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Unsere Feinde

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Autor: Hermann von Bezzel
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Titel: Unsere Feinde
Untertitel: Vortrag gehalten am 2. Mai 1915 in der St. Johannes-Kirche zu Ansbach
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Entstehungsdatum: 1915
Erscheinungsdatum: ca. 1915
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Erscheinungsort: Ansbach
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Quelle: Commons
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Unsere Feinde.





Vortrag
gehalten
am 2.Mai 1915
in der
St. Johannes-Kirche zu Ansbach
von
Oberkonsistorialpräsident
D. Dr. von Bezzel





Das Erträgnis fällt der Rettungsanstalt Ansbach zu.




Ansbach.
Druck von C. Brügel & Sohn.


|  Am 22. März 1331 war Ansbach durch Kauf von den Öttinger Grafen an die Burggrafen (Friedrich IV.) von Nürnberg gekommen. Und alle Jahre an seinem Geburtstage konnte unser unvergessener alter Kaiser Wilhelm I. sich dessen freuen, daß einst die Stammburg seines Geschlechtes dort auf dem Bergkegel, die Kadolzburg, und die Ehrenburg der Hohenzollern, die Feste Nürnberg im eignen Lande gelegen waren. Deshalb wünschte er auch vor Schließung des Nikolsburger Friedens (vor bald fünfzig Jahren) nichts sehnlicher als die Wiedererlangung der Bayreuthisch-Ansbacher Gebiete. Daß und warum der große Kanzler seinem geliebten Herrn hierin ernstlich widerstand, gereicht seiner Staatsklugheit zu höchster Ehre. Und daß der alte König nachgab, ist nicht der geringste Schmuck seiner hochgesegneten Regierungszeit.
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 Aber heute liegt eine Erinnerung näher, die in diesem Gotteshause, in dessen stiller Gruft so viele Anverwandte des Deutschen Kaisers dem Tage Jesu Christi entgegenschlafen, mit gutem Recht begangen werden kann, zugleich im heißen Danke dafür, daß dieses edle Geschlecht der Hohenzollern seit 1539 dem Bekenntnisse der Reformation sich zugewendet und ihm die Treue durch all die Zeit gehalten hat. Am 30. April 1415 ward Burggraf Friedrich VI., der Gemahl der schönen Else von Landshut, von Kaiser Sigismund mit der Mark Brandenburg belehnt. Weder der 18. Januar 1701, da der reformierte Bischof Jablonsky dem Kurfürsten Friedrich als König Friedrich I. die Königskrone zu Königsberg aufs Haupt setzte, noch 1871, da Wilhelm I. zu Versailles als dem Deutschen Kaiser gehuldigt ward, wären herausgestiegen, wenn nicht Gott den frommen und treuen Burggrafen gerufen hätte, „Gottes schlichten| Amtmann am Fürstentum“, dessen Sohn insonderheit ein großer Wohltäter hiesiger Stadt gewesen ist.

 Fünfhundert Jahre Hohenzollernherrschaft in der Mark Brandenburg! In das Jubel- und Dankgeläute für die Gottesgnade, welche in den an sich armen und meist hart geführten und hart arbeitenden Hohenzollern Deutschland so viel gegeben hat, mischt sich der Donner der Geschütze, nicht in freudigem Widerhalle den Ton vom Fels zum Meere wiederzugeben, sondern mit dem tiefen, dumpfen Weh: Wenn ich Frieden suche, fangen sie Krieg an! –

 Zwar die englische Kirchenzeitung The church times vom 18. September 1914 weiß in der Gewalt, welche Lügen zu Wahrheit erhebt, weil sie Wahrheit in Lüge verkehrt und aus der furchtbaren Kraft der Irrung (II.  Thess. 2, 11), alles besser als bei uns das ärmste und geringste Schulkind. Diese Kirchenzeitung weiß gewiß in gutem Glauben eines gläubigen Lügners, nicht eines lügenhaften Gläubigen, daß der Klageruf, der vor 800 Jahren durch Europa hallte, wieder erweckt worden sei. Damals klagte und weinte die abendländische Christenheit über die Schmach, welche die Sarazenen den heiligen Stätten antaten. Jetzt hat das christliche Europa über die Verwüstung alles Heiligen und Hehren zu klagen, über Zerstörung von Kulturwerten ohne Ziel und Zahl. Einst ward die Kreuzigungsstätte bedroht, jetzt erheben sich die Feinde des Kreuzes Christi. Das aber sind nicht die Ghurkas und Zuaven, die Beduinen und Bakschiren, die Hindus und die Männer der kirgisischen Steppe, sondern – die Deutschen! Diese sind die Feinde des Kreuzes Christi, von denen ein Apostel nur mit Tränen spricht! Zwei Völker, einst einander feind, die aber auf den Tag wie Herodes und Pilatus weiland in der Feindschaft gegen Christus sich begegneten, verstanden und fanden, ziehen miteinander befreundet gegen Wahrheit und Freiheit, gegen Tugend und Treue zu Feld! Denn sie kennen nur den Hunger nach Macht, sind im Banne eines großen Weltverführers, der die Armen und Geringen zertreten heißt, damit die Mächtigen und Stärkeren schrankenlos herrschen. – „O heute| ein Engländer sein, die Hand des Franzosen, des Russen, des Belgiers und des Serben fassen, einig in der Verteidigung dessen, was das Leben menschlich macht: das ist ein göttlicher Kreuzzug!“

 Also wir Deutschen unter der Führung Wilhelms II., der einst an heiliger Stätte (1898) gebetet hat: „Nicht um Vergrößerung der Macht ringen, nicht nach Ehre und Ruhm verlangen wir, sondern einzig und allein dürsten und rufen wir nach dem Heile unserer Seelen,“ unter der Führung des Kaisers, der gleich seinem Urgroßvater 1813, seinem Großvater 1870 den Kriegsorden des Eisernen Kreuzes zur hohen Auszeichnung erhoben hat, geht Deutschland aus, um das Kreuz zu bekämpfen! So spricht eine Kirchenzeitung, der der Herr den Taumelkelch vollgeschenkt hat, daß sie der Wahrheit niemals glauben darf, der Lüge immer glauben muß. Und nun sehe man die um Verteidigung und Schützung der edelsten Güter Vereinigten sich näher an!

 Da ist vorab der Serbe, an dessen Händen Fürstenblut klebt. Das jetzige Königshaus hat sich durch Trug und Mord den Weg zum Thron gebahnt; da es auf Unrecht aufgebaut hat, muß es mit Unrecht das Seine behaupten. Halbasien hat den Krieg entfacht, der nun Europa mit Brand und Blut erfüllt. Als jener Königin träumte, sie werde Mutter eines Sohnes werden, bei dessen Geburt eine Fackel von Europa nach Asien leuchte, da ward ihr der Siegeszug Alexanders des Großen vorausgesagt. Der moderne Alexander, nicht der Große, dingt Meuchelmörder und entflammt den Weltkrieg.

 Und zu Serbien gesellt sich Rußland mit dem Zaren, dem Enkel des Zarbefreiers, der „dem Germanismus und dem Protestantismus“ den Todesstoß versetzen will. In seinen Adern fließt zwar deutsches Blut, seine Mutter und seine Gattin sind (freilich abgefallene) Lutheranerinnen, deren Bestes einst ein Bischof Martensen in Kopenhagen, ein Oberhofprediger Bender in Darmstadt gesucht und gewollt hatten, aber verblendet und verschüchtert, geschoben und gedrängt wendet er sich gegen seine Freunde und Wohltäter, um seine Feinde sich zu Freunden zu machen.

