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Unsere vermißten Soldaten

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Titel: Unsere vermißten Soldaten
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aus: Die Gartenlaube, Heft 5, 8, S. 82, 83, 130, 131
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[82]
Unsere vermißten Soldaten.


Am achten Januar d. J, veranlaßte im preußischen Landtage eine Interpellation des Abgeordneten Richter von Hagen den Kriegsminister zu einer Darlegung Dessen, was von Seiten der preußischen Regierung in Bezug auf die Vermißten geschehen ist. Richter hatte zwei Fragen gestellt: 1) „Wie groß ist gegenwärtig noch bei der preußischen Armee die Zahl der aus dem letzten Kriege Vermißten?“ 2) „Welchen Umständen schreibt es die königliche Staatsregierung vornehmlich zu, daß über das Geschick dieser Personen Näheres nicht hat ermittelt werden können?“ In seiner warmen und schönen Interpellationsbegründung zog sich derselbe, weil er das Verdienst der „Gartenlaube“ um diese Angelegenheit erwähnte, ein „Murren rechts“ zu, über das er und wir uns zu trösten wissen. Dagegen können wir nicht verschweigen, wie schmerzlich eine Aeußerung des Ministers uns berührte, und zwar die: daß er beim ersten Anblick der Interpellation diese Frage für müßig gehalten habe. Wir kennen das Herz des verdienten alten Generals und wissen, daß es in diesem Kriege selbst den Vaterschmerz über den Verlust eines tapferen Sohnes zu tragen hatte; eben deshalb sind wir überzeugt: hätte er nur ein Dutzend von den Briefen der Angehörigen unserer Kriegsvermißten, wie sie jetzt zu Hunderten vor uns liegen, diese Briefe voll herzzerreißendsten Jammers gelesen, er würde gewißlich „diese Frage“ nicht „für müßig“ gefunden und auch den Zeitungen nicht den Vorwurf gemacht haben, daß sie diese Vermißtensache nur benutzten, „um etwas Interessantes, etwas Effecthaschendes zu bringen“. Den Zeitungen gebührt vielmehr die Anerkennung, daß sie die Interpellation veranlaßt haben, und daß diese allein erst den Herrn Minister veranlaßte, Umfrage nach der Zahl der Vermißten zu halten, gesteht er selbst mehrmals in seiner Erklärung ein, ja er gesteht sogar ein, daß diese Erklärung ohne jene Interpellation wohl unterblieben wäre. Warum aber dann den Zeitungen Vorwürfe darüber machen, daß sie noch an deutsche Gefangene in französischer Gewalt glauben und die Hoffnung der Angehörigen auf deren Erlösung theilen, wenn die bessere Kunde, in deren Besitz die Regierung allein ist und sein kann, der Oeffentlichkeit vorenthalten wird? Warum wird z. B. die Liste der „etwa hundert“ noch in Frankreich liegenden nichttransportablen Verwundeten und Kranken nicht ebenso veröffentlicht, wie es s. Z. mit den Verlustlisten nach jedem Kampfe geschah? Nicht bloß die Angehörigen, die ganze deutsche Nation hat ein Recht darauf, über Alles, was seine „Vermißten“ angeht, belehrt und soweit es möglich durch die Kunde von den Schritten der Reichs- wie jeder Einzelregierung für dieselben beruhigt zu werden. So lange dies nicht oder unvollständig geschieht, bleibt es die Pflicht der Presse, ihre Thätigkeit auf diesem traurigen Felde fortzusetzen, auch wenn sie weiter nichts bezweckte, als für die Angehörigen nach Ort und Art des Todes ihrer Söhne, Väter, Brüder und Freunde zu forschen.

So lange die Todeserklärung aller Vermißten noch nicht erfolgt ist, hat diese Nachforschung auch ihre praktische Seite für diejenigen Angehörigen, welchen die Auszahlung der für Wittwen, Waisen und Eltern der Todten bestimmten Pension vorenthalten, d. h. von der Beibringung eines Todtenscheins abhängig gemacht wird. Es ist gewiß hart, daß diese Verfügung gerade die beklagenswerthesten Opfer des Kriegs trifft, denen die heilende Zeit nicht die Wunde des Schmerzes über einen Todten verschließt, sondern die fortwährend offen erhalten wird durch die schreckliche Ungewißheit über das Schicksal des Vermißten.

