Zum Inhalt springen

Unsere Prinzessinnen

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: G. H.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Unsere Prinzessinnen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 137–140
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[140]
„Unsere Prinzessinnen.“


Unter obiger familiärer Bezeichnung versteht der Berliner die zwei Bräute, deren Hochzeit am 18. Februar in der Capelle des königlichen Schlosses zu Berlin in feierlicher Weise stattfinden wird. Die Prinzessin Charlotte von Preußen, die am 24. Juli 1860 geborene älteste Tochter des Kronprinzen des deutschen Reiches und von Preußen, wird den Erbprinzen von Sachsen-Meiningen heirathen; Prinzessin Elisabeth, zweite Tochter des Prinzen Friedrich Karl, geboren am 8. Februar 1857, wird die Gemahlin des Erbgroßherzogs von Oldenburg werden.

Officiell wird eine preußische Prinzessin erst von dem Momente ihrer kirchlichen Confirmation an. Vorher existirt sie nur für ihre Eltern und Familie, ihre Erzieherinnen und Lehrer, für den Hausminister, als Verwalter des königlichen Hausvermögens, welches die Erziehungs- und Unterhaltungskosten sämmtlicher Kinder des königlichen Hauses von Preußen auf seinen Etat nimmt, auch etwa noch für den gothaischen Hofkalender, aber nicht für das Publicum. Dieses sieht den Sprößling des königlichen Hauses bis dahin nur durch die Fenster des Hofwagens, wenn dieser seinen Weg die Linden entlang nach dem Thiergarten nimmt. Erfüllt von Interesse an dem regen Straßenleben schauen frische, rosige Kinder aus dem Innern des Wagens, in dem sie unter Aufsicht ihrer Gouvernanten sitzen; die Wache am Brandenburger Thore ruft: „’raus!“ und wenn ein Fremder, der weder Hofwagen noch die üblichen Honneurs kennt, den eingeborenen Berliner fragt: „Wer war das?“ dann lautet die Antwort: „Unsere Prinzeßchen“. Diese avanciren jedoch in der öffentlichen Meinung, wenn sie confirmirt oder, um mit dem Berliner zu sprechen, eingesegnet sind. Sie bekommen dann ihren Hofstaat, eine Apanage; bei festlichen Gelegenheiten werden sie von zwei Leibpagen bedient; sie erscheinen mit dem ihnen zukommenden Rang bei Hofe, dürfen sich als selbstständige Wesen fühlen, soweit das die Etikette erlaubt, und allenfalls eine Zeitung lesen; sie sind „unsere Prinzessinnen“ geworden. Das ist das Lebensstadium, wo das Interesse des Publicums für sie erwacht, wenn wir unter diesem nicht allein die Bevölkerung Berlins, sondern des ganzen preußischen Landes verstehen wollen, dessen ältere Provinzen von ihrem persönlichen, patriarchalischen Verhältnisse zu dem regierenden Königshause nichts eingebüßt haben, noch weniger der Berliner. Diese Anhänglichkeit ist eine der gemüthvollen Seiten des Volkscharakters der preußischen Hauptstadt. Der Berliner ist durch alle politischen Wandlungen hindurch loyal geblieben. Er weiß sehr wohl, daß nur diejenigen Hofwagen, deren Kutscher und Lakaien in der silbernen Borde der Hüte die preußischen Wappenzeichen, die schwarzen Adler, tragen, Mitglieder des königlichen Hauses bergen; er wird solchen Wagen stets seine Reverenz machen, und für „unsere Prinzessinnen“ legt er eine geradezu rührende Anhänglichkeit an den Tag. Wunsch und Gedanke einer „recht juten Heirath“ beschäftigten ihn für sie vielleicht mehr und eher, als die Prinzessinnen selbst. Er denkt sich in seiner Unbefangenheit, daß er Aussteuer und Mitgift, als steuerzahlender Staatsbürger, mittragen muß, obwohl die zweihunderttausend Thaler, die jede preußische Prinzessin als Heirathsgut bekommt, seit Friedrich Wilhelm dem Ersten nicht mehr vom Lande, sondern aus dem Hausvermögen der königlichen Familie bestritten werden, aber „des Allens schadet nischt, wenn sie man jute Männer kriegen“. Er nimmt daran Antheil, als gehörte er zur Familie.

Zuerst verlobte sich Prinzessin Charlotte, obwohl sie die Jüngere von den beiden Prinzessinnen ist. Sie wählte den Erbprinzen von Sachsen-Meiningen. Es war von beiden Seiten eine Wahl, in der persönliche Neigung und Familienwünsche sich begegneten. Die Mutter „des Meiningers“, wie er bereits im Volksmunde heißt, war die rechte Cousine des Vaters der Braut; der Kronprinz wurde mit Prinzessin Charlotte, der ältesten Tochter seines Oheims, des Prinzen Albrecht, confirmirt. Beide verband von Jugend an eine tiefe, religiös-idealen Gedanken entstammende Freundschaft, die bis zu dem Tode der Erbprinzessin von Sachsen-Meiningen, ja über das Grab derselben hinaus währte. Der Kronprinz blieb den Kindern zugethan, wie einst der Mutter. Nach dem Kriege von 1870–71 wurde der Erbprinz nach Berlin in das Garde-Füsilierregiment versetzt und verkehrte von nun an wie ein Sohn in dem Kreise der kronprinzlichen Familie. Hier war er in dienstfreien Stunden am häufigsten zu sehen und weiter in wissenschaftlichen Versammlungen. Seine Gestalt ist nicht sehr groß, aber in richtigen Proportionen sich haltend; das blau-graue Auge beherrscht ein etwas schmächtiges Gesicht, dessen Züge den prägnanten Ausdruck geistiger Lebendigkeit tragen. Dieser theilt sich auch den Bewegungen der Gestalt mit.

In seinem Benehmen entfaltet der Erbprinz eine die feinsten Rücksichten beobachtende Haltung, welcher ein unverkennbarer Zug von Herzensfreundlichkeit innewohnt. Rechnet man bei dieser jugendlichen mit geistiger Reife gepaarten Lebendigkeit noch mit einer ideal-künstlerischen Richtung, welche das innere Wesen des jungen Mannes ausmacht, so wird man wohl begreifen, wie ein junges, durch die Erziehung stets auf natürliche und unbefangene Eindrücke hingeleitetes Mädchenherz sich von solchen Eigenschaften bestimmt fühlen mußte, und dieses Bestimmende ward ihm zum Schicksal. Wenn man auch von Seite der kronprinzlichen Eltern die eheliche Verbindung mit dem Erbprinzen wünschen mochte, so war doch die Wahl der Prinzessin ihres Herzens freier Entschluß. Der Wechsel zwischen Kinderstube, wo sie, sei es in Berlin im väterlichen Palais oder in Potsdam im Neuen Palais oder auch auf Reisen, nur unter den hütenden Augen der Eltern oder Erzieherinnen, im Kreise ihrer Geschwister gelebt hatte, und zwischen den glanzstrahlenden Sälen des Königsschlosses, wo tausend Blicke auf sie gerichtet waren, gestaltete sich etwas rasch und sollte die Prinzessin befangen erscheinen lassen. So bei dem großen Galadiner, das zu Ehren ihrer Verlobung stattfand. Fast mit kindlicher Schüchternheit saß sie an der Seite ihres Bräutigams zwischen den kaiserlichen Großeltern, und die großen [141] lichtblauen Augen gingen mit einem Gemisch von Freude, Staunen und Interesse an Allem, was da war und vorging, durch den Saal, und das Wunderbarste bei dem Allen schien ihr zu sein, daß sie der Mittelpunkt all dieses entfalteten Glanzes war. Die Gestalt der Prinzessin ist von jener Höhe, die sie auch im Aeußeren in ein harmonisches Verhältniß zu ihrem Gatten bringt. Vom Vater hat sie die schönen hellen Augen und das blonde Haar, von der Mutter den Schnitt des Gesichtes und die anmuthige Gestalt, vom Hause Hohenzollern die frischen Farben und den kräftigen Gliederbau. Fast schien sie, wie sie als Braut durch die Säle des Schlosses dahin schritt, gedrückt von der silbergestickten Robe und Schleppe, von der diamantenen Krone, die auf dem Hinterhaupte ruhte, von all dem Glanz und Pomp, der auf sie zurückstrahlte.

