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Unsere Hausglocke

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Textdaten
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Autor: W. Heimburg
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Titel: Unsere Hausglocke
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aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 849–856
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Unsere Hausglocke.

Eine Weihnachtsgeschichte von W. Heimburg.
Mit Illustrationen von Alexander Zick.

Auch am heiligen Abend hat unser Einer keine Ruhe! Meine Frau zündet vielleicht eben die schlanken Kerzchen des Baumes an, beschaut noch einmal lachend das stereotype Weihnachtsgeschenk, die buntgestickten Morgenschuhe, das sie mir seit dreißig Jahren regelmäßig unter die Weihnachtstanne legt, und will nun die Thürklinke heben, um zu rufen: „So, Alter, jetzt darfst Du kommen!“ Da schrillt die Glocke durchs Haus. – Eine Doktorglocke, wenigstens die unsere, hat einen ganz eigenthümlichen Klang, so gellend bang und so ungemüthlich. Macht es, daß sie mit Angst gezogen wird, mit schreckensvoller Hast, oder ist es das Bewußtsein, du mußt hinaus aus dem traulichen Heim, hinaus in Sturm und Regen an ein Kranken-, vielleicht ein Sterbebette? Ich weiß es nicht, aber meine Frau und ich, wir sind einig, der schrille Ton kann durch Mark und Bein dringen, zumal des Nachts. Am Weihnachtsabend nun, da klingt sie noch ganz besonders, die alte Glocke. An dem Feste des Friedens und der Freude sollte eigentlich kein Mensch krank werden, aber – du lieber Himmel! – was habe ich an den Weihnachtsabenden nicht gerade alles erlebt! Ich habe einen Familienvater sterben, plötzlich aus vollstem Wohlbefinden zum Tode gehen gesehen; ich habe am Bette der jungen Mutter gestanden und ihr das eben Geborene in die Arme gelegt, just a!s der alte Stadtmusikus mit seiner Bande vom Rathhausthurme blies: „Vom Himmel hoch da komm ich her!“ Ich habe den armen Handwerksburschen, der auf der Landstraße in einer Schneewehe verklammt gefunden wurde, die Augen öffnen sehen und ihm ein Glas Weihnachtspunsch kredenzt, habe am Bettchen der maserkranken Kleinen vom Christkindchen erzählen müssen und habe Schuster Blankenfeldt’s hübsche Lore vom Brückengeländer weggezogen, über das sie eben in unser langsam ziehendes Flüßchen springen wollte, weil ihr Schatz ihr just zur Bescheerung die Treue aufgesagt.

Das sind Geschichten, die passiren Einem alle Tage, nicht wahr? Aber am vierundzwanzigsten December sieht man sie mit anderen Augen an, mir geht es wenigstens so. Und wie ich zurück denke an die Weihnachtsabende, die vergangen sind, seitdem ich hier in Oldberg als Arzt thätig bin, heben sich aus den dreißig zwei ganz besonders hell und lebendig hervor. Kein Wunder; ich werde ja täglich daran erinnert.

Unser Städtchen ist klein, es zählt heute fünftausend Einwohner, vor zehn Jahren, von welcher Zeit ich zunächst sprechen will, zählte es noch weniger. Es liegt abseits der großen Heerstraße; auch heute macht die Eisenbahn einen Umweg, als wolle sie vermeiden, sein träumerisches Dasein durch Pfeifen und Rollen zu stören. Der Thurm der einzigen Kirche müßte eigentlich als Berühmtheit angeführt werden, er ist windschief, nicht ganz so schief wie der bekannte Kollege in Pisa, aber annähernd. Sonstiges Sehenswerthe ist absolut nicht vorhanden, wenn man nicht ein paar eiserne Kugeln in der schlichten Rathhausmauer dazu rechnen will, die aus Tillyschen Kanonen stammen. Die alten grasbewachsenen veilchendurchblümten Wälle ziehen sich noch immer um die rothbedachten spitzgiebeligen Häuser; zur Sommerzeit flattert lustig weiße Wäsche dort oben und die Jungen spielen Indianer darauf. – Die Straßen sind menschenleer und haben schlechtes Pflaster, und auf dem Marktplatz steht ein Roland von Stein. Am Ende einer stillen Gasse liegt mein Haus; es ist zweistöckig, hat niedriges Parterre, eine Sandsteinbank vor der Thüre und darüber hängt ein Fliederbaum seine Zweige. Wenn er im Sommer blüht, kommen die alten Frauen aus der Nachbarschaft und bitten meine Line um ein paar Blüthen davon zum Trocknen, sie kuriren hier zu Lande alles Gebreste mit Flieder- oder Kamillentee – ein trauriges Faktum für den Arzt.

Das Haus ist geräumig und still, viel zu groß für uns Einsamgebliebene. In der Mitte ein gewölbter kühler Flur, rechts meine Behausung – Warte- und Arbeitszimmer, links die beiden Zimmer meiner Karoline. Dort sitzt sie am Fenster hinter ihren Blumenstöcken und strickt oder näht, just noch so still anmuthig wie damals, als sie, eben achtzehnjährig, mein Weib wurde. Sie hat hübsche Aussicht dort, uns gegenüber steht kein Haus mehr, die Probsteistraße mündet hier, grad herunter liegt die alte Probstei, sie scheint die Gasse abzusperren. Line kann die hohe spitze Thüre in der Mauer beobachten und sieht die Gipfel der Ulmen in dem Garten schwanken. Im Winter scheint deutlich der dreistöckige schmale Fachwerkbau hinter dem kahlen Gezweig hervor. Es gab einmal eine Zeit, da habe ich nicht gern auf die Thüre geschaut – doch ich spreche ja eben vom Fensterplatz meiner Line. In der Nische hängt ein epheuumsponnenes Bild, ein Mädchenkopf ist es, en miniature auf Elfenbein gemalt. Unsagbar lieblich schaut es aus dem schmalen Goldrähmchen. Von diesem blauschwarzen Lockenkopf wollte ich erzählen.

Vor ungefähr zehn Jahren pflegte ich wöchentlich ein- bis zweimal auf meinen Krankengängen jenes Haus drüben, die Probstei, zu besuchen. In der Nähe sah man recht deutlich, wie es seinem Verfall entgegenging. Seine Besitzer kümmerten sich nicht mehr darum, sie bauten sich auf den angrenzenden Gütern neue schönere Schlösser, höchstens galt es einmal als Absteigequartier, wenn einer der Freiherren genöthigt war, von Amtswegen im Städtchen zu verweilen. Um jene Zeit aber war es bewohnt, d. h. der mittlere Stock, und zwar hauste in den getäfelten finstern Zimmern eine entfernte Verwandte der Familie mit ihren Töchtern; eine Gräfin Seefeld, und ich hatte die Ehre, den Hausarzt spielen zu dürfen.

Sie war eine blasse leidende Frau, die nur die allerbescheidensten Mittel zum Leben besaß, aber das durfte man um himmelswillen nicht bemerken. Es ist ja ein Talent, das der liebe Gott uns Aerzten den nervösen Frauen gegenüber verliehen hat, möglichst auf alle Schrullen eingehen zu können, und so ließ ich mir denn mit wahrer Engelsgeduld immer und immer wieder erzählen, daß sie diese kleine weltferne Stadt nur gewählt habe, weil das laute Treiben der großen Gesellschaft ihren gestörten Nerven nicht zusage, und daß ihr Aufenthalt hier lediglich ihrer Neigung zur Ruhe und Stille entspreche. Ich nickte mit dem Kopfe, gab ihr Recht und sah weder das schadhafte schwarze Seidenkleid, noch das die größte Dürftigkeit verrathende Um und Auf der ganzen Umgebung.

Sie fügte dann noch regelmäßig hinzu: „freilich, wenn die Ilse erwachsen ist, muß ich zurück in die große Welt, eine zeitlang wenigstens.“

„Bis sich das Komteßchen verheirathet –“ pflegte ich zu bemerken.

Und dann blitzten die matten Augen auf. „Ja, lieber Doktor, sie ist sehr schön, sie wird einmal Aufsehen machen, nicht wahr?“

[850] Ja, schön war sie! Als hätte der alte im Erlöschen begriffene Stamm der Seefeld’s noch eine letzte Wunderblüthe getrieben, so hold war das Mädchen. Dabei keine Spur von der kühlen, künstlich anerzogenen Vornehmheit, die sich scheut, dem Mitmenschen eine wunde Stelle zu zeigen; – nein, die Ilse war so frisch wie ein echtes Kind, natürlich wie das Vöglein, welches durch die Ulmen vor ihren Fenstern flatterte. So oft es thunlich war, lief sie zu uns herüber, aus den öden großen Zimmern, aus der Nähe der vornehmen kalten Mutter in das sonnige Stübchen meiner Line, hockte auf der Estrade, machte ihre ersten kleinen Nähversuche, herzte und küßte mein blondes Weib, klimperte auf dem Klavier, lachte wie ein Kobold und ließ, wenn sie wie ein Wirbelwind zur Thür hinaus war, eine Stille zurück, die oft genug Thränen in die Augen meiner Frau trieb. Sie war gar so unglücklich, weil wir keine Kinder hatten.

Um der Ilse willen konnte ich auch gar schlecht vorbeigehen an der spitzbogigen Thüre drüben. Kam ich aber einmal wirklich ein paar Tage nicht, weil ich absolut keine Zeit fand, so erschien gar bald die alte weißköpfige Maruschka und hieß mich im Namen ihrer Gebieterin herüberkommen, denn die Frau Gräfin könne meinen Rath nicht entbehren. Nun, ich ging – wie schon gesagt – um des Kindes willen, denn ein anderer Lohn als ein dankbarer Blick dieser jungen blauen Augen ist mir eigentlich nie geworden, wohl aber manche Geduldsprobe, denn die Gräfin war mit allen Unarten einer nervösen Frau bestens ausgerüstet und verstand es, ihren Arzt auf die denkbarste Weise zu quälen – Himmelsakrament! Mehr als einmal bin ich in hellem Zorn gegangen und habe die Thüre hinter mir zugeschlagen, daß ich meinte, der alte dreistöckige Bau erbebe in seinen Fugen; mehr als einmal habe ich den Brief, der die Bitte enthielt, die Gnädige möge sich nach einem andern Hausarzt umsehen, fertig daliegen gehabt. Wenn dann die Ilse in mein Zimmer huschte, wenn die großen Augen mich angstvoll anschauten, ließ ich mich doch wieder hinüberzerren und mir ein neues Leiden beschreiben, das sich unfehlbar über Nacht erst eingefunden hatte.

Ilse’s Nähversuche.

Nun, es giebt einmal nervöse Frauen in der Welt. und daß diese nervös geworden, war schließlich kein Wunder. Der Mann ein Wüstling, der Alles verlumpte; der einzige Sohn, der Majoratsherr, auf dessen Schutz und Hilfe die Wittwe mit der jungen Tochter allein angewiesen war, im Duell gefallen – um ein Nichts; die Güter an fremde, nur dem Namen nach bekannte Menschen gekommen, und keine weitere Zuflucht als hier in dem kleinen märkischen Städtchen, aus Gnade und Barmherzigkeit in der verfallenden Probstei, sich durchschlagen zu müssen mit zweihundert Thalern jährlich: nun, es läßt sich entschuldigen, daß die Laune der Dame nicht immer, oder vielmehr niemals, eine rosenfarbene war. Ihre ganze Hoffnung klammerte sich an die aufblühende Schönheit der Tochter. Sie besaß noch Brillanten und hütete sie mit Argusaugen; eher wäre sie gestorben, eh sie einen Stein davon verkauft hätte. Als ich einmal auf Luftveränderung bestand, weil sie allzu elend war, eröffnete sie mir, daß sie wohl in der Lage sei, sich diese zu erlauben, aber daß sie das Kapital behalten müsse für Ilse’s Zukunft. „Eine oder zwei Saisons in Berlin – und Ilse ist versorgt, lieber Doktor!“ Darauf schwur sie. Nichts war ihr schwer, kein Opfer zu groß für das Kind. Und die launische kränkelnde Frau wuchs trotz ihres unleidlichen Hochmuthes zu einer Heldin empor in meinen Augen, wenn ich sah, wie sie mit peinlicher Regelmäßigkeit den Unterricht der Tochter leitete, nie eine Lektion versäumend, nie eine Ermüdung verrathend. Und ach, wie oft sank sie nach stundenlangem Unterrichten zusammen einer Ohnmacht nahe!

„Sie strengen sich zu sehr an, meine Gnädige,“ wagte ich einzuwenden.

Dann richtete sie sich empor. „Ich bin meiner Tochter eine Erziehung schuldig.“

„Jaja! Aber wir haben gute Lehrer hier. Lassen Sie der Komtesse Privatstunden geben,“ stellte ich vor.

Hier?“ fragte sie. Es war ein Ton, aus Erstaunen, Verachtung und Ueberlegenheit zusammengesetzt, und dabei lag ein Zug um die blassen Lippen, so ironisch, daß ich dachte: lehre Dir meinetwegen die Schwindsucht an den Hals, ich werde nichts wieder sagen! Als ob wir hier sammt und sonders Idioten wären, als ob wir keine Ahnung von dem hätten, was so ein Komteßchen zu lernen braucht, um dermaleinst auf den Heirathsmarkt gebracht zu werden!

Immer freilich gingen die Erziehungsversuche der Mutter nicht glatt durch; dieses lächelnde liebliche Kind hatte einen Charakter. Was die Kleine sich einmal vorgenommen, das führte sie aus, immer und immer wieder kehrte sie zu ihrer Idee zurück, und es war stets ein gesunder Gedanke darin, es war Logik. So z. B. kam eines Sommerabends – die Ilse war ungefähr sieben Jahr alt geworden – Maruschka, die polnische Dienerin, eilig herüber gelaufen, der Herr Doktor möge gleich kommen, die Kleine habe einen Zufall. Nun, ich ging, und die Mutter, die mich empfing, [851] theilte mir folgendes mit: Irgend jemand hatte dem Komteßchen eine Puppe geschenkt, eine etwas derbe Bäuerin in rothem Rock, mit blauen Bändern an dem Mützchen und sonst noch allerlei Farbenpracht. Die Frau Gräfin war aber der Meinung, man dürfe Kindern nichts Geschmackloses zum Spielen geben. Zum Unglück ward diese Puppe der Liebling ihrer kleinen Herrin – Gott weiß warum? Wie Kinder so sind! Und eines Tages war der Liebling fort, nota bene - die Mutter hatte ihn ins Fener gesteckt.

Mit heißen Thränen wurde nun im ganzen Hause gesucht, im Garten, überall, und das Kind regte sich dabei so auf, daß die Gräfin genöthigt war, zu mir zu schicken. Sie führte mich zu der Kleinen, die schluchzend und fiebernd auf dem Sofa lag, und setzte sich zur Seite mit einer neuen wunderschön ausstaffirten Puppe.

„Ich will nicht! Ich will nicht!“ schrie die Kleine, schon völlig heiser und schlug nach dem Spielzeug, „ich will meine liebe Puppe wieder haben!“

Ja, was konnte ich thun? Zureden half nicht. Die Gräfin legte endlich die neue Puppe mit Gewalt in des Kindes Arm. Da sprang es auf, lief zum offnen Fenster und warf die Puppe hinaus. „Ich will keine neue!“ jammerte sie und sah mich an mit den trostlosen Kinderaugen.

Ich winkte der Gräfin, mich allein zu lassen mit Ilse, nahm das zuckende Händchen und ließ mir erzählen. Sie hatte die Puppe so furchtbar lieb, sie wollte keine andere. Ich redete ihr zu, stellte ihr vor, die Puppe sei häßlich gewesen, nicht passend für sie – vergebens. Sie nahm beruhigende Tropfen, sie schlief auch endlich ein, aber Faktum blieb es – sie hat nie wieder mit einer Puppe gespielt.

So war denn allmählich aus dem Kinde ein Mädchen geworden, und ein schönes freundliches Mädchen; im Uebrigen wenig nach dem Herzen der Mutter.

„Welch ungenirte Sprache!“ klagte die Gräfin gegen mich: „Doktor, das hat sie von Ihnen; ich muß Sie bitten, jetzt reservirter zu reden.“

Ich machte ein verwundertes Gesicht. Allerdings, französische Brocken verstand ich gar nicht zu verwenden, war mir aber sonst nichts Böses bewußt. Ich sah in Komtesse Ilse’s lachende Augen und mußte heimlich mitlachen.

Aber leid war es mir doch, daß sie seltener und nur flüchtig in mein Haus kam, daß sie so langsam in dem schleppenden Kleide über die Straße schritt und die Augen nicht mehr aufzuschlagen getraute. Freilich, sobald sie in das Zimmer meiner Line trat, war sie die Alte, da lachte und kicherte sie, da spielte sie einen Walzer auf dem Spinettchen und die kleinen Füße traten den Takt dazu. Zuweilen aber ward es mäuschenstill, dann hockte sie vor dem kleinen Bücherspinde meiner Frau. Ein Bücherschrank war in der Probstei nicht zu finden, wenigstens nicht mit guter deutscher Kost. Die junge Seele hatte eben gedarbt bei den franzosischen Ragouts, welche die Frau Mama schon auswendig gelernt hatte in ihrer Jugend, und die Ilse besaß ein gesundes deutsches Gemüth, schönheitsdurstig und ein bischen ideal. Was thut aber eine Dame von Welt mit Sentiments? Das ist kleinstädtisch, Schneidermamsellenton. – Ja, wer kann dafür, daß es bei Ilse anders war? Ich sehe noch ihr entzücktes Gesicht, die Augen voll Thränen, als ich ihr an einem Sonnabend vor Ostern den Spaziergang aus dem Faust vorlas:

„Vom Eise befreit sind Strom und Bäche –“

Sie sagte kein Wort, sie weinte nur. Dann wollte sie das Buch haben.

„O nein, kleines Komteßchen, wir sind erst siebzehn, und wenn Mama es erführe? - Später, später!“

„Ich verrathe Mama nichts!“ sagte sie feierlich.

Ich schüttelte lachend den Kopf. „Kommen Sie herüber, Kind, so oft Sie wollen – ich lese Ihnen gern vor. Aber mitnehmen – nimmermehr!“

So kam sie denn öfter wieder, als sonst. Sie durfte auch jetzt vom Lernen ruhen, sie sollte frisch und blühend aussehen, denn nach Weihnacht, vielmehr nach Neujahr ging es, zwar nicht nach Berlin, aber dafür an einen kleinen thüringischen Hof, allwo die junge Schönheit so strahlend wie möglich auftauchen sollte. Die Gräfin unterhandelte mit einem Juwelenhändler und mit verschiedenen Konfektionsgeschäften in der Hauptstadt, und sie schüttete mir ihr sorgenvolles Herz aus, daß das Töchterchen so keinerlei Interesse an diesen Vorgängen verrathe.

„Aber,“ tröstete sie sich selbst, „der Löwe hat noch kein Blut geleckt, bester Doktor, sie wird doch aufathmen in ihrer eigentlichen Lebensluft.“

Es war an einem düstern Oktobertage, als die Dame so geredet. Ilse wußte ich bei meiner Frau, der einzige Verkehr, der dem armen Dinge gestattet war. Ich ging kopfschüttelnd die Treppe hinunter, denn das Experiment der Frau Mama, die Tochter allein nach D. zu schicken, in das Haus eines Vetters, den sie, ebenso wie seine Familie, kaum kannte, nur zu dem Zweck, das junge Kind in die bunte, oft recht bunte Welt zu schleudern und hoffentlich mit glücklichem Wurfe einem reichen Kavalier in die Arme, das machte mich staunen, zweifeln und bangen. Das Mädchen war mir ans Herz gewachsen, so fest, als wär’s mein eigenes Kind. Ja, wenn die Mutter wenigstens mitginge, aber – das Kapital schien nicht zu reichen, oder – Gott weiß es – genug, Ilse sollte allein zum Vetter Kammerherrn nach D.

Noch in tiefen Gedanken trat ich in mein Haus und in das Zimmer meiner Line. Es war schon ein wenig dämmerig, der Flammenschein des Kachelofens spielte deutlich auf dem Fußboden. Meine Frau war nicht in der Stube, aber dafur traf ich eine andere Gesellschaft bei der Ilse. Sie lehnte am Klavier und drehte wie verlegen eine purpurrothe Ranke des wilden Weines zwischen den Fingern. Vor ihr aber, den Rücken mir zuwendend, stand ein Mann im Reise-Ueberzieher, ein großer schlanker Mensch mit braunem Haare.

„Potz tausend – Du bist es, Ernst!“ rief ich und hielt ihn am Herzen.

„Ja Onkel, verzeih die Ueberraschung! Ich bin auch schon furchtbar –“. Er verschluckte das Wort. „Ich denke, Tante sitzt da vor dem Bücherspind, und –“ Das hübsche Männergesicht wurde dunkelroth. „Verzeihen Sie, mein Fräulein!“ wandte er sich an das lächelnde Mädchen.

„Ernst Klauß, königlicher Baumeister!“ stellte ich vor, „Gräfin Isabelle Seefeld!“

Er wurde einen Moment noch rother, verbeugte sich und fügte hinzu. „Ich bin auf der Reise nach B., um dort einen Kirchenbau zu leiten.“

Meine Line aber kam ganz harmlos angebummelt, so ohngefähr nach einer Stunde. Und als ich ihr auf dem Hausflur entgegen trat und ihr ganz gerechtfertigte Vorwürfe über ihr langes Ausbleiben machen wollte, ward die kleine Frau böse und meinte, einen Wintermantel hätte sie kaufen müssen, denn nächstens würde es schneien und man dürfe nicht bis zum letzten Augenblick warten, sie könne doch nicht wissen, daß der Ernst kommen würde. Sie würde gleich das Abendessen besorgen.

Ich wollte als gehorsamer Mann sofort ihrer Weisung folgen, da klingelte es. Eine Frau, ihr hustendes Kind in Tücher gewickelt auf dem Arme, erschien und wollte den Herrn Doktor sprechen. So hielt mich wieder die Pflicht davon ab, an Näherliegendes zu denken, denn - wer weiß - wenn die Frau mit dem Kinde nicht gekommen und hinterher die bleichsüchtige Schneiderin mit dem Magenkrampf, und der Lehrjunge vom Materialgeschäft nebenan mit dem schlimmen Finger, so hätten jene Beiden nicht Zeit gefunden, sich so tief in die Augen - Na freilich, das ist thorhaft, ich hätt’s auch nicht geändert, was sein soll, schickt sich immer.

Wie ich zwei Stunden später hinüber komme, da finde ich die Beiden noch allein in der völlig dämmerigen Stube, aber nicht mehr stumm. Hei, das erzählte und schwatzte, als wären sie jahrelang bekannt!

„Wo ist denn meine Frau?“ - Ja, du lieber Gott! Die steckte in der Küche und briet einen Rehschlegel für den Sohn ihrer Schwester.

Ich zündete die Lampe an, stellte sie auf den Tisch und beobachtete, wie sich die Beiden anschauten bei der plötzlichen Helle, und freute mich über sie. Es giebt für das Auge des Arztes keinen erquickenderen Anblick wie so ein junges blühendes Menschenantlitz. Und diese Beiden waren nicht nur gesund an Leib und Seele, sie waren auch schön! Er ist mein eigner Neffe, aber ich muß es wiederholen, er war in seiner Art so schön, wie die Ilse [852] in ihrer. Groß und schlank und gewachsen wie eine Tanne, die Augen so klar und blitzend, und so frisch das ganze Wesen, so – mit einen Worte – kerngesund.

Ein Prachtjunge! Er war gerade fünfundzwanzig Jahre damals.

Ilse wollte nicht zum Abendessen bleiben. Sie band sich ihr Mäntelchen um und empfahl sich bald. Als wir aber in der Hinterstube beim Rehbraten saßen und die Gläser, mit altem Rothwein gefüllt, sich trafen, da lugte ihr dunkles Köpfchen wieder zur Thür herein.

„Darf ich stören?“ fragte sie in ihrer lieblichen Weise. „Mama hat Kopfschmerzen und liegt zu Bette; ich bin so allein drüben.“

Und nun saß sie zwischen mir und Ernst und hörte geduldig an, wie er von seiner kränklichen Mutter sprach, von seinen Studien, von seiner jetzigen Stellung und von allerhand Familienerlebnissen. Als es zehn Uhr schlug und die Ilse sich zum Aufbruch rüstete und ich sie, wie immer, hinüberbegleitete, schloß er sich an und wir wanderten im blassen Mondenschein durch die einsame Straße nach der Probstei hinüber. An der Thür wandte sie sich noch einmal um, und ihre Augen suchten Ernst; es war ein scheuer glücklicher Blick, ich hab’s so deutlich gesehen und wunderte mich, habe aber nicht weiter darüber nachgedacht. Wenn ich es mir später vergegenwärtigte, so ist mir immer eine Schuppe nach der andern von den Augen gefallen. Aber damals? Ich sah in dem Kinde eben nur die Tochter der vornehmen Frau, eine künftige Gräfin oder Hofdame oder sonst etwas Aehnnliches. Der hübsche Junge erschien mir ebenso ungefährlich, wie er der Gräfin erschien, die en passant durch die Komtesse oder durch mich von meinem Hausbesuch erfuhr. Wer steckt denn aber in solch jungem Volk?

Ilse kam noch öfter während der vierzehn Tage, die er in unserem Hause verlebte, und sie sprachen mit einander, hübsch und nett, über lauter arg vernünftige Sachen. Er schwärmte für Grillparzer und deklamirte ihr hier und da eine Stelle, und sie horchte auf mit leuchtenden Augen und versprach, ganz gewiß die Werke lesen zu wollen. Ob sie sonst noch etwas geredet am brennenden Kachelofen in Line’s traulicher Stube – ich weiß es nicht, mit harmloseren Blicken als ich konnte kein Mensch diese Beiden betrachten.

Dann war er fort. Er hatte mir so sonderbar und lange die Hand geschüttelt und von baldigem Wiedersehen gesprochen. Ilse aber erschien mir, als sei sie gewachsen, als seien ihre Augen glänzender geworden. Sie saß stiller als sonst hinter ihrer Weihnachtsarbeit meiner Frau gegenüber. Wenn sie je früher eine übermüthige kleine Aeußerung gethan hatte, so von der Höhe ihrer Geburt herab, so war sie jetzt mäuschenstill von solchen Dingen, nur einmal sagte sie etwas wie: der Adel liege im Menschen selbst, er käme von innen heraus aus der Seele: das angeerbte Wappen sei noch nicht allemal Bürgschaft für den Adel der Seele.

Zwei weiche zitternde Mädchenarme schlangen sich um meinen Hals. (S. 853.)

„Herr Jesus!“ rief Line erschreckt, „Komteßchen Ilse, sagen Sie das nicht der Mama!“

Da schlug sie die Augen auf unnd fragte ernsthaft: „Warum nicht? Ich habe den Muth, ihr noch viel mehr zu sagen.“

„Nun,“ scherzte meine Frau, „in sechs Wochen denken Sie anders, wenn Sie erst einmal mit den jungen Xschen Prinnzen über das Parkett im Schlosse geflogen sind.“

„Wer weiß es !“ erwiderte sie leise.

So kam das liebe fröhliche Weihnachtsfest heran. Am Tag vor dem heiligen Abend sah ich die Maruschka auf der Straße, die unter der Last von zwei mächtigen Kisten seufzte.

„Nun, nun,“ redete ich sie an, „da kommt ja das Christkind sehr reich!“

„Für die Komtesse,“ erwiderte die Alte, „und was schon Alles da ist, eine Ausstattung wie für ’ne Braut, und ein deckenhoher Tannenbaum dazu!“

An der Ecke des Postgebäudes aber kam mir die Komtesse selbst entgegen. Als sie mich erblickte, schien es, als wollte sie in eine Nebengasse biegen, jedenfalls fuhr die kleine Hand blitzschnell mit einem Brief in den grauen Fehmuff, und unter dem Filzhütchen hervor, vom blauen Schleier umweht, schaute ihr liebes Gesicht dunkelroth zu mir herüber. Nun, vor Weihnacht hat Jeder seine Heimlichkeiten. Sie reichte mir auch nur ihre Linke und sah an mir vorbei in ein Schaufenster; ich fühlte, wie die Hand zitterte.