Die Zahl der Vermißten hatte der Herr Kriegsminister vor der Interpellation auf etwa 13–1400 geschätzt; die Umfrage in Folge derselben stellte sie für die Armee des norddeutschen Bundes einschließlich des badischen Armeecorps und der hessischen Division, jedoch mit Ausschluß des sächsischen Armeecorps auf 3241 fest. Nimmt man die Zahl der vermißten Baiern, Sachsen und Württemberger noch so gering an, so wird die Gesammtzahl der deutschen Vermißten sicherlich weit über 4000 steigen, und das ist eine schreckliche Zahl für den einen und kurzen Krieg sind läßt auf die Summe von Jammer und Elend schließen, welche dadurch über die Tausende der Angehörigen daheim gekommen ist.

Solchen Zahlen gegenüber erscheint freilich unsere Thätigkeit und ihr Erfolg fast kleinlich; und doch ist der Erfolg größer, als wir erwartet hatten. Wir theilen die bis jetzt auf unsere Anfragen erhaltene Auskunft mit, schicken dieser Liste aber Einiges aus den uns zugegangenen Briefen und Berichten von allgemeinem Interesse voraus.

Zur Erklärung vieler Fälle von plötzlicher Verschollenheit ist die Belehrung geeignet, die uns von dem Privatdocenten Dr. ph. A. v. Koenen zukommt, der mit einem Sanitätscorps nach Frankreich zog und an verschiedenen Kriegsplätzen, in Lazarethen, in der Evacuation, unter Johannitern und selbstständig thätig war. Er schreibt:

„In den Listen der noch ‚vermißten Soldaten unseres Krieges‘, in der Gartenlaube, finden sich wiederholt Anmerkungen mit Worten des Erstaunens, wie ich sie auch sonst häufig von Privatpersonen gehört habe, nämlich darüber, daß Soldaten spurlos verschwinden konnten und zwar aus Lazarethen etc., nicht blos während des Gefechtes. Für Denjenigen, welcher die Verhältnisse genauer kennen gelernt hat, ist die Möglichkeit eines solchen Verschwindens freilich sehr leicht erklärlich.

Verfolgen wir, um dies darzuthun, den verwundeten N. N. aus der Schlacht, z. B. der bei Gravelotte, bis in die Heimath.

Von den Krankenträgern aus dem Gefecht nach dem Verbandplatze gebracht, wird N. N. hier theilweise entkleidet, und schon hier oder später bei einem Wechseln der Wäsche kann er leicht seine Blechmarke, sein ‚Todtenglöckchen‘ verlieren, oder absichtlich ‚als üble Vorbedeutung‘ entfernen. Nach Anlegung des ersten Verbandes, beim Transport nach dem nächsten Hause, das in der Noth als Lazareth dienen muß, wird N. N. wohl gar mit Uniformstücken eines andern Soldaten von einem andern Regimente oder gar Truppentheil bedeckt oder bekleidet; verliert er das Bewußtsein, resp. stirbt er hier bald, so ist er verschollen. Haben die Krankenträger ihn zufällig persönlich gekannt, so wird er in der Verlustliste als ‚Verwundet‘ genannt, andernfalls als ‚Vermißt‘.

Aber selbst wenn N. N. in jenem Nothlazareth bei Sinnen blieb, auch wohl von Cameraden besucht wurde, so war er noch nicht vor dem Verschwinden gesichert. Sobald wie nur irgend möglich wurden aus den mit Verwundeten überfüllten Dörfern alle ‚Transportfähigen‘ rückwärts resp. nach geeigneteren Orten evacuirt, ohne daß es, in den ersten Tagen wenigstens, möglich war, eine ganz genaue Liste der zu Evacuirenden aufzunehmen. Dabei wollte jeder einzelne transportabel sein, wollte ‚nach Deutschland‘, ‚nach Hause‘.

Die Fuhrleute, oft Franzosen mit requirirten Wagen, wissen natürlich nicht, wen sie fahren, und wenn N. N. unterwegs stirbt, wie dies ja leider öfter vorgekommen ist, ohne daß irgend Jemandem eine Schuld beizumessen wäre, oder wenn N. N. im Lazareth erst besinnungslos wird resp. stirbt, ehe sein Nationale aufgenommen wurde, so ist er wiederum verschollen. So kam am 23. August v. J. unter einem Transport Verwundeter Einer besinnungslos [83] nach Pont-à-Mousson in das Casernenlazareth, bekleidet mit einem preußischen Waffenrock und französischen rothen Hosen, aber ohne Blechmarke und sonstige Kennzeichen.

Aber selbst aus dem Lazareth, nachdem sein Nationale vorschriftsmäßig aufgenommen war, konnte N. N. spurlos verschwinden. – Alle Kranken und Verwundeten hatten nämlich eine unbezähmbare Sehnsucht, wieder nach Deutschland zu kommen, und suchten deshalb zunächst auf die Evacuandenliste zu kommen; hatte der Arzt dies abgeschlagen, so wurden von N. N. allerlei Listen angewendet, um heimlich mit fortzukommen. Gerade solche, vom Arzte für nicht transportfähig erklärte Patienten konnten dann leicht den Strapazen der Reise erliegen, und da N. N. keine Papiere etc. bei sich hatte, auch in der Liste des Transportes nicht aufgeführt war, so konnte seine Identität mit dem aus dem Lazareth H. H. verschwundenen N. N. nicht constatirt, selbst nicht einmal vermuthet werden.

In weit größerer Zahl sind übrigens Reconvalescenten in anderer, weniger bedauerlicher Weise verschwunden. Aus den Krankentransporten, die von Weißenburg nach irgend einem Reservelazareth im Innern Deutschlands geschickt wurden, verschwanden nämlich häufig einzelne Reconvalescenten, und zwar solche, deren Heimath in der Nähe ihrer Reiseroute lag. – Wer verargt es ihnen, daß sie am liebsten ‚zu Hause‘ ihre Wiederherstellung abwarten wollten?“

Der Wege, ein Vermißter zu werden, sind eben zu viel. So erzählten schon im October 1870 die Zeitungen von „seltsamen Leidensgeschichten“, denen preußische Soldaten ausgesetzt gewesen. Sie waren verwundet in Gefangenschaft gerathen, wurden in den Lazarethen sorgsam und sogar liebevoll behandelt, aber, da sie nun als geheilt entlassen werden sollten, fehlten ihre sämmtlichen Kleider und Habseligkeiten. Man steckte sie in alte Civilkleider und stieß sie ohne Geld und Führer in die feindselige französische Welt hinaus. Gehetzt vom Volkshaß und von der Noth, gelangten sie endlich bis an die deutschen Linien, aber nicht Alle, und die das Leben dabei eingebüßt haben, vermehren die Zahl der Vermißten.

Zu großem Danke sind wir dem Münchener Central-Comité des „baierischen Vereins zur Pflege und Unterstützung im Felde verwundeter und erkrankter Krieger“ verpflichtet, das außer den Beiträgen zu der in nächster Nummer folgenden Auskunft uns noch mit nachstehenden Notizen versah:

„Im Schlosse zu Bazeilles starben dreizehn Baiern, deren Namen nicht eruirt werden konnten; außerdem fanden sich dort Leichen unter den Schwerkranken liegend vor, so, wie sie gestorben waren. – Professor Dr. Folwarczny schließt einen Bericht aus Bouillon vom 27. September v. J. mit den Worten: ‚Nachlässigkeit in der Krankenzettelführung, theils auch bewußtloser Zustand der Angekommenen sind Ursache der so ungenauen Bezeichnung der Verstorbenen.‘ Das königlich bairische 12. Infanterie-Regiment setzte einer vom Grafen v. Drechsel gefertigten Gräberliste die ergänzende Bemerkung bei: ‚Fünfundzwanzig Mann, einschließlich vom 1. Jägerbataillon, 1. und 2. Bataillon des 12. Infanterie-Regiments und 107. Infanterie-Regiments (Sachsen) – liegen auf der Höhe östlich des Parkes von La Morcelle.‘“

Ein jetzt in Wien lebender Kanonier der 6. leichten Garde-Batterie sendet uns die Notiz:

„Nach der Schlacht von Sedan lag ich vom 13. September 1870 ungefähr vier Wochen hindurch in einem französischen Hospital, Hôtel Dieu, in Château-porcien bei der Stadt Rethel, und mit mir viele Cameraden. Von Letzteren sind dort mehrere gestorben und begraben worden, die theils dem Typhus, theils auch ihren Wunden erlagen. Wenn ich auch die Leute nicht namhaft machen kann, so weiß ich doch mit großer Bestimmtheit zu sagen, daß der dortige Arzt – ein sehr humaner Mann – ein genaues Namensregister jedes seiner Kranken führte.“

Viele Zuschriften und Zeitungsausschnitte behandelten in allerlei Ausführung und Ausschmückung die Geschichte von den deutschen Kriegsgefangenen in Algier. Auch der Kriegsminister Graf Roon hat diesem Gegenstand den ausführlichsten Theil seiner Rede gewidmet und die vollständige Erfindung der ganzen Algierer Kriegsgefangenschaft nach den Berichten seiner Agenten in den französischen Seehäfen nachzuweisen gesucht. Wir legen daher unser desfallsiges Material vor der Hand bei Seite, müssen es aber trotz alledem bedauern, daß der auch in der Presse (im October vorigen Jahres) besprochene Plan des Herrn Eduard Filchner, Ritters des eisernen Kreuzes und bairischen Militärverdienstordens, in München, nicht zur Ausführung gekommen ist. Derselbe war, wie er uns schreibt, entschlossen: „auf eigene Kosten die Süddepots deutscher Gefangenen in Frankreich bis Algier zu bereisen, um an Ort und Stelle die Erhebungen zu pflegen.“ Er verlangte dazu vom Staate nichts, als daß dem Unternehmen ein öffentlicher Charakter verliehen und namentlich von Thiers ein Schriftstück erwirkt werde, kraft dessen die Maires und Präfecten angewiesen würden, ihm bei seinem Vorhaben möglichst förderlich zu sein. Das bairische Kriegsministerium kam dem Unternehmen mit größter Bereitwilligkeit zur Unterstützung desselben entgegen; dagegen erhoben sich Bedenken auf dem diplomatischen Gebiet, und so ist das Ganze ein Wunsch geblieben. Es ist einem deutschen Mann nicht verstattet, an Ort und Stelle nach unsern Vermißten zu sehen, dagegen reist eine französische Frau, ausgerüstet mit Empfehlungen des Generals v. Treskow, in Deutschland von einer Festung und Strafanstalt zur andern, um die französischen Kriegsgefangenen zu besuchen und ihnen Trost und Hülfe zu bringen. Diese ganz löbliche Rücksicht beobachtet man in dem geordneten Deutschland für wenige gefangene Franzosen, während man dieselbe Rücksicht den Tausenden deutscher Vermißter gegenüber in der liederlichen Wirthschaft Frankreichs versagt, jenes Landes, wo der Haß gegen Alles, was deutsch ist, sogar öffentliche Richter zur Freisprechung geständiger Mörder verführt und die Lüge eine so unerhörte Herrschaft gewonnen hat, daß auch sie gegen den Feind als patriotische Tugend gilt. Wo ist’s nothwendiger, als da, nicht blos französischen Zusicherungen zu glauben, sondern mit eigenen Augen zu sehen? Und wenn wir nichts als Todtenscheine dort zu erwerben vermöchten, so ist doch jeder neue Todtenschein die Beruhigung eines deutschen Hauses oder Herzens, und der Preis sollte nicht so gering erscheinen.

[130] Wir lassen nun die Auskunft folgen, welche auf unsere Vermißtenliste in Nr. 39 der Gartenlaube bis Mitte Januar dieses Jahres uns zugegangen ist.

1) Ueber Gustav Emil Hille (Liste Nr. 19) sind einigermaßen sich widersprechende Nachrichten eingegangen. Nach der eines früheren Feld-Assistenz-Arztes im 11. Feld-Lazareth des 12. Armeecorps, Herrn J. Krause in Leipzig, hat Hille am 1. Sept. 1870 bei Sedan einen Schuß in das linke Hüftbein mit Verletzung des Darmcanals erhalten und war in seiner Lazarethabtheilung in Douzy bis zum 9. October, wo er dem unter der Leitung des Chef-Arztes Dr. Christner stehenden 12. Feld-Lazareth daselbst übergeben und von dem Stabsarzt Dr. Viek und Feld-Assistenz-Arzt Feige behandelt wurde. Beim Abzug dieses Feld-Lazareths von Douzy übernahm der Stabs- und Polizei-Arzt Dr. Jacoby (jetzt wieder in Dresden) die Patienten des 12. Lazareths. – Diesen bestimmten Angaben eines Arztes stellen sich die Aussagen von Cameraden insofern entgegen, als diese behaupten, Hille sei am linken Oberarm verwundet; so habe sein Nebenmann im Kampfe ausgesagt, so ihn ein Krankenträger vor der Thür des Lazareths in Douzy auf einer Tragbahre und ebenso ein Unterofficier im Lazareth selbst liegen sehen. Nach der Auskunft der Lazarethverwaltung in Douzy ist Hille sogar mit einem Verwundeten-Transport nach Deutschland abgefahren. Das Vermißtsein aber erklärt die Frau Simon (in Dresden) damit, daß zwei Züge mit Verwundeten von den Franctireurs durch Wegnahme der Bahnschienen zum Stehen gebracht und genommen worden seien. Und daraus schöpft die Familie noch heute die Hoffnung, daß Hille vielleicht doch aus dieser „französischen Gefangenschaft“ noch wiederkehren könne.

2) Franz Gerisch (Liste Nr. 20). Ein sächsischer Soldat dieses Namens, aber angeblich vom 108. Regiment, aus „Ranibisgrün“ (?) bei Auerbach, kam, vor Paris verwundet, mit einem Schuß durch den linken Oberarm in das Civilkrankenhaus zu Donauwörth, wurde am 24. December amputirt und starb zwei Tage darnach. Auskunftgeber: das Central-Comité und Ritter Ed. Filchner in München.

3) Ueber Friedrich Ludwig Kaden (Liste Nr. 22) sind zwei Briefe eingegangen, welche beide die Gefangenschaft desselben auf der Insel Oléron bestätigen. Der eine ist von einem Mitgefangenen, den die Franzosen als Hülfsarzt und Dolmetscher benutzten und der ausführlich erzählt, wie Kaden als Gefangener und Typhuskranker auf Oléron angekommen, daß er ein junger Mann von kräftiger Statur, aber äußerst zartbleichem, fast mädchenhaftem Antlitz gewesen und daß er mehrere Tage fast hoffnungslos darniedergelegen. Er war auf dem Wege der Besserung, aber noch nicht transportabel, als unser Gewährsmann, am 4. März v. J., in Folge der Auswechselung Oléron verließ. Er ist erbötig, selbst bei dem Arzt und Lazarethinspector der Citadelle Erkundigung nicht nur über Kaden, sondern auch über das Schicksal der übrigen dort zurückgebliebenen deutschen Gefangenen und Kranken (nach seiner Angabe 13 Mann, nämlich: 6 Verwundete, 1 Pockenkranker, 4 Thyhuskranke und 2 an Dyssenterie Leidende) Erkundigungen einzuziehen und uns zur Veröffentlichung mitzutheilen. – Der zweite Brief, aus Deutschkatharinenberg (Sachsen), berichtet von einem andern Mitgefangenen desselben Regiments, der Kaden sehr gut gekannt und der ebenfalls bestätigt, daß derselbe bei der Auswechselung der Gefangenen noch gelebt; er habe mit zwei Preußen auf einer Stube gelegen. Von diesem Gefangenen, Soldat Friedrich Böhme aus Deutschkatharinenberg, erfahren wir zugleich, daß während seiner Gefangenschaft ungefähr siebzig deutsche Soldaten gestorben und alle mit geistlicher Begleitung begraben worden seien, und zwar habe man für jeden Todten einen Geistlichen seines Glaubens gewählt (Oléron ist größtentheils reformirt). Die Geistlichen hätten stets vor dem Begräbniß in einem Comptoir etwas niedergeschrieben, Deutsch habe jedoch keiner verstanden. Auch diese Notiz deutet auf die Möglichkeit hin, über viele Vermißte von dort bestimmte Nachricht erhalten zu können.

4) Leo Droß (Liste Nr. 23). Ueber ihn schreibt der damalige Landwehr-Stabsarzt im 47. Inf.-Regiment, Füsilier-Bataillon, jetzt prakt. Arzt in Frankenstein, Dr. Seifert, daß er in seinen auf dem Schlachtfeld gemachten Bleistiftnotizen unzweifelhaft deutlich den Namen Droß und seine Regimentsnummer 47 mit der Bemerkung „Blasenbeckenschuß“ verzeichnet finde. Er fand ihn in der Nähe der Höhe von Elsaßhausen und leistete ihm die erste ärztliche Hülfe, ist aber der Ueberzeugung, daß der so schwer Verwundete noch desselben Tags gestorben sei. „Ganz bestimmt,“ schließt der Brief, „ist ihm Beistand durch die Unsern in seinen letzten Lebensstunden zu Theil geworden, da in seiner unmittelbaren Nähe Bivouacplätze aufgeschlagen wurden und auch ärztliche Hülfe an jener Stelle hinreichend vorhanden war.“

5) Der Anhaltiner Schettler (Liste Nr. 27) ist wirklich bei einem Recognoscirungsgefecht vor Toul am 16. August auf der Stelle todt geblieben. Adresse zu weiteren Nachforschungen den Verwandten mitgetheilt. Auskunftgeber: Gymnasiast Ernst Busse zu Burg bei Magdeburg.

6) Jens Nicolai Jensen (Liste Nr. 41). Ueber Jensen haben wir drei verschiedene Nachrichten erhalten, die offenbar auf drei Soldaten dieses Namens gehen. Ein Jens Jensen, bei dem man Briefadressen fand, welche ihn als zum schlesw.-holst. Feldartill.-Reg. Nr. 9, 18. Division, gehörig bezeichnen, ist am 5. oder 6. November 1870 im Lazareth von Troyes gestorben und im Kirchhof daselbst begraben. Ein Nicolaus Jensen, Soldat bei der Munitionscolonne des Artill.-Reg. Nr. 9, ist am 4. September 1870 im Lazareth in der Mädchenschule zu Forbach an der Ruhr gestorben und im dortigen Friedhof beerdigt. Ein dritter Jensen, ebenfalls Schleswig-Holsteiner und von der Munitionscolonne des Feldartill.-Reg. Nr. 9, war noch am 22. November 1870, aber todtkrank, im Lazareth zu Hildburghausen. Wir haben den Angehörigen alle drei Briefe gesandt, die aus den ausführlichen Schilderungen derselben wohl den Rechten erkennen werden. Trost bringt keiner von ihnen. Auskunftgeber: F. Paulsen, Stud. d. Theol., in Berlin; K. Didden-Inkaln in Oldenburg.

7) Musketier Everling (Liste Nr. 46), von der 7. Comp. des 76. Reg., ist am 11. Januar 1871 zu Chartres am Unterleibstyphus gestorben und der Todtenschein richtig ausgestellt worden. Auskunftgeber: Gust. Nolte, Stud. d. R., in Hamburg.

8) Christoph Mohr (Liste Nr. 51) aus Nürnberg, ist sehr schwer verwundet am 22. September 1870 in das Aufnahme-Hospital Nr. 10 im Schloß Montvillers gekommen und dort, nachdem er als Katholik die Sacramente empfangen, am 25. September gestorben. Baarschaft ist nicht bei ihm gefunden worden. Auskunftgeber: Fr. Herterich in Würzburg und das Münchener Central-Comité.

9) Böttcher (Liste Nr. 56). Ein Gustav Böttcher, vom 108. Reg., 3. Comp., war Gefangener in Paris; ein Karl Böttcher, vom 109. Reg., Gefangener in L’Isle de Yen in der Vendée. Näheres noch nicht erlangt. Auskunftgeber: das Münchener Central-Comité.

10) Ernst Weinert (Liste Nr. 65) ist, laut Todtenschein, nachdem er am 18. August bei St. Privat durch einen Granatsplitter am Bein schwer verwundet worden, am 28. September 1870 im Lazareth zu Doncourt gestorben. Auskunftgeber: Rentier Engelmann in Mügeln bei Oschatz und Feldwebel Wagner j. in Sedan.

Ebenso unmöglich ist, wie im vorliegenden Fall gewünscht wurde, die Leiche wieder aufzufinden, denn wenn man auch den Friedhof und selbst das Grab erforscht, so werden doch stets mehrere und nicht selten viele Todte in ein großes Grab gelegt.

„Unbegreiflich“ nennt es dagegen unser Gewährsmann, „daß die Verwandten oder die Ortsbehörden, für die doch der Todtenschein eigentlich angefertigt ist, darüber im Ungewissen gelassen werden können.“

11) Ueber Gottlob Najork (Liste Nr. 68) erhalten wir folgende Nachricht von Herrn F. v. Wangenheim-Wintershaus in Potsdam, der, selbst bei Mars-la-Tour verwundet, in die Kirche von Gorze, die als Lazareth diente, transportirt worden war: „Neben mir lag auch ein Soldat des 52. Infanterie-Regiments, durch einen Schuß in die Brust anscheinend schwer verwundet; derselbe erzählte mir viel von seiner Frau und seinen ‚Kinderchen‘ und daß er bei Forst zu Hause sei; ferner theilte er mir mit, daß er am Morgen des 16. August, als wir schon vor Gorze Kanonendonner hörten, aus Aberglauben die Blechmarke fortgeworfen habe. Mein Nebenmann ist wahrscheinlich seinen Wunden erlegen, ohne daß es möglich war, seine Persönlichkeit festzustellen. In Gorze liegen so Viele gebettet, – wer kennt ihre Namen?“

