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Unter den Wappenpfählen von Vancouver

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Textdaten
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Titel: Unter den Wappenpfählen von Vancouver
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 32, S. 541, 548
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Totempfähle in der Region von Vancouver
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[541]

Wohnstätte der Vancouver-Indianer.
Nach einer Originalzeichnung von E. Limmer.

[548] Unter den Wappenpfählen von Vancouver. (Zu dem Bilde S. 541.) Der Nordwesten Amerikas bildete eine originelle Welt, die lange für sich abgeschlossen war, bis Jäger und Goldsucher und zuletzt der Zauberer Dampf sie aus tausendjährigem Schlummer weckte und an das laute Treiben der modernen Civilisation anschloß. In den Städten, die an dem eisernen weltenverbindenden Pfade der Nordpacific-Eisenbahn liegen, begegnet man mehr oder weniger civilisierten Indianern und man muß schon auf die Inseln längs der Küste Britisch-Kolumbiens hinausziehen, um das Thun und Treiben der Ureinwohner Nordwestamerikas in voller Ursprünglichkeit beobachten zu können. Für den Jünger der Völkerkunde boten jene weiten Gebiete reiche Fundgruben für die sonderbarsten Kunsterzeugnisse, mit vieler Mühe und unendlichem Fleiß ausgeführte Holzschnitzereien, die heute unsere Museen für Völkerkunde, namentlich aber das Berliner Museum, schmücken. Schon die frühesten Besucher jener Inseln, wie Vancouver und Königin Charlotte Archipel, glaubten sich beim Besuche der Fischerdörfer unter ein Volk von Holzschnitzern versetzt.

Aus der Ferne betrachtet erschienen jene Dörfer wie ein Wald von Mastbäumen; denn vor den einzelnen Häusern und in naher Entfernung von denselben am Meeresstrande waren Baumstämme aufgestellt, die oft vier bis fünf Meter hoch waren. Trat man näher, so sah man, daß die Hinterseite dieser Pfeiler rinnenförmig ausgehöhlt war, damit sie, an Gewicht leichter, ohne Schwierigkeiten aufgerichtet werden konnten, während die Vorderseite von oben bis unten mit Schnitzereien bedeckt war, die groteske Figuren darstellten. Die Häuser dieser Fischer erregten nicht minder das Staunen der ersten Besucher; sie waren nur aus Brettern gezimmert und mit Rindendächern bedeckt, aber auffällig erschienen sowohl ihre Größe wie innere Einrichtung; denn unter dem einen Giebeldache wohnten stets mehrere und oft sehr viele Familien. So gab es dort Häuser, die an 70 Meter lang waren und 700 Personen beherbergten!

Heute ist die Blütezeit dieses indianischen Hausbaus vorüber! Selten findet man noch ein gegen 20 Meter langes Haus, die Hütten sind kleiner geworden und dienen nur vier bis sechs Familien zu sechs bis achtzehn Personen zum Aufenthalt. Eine solche Hütte der Vancouver-Indianer führt uns das nach der Natur von E. Limmer gezeichnete Bild vor. Es steht am Ufer der Meeresstraße mit drei schlanken Pfeilern geschmückt. Die Bretterwände sind an zwei Meter hoch und oben im Rindendache ist ein viereckiges Loch zum Abzug des Rauches angebracht. Betreten wir das Innere eines solchen Wohnhauses, so finden wir, daß die Mitte einen großen freien Raum bildet, in dem sich der häusliche Herd oder eine einfache Feuerstelle befindet; rings an den Wänden sind Bretterverschläge angebracht, in die man durch Klappthüren hineinschlüpfen kann. Darinnen sind die eigentlichen Wohn- oder Schlafstätten der einzelnen Familien, die durch außen angemalte Totems, d. h. Stammes- oder Wappenzeichen der Geschlechter, gekennzeichnet werden.

Der Aufenthalt in einem derartigen Mehrfamilienhause ist keineswegs angenehm; denn nur mühselig findet der Rauch der Feuerstelle den Weg ins Freie und verqualmt völlig den Wohnraum. Dabei ist die Diele nicht immer so rein gefegt wie auf unserm Bilde, in Ecken und Winkeln liegen Abfälle der Fischmahlzeiten. Aber die Indianer fühlen sich wohl in ihrer Behausung, in Kisten und Kasten bewahren sie ihre Reichtümer, die namentlich in wollenen Decken bestehen, sind stolz auf ihr mit Schnitzereien versehenes Hausgerät, und die Diele dröhnt oft unter dem wuchtigen Tritte der Tänzer, die im hellen Feuerscheine in bunter Nationaltracht allerlei Mummenschanz aufführen.

Die Herstellung dieser pfeilergeschmückten, reich geschnitzten Häuser erfordert viel Arbeit und Mühe und ein williges Zusammenwirken vieler Hände. Darum wird auch die Aufstellung eines Pfeilers festlich gefeiert, wobei die Sitte des Potlatsch oder der Verteilung des Eigentums eines einzelnen eine große Rolle spielt. Will ein Mann ein Haus bauen oder einen Pfeiler errichten, so verteilt er einige Monate zuvor unter seine Freunde und die Hauptmitglieder des Stammes sein Eigentum, bestehe es in Decken oder Geld. Wieviel eine jede Person erhält, ist systematisch geregelt, jedes Mitglied des Stammes weiß lange voraus, wie viele Decken es bekommt. Kurz bevor die Arbeit ausgeführt werden soll, wird das verteilte Gut mit Interessen zurückgegeben, ein Mann, der z. B. vier Decken erhielt, giebt deren vielleicht sechs zurück. Dies gilt als eine Art Ehrenerweisung.

Was bedeuten aber die reich geschnitzten Pfeiler? Von den freistehenden Pfeilern sind sicher viele Denkmäler, die man zur Erinnerung an Verstorbene errichtet hat. Die an den Häusern angebrachten sollen dagegen Wappenpfähle sein, auf denen die Totems oder Stammeszeichen der Bewohner geschnitzt sind. Vielleicht steckt in dieser mühevollen Arbeit doch noch eine andere religiöse oder mythologische Bedeutung, welche die Indianer den Fremden verschweigen. Bemerkenswert ist es, daß alle diese Schnitzereien in früheren Zeiten nur mit Hilfe von Stein- und Hornmessern ausgeführt wurden. *