|  Der größte Maler des heutigen Rußlands, Elias Rjepin, der die Tolstoischen Volksbücher illustriert und zugleich mit dem Moskauer Gorunow so viel für Volksaufklärung tut, hat ein Bild geschaffen. Ein junger Student in der Uniform der Universitätshörer schreitet mit einem jungen Mädchen mutig von einer ins Meer treibenden Welle hinein, hinaus in die offene See. Optimisten deuten die Meinung des Bildes nach dem altrussischen Sprichwort: Dem Mutigen ist auch des Meeres tiefster Ort nur knietief. Der Christ denkt an den, der seinem auf dem Meere wandelnden Jünger die stärkende und stützende Hand entgegen hielt – in Goethes Lieblingserzählung (Matth. 14, 30). Aber der Pessimist urteilt: Wohin wollt ihr Verwegnen? Seht ihr denn nicht, daß das Meer so breit, so weit und tief ist? Ihr versinkt und opfert euch nutzlos. Aber die See brandet weiter und achtet euer nimmer. Und die das Bild also auslegen, haben recht. Rußland hat sich nur ein treues, mit echter deutscher Anhänglichkeit ihm ergebenes Volk erworben, das sind die Balten. Und sie werden geknutet. Alle übrigen Völkerschaften warten auf den Tag, wo trotz der Pogrome und der Massenverbannungen, trotz der Kasematten von Peter und Paul das Volk aufsteht, um seine Dränger zu verstoßen und seine Lügner zu vertreiben. Noch treibt der edle Potemkin mit den gemalten Dörfern, hinter denen die Hungersnot gähnt und das Elend wartet, sein frevles Spiel, noch werden in Petersburg Volkshäuser mit Brot und Spielen, wie das alte Rom sie bot, geöffnet. Aber die es genießen, sind nicht das Volk, und das Volk genießt es nicht. Edle Kräfte, denen der Pope Steine statt Brot gibt, die offizielle Kirche den Ikonastes zeigt und die wundersamen Chöre und Liturgien zu hören gibt, hoffnungsvolle Gaben gehen ungenützt und ungepflegt zugrunde. Vor der Gefahr der Revolution flüchtet sich der Absolutismus, die Zwangsherrschaft zu dem unruhigsten aller Völker, das alle Jahrhunderte „Revolution macht“.
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 Und so ist Frankreich im Bunde mit Rußland. – Wie reimen sich Stroh und Weizen zusammen? (Jer. 23, 28.) Frankreich zum Schutze des Kreuzes, das in den| Schulen verboten sich in die Stille der Kirchenmauern flüchtet, die mit der ebenso tönenden als falschen Phrase von Gleichheit, Brüderlichkeit und Freiheit bedeckt sind! So steht es über der Domkirche zu Paris, der Notre Dame, von deren Turmgiebel Christus seine Apostel herabsendet, um die Weltstadt zu lehren. Und so steht es an der Rückseite der Morgue nebendran, wo die Toten schaugestellt sind, welche die Seine nächtlicherweile anschwemmt und die Straßen am Morgen an verschwiegenen Orten beherbergen. – Gleichheit – wenn der Millionär, der fern vom Kriege seine Papiere hochtreibt und seine Aktien steigen und sicher sieht, dem armen Teufel eine Fünffranknote wohlwollend zusteckt: voila, mon ami – zum Dank dafür, daß Sie sich für meine Interessen erschießen lassen! Gleichheit, wenn die Dame der Welt an einem einzigen Ballabend Spitzen trägt, von deren Wert die armen Lumpensammler droben in der rue Crimée auf dem Montmartre Monate leben könnten. Und Brüderlichkeit ohne Ende und Grenze, so lange der Feind vor den Toren steht. Dann aber das alte: Ich weiß nicht, woher er ist und kenne den Menschen nicht. Freiheit für alle, die nichts glauben wollen. Aber nicht Freiheit für den alten Glauben an Jesum Christum. Wer durch die Straßen von Paris gegangen ist, etwa von der Stätte, wo Julian der Abtrünnige geboren ist, bis zum Grabmal Richelieus – welch eine Predigt hat der vernommen! Dort die alten ehrwürdigen Gestalten der Magister von der Sorbonne – nos sumus omnia! – die großen Lehrer der göttlichen Weisheit, einsame Denker, der monarcha theologiae an der Spitze und die frommen Prediger späterer Zeit, die Massillons und Fléchiers und Bossuets und mit dem frommen Lächeln voll Lindigkeit und Leutseligkeit der treue Vincenz di Paulo, der Vater der Armen und Tröster der Verlassenen. Und daneben die Hohnrufe der Revolution: je vous ferai sauter 1es têtes, ich will euch die Köpfe springen lassen, schreit der Arzt Guillotin. Und Paul Marat kreischt Spott und Schande gegen Thron und Altar. Vor der Madame la Raison, dem schnöden Weibe auf dem Hochaltare der Notre Dame knieen huldigend auch Priester von Paris! –| Aber das Pflaster draußen ist von Blut gerötet und die Glocken von St. Germain d’Auxerroi sind noch nicht verstummt, die den 24. August 1572 ausläuteten und treuen Bekennern des Evangeliums zu Grabe klangen. Was Frankreich gegen das Evangelium verschuldet und verwirkt hat, wäscht kein Wasser weg und sühnt und reinigt nur die reuevolle Wahrhaftigkeit. Zwischen Aberglauben, Unglauben und heißem, tränenreichem Suchen schwankt das unglückliche Land haltlos umher. Und seine Hand legt sich wieder in die Rußlands. Absolutismus und Revolution verbünden sich zum Schutze des Kreuzes, das beide verleugnen.
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 Den Segen aber zu dieser Verbrüderung spricht England, das von dem Geiste der Wahrheit verlassen alle Maßstäbe verloren hat und, wie der Heiland sagt, sich selbst „vermißt“ (Luk. 18, 9). Seine treuesten Männer haben es ihm gesagt, es glaube nicht mehr an den allmächtigen Gott, sondern an „den Vater Dollar, den Allerhalter und treuesten Freund“. 1850 predigte Robertson: „Wir Engländer haben einen krankhaften Erwerbtrieb! Die Wurzeln unseres Lebens ruhen im Geiz und in der Begehrlichkeit, nicht mehr zu genießen, sondern zu haben.“ So taumelt das Volk von Begierde zum Genuß, heute verlangt es die Kohlenlager Belgiens und morgen die größten Diamanten Indiens, heute genießt es den Ruhm der größten, morgen der stärksten Flotte. Und beim Genuß verschmachtet es vor Begierde. Seine Kolonialpolitik muß alles in sich aufsaugen, seine Mission muß vor Christus oder zum wenigsten mit ihm Englands Macht verkündigen, seine Kirchengebete danken für „den großen Schatz der Vaterlandsliebe bei den Bankhäusern und Handelsgesellschaften“! Und ist es nicht wie ein Hohn, daß ein mächtiger Mann jetzt in England bedeutend ist, der in seiner Jugend, um aus Geldverlegenheiten zu kommen, den Brief seiner Großmutter verkaufte, die ihm Geld abschlug, und damit Großes gewann! – Die Pall mall Gazette hat vor dreißig Jahren Blicke in die furchtbaren Nachtseiten der Weltstadt aufgeschlossen. Jetzt wieder rechnet man zwei Millionen Enterbte, Verstoßene, Gescheiterte und Geschändete, die rücksichtslos in die| engsten Winkel und Ecken – the outcast –, wo kaum noch die Sonne hinreicht, gepfercht werden, weil ohne Herz und Hirn die Weltstadt mit Prunk und Pracht nach drängt, die ihr Leben auf Ruinen erbaut und ihrer Kinder Leben dabei gefährdet. –

 Was tut Deutschland für die Armen, für die Not und die Entbehrung in kranken und alten Tagen, die Bismarckischen Gedanken von 1878–1891 sind ein praeconium misericordiae divinae! Das ist vom Herrn geschehen und ist ein Wunder vor unsren Augen! Und England stellt seine Armen, die geknechteten Völker, die fernen Heiden, deren Mut man mit Lug und Kunst entfachte, vor die Front und heißt den Mord Krieg und die Meuchelei Verteidigung. Aber durch die Wolken der Selbstbeweihräucherung klingt und tönt es: Mit dem Meinen und all den Meinen und mit meinen Freunden, den Serben und den Franzosen und den Russen zum Schutze des Kreuzes! Der im Himmel wohnt, lacht ihrer, und der Allmächtige spottet ihrer!

 Also sieht der Bund zum Schutze des Kreuzes gegen seine Feinde aus! Du hast nicht Menschen, sondern Gott gelogen, sagt der Apostel. – Denn nicht die Liebe zum Kreuz hat geeint, nicht einmal die Liebe zu Ehre und gutem Namen und das ehrenhafte Verlangen, beide zu schützen, sondern der Haß gegen den Ernst und den Erfolg der Arbeit, die Deutschland in heißem Kampfe um das Dasein tut, non licet esse vos, es muß wieder einen Markgrafen von Brandenburg und einen Herzog von Wittelsbach und einen Herzog von Teck geben, und Deutschland hört auf zu sein. Seine Kolonien fallen England zu, seine Fabriken arbeiten für England, seine Intelligenz, Kraft, Phantasie, Treue, Ernstlichkeit – alles made in Germany hat sich in den Dienst Englands zu stellen. Dann hebt das tausendjährige Friedensreich an, das von der Lüge gegründet und durch diese erhalten ist, bis der Vater der Lüge dieser Neugründung überdrüssig geworden sein wird, denn er ist ein „unruhiger und melancholischer Geist“.