12) Musquetier Julius Kornagel (Liste Nr. 71) ist zuletzt in Moyeuvre, zwischen Metz und Diedenhofen, von dem Herrn Landwehr-Cavallerie-Lieutenant und Rittergutsbesitzer Rudolph in Glondenhof bei Züssow in Pommern gesehen worden und giebt derselbe die Adressen zur Weiterforschung an.

13) Ueber Aug. Marhold (Liste Nr. 75) kann auch das Münchener Central-Comité nur berichten, daß er am 22. October 1870 noch in Orleans lag.

14) Adolf Söllner (Liste Nr. 80) wurde, nach Angabe seiner Compagnie-Cameraden, am 7. October 1870 Nachmittag durch einen Schuß in die Seite schwer verwundet, nach Metz gebracht und starb daselbst am dritten Tag darnach. Er soll eine ziemliche Baarschaft bei sich gehabt haben, weil er sich im Lager mit Graveurarbeiten beschäftigte. Auskunftgeber: Bürgermeister Wendt in Czempin.

15) Fritz Oppelt (Liste Nr. 122) ist wirklich, und zwar laut von der Lazarethinspection zu Baigneaux bei Orleans in aller Form ausgestellten Todtenscheins, am 8. December 1870 daselbst gestorben und begraben. Wir entnehmen dem Briefe des Auskunftgebers, des Herrn Dr. Steiner, praktischen Arztes zu Xanten, welcher als Assistenzarzt an jenem Lazareth thätig war, folgende Bemerkungen von allgemeinem Interesse: „Was den Nachlaß anbetrifft, so werden von den Rendanten des Lazareths nur die hinterlassenen Werthsachen, wie Geld, Uhren, Ringe und dergleichen in Verwahrung genommen und an eine vorgeschriebene Behörde (wenn ich nicht irre, an die Generalkriegscasse) abgegeben; andere Sachen, wie Notizbücher und dergleichen, deren Besitz wohl oft sehr erwünscht für die Hinterbliebenen sein mag, aufzuheben, ist in einem Feldlazareth, das den Truppen folgen muß, absolut unmöglich, denn wo sollte man mit den Sachen, die sich massenhaft anhäufen würden, bleiben, wie sollte man schließlich Alles transportiren können? Nur in einem stehenden Lazareth mag das Aufbewahren von derlei Gegenständen allenfalls angehen.“

[131] 16) Ueber Julius Schwarz (Liste Nr. 123), den Sohn der armen unglücklichen Wittwe, deren einzige Stütze er war, für sie und seine vier jüngeren Geschwister, – erhalten wir eine Berichtigung unserer Angabe. „Das 56. Regiment“ – schreibt uns der Fabrikbesitzer Herr Heuer in Lichtenstein bei Osterode am Harz, dessen Sohn, der Stud. der Chem. Wilhelm Heuer, bei demselben Regiment gestanden – „hat den Feind nicht bis zur schweizer Grenze verfolgt, sondern von Orleans bis Laval. Die Schlacht am 9. Jan. d. J. war nicht bei Pierrere, sondern bei St. Pierre vor Le Mans. Die dort Verwundeten kamen nach Vendôme oder Le Mans. Uebrigens erinnert sich mein Sohn, daß an jenem Tage das 56. Regiment durch einen verhauenen Wald hat vordringen müssen und daß es stark schneite, so daß ein Verwundeter oder Todter leicht unbemerkt liegen bleiben konnte.“ – Gegenwärtig steht das 56. Regiment in Köln und Wesel.