„Ich komme wie immer heute Abend, lieber Herr Doktor, und hole mir das Marzipanherz,“ sagte sie. „Um sechs Uhr bin ich zur Stelle, um acht erst beschert Mama.“

„Da wird’s was geben!“ neckte ich, im Begriff weiter zu schreiten. Aber sie hielt mich fest an der Hand, und als ich sie aufmerksam betrachtend stehen blieb, war es mir, als ob sie sprechen wolle.

„Nun, Komteßchen?“

„Heute Abend!“ stammelte sie und schritt so hastig fort, daß ich ihr kopfschüttelnd nachsah.

Als ich in der Dämmerung heimkehrte von der Praxis, roch es schon süß weihnachtlich im Hause nach frischen Kuchen, Tannengrün und Wachslichtern. In der Küche stannd die Line und schuppte Karpfen zum festlichen Schmause.

„Fertig mit Allem!“ rief sie mir frühlich entgegen, „nur der fatale Schuster läßt mich diesmal sitzen. Na, aber es ist noch eine Viertelstunde bis sechs Uhr. Alter, Du mußt in den Keller, ich hab’ eine Ahnung – glaub’s mir, der Ernst kommt.“

Ich zog den Hausrock an und stieg in den Keller. – Ich kann nicht sagen, wie heimlich mir die Weihnachtsabende immer gewesen sind, und wie traulich sie meine Line zu machen versteht. Ich wußte ja, daß an jedes arme Krankenbette heut ein freundlicher Gruß von ihr getragen war; ich wußte, daß Viele heut unseres Hauses mit dankbaren Herzen gedachten, daß Alles, was uns nahe stand, erfreut wurde, bis auf den Hektor herunter, der sein Bratwürstchen unter dem brennenden Baume finden würde. Ich freute mich auf des Komteßchens blaue Augen, es gab doch immer einen Spaß, und auf die Kiste des Studienfreundes, der ich jedes Jahr einen westfälischen Schinken nebst Pumpernickel entnehmen durfte. Und ich freute mich auf die behagliche Stunde, wo ich neben meiner Line auf dem Sofa sitzen und die Flämmchen des brennenden Baumes sehen und schwatzen konnte von fernen Tagen und von den Weihnachtsabenden des Elternhauses.

Ja, man soll sich nur freuen!

Es schlug sechs und halbsieben Uhr – Ilse kam nicht.

„Sie wird soviel zu schauen haben drüben,“ meinte Line, „ich zünde immer an.“ Sie verschwand in der Weihnachtsstube und klingelte dann. Aber ich stand mit seltsamer Unruhe in dem kerzenhellen Zimmer; ich horchte hinaus, es fehlte mir Etwas.

[853] Auch Line wurde still. Sie bewunderte zwar das so heiß gewünschte schwarzseidene Kleid und ich die Pantoffeln; das Mädchen verschwand strahlend mit ihren Geschenken, und Hektor fraß die Wurst. Dann aber saßen wir alle Drei, die Frau, der Hund und ich und sahen stumm einander an. Ebenso stumm aßen wir zu Abend und löschten die Kerzen des Baumes.

Es war doch unrecht von dem Komteßchen; der letzte Weihnachtsabend, und sie blieb aus!

Da, als wir eben in das Schlafzimmer treten wollten – der gellende Ton der Glocke, Himmelsakrament, was ist das nun wieder?

Wir hörten, wie die Dörte eilig zur Thüre lief, hörten Stimmen, aufgeregte, halb kreischende Stimmen, dann stürzte die alte Maruschka der Gräfin in die Stube.

„Herr Doktor, kommen Sie doch, kommen Sie doch – unser Kind – unser Komteßchen!“

So schnell bin ich noch nie zum Hause hinaus gekommen und die verschneite Straße hinunter, nach der Probstei. Mit zwei - drei Sätzen war ich die alte ächzende Wendeltreppe hinan und durch den Vorflur in Ilse’s Schlafzimmerchen.

Der erste Blick auf das Bette – es war leer, aber dort am Kachelofen lehnte das Mädchen, und bei dem flackernden Schein des Lichtes sah ich fast entstellte Züge.

„Komtesse?“ fragte ich.

„Es ist schon vorüber,“ antwortete sie mit mühsam beherrschter Stimme, „es ist Alles vorüber, lieber Doktor, ich stehe schon wieder auf gleichen Füßen. Geben Sie mir die Hand, – ich bitte Sie, sagen Sie ihm – –“ Weiter kam sie nicht, denn die Mutter erschien auf der Schwelle.

„Was war denn, Frau Gräfin?“

„Sie sprach im Fieber, sie phantasierte,“ erwiderte die blasse Frau, und ihre Augen musterten mich von oben bis unten. „Schreiben Sie eine niederschlagende Limonade auf, da Sie einmal gerufen sind, und schicken Sie den Trotzkopf zu Bette.“

Ilse sah mich an und lächelte wie verächtlich. „Ich danke – ich bin völlig wohl und bei klaren Sinnen,“ sagte sie. „Gute Nacht, Herr Doktor! Um Gotteswillen, gehen Sie!“

Maruschka setzte sich still ans Bett. (S. 855.)

Ich wandte mich ärgerlich. Es war klar, es hatte etwas gegeben, aber darum mich erst zu holen und nachher so abfallen zu lassen, wie einen – da hört doch Alles auf! „Gute Nacht!“ sagte ich kurz und ging aus der Thüre. Ich tastete auf dem stockdunkeln Flur umher, ohne den Ausgang finden zu können, ich hörte von drinnen noch ein frostiges „Gute Nacht, Mama!“ – rannte an einen Kleiderständer und wollte schon nach Licht rufen, da fiel ein heller Schein in den dunklen Raum, eine Gestalt huschte daraus hervor, zwei weiche zitternde Mädchenarme schlangen sich um meinen Hals und ein thränenbethautes Gesicht drängte sich an meine Wange. „Grüßen Sie ihn,“ schluchzte sie, „sagen Sie ihm, ich wäre das unglücklichste Geschöpf, das auf Erden lebt! Ich habe ihn lieber, als er glauben wird, als er denken kann!“ Und noch einmal stürmisch ihre Arme um meinen Hals, ihre weichen Lippen in meinen Bart –. „Dank für Alles, Du guter Onkel Doktor, was mir das Leben verschönt hat!“ Dann noch ein Kuß, ein leise geflüsterter Gruß an ihn, und sie war verschwunden.

„Daraus soll ein Anderer klug werden!“ murmelte ich vor mich hin und wischte mir die Thränen des Mädchens aus dem Bart oder meine eigenen? „Ist ja ein schauderhafter Weihnachtsabend!“

Wie ich dann ganz verstört in meiner Frau Stube komme, wen erblicken meine Augen? – den Ernst, blaß wie eine Leiche; und seine zitternden Hände streckten sich mir entgegen, während die Line starr wie ein Wachsbild in der Sophaecke sitzt.

„Was bringst Du, Onkel?“ fragte er hastig.

„Nichts, mein Junge –.“

„Du warst eben bei ihr, Du mußt wissen, wie die Sache abgelaufen ist!“

Ich sah ihn an, halb staunend, halb mitleidig. „Armer Junge, ich hätte Dich für gescheiter gehalten,“ drängte es sich über meine Lippen.

„Sie giebt mich auf?“ fragte er, fast heiser.

„Sie läßt Dich grüßen, wenn Du der ‚Er‘ bist, von dem sie mit Thränen flüsterte.“

„Nichts weiter?“ stieß er hervor.

„Sie sagte zu ihrer Mutter, sie wäre wieder klar bei Sinnen –.“

Er lachte kurz auf und setzte sich auf einen Stuhl, trank hastig einen Pokal heißen Weines und blieb stumm.

„Aber Ernst,“ begann Line jammernd, „wie konntest Du auch denken, daß die Mutter es zugeben würde – sie – –“

Da fuhr er auf, sah nach der Uhr und erhob sich. „Um halb Zwölf geht der Eilwagen; gute Nacht! Verzeiht, daß ich Euch störte!“

Hastig nahm er den Hut vom nächsten Stuhl und ehe wir uns besinnen konnten, schlug die Hausthür, und er war gegangen.

„Weißt Da Näheres?“ fragte ich die weinende Line.

„Das, was er mir mittheilte, als er so plötzlich vor mir stand,“ schluchzte sie. „Sie lieben sich schon seit dem Herbst, sie haben sich geschrieben und heute wollte es Ilse der Mutter sagen und sie zur Erlaubniß bestimmen, den Ernst Klauß heirathen zu dürfen. Vorher waren sie mit einander in der Weihnachtspredigt, da hat Ilse geweint und gebetet. Sie hatte ihm gesagt: ‚Sobald ich Mama’s ‚Ja!‘ habe, komme ich zu Doktor’s, warte dort.‘ Er hat aber vor der Probsteithüre gewartet, da ist nun plötzlich Maruschka vorübergestürmt, dann bist Du mit ihr zurückgekommen, und nun hielt er es nicht länger aus und kam zu mir.“

‚O Jugend, o Leichtsinn!‘ dachte ich., und blitzgeschwind rann mir eine Thräne in den Bart. Ich sah ja noch immer das furchtbar veränderte Gesicht der kleinen Ilse vor mir. „Das ist hoffnungslos!“ sagte ich laut, und Line nickte dazu und barg die weinenden Augen in ihren Händen. „Wie sie mich dauern!“ schluchzte sie.

Richtig! Am andern Morgen fuhr ein schwerfälliger Kutschwagen durch den Schnee der Gasse; ich sah einen Moment einen blauen Schleier wehen, eine kleine Hand an der Glasscheibe – und Komtesse Ilse war fort.

Maruschka begleitete sie bis zu der drei Stunden entfernten Bahnstation. Durch die Post erhielt ich aber am selbigen Tage [854] noch ein Schreiben des Inhaltes, daß sich die ergebenst Unterzeichnete – Gräfin Seefeld – veranlaßt gesehen, einen andern Hausarzt zu wählen, da ich das große Vertrauen, das sie mir allezeit geschenkt, nicht zu rechtfertigen gewußt habe. Eine sehr kleine Summe war hinzugefügt.

Auch gut, Frau Gräfin! – Man wird ja oft unverdienter Weise gekränkt – das hier bringt mich auch nicht um. Ein Arzt bekommt nach und nach eine Art Elefantenhaut, sonst könnte er gar nicht weiter leben. Mir ging nur das blasse Mädchengesicht nicht aus dem Sinn.

Nun, es half nichts. Meine Line aber grämte sich heimlich fast entzwei; ich wußte nicht, galt es mehr dem Neffen, der ihr auf keinen Brief antwortete, oder der kleinen Ilse? Denn sprechen thaten wir nicht mehr darüber.

Und eines Vormittags im April, die Bäume blühten just, brachte der Postbote ein großes Schreiben mit riesigem Wappensiegel darauf und der neunzackigen Krone. Als Line es von außen genug beschaut hatte und nun neben mir stand, neugierig was es sei, ziehe ich aus dem Kouvert eine Karte, und da steht denn deutlich zu lesen:

„Die Verlobung ihrer einzigen Tochter Jsabella mit Sr. Erlaucht dem Grafen Edwin von Mayenbach-Emmingen zeigt ergebenst an
Gräfin Olga Seefeld geb. Gräfin Olkowska.“

„Na Line, da ist’s ja denn in Ordnung,“ sagte ich.

Aber Line wollte sich nicht trösten lassen, sie weinte zum Herzbrechen; sie hatte die Ilse anders taxirt. Wie es denn möglich wäre, wie es denn möglich wäre! Und das hätte sie nie geglaubt, daß ein Mädchen so leicht vergessen könne!

Ich kränkte mich nur innerlich, nahm Hut und Stock und ging in die Stadt Hamburg zum Morgenbier –. Na natürlich, alle Welt wußte schon die Neuigkeit und ein junger Gerichtsreferendar gab Auskunft über Se. Erlaucht; er war aus Mayenbach gebürtig. Unmenschlich reich sei der Graf, aber schon bejahrt und keineswegs beliebt, dazu eine stürmische Vergangenheit! So lautete das Nationale.

Arme kleine Ilse!

Wir gratulirten nicht, das konnten wir eben nicht übers Herz bringen. Ich fragte nur einmal die Maruschka, wann die Hochzeit stattfinden werde, und hörte, daß Frau Gräfin sehr ungehalten sei, – die Braut habe sich noch ein ganzes Jahr der Freiheit ausgebeten, die Gnädige hoffe aber doch, den Widerstand des Komteßchens zu besiegen.

„Kommt Gräfin Ilse zurück?“

Maruschka schüttelte das graue Haupt. „Wir gehen nach D. in spätestens zwei Wochen.“

Zum vierten September, meinem Geburtstage, an dem sonst immer eine liebe Gestalt in aller Morgenfrühe mit einem Strauß Monatsrosen über unsere Schwelle getreten war, kam diesmal ein kleines Packet, an mich adressirt; und als ich es, schon gerührt, öffnete, da blickt mir das reizende Mädchengesicht entgegen, gar zierlich auf Elfenbein gemalt. Aber wie ernst und wie verändert! Auf die Rückseite der Platte hatte sie mit Bleistift geschrieben: „Wie man von Todten Gutes spricht, – verdammt mich nicht!“

„Nun schiltst Du mir nicht mehr, Line,“ sagte ich weich, „es ist klar, man hat sie gezwungen zu der Verlobung.“ Da weinte Line nur still und hing das Bild an ihren Fensterplatz.

Das Leben ging dann so seinen ebnen Weg weiter fort, aus Herbst wurde Spätherbst, der Wind wehte die Blätter von den Ulmen und durch das kahle Gezweig schimmerten die mit Läden geschlossenen Fenster des leeren großen Hauses drüben. Der Winter brachte die alten bösen Gäste in die Wohnungen der Menschen, Husten, Fieber und Rheuma. Da hat unser Einer so viel zu denken; mir blieb kaum Zeit mich zu freuen, daß der Ernst nach Italien gereist war, wie seine Mutter uns schrieb.

Line aber machte seit langer Zeit zum ersten Male ein weniger trauriges Gesicht, und am ersten Advent lag, wie jedes Jahr, bunte Wolle auf dem Nähtische neben den angefangenen unvermeidlichen Schlafschuhen, die ich nie sehen sollte und doch so oft sah.

„Ich glaube, Alter,“ meinte sie, „der Ernst wird’s durchholen, – wenn nur Ilse glücklich würde!“

„Das gebe Gott!“ sagte ich mit einem Seufzer.

Und siehe da, mit einem Male wollte es Weihnacht werden; auf dem Markte wurden schon die Buden errichtet, in den Schaufenstern prangten die allerschönsten allerneuesten Sachen, und längs der Straßen reihten sich die Christbäume. Dazu schneite es und fror; köstliche Aussichten auf Schlittschuhlaufen und Schlittenfahrt für die Feiertage.

Da, ungefähr eine Woche vor dem heiligen Abend, kommt mir die Line ganz verstört entgegen mit einem schwarzgeränderten Briefe. „Denke Dir, Wilhelm, Gräfin Seefeld ist ganz plötzlich gestorben!“

„Die arme Frau,“ sagte ich, „nun hat sie doch nicht ihr Kind als ,Erlaucht* gesehen! In Wahrheit, sie dauert mich, es war ihr ganzes Dichten und Trachten, ihr einziger Wunsch gewesen.“

Line aber setzte sich an den Schreibtisch und schrieb an das Komteßchen, so recht wie es ihr um das Herz war; der Brief war fast unleserlich von Thränen. „Eine Mutter hat man einmal nur,“ sagte sie, „und trotz aller Schrullen hat sie die Ilse doch schier närrisch lieb gehabt.“

„So lieb, um sie einem alten Wüstling in die Arme zu treiben,“ bemerkte ich bitter.

„Ja, das verstand sie eben nicht anders, Wilhelm,“ vertheidigte Line.

Nun, ich war zufrieden, und der Brief ging ab.

Und da kam er wirklich, der vierundzwanzigste December, und Alles war wie sonst bei uns beiden Einsamen. Leise, leise schneite es weiter und hier und da wurde ein Fenster hell, als ich, von meinem letzten Krankenbesuche kommend, die Straße hinunter schritt, und daheim hatte Line den Weihnachtsbaum geputzt und wartete nur auf mich mit dem Anzünden. So, nun kann’s losgehen!

Es ging auch los und ging vorüber, die Bescherung und der Karpfen; und die Pantoffeln paßten. Wir saßen dann in der Sofa-Ecke, und sahen die Lichter am Baume, und Hektor lag zu unseren Füßen. Die alte Wanduhr aber erhob ihre Stimme und schlug die zehnte Stunde, grad als wir von der Ilse zu sprechen aufgehört hatten.

„Heute vorm Jahre klingelte es just,“ sagte Line. „Lieber Gott!“

„Nun, heute wird’s jawohl so abgehen,“ wollte ich hinzusetzen, aber das Wort blieb mir im Munde stecken, so angstvoll, schrill und stürmisch gellte die Glocke durchs Haus. Ich war draußen, ich wußte nicht wie, und reiße die Riegel zurück und die Thür auf. Eine schlanke Frauengestalt kommt hastig über die Schwelle, zwei Arme schlingen sich um meinen Hals, aus dem schwarzen Kreppschleier aber taucht ein blasses liebes Mädchenantlitz auf und sieht zu mir herüber bei dem unsicheren Schein der Hauslampe. Aber sie sagte kein Wort, sie hielt mich nur fest und zitterte.

„Komteßchen Ilse!“ schrie Line hinzulaufend, und nun nahmen wir sie und führten sie hinein und – ja, was thut man Alles zuerst mit einer halb Ohnmächtigen?

Sie wollte bei uns bleiben mit der Maruschka – das war Alles, was wir aus ihren abgebrochenen Reden verstehen konnten. Dann sprach sie nicht mehr, sie weinte nur still vor sich hin, den Kopf in die Sofa-Ecke geborgen, und wir ließen sie weinen.

Line schlich sich still davon, das Gaststübchen im oberen Gestock zu rüsten, und ich stieg in den Keller und holte von meinem besten Portwein herauf, und als ich ihr das duftige Glas hinhielt, hob sie die Augen und sah mich an, die Thränen auf den Wangen.

„Ich wußte es ja,“ sagte sie schluchzend, „wäre ich nur schon im vorigen Jahre zu Euch gekommen.“

Dann sank der Kopf wieder zurück, und die Blässe wich glühender Fieberröthe.

Ich faßte das zierliche Handgelenk; nun versteht sich – da hatten wir eine Kranke!

[855] Ich trug sie auf meinen Armen die Treppe hinauf, wie ich sie als Kind getragen hatte. Als Line sie mit Maruschka’s Hilfe ins Bett gelegt, da waren ihre Sinne geschwunden, und ein geängstigtes fieberndes Menschenkind schrie um Hilfe, weil sie sich verfolgt wähnte von etwas namenlos Entsetzlichem.

Maruschka setzte sich still ans Bett.

„Es war auch zu jammervoll, Herr Doktor,“ begann sie nach einer Weile. „Die Frau Gräfin hatten selbst einen Schrecken, als sie den Schwiegersohn erblickten; aber, wissen Sie, die Verwandten sollten nun einmal das Kind unter die Haube bringen, und da haben sie ihr zugesetzt mit Reden und Schmeicheleien, und als Alles nichts half, da sagten sie ihr, um der Mutter willen müsse sie es thun. Ach, Herr Doktor, ich weiß Alles; zuerst hat die Mutter den verzweifelten Bitten der Ilse nachgeben wollen, aber wie sie die Güter sah und das Schloß und den Reichthum, da wollte sie nicht, daß die Verlobung zurückgehe. Sie konnte eisern sein. Nun stirbt sie so plötzlich, Ilschen war gar nicht dabei, war mit der Tante und dem Bräutigam auf einem Hofball; sie hat keine Thräne geweint, als sie es erfuhr, sie hat nur die ganze Nacht bei der Leiche gesessen, wie sie da war in dem Ballkleid mit den Blumen im Haar. –

Was dann nach dem Begräbnisse passirt ist, weiß ich nicht, nur das hörte ich von der Kammerjungfer der Tante, am dritten Weihnachtstage solle Ilse ganz still getraut werden, um gleich hinterher mit ihrem Gemahl nach Italien zu gehen. Ob sie ein Wort darum verloren hat, ich weiß es auch nicht. Sie war schrecklich blaß und still. Gestern Abend trat sie plötzlich in meine Stube, im Hut und Mantel, und sagte: ,Maruschka, komm, und nimm Dir ein warmes Tuch, ich habe einen Weg vor.‘ Ich ging selbstverständlich mit; zuerst auf den Kirchhof an das verschneite Grab, dann auf den Bahnhof; ich lief ihr natürlich nach und stieg auch hinter ihr ein -. Ach, Du großer Gott! Was wird das für einen Spuk geben im Hause des Kammerherrn, auf dem Lande und in der Stadt! Nun wissen sie es schon, daß das Komteßchen – davongelaufen ist!“

Das war ja eine schöne Bescherung! Ich sah auf die Alte, ich sah auf die unruhige Kranke – da war sie doch noch, die kleine muthige, tapfere Ilse! Mir fiel die Geschichte ein von der Puppe, und ich mußte lächeln trotz meiner Angst. Ja, so leicht läßt sich ein solches Herz nicht unterkriegen. Bravo, Ilse!

Um Mitternacht, als die Glocken das heilige Fest einläuteten, öffnete ich im Nebenzimmer ein Fenster, und als die vollen Töne herüberschwebten zum Krankenbette, da war die unaufhörlich Plaudernde ruhiger. „Es ist Weihnacht! Daheim!“ hörte ich sie flüstern, und Maruschka’s zärtliche Stimme: „Schlafen, Kindchen! Schlafen, Komteßchen!“ Und als es still ward, schlich die Alte zu mir herum:

„Wird sie sehr krank werden Herr Doktor?“

„Sie ist es schon, Maruschka; Gott gebe das Beste!“ –

„Komteßchen, Sie wollen wirklich eine simple Frau Klauß werden?“

Das sind heute just sechs Jahre her. Ja, die Zeit fliegt! Ich stand vorhin am Fenster und schaute nach der Probstei hinüber. Im Arbeitszimmer vom Ernst brennt noch Licht. Es ist doch die allerhöchste Zeit, meine Herrschaften! Es ist sechs Uhr bereits, und Line wartet nicht gern; die Frau wird immer unruhiger, je älter sie wird.

Jetzt löscht das Licht aus, und jetzt läutet’s schon mit allen Glocken. Da unten geht die Thür auf in der hohen Mauer, ich sehe dunkle Gestalten daraus hervortreten, sind sie’s Alle? – wahrhaftig!

„Line,“ rufe ich, „sie kommen!“

„Ich zünde schon an!“ antwortete Frau Großmama.

Ja, Line ist wirklich noch Großmama geworden, denn Ilse nennt sie „Mutter“, seitdem sie des Herrn Baumeister Ernst Klauß Ehefrau geworden und in unserem Hause Hochzeit gefeiert hat. Ich hätte es freilich nicht geglaubt vor sechs Jahren. Die Ilse war sterbenskrank, aber sie hat Alles überwunden, die Krankheit und den ganzen Spektakel, den ihre Flucht aufrührte. Ein Prachtmädchen! Eine Prachtfrau!

„Ich war nur eine kurze Zeit nicht ich,“ sagte sie damals, als sie meiner Frau unter Thränen die Geschichte ihrer erzwungenen Verlobung berichtete, „aber glauben Sie mir, ich würde noch am Altar ,Nein!‘ gerufen haben, wenn sie mich dahin geschleppt hätten.“

„Weil?“ fragte Line das erregte Mädchen und nahm ihre Hand.

Da wurde sie purpurroth und schlug verwirrt die Augen nieder.

„Ich weiß schon, Ilschen! Es ist die Geschichte von der verschwundenen Puppe.“ Und Line zog das Mädchen an sich und strich ihr sanft über den dunklen Scheitel. „Denkst Du noch immer wie an jenem Weihnachtsabend, Kind?“

Da nickte sie stumm und versteckte das Gesicht in Line’s Schultertuch. Die aber mußte geradesweges hexen können, denn keine achtundvierzig Stunden später zog „Jemand“ an der Klingel; so ganz anders als sonst geläutet wurde – zuerst leise, daß es nur ein schwacher schüchterner Laut ward, aber dann ungeduldig, schier übermüthig.

Wer die Sprache der Glocke versteht, der hätte vielleicht auch – wie ich – gedacht, der Kollekteur schickt die Nachricht, daß wir das große Los gewonnen haben. Es war aber bereits geöffnet, als ich herzukam, und im Flur stand Line ganz solo und sah ihre Stubenthür an. „Könnte ich wohl ein wenig in Dein Zimmer kommen?“ fragte sie, „drüben ist Jemand bei der Ilse.“

„So? Wer denn?“

,O, das wirst Du schon noch erfahren!“ Und sie zog mich mit sich in meine Stube und saß am Fenster und redete kein Wort, bis endlich der „Jemand“ herüber kam, an der Hand das freudenbleiche Mädchen.

Wenn die Weiber nur Ehen stiften können!

„Line, wo hast Du den Jungen denn sogleich hergekriegt? – Komteßchen, Sie wollen wirklich eine simple Frau Klauß werden?“

Und so war es und Beide hatten dazu die größtmögliche Eile. Er hat die Probstei gekauft, und sie als schmuckes Nestchen eingerichtet für seine junge Frau. Natürlich „stilvoll“; darin haben die Herren Baumeister nun ’mal einen kleinen – Pardon! Es sieht ja auch recht hübsch aus, und es sitzt sich gemütlich in dem getäfelten Zimmer am grünen Kachelofen, wenn der Wind an die Butzenscheiben klopft und die alten Ulmen dazu rauschen. [856] Ich gehe oft hinüber und erzähle dann wohl den Kindern von einem kleinen Mädchen, das sich nicht trösten lassen wollte über ihre alte Puppe, obgleich sie eine neue, weit prächtigere bekommen sollte. Dann lacht die Ilse so herzlich, und die Kinder stimmen mit ein.

Horch! da sind sie! „Nur hier herein, gleich wird’s so weit sein.“

„Nun müssen die Kleinen beten,“ sagt die junge Frau ernst, und der Junge und das Mädchen, das eben erst plappern gelernt hat, falten die Händchen und sprechen:

„Das Kind, das heut geboren ist,
Der liebe Heiland Jesus Christ,
Der leitet unsre Herzen gern
Zum rechten Weg aus irrer Fern.“

„Amen, Ihr Kinder!“

Da klingelt’s drüben, jubelnd springen sie voran, die Ilse aber hängt an meinem Arm.

„Weißt Du noch?“ fragt sie, „vor sechs Jahren, da leitete Er auch mein Herz zum rechten Wege.“

„Ja, mein Töchterchen! Mir klingt noch immer der schrille Ton der Glocke in den Ohren.“

Wieder steckt mir das Wort in der Kehle, so ungestüm zieht’s an der Klingel.

„Geht nur hinein, Kinder, ich komme bald nach; aber hab ich’s nicht gesagt? gleich zu Anfang! Nicht einmal am heutigen Abend hat unser Einer Ruhe!“

„Was soll’s denn sein?“

„Wie? Der Wittwe Merkern ihr Sohn, der Soldat, ist auf Urlaub gekommen. Ob es der Kranken schadet, wenn er ans Bette tritt?“

„Gott bewahre! Freude schadet nie, besonders nicht am heiligen Weihnachtsabend. Ich lasse grüßen.“

Fröhliche Feiertage!