 Jüngsthin hat der Bischof von London, der von der Front zurückgekehrt ist, um Wahrheit gebeten. Was| fromme es, die Augen zu schließen, damit die Tatsache nicht ersichtlich und klar würde? Ja, die Wahrheit nicht hören zu wollen ist Sünde und Schuld, und sie nicht mehr hören zu können und zu dürfen ist Strafe und Verhängnis. Wie hat England gegen alle Sünden der Völker geeifert, gegen die Greuel der Kongoakte und ihren heuchlerischen Anfang: Alles im Namen Gottes!, gegen die Armenischen Greuel der Türken und die Verfolgung der Juden durch Rußland, gegen Spaniens Intoleranz und gegen alles und jedes Unrecht, nur um selbst all dies Unrecht begehen zu können. – Wenn heute, so sagt man sich oft, ein John Knox wieder aufstünde, „der Mann, der sich vor keinem Menschen gefürchtet hat“, den Maria Stuarts Schönheit und Lieblichkeit nicht rühren, ihr Zorn nicht erschrecken konnte, wenn der fromme Milton, der gewaltige Pitt, der Preußens Größe als Bollwerk gegen Frankreich wollte, mit dem heiligen Ernste alttestamentlicher Propheten wiederkämen und Carlyle seine Liebe zu deutschem Wesen und lutherischer Reformation wieder bekennen dürfte, wenn Spurgeon sein seelsorgerliches Wort wieder geltend machen könnte, mit dem er dem Flucher verbot je noch zu beten und ihn so gewann, wenn das Büchlein von der Sündhaftigkeit kleiner Sünden (the sinfulnes of littles sins) durch den „guten“ Bischof von London, Jakson, wieder verbreitet werden dürfte, was allein würden alle diese Männer rufen, bitten, stürmisch mahnen, weinend erflehen: Laßt ab vom Bösen und tut Gutes, sucht Frieden und jagt ihm nach! (I. Petri 3, 11.)
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 Hat denn England keinen Ratgeber mehr oder sind sie alle mit Blindheit geschlagen? Hat es nicht einen fernen Freund, Blut von seinem Blut, Bein von seinem Bein? Aber Amerika, das England am besten kannte und darum von ihm vor 140 Jahren sich schied, ist selbst dem Gelde verkauft. Es ist das Land ohne „deutsche Tannen und Nachtigallen“ (Lenau). Und doch hat es so viel Gutes von Deutschland erfahren, von Friedrich des Großen Zeiten an bis auf unsre Tage. Ich nenne den einzigen Namen Löhe, der es verdiente, nicht daß sie ihm Denkmäler setzen, aber daß sie um dieses| großen Wohltäters für Amerika willen deutsche Art lieben. Und Karl Schurz hat wahrlich in seiner Art auch viel für Amerika geleistet! „Siehe, daß meiner Feinde so viel sind und hassen mich aus Freud.“

 Sollte Italien noch hinzutreten, so wäre es „halt nur ein Feind mehr“, wie einst Ferdinand II. beim Anzug des Schwedenkönigs Gustav Adolf lächelnd sagte, aber es wäre auch ein Treubruch mehr, ärger wie der des heidnischen Japan, das seit gewissen Erfahrungen zur Feindschaft gegen uns immerhin ein gewisses Recht hat. Die unglücklichste Liebe, die Deutschland durch Jahr hunderte gehabt und mit Tränen bezahlt hat, mit Undank belohnt fand, ist die zu Italien gewesen. Edle Sachsenkaiser, die großen Staufer, der hochbegabte Konradin zuletzt, Künstler und Dichter, Lehrer und Denker, Wanderer und Staatsmänner haben das Verlangen nach dem Wunderlande zumeist teuer gebüßt. Nun soll es wieder so werden. Die Waffenbrüderschaft wird verleugnet, der Dank für ihre Bewahrung vergessen, der Gewinn, den man aus der Treulosigkeit erhofft, höher geschätzt als die Gewißheit des inneren Wertes der Treue. – „Solch eine Felonie ward nicht ersehen in der Weltgeschichte.“

 Warum hat Deutschland so viele Feinde? Sie sind ihm doch kaum durch seine Bündnistreue allein erwachsen, die es freilich ritterlich und ehrlich gehalten hat. Was 1866 unter Blut gesäet hat, das haben fünfzig Jahre bewährt. Nicht die Abhängigkeit von Österreich, sondern die Zugehörigkeit zu ihm ist geblieben und hat die schwersten Proben bestanden. Doch unsere Feinde mit Ausnahme etwa von Serbien haben wir alle redlich allein für uns. Man sollte meinen, das Herz Europas würde besser geschätzt und sorglicher behütet, denn seinen Wert ersetzt nichts, seine Krankheit aber teilt sich den Völkern mit. Ein entrechtetes und entkräftetes Deutschland läßt die Nachbarvölker vielleicht äußerlich gedeihen, aber innerlich verarmen. Denn nur wenn es Deutschland gut geht, werden auch die anderen Völker wahre Lebensgüter und Kräfte empfangen. Nirgend ist der Katholizismus so reich und tief als in Deutschland und nicht erst seit den Zeiten der Reformation. Jener| Bischof Bonomelli von Cremona hat es wohl gerühmt. Bei uns wohnt die edle Mystik, die wissenschaftliche Theologie, die volkstümliche und die kunstreiche Predigt, in deutscher Wissenschaftlichkeit wird auch die Theologie gepflegt. Und was die Kirche des Evangeliums in deutscher Zunge gepredigt und gelehrt, was sie gedacht und geforscht hat, davon leben die Völker, die Kärrner arbeiten, weil die Könige bauen. Erfindung und Entdeckung, solide Arbeit und geschmackvolles Kunsthandwerk, höchste Intelligenz und wahres, warmes Gemütsleben, – alles lebt und wirkt und schafft in Deutschland, „dem Herzen der Völker“.

 Und dieses Volk wird so befehdet. Nur aus Neid und Mißgunst? Ist es ohne Ursache? Ein Mann, der mit offenem Auge ein klares Wort sprach, hat einmal erzählt, wenn man wissen wolle, warum Deutschland mißliebig sei, müsse man etwa auf einem Dampfer des Norddeutschen Lloyd eine Indien-Reise machen. Wer am schnellsten sein Volkstum verleugne, seines Standes und seiner Herkunft sich schäme, fremde Sitten nachahme, um sich den Schein des gewandten Weltbürgers zu geben, und vor allem den Aufgeklärten spiele, der über Religion und Ordnung leichthin abspricht, sei nur der Deutsche. In den Kurorten sei der Deutsche am kirchenfremdesten, aber auch am vorlautesten. Talmi sei ihm dort lieber als ehrliches Eisen. Nach diesen Emporkömmlingen aber, wie sie zu Tausenden ihr Vaterland, dessen sie nie wert waren, verlassen, bemißt der Fremde deutsches Wesen und lernt es verachten. Daß diese Schatten nur Reflexe reichen und reinen Ernstes sein müssen, daß hinter diesen Glücksrittern, die ihrem Glauben und ihrer Ehre entlaufen, die große Schar heiß arbeitender, ernstdenkender Männer steht, beachten die Gegner nicht. Wenn Gott nur den furchtbaren Krieg zum Erzieher unserer Oberflächlichen machen wollte!