17) Ueber Friedrich Carl (Liste Nr. 125) sind vier Briefe eingegangen. Herr Bataillonsarzt Dr. Deininger in München berichtet, daß Carl am 16. Sept. 1870 in das Lazareth zu Rozoy-en-Brie, unweit Corbeil, als Ruhrkranker gekommen sei, und nennt die Namen von sechs Soldaten desselben Regiments, bei welchen vielleicht weitere Kunde über den Vermißten zu erlangen sei. Herr Oberlieutenant Bedall in München passirte „Rozoy-en-Brie am Yères“, wie er unser „Rosoy (?)“ berichtigt, am 11. Octbr. 1870 als Führer der Avantgarde eines größeren Ersatztransportes und erfuhr, daß daselbst Typhus und schwarze Blattern grassirten und deshalb keine Garnison dort gewesen sei; im Spital der barmherzigen Schwestern habe man, nach Aussage der Einwohner, viele deutsche Soldaten verpflegt, von denen anfangs die meisten rasch gestorben und nur noch einige preußische und bairische Typhus- und Ruhrkranke damals übrig gewesen seien. Herr Husaren-Wachtmeister Schulz in Lissa ertheilt den Rath, Nachforschung bei seinem freundlichen dortigen Quartiergeber, Monsieur Maillard, anzustellen, Herr Dr. med. Hucklenbroich in Bedburg kam auf dem Marsche nach Paris am 9. Novbr. v. J. nach Rozoy und besuchte gegen Abend das Nonnenkloster, der Pfarrkirche gegenüber, um nach den dort liegenden kranken deutschen Soldaten zu sehen. Er schreibt: „Ich fand dort einen bairischen Infanteristen, dessen Namen und Regiment ich leider nicht weiß. Er hatte augenscheinlich einen schweren Typhus überstanden, war aber jetzt in der Reconvalescenz und recht munter. Er konnte nicht genug die Liebe und Sorgfalt der Schwestern rühmen; behandelt hatte ihn der Arzt des Städtchens mit ebenso großer Theilnahme. Trotz dieser guten und wirklich rührenden Pflege der Nonnen, die ich selbst beobachtete, kann der Arme doch einem Rückfall erlegen sein. Jedenfalls haben dann wahrhaftig Engel an seinem Todeslager gestanden.“

18) Julius Richard Lange (Liste Nr. 127). Feldwebel Emil Wagner von der 3. Comp. des Reg. 108 berichtet, daß die betreffende Feldpostkarte von keinem Mann der Compagnie an die Eltern geschickt worden sei.

19) Moritz Herb (Liste Nr. 134) wurde in dem Gefechte bei Patay am 4. Dec. 1870 vermißt, ist aber nunmehr vom Regiment als dort begraben bezeichnet.

20) Christian Schulz (Liste Nr. 137) wurde am 7. Oct 1870 vor Metz so schwer verwundet, daß er, als unrettbar, gleich von dem Verbandplatz, der in einem Gehöft in Maizières bei Metz war, in den Garten neben die Mauer gelegt wurde, wo er gleich darauf starb. Zugleich mit drei anderen Cameraden begrub man ihn in einem Blumengarten und der Feldgeistliche der dritten Reserve-Division gab ihnen den Segen.

21) Friedrich Lorenz (Liste Nr. 146) betreffend, erhalten wir die Nachricht, daß auf dem Weißenburger Gottesacker aus Wanfried ein Heinrich Bohr begraben liegt, kein Lorenz.

22) Johann Max Hollerith (Liste Nr. 155) betreffend, giebt ein Brief mit unlesbarer Unterschrift eine Adresse zur Weiterforschung in Pau an.

Unsere Leser werden, wenn sie der vorstehenden Auskunft ihre Beachtung geschenkt haben, mit uns darin übereinstimmen, daß es, nach diesem Erfolg unserer Nachfragen nach unseren Kriegsvermißten, ein Unrecht wäre, die Flinte schon in’s Korn zu werfen. In runder Zahl kamen auf 150 Anfragen 20 Antworten. Und dabei sind wir auf den Kreis unserer Leser beschränkt gewesen. Der Erfolg würde sicherlich ein größerer geworden sein, wenn namentlich die politischen Tageszeitungen auf unsere Vermißtenliste aufmerksam gemacht hätten. Vielleicht geschieht dies jetzt, wo der Gegenstand durch die Interpellation auf die Tagesordnung gebracht war. Eine Frist müssen aber auch wir diesen Listen setzen, und wir bestimmen dazu den Augenblick, an welchem für alle Vermißten die Todeserklärung ausgesprochen ist. Es ist schwerlich zu befürchten, daß viele Leser der Gartenlaube diese Sorge und Rücksicht für die kummervollen Angehörigen unserer so unheimlich verschwundenen oder verschollenen Soldaten als störende Raumvergeudung der Redaction zum Vorwurf machen werden.