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Unsere Bären

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Textdaten
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Autor: Alfred Brehm
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Titel: Unsere Bären
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 10–14
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[10]
Bilder aus dem Thiergarten in Hamburg.
Von Brehm.
2. Unsere Bären.


Die Naturgeschichte „Meister Brauns“, des allbekannten und hochberühmten Gewalthabers im Thierreiche, ist wiederholt zum Gegenstande ausführlicher Darstellung geworden. Der Bär spielt nicht blos in der Wissenschaft seine Rolle, er lebt auch in Wort und Bild im Volksliede und in der Volkssage, in der Wappenkunde und in der Kunst. Die Dichtung aller Völkerschaften, welche mit ihm in Verkehr kommen, hat sich seiner bemächtigt, die Völker haben den plumpen, ernstkomischen Gesellen ausgebeutet, leiblich [11] wie geistig. Andere Raubthiere lassen gleichgültig oder werden gefürchtet. Der Bär wird geachtet und verehrt. Die feierlichen Gebräuche zur Versöhnung der abgeschiedenen Bärenseele, welche die Indianer Nordamerikas anstellen, die Ehrenbezeigungen, welche sibirische Völkerschaften dem Thiere erweisen, sind nichts anderes, als Erläuterungen unserer eigenen Ansicht.

Es kostet Ueberwindung, ehe man sich eingesteht, daß unsere Anschauungen auf falschen Voraussetzungen oder richtiger auf Mangel an Kenntniß des Bären und seines Wesens beruhen. Wer sich aber vorurtheilsfrei mit Meister Braun beschäftigt, ihn mit anderen Raubthieren vergleicht und sein Wesen einer strengeren Prüfung unterwirft, muß nach und nach doch dahin kommen, sich zu sagen, daß der Bär ein dem allgemeinen Urtheil widersprechendes Geschöpf ist, daß er die Achtung, welche er genießt, nicht verdient.

Das vergangene Jahr hat mir Gelegenheit gegeben, nicht nur unseren braunen Bären, sondern auch seine Verwandten tagtäglich zu beobachten – den braunen Bären in allen Lagen, welche das Gefangenleben eines Thieres möglich macht. Diese Beobachtung hat mein früheres Urtheil gänzlich verändert. Ich habe in einem von Roßmäßler und mir verfaßten Buche, welches Schilderung der Thiere unseres Waldes bezweckt, diesem Urtheil in folgender Weise Worte zu geben versucht: „Der Bär ist ein in geistiger Hinsicht entschieden tief stehendes Thier. Jede Katze, jeder Hund und jeder Marder erhebt sich hoch über ihn. Sein Verstand ist gering. Er besitzt weder große List, noch besondere Beurtheilungsfähigkeit; er hat ein schwaches Gedächtniß und eine nur geringe Erfindungsgabe. Im Verhältniß zu seiner Stärke ist sein Muth nicht der Rede werth. Nur der in höchsten Zorn gebrachte Bär wird furchtbar; für gewöhnlich weicht das gewaltige Thier vor dem schwachen Jagdhunde. Der Bär ist geistig weit unbeholfener, als leiblich. Er lernt wenig und dies Wenige nicht mit Verständniß, sondern nur nach und nach, in Folge der Angewöhnung. Mit anderen Thieren oder mit dem Menschen befreundet er sich nicht. Er erkennt die Oberherrschaft des letzteren an, ordnet sich ihr aber keineswegs aus freudigem Bewußtsein, sondern nur aus Feigheit, in Erinnerung an viele Prügel unter. Dem einzelnen Menschen beweist er selten eine besondere Anhänglichkeit. Er unterscheidet seinen Wärter zwar von anderen Leuten, behandelt ihn aber auch nicht anders, als jeden Fremden, welcher sich mit demselben Geschick wie sein Wärter mit ihm beschäftigt. Jede Handlung des Bären beweist einen schwachen, niedrig stehenden und bildungsunfähigen Geist. Die dem Thiere nachgerühmte Ehrlichkeit ist nur als Plumpheit, die offene Geradheit als Tölpelhaftigkeit zu deuten. Gutmüthig ist der Bär keineswegs; er wird im Gegentheil wie alle tiefgehenden Charaktere augenblicklich zornig, wenn ihm etwas nicht nach seinem Wunsch geht.“

Dieses Urtheil stand fest und war abgefaßt, bevor der Bär des Kölner Thiergartens einen Beleg für seine Richtigkeit lieferte, wie er trauriger nicht gegeben werden konnte. Ich will erzählen, welche Beobachtungen ich gesammelt hatte, bevor ich den Stab über den Bären brach und mir herausnahm, einem Tschudi und anderen tüchtigen Naturforschern zu widersprechen.

Wenige Tage nach Beginn meiner Wirksamkeit als Leiter des Hamburger Thiergartens, zu Ende Januars, brachte mir der Inspector des Gartens die Nachricht, daß die seit October des vorigen Jahres im Zwinger wohnende Bärin zwei Junge geworfen habe. Man kann sich meine Freude denken. Ein junges Thier ist für mich fast dasselbe, was ein neugeborener Mensch für Andere. Seine Entwickelung giebt mir Gelegenheit zu anziehenden, fesselnden Beobachtungen. Ich hoffte solche auch diesmal machen zu können, und – wurde schmählich getäuscht.

Die Bärin hatte sich eine der Zellen des Zwingers zu ihrem Wochenbette erkoren und dort die Jungen einfach auf den Holzboden derselben geworfen. Doch nahm sie Stroh, welches ihr zugereicht wurde, mit Freuden an und machte sich sofort darüber her, ihre Lagerstätte entsprechend zu verbessern. Es schien, als ob sie ihre Kinder mütterlich pflegen werde.

Ich will unentschieden lassen, ob ich einen Fehler beging, als ich anordnete, daß die beiden Eltern getrennt würden. Trübe Erfahrungen, welche früher gemacht wurden, ließen mir solche Trennung gerechtfertigt erscheinen. Ich wußte, daß Meister Braun vom Vaterglück zuweilen eigene Ansichten hat, daß er seine Sprossen erst später als Prinzen von Geblüt anerkennt, bald nach ihrer Geburt dagegen Gelüste zeigt, wie weiland Vater Saturn, der Unersättliche. Vorsicht war jedenfalls angerathen. Die jungen Bärlein waren in der Größe acht Tage alten Jagdhunden etwa gleich, derb vom Leibe, mit dünnen, kurzen, seidenglänzenden, graugelblichen Haaren ziemlich spärlich bekleidet, blind, äußerst hülflos, jedoch sehr gut bei Lunge. Ihre Stimme, welche man häufig vernahm, erinnerte an das Geschrei eines neugeborenen Kindes.

In einem sorgfältig gearbeiteten Bericht des galizischen Naturforschers Pietruwsky hatte ich gelesen, daß eine Bärin, welche von ihm in Haft gehalten worden war und währenddem Junge bekam, diese mit großer Liebe und Zärtlichkeit behandelt, sich um die Außenwelt nicht gekümmert und ausschließlich ihren Kindern gelebt hatte. Die Hoffnungen, welche ich auf unsere Bärin setzte, schienen also gerechtfertigte zu sein. Sie waren dies aber nicht. Ich beobachtete bald, daß unser Bärenpaar sein Glück nicht zu würdigen verstehe. Es schien mir, als ob in der Seele der Mutter die süße Gewohