jedoch durch Boote von „König Wilhelm“ gerettet. Bekanntlich haben die Schiffe Rettungsboote. Der „Große Kurfürst“ besaß deren acht, von denen jedoch nur Eines in’s Wasser geworfen werden konnte (zum Herablassen war keine Zeit mehr). Von den zehn des „König Wilhelm“ kamen, so viel ich sehen konnte, etwa fünf zu Hilfe. Dieselben fuhren bei den englischen Schifferbooten umher, um die Geretteten aufzunehmen; in unserem waren wir zu neun; wir sträubten uns gewaltig, uns auf den „König Wilhelm“ zu begeben, weil wir fürchteten, auch dieses Schiff gehe noch unter, aber schließlich wurden wir doch dahin verbracht.

Was machte indessen Seiner Majestät Schiff „Preußen“? Dessen Commandant war im Begriffe gewesen, längsseit zu kommen, als er durch das Signal von „König Wilhelm“: „Preußen stopp!“ (Maschine halt!) daran verhindert wurde; jener Befehl erfolgte, weil der Contre-Admiral das Platzen der Pulverkammer des „Großen Kurfürsten“ befürchtete. Daher konnte sich die Mannschaft unseres dritten Panzerschiffes nur wenig an dem Rettungswerke betheiligen.

Als ich auf „König Wilhelm“ gebracht war, wurde mir die nasse Kleidung sofort vom Leibe gerissen und ein neuer Anzug gegeben; zur innerlichen Erwärmung erhielt ich eine halbe Flasche Sherry und ein Stück frisches Brod (gewöhnlich gibt’s bekanntlich auf den Schiffen nur Zwieback).

Die Mannschaft des „König Wilhelm“ mußte sich gewaltig anstrengen, um den Leck dicht zu machen, damit nicht auch dieses Schiff das Schicksal des unsrigen treffe. Die jedoch, welche keinen Dienst hatten, nahmen sich unserer in der kameradschaftlichsten Weise an.

Unter Begleitung eines englischen Dampfers fuhren wir nach Portsmouth, wo wir am folgenden Tage, einem Samstag, ankamen. Wir legten weit vom Lande weg an, konnten darum Niemanden sehen; auch die Besatzung von ungefähr neun dort befindlichen englischen Panzerschiffen war mit dem bloßen Auge nicht erkennbar. „König Wilhelm“ gab sofort seine Munition an zwei englische Prahme (Transportboote) ab, damit er leichter werde, und ging noch am selben Tage in’s Dock.

Graf Monts, Commandant des „Großen Kurfürsten“, der sein Leben mit genauer Noth gerettet hatte, hielt am Samstag an Bord Seiner Majestät Schiff „Preußen“ eine feurige Ansprache an die dem Schiffbruch Entronnenen. Er sagte uns seinen herzlichsten Dank für den Muth, die Ausdauer und Ruhe, welche wir in der schwierigen Lage gezeigt hätten. „Bis zum letzten Augenblick habt Ihr Gehorsam geleistet“, diese Worte aus seinem Munde hören zu dürfen, war uns ein Trost mitten in aller Trübsal. Er sprach mit uns wie ein Vater mit seinen Kindern; keiner grollte ihm. Er war uns ein lieber Vorgesetzer gewesen, streng zwar, aber das konnte ja nicht anders sein.

Am darauffolgenden Sonntag wurde Gottesdienst gehalten. Da kein Geistlicher da war, las der Capitän von „Preußen“ eine Predigt vor, deren Inhalt ich nicht [199] verstand, da ich mich zu weit von dem Lesenden entfernt befand.

Ein uns höchst werther Besuch war uns zugedacht. Kronprinz Friedrich Wilhelm, der sich mit seiner Gemahlin gerade in England aufhielt, wollte uns seine Theilnahme persönlich bezeugen. Da traf ihn, da traf das deutsche Volk, da traf auch uns jener schwere Schlag, jene nichtswürdige That, mit welcher ein schamloser Mensch sich an des Kaisers Majestät verging. Nach unseres Commandanten Beispiel trug Jeder von uns den Schmerz stille bei sich. Unseres Kaisers geliebter Sohn konnte uns nicht besuchen; an seiner Stelle kam Contre-Admiral Batsch, um uns das herzliche Mitgefühl Seiner Kaiserlichen Hoheit auszudrücken.

Am Montag Nachmittags 4 Uhr lichteten wir Anker und fuhren, vom schönsten Wetter begünstigt, unter vollem Dampf nach Wilhelmshaven, in dessen Rhede wir kurz nach Mittag anlangten. Bald kamen zwei kleine Dampfer. Auf einem derselben befand sich die Gemahlin unseres Commandeurs, des Grafen Monts. Welch ein Wiedersehen für beide!

Nun wurden die Geretteten an’s Land gebracht.

So standen wir wieder auf deutschem Boden. Ein großartiger Empfang wurde uns da zu Theil! Tausende harrten, die Einen, um uns mit lang andauerndem Jubel zu begrüßen, die Andern, um nach ihren Söhnen, Vätern, Männern zu fragen. Wir wurden ordentlich umlagert. Ach, Manche hatten gehofft, die Liste der Vermißten sei am Ende doch ungenau gewesen. Vergebliche Erwartung! Das Wörtchen „vermißt" war traurige Wahrheit geworden und gleichbedeutend mit „gebettet in der Tiefe des Meeres“. Ein Seemann ist nicht weichherzig. Rauh wie der Sturm, der ihn umtobt, verbrannt von der Sonne, die ihn in die Raaen unbarmherzig sticht, weiß er wenig von Thränen. Aber hier wurden mir und manchen Andern die Augen naß.

In Wilhelmshaven kamen wir in die Kaserne und wurden neu gekleidet. Dann erhielten wir auf 2–3 Wochen Urlaub, nach deren Ablauf wir uns wieder in der Kaserne einzufinden haben.

Es war ein trauriger Freitag für unsere junge Flotte. Und wenn auch schon andere Völker, so z. B. die Engländer in letzter Zeit, viele Kriegsschiffe verloren haben, so ist das ja kein Trost für uns. „König Wilhelm“ muß ausgebessert werden, „Friedlich der Große“ lief kurz vorher auf, und der „Große Kurfürst“ liegt auf dem Meeresgrunde; an ein Heben desselben ist kaum zu denken; es würde dies wohl die darauf zu verwendende Mühe nicht lohnen, – aber trotzdem verzagen wir nicht; wir sahen, daß das ganze deutsche Volk die herzlichste Theilnahme an unserm Mißgeschick genommen hat und daß für die Hinterbliebenen der Ertrunkenen Sammlungen veranstaltet werden, um ihnen wenigstens Einen Trost in ihrem Schmerze, den, daß sie nicht darben müssen, zu Theil werden zu lassen. Und weil wir wissen, daß das deutsche Volk hinter uns steht, wollen wir unser Leben von Neuem der Ehre und Wohlfahrt unseres Vaterlandes widmen und unsere Kriegsflagge fröhlich wehen lassen in allen Meeren.

Nach Mittheilungen des Matrosen Morlock aus Durlach.     

Anmerkungen der Vorlage

  1. Der Zusammenstoß
  2. Der Schaden
  3. Ein künstliches Wasserbecken.