Prinzessin Charlotte ist keine Erscheinung für den fürstlichen Hofmantel. Man denkt zu ihrer schlanken, jungfräulichen Figur unwillkürlich ein helles leichtes Kleid, ein buntes Band um die Taille, einen Kranz von frischen Blumen in dem Haar und in der Hand einen Band Geibel’scher Gedichte. Sie ist eine Figur für die Idylle. So ist auch das Heim, das man ihr und ihrem Gemahl bereitet hat, jene Villa links vom Wege, der vom grünen Gitter an der Friedenskirche am Marlygarten vorbei durch eine prächtige Lindenallee nach Sanssouci führt, ein zweistöckiges Haus im italienischen Villenstil, etwa acht Fenster in der Front, mit einem pavillonartigen Ausbau, daran ein Garten, den man erweitert und gelichtet hat, das Innere von vornehmer moderner Eleganz, die ihren höchsten Ausdruck in der Einfachheit findet – Alles bequem, wohnlich, heiter, angenehm, aber nirgendwo Luxus. Vielleicht hätte es mancher reiche Mann im deutschen Reiche seiner Tochter noch prächtiger geben können, als es der Kronprinz und die Kronprinzessin des deutschen Reiches gethan, aber gerade diese Herrschaften können sich ihren Kindern gegenüber den Luxus der Einfachheit erlauben. Das Haus gehörte einst dem Kämmerer und Vertrauten Friedrich Wilhelm’s des Dritten, Timm, von dem ältere mit den damaligen Hofverhältnissen vertraute Berliner tausend Geschichten zu erzählen wissen. Dann wurde es für die zweite Gemahlin Friedrich Wilhelm’s des Dritten, die Fürstin von Liegnitz, gekauft, erweitert und eingerichtet. Sie bewohnte es im Jahr zwei Monate. Seit ihrem Tode stand die Villa leer. Nun wird im Sommer das junge Paar sie beziehen, um dort hinter den dichten Mousselinvorhängen unter grünen Baimwipfeln und diftenden Blüthen den Traum vom Glücke des Lebens zu träumen.

In dem Trousseau (der Ausstattung), der nach Berliner Hofsitte, die eben nur wieder ein alter deutscher Hausbrauch ist, dem Publicum zur Schau ausgestellt war, befanden sich zwei Courroben mit Schleppen, die eine, von himmelblauem Sammt mit breiten weißen Spitzen und mit Rosen garnirt, war für die Prinzessin Charlotte bestimmt, die andere, von purpurfarbenem Sammt mit Gold gestickt, für die zweite Braut, Prinzessin Elisabeth. In diesen äußeren Hüllen mag die Individualität der beiden Prinzessinnen markant sein. Prinzessin Elisabeth ist von hoher, schlanker Figur, die sich in bewußter Haltung giebt. Von ihren beiden Schwestern hat sie die meiste Aehnlichkeit mit ihrer Mutter, der schönen Anhaltinerin, die sich heute noch auf Reisen als Schwester ihrer Tochter in das Fremdenbuch schreiben könnte. Die Natur hat aus den jugendschönen Zügen der Mutter für die Tochter einige weggenommen, dazu einen charakter- und energievollen Zug des Vaters gefügt, und so sind daraus die Züge der Prinzessin Elisabeth geworden. Ob sie schöne Augen hat, weiß man nicht; sie sind in stillem Ernste immer wie nach innen gekehrt, und die Verschleierung derselben ist reizvoller, anziehender, als vielleicht der strahlende Glanz. Die Töchter des Prinzen Friedrich Karl hatten eine vortreffliche Erzieherin in der Person der Gräfin Schlieffen. Nach dem Willen des Vaters sollten in ihnen nicht Prinzessinnen nach der alten Schablone, sondern einfache, natürliche, liebenswürdige Mädchengestalten erzogen werden. Das ist denn auch vollauf erreicht worden.