 So sei als erster Feind, den wir im eigenen Hause beherbergen, der Mangel an wahrer Volksliebe genannt! Der Engländer weiß sich seinem Vaterlande auf Gedeih und Gefahr in guten und bösen Tagen verpflichtet und geht mit ihm durch Recht und Unrecht| Der Franzose sieht in seinem Vaterlande die eigene Ehre und das größte Glück. Aber der Deutsche vergißt, daß kein Land eine größere, reichere, höhere Geschichte hat als das seine, um das seit vielen hundert Jahren Gott sonderlich sich müht. Deutsche Art hat sich in tiefer Stille sammeln dürfen, im Kampf mit der Unwirtlichkeit des Bodens und der Ungüte der Nachbarn erstarken können. Es hat die Kämpfe der Menschheit um das Heil der Seele, um Behauptung des Lebens durchlitten, hat Christo einen herrlichen Tempel gebaut, den Luther mit der Treue reinigte und mit der Wahrheit der Liebe schmückte. Alle Staatsgebilde hat es in seine Grenzen aufgenommen, der wahren Freiheit eine Gasse gebrochen und für ihren Ruhm viel edlen Harfensang und -klang entlockt. Es hat gedacht, wenn andre träumten und gewacht, wenn andre Völker schliefen, gekämpft vor dem Streit, um in ihm zu siegen und für die Welt gelitten, um sie zur Freude zu stimmen. Die deutsche Geschichte ist ein Empfang der Gnade aus Kraft zu Kraft. An diese Geschichte mit ganzem heiligen Ernste sich zu halten, sie zu erfassen, zu durchleben und zu behaupten, bewahrt vor Untreue, die Undank ist. Wenn wir geschichtlos werden, so werden wir entwurzelt und bald welk. Denn der Geschichte vergessen heißt keine Zukunft wollen und nur der Gegenwart sich anbieten, daß sie nehme, was sie haben und vorenthalte, was sie geben kann.
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 Deutscher Mann, habe den Mut, dein selbst zu sein, verbanne den Schwall der Fremdwörter, die Bildung beweisen sollen und Armut beweisen, lerne deine Sprache lieben, in der Gott am herrlichsten zu den Vätern geredet hat, verwelsche nicht, tilge aus deinem Hause allen Zierat und alles Unechte aus und sei wahr, echt und klar. – Der Schein entrinnt, und die ihn lieben, werden Schaum und Schatten. Sie geben ihre Kraft preis und lehnen sich an fremde an. Deutsches Wort sei in das Gefühl höchster Verantwortlichkeit eingetaucht, knapp und kurz, schlicht und deutlich. Was soll das viele, wo die Rede mit Ja und Nein hinreicht? Deutscher Mann, sei keusch! Denn wer sich und seine Kraft| an das Gemeine verkauft, den überwindet und unterjocht es, so daß er die Pflicht flieht, die den Genuß würzt, und die Gemeinheit zum Genuß erhebt. Aber das Ende ist Furcht, wo nichts zu fürchten und Flucht, wo nichts zu sehen ist. Und die Lustgräber reden die ernste Sprache: Hier ruhen die Erschlagenen eines Volkes, dessen edles Heidentum keusch und rein sein hieß, dem ein laues, falsches Christentum die Perle der Reinheit raubte. Die Berichte aus dem Felde lassen Trübes fürchten. Ehemänner, denen Weib und Kind nachtrauern, verkaufen um eines flüchtigen Rausches willen Gesundheit und Mannesehre, das Vertrauen der Ihren und die eigene Treue. Vom Feinde im Schlachtengewitter unbesiegt haben sie sich wie Simson von Weibern binden und betören lassen.

 Deutsche Frauen, seid echt. Die Mode ist nicht nur eine Tyrannin, der freilich viele mit Lust und brünstiger Gedankenlosigkeit dienen, sie ist auch eine Närrin, die den edlen Geschmack, den Gott in die Seele des Weibes gelegt hat, der am heiligen Urbild sich gebildet und am ewigen Wort sich gestärkt hat, verwirft und verdirbt. Alle edlen Gestalten werden verunstaltet und verzerrt, alle gute Ordnung zerbrochen. Die Gewandung ist nimmer edler Sitte zu Dienst, sondern fremder Unsitte Gehilfin. Die Haartracht gefällt sich in Karikaturen. Die Macht auf dem Haupte wird zur Gebieterin, deren Launen man nachgibt. Deutsche Frau, die Furcht und Flucht vor dem Kinde, die in etlichen fünfzig Jahren unsre Kirche allerwärts verdrängen wird, weil ihrer Bekenner so wenig geworden sind, die Schrecklichkeit, welche edle Gottesgabe durch Mittel der Mörder in heimlicher Tücke verhemmt und verstört, wird gegen euch zeugen. Napoleon I. hat einmal gerufen: Wer gibt mir Mütter, daß ich Frankreich rette? Wir alle, die wir das Glück hatten, fromme Mütter zu besitzen, deren Andenken wie Berge Gottes uns überragt, bitten, daß die Frau ganz echt, einfach und schlicht sei, die treue, fromme Mutter des Hauses, die Bürgin und Hüterin ihres Glückes.

 Jünglinge, Jungfrauen! Das Vaterland| braucht euch. Der ernste schwere Krieg, der seit bald zehn Monaten mit hartem, schwerem Tritt durch unsre Gaue geht, fordernd, verschlingend und immer zu neuen Forderungen sich anschickend, ruft euch zu: Erhaltet Leib und Seele gesund, damit ein wehrhaftes Geschlecht erstehe, kraftvoll, rüstig und ernst, die Arbeit wird wachsen, an Arbeitern gebricht es. Wollen nicht unsre jungen Männer mit sonderlichem Ernste zu Dienst und Amt fürs Vaterland sich rüsten, insonderheit unsre Theologen, denen der Krieg mit eiserner Pflugschar das Feld gelockert hat? Geht aus, Säeleute, und streut den guten Samen, kommt herbei, ihr Prediger, und predigt mein Wort recht! In diesen Tagen haben sechzehn Männer zum Pfarrdienst uns sich erboten! Dabei darben die Städte, rufen die Schulen, verlangen die großen Fabrikdörfer; Nürnberg, und Fürth, München und Würzburg strecken ihre Hände aus, Oberfranken bittet: Kommt herüber und helft uns. Was sind sechzehn unter so viele? Teure Gemeinde Ansbach, seit bald vierhundert Jahren werden in deinen Mauern viele junge Theologen zum seligsten aller Dienste abgeordnet! Betest du für sie, wie deine Väter taten, wie sie es etwa mit dem schönen Verse aus dem alten Altdorfer Gesangbuche getan haben, den Ranke uns aufbewahrt hat (Heinrich Rankes Jugenderinnerungen S. 344)?

 Jungfrauen, die ihr nach Berufen sucht, wisset ihr nicht, daß Diakonissenhäuser, Seminarien, Haushaltsschulen auf euch zu edlem Dienste warten. Wie viel Unfriede ist durch Unordnung entstanden, durch Unhäuslichkeit, die es dem Manne nicht warm und wohl sein läßt, wie viele Schulen in der Diaspora, Kranke, Arme, Sieche und Blöde, Gesunkene und Gefallene warten: helft uns! reicht uns die Hände! Es steht aber einer Jungfrau übel an, wenn sie unecht und unweiblich Arbeit zu suchen vorschützt und Tändelei wählt! –

 Jene englische Kirchenzeitung hat uns vorgeworfen, wir hätten uns um einen Philosophen, der sich selbst für Gott ausgab, geschart, er sei unser Lehrer und die Weisheit eines im Irrenhaus Verstorbenen unser Evangelium. Wenn es auch noch nicht so weit ist, so ist es doch an dem,| daß vor dem Kriege Deutschland den heiligen Geist, den rechten wahren Zeitgeist viel tausendfach und tausendmal betrübte, den Herrn Jesus vom ewigen Thron gestoßen und den himmlischen Vater verachtet und vergessen hat. Kirchenaustritt und Sagenhaftigkeit des Evangeliums, neue Götter und Leugnung des alten, Heimatlosigkeit in der Kirche und Heimatsrecht bei ihren Feinden – so stand es vor Jahresfrist! Nun sind die Geister ein wenig zahmer geworden. Mit Nietzsche stirbt man nicht und mit Tiraden kann man nicht Mauern stürmen. Aber ob sie nicht wieder kommen, die Geister der Verneinung, des kalten Spottes und des lächelnden Zweifels und mit ihnen sieben Geister, ärger als sie?

 Land, Land, Land, höre des Herrn Wort! Gedenke, wovon du gefallen bist und tue Buße und tue die ersten Werke!

 Wenn Deutschland aus dem Kriege wahrhaft erneut hervorgeht, betend wie ein Mann und im Gebet ein Mann, wenn es die zukünftigen Güter des wahren Lebens durch den Glauben in die Diesseitigkeit hereinzwingt, betend einsenkt und durch die Heiligung mit reichen Zinsen lohnt, dann mögen seiner Feinde noch so viel sein, sie können ihm nichts anhaben! Denn der in uns ist, wird sich stärker erweisen als alle Gegner.

 Wenn aber die alten Erbfeinde, die Luther so oft beklagt, Undank, Weisheitsdünkel, Selbstzufriedenheit und falsche Sicherheit weiter am Herzmarke des Volkes zehren dürfen, das nur durch Dank und Buße, durch Gottgewißheit und Echtheit bleiben kann, dann wird am deutschen Wesen die Welt nicht nur nicht genesen, wie vor fünfzig Jahren Geibel freudig weissagte, sondern Deutschland wird an seiner Welt und mit ihr sterben.

 Vaterlandsfreunde, wendet euch zum Gott eurer Geschichte, zum Herrn eurer Väter, denn bei ihm ist Gnade und viel Vergebung bei ihm! Wo aber Vergebung ist, da grünt das Leben auf, das aus ewigen Kräften zum wahren Frühling reift.