Es war im November vorigen Jahres; der Wald war noch grün und die Luft lau wie im September. Es war Rendezvous zur Parforcejagd am Jagdschloß Stern bei Potsdam. Die Meute fing an laut zu werden und wurde nur durch die Peitschen der Piqueare im Zaume gehalten. Die Jäger, Officiere der Berliner und Potsdamer Garnison, waren von den Pferden abgestiegen, – außerdem war viel Volks versammelt – in offenen vierspännigen Wagen waren die jungen Prinzessinnen aus Glienicke gekommen. In dem ersten saß Prinzessin Elisabeth mit ihrer älteren Schwester, der Prinzessin Marie. Auf dem Schlage des Wagens lehnte mit übereinandergeschlagenen Armen ein junger Mann von etwa vierundzwanzig Jahren. Die schlanke, elastische Gestalt war mit dem rothen Jagdfrack bekleidet; an die weißledernen anliegenden Unterkleider schlossen sich die überschlagenen Stulpstiefeln an; das längliche vornehm geschnittene Gesicht mit etwas bräunlichem Teint und einem braunen Bärtchen auf der Oberlippe war von einem modernen Cylinderhut überschattet, und die braunen lebhaften Augen gingen ganz und voll auf die im Fond sitzende Prinzessin aus. In dieser Weise durfte aber nur ein Bruder oder Bräutigam mit den fürstlichen Damen verkehren. Es war kein Anderer als der Erbgroßherzog von Oldenburg. Das Brautpaar plauderte und lachte miteinander, hier, vor allen Zeugen so harmlos und unbefangen, als säße es daheim im Glienicker Parke, und das Glück des Beisammenseins leuchtete Beiden aus jedem Blicke. Gar oft im Sommer ließ der Erbgroßherzog, der in jenen Tagen bekanntlich bei den 1. Gardedragonern stand, noch des Abends nach dem Diner sein Pferd satteln, um den vier Meilen weiten Weg zur Braut nach Glienicke zu reiten und dann in später Abendstunde wieder nach Berlin zum Dienste am frühen Morgen zurückzukehren. Man erzählt sich in gesellschaftlichen Kreisen Berlins – und darum möchte es nicht gar zu indiscret sein, das Gesagte hier mitzutheilen – daß Prinz Friedrich Karl seiner Tochter Mittheilung von der Werbung des Erbgroßherzogs mit dem Bemerken gemacht habe, die Prinzessin habe zu einer Antwort acht Tage Bedenkzeit, worauf diese erwidert habe, daß letztere überhaupt gar nicht nöthig sei.

Da eine preußische Prinzessin nicht gut „Frau Rittmeister“ werden kann, so wird der Erbprinz seine dienstlichen Verhältnisse in der preußischen Armee verlassen und fortan mit seiner jungen Gemahlin in Oldenburg residiren. Die ersten Tage ihrer Ehe werden die beiden jungen Paare im Schlosse zu Berlin zubringen. So gebietet es ein altes Hausgesetz. Es wird volle Hochzeit mit königlichen und fürstlichen Gästen in großer Anzahl sein. Der Berliner Hof wird bei seiner imposanten Würde die höchste Prachtfülle entfalten. Einige Tage werden die jungen Paare an den Hochzeitsfeierlichkeiten Theil nehmen, dann aber jeder der jungen Ehemänner sein bestes und schönstes Theil entführen, der eine nach Süden an die Gestade des Comersees, der andere nach Norden. Schmerzlich wird Berlin „unsere Prinzessinnen“ scheiden sehen.

     Berlin, 12. Februar 1878.

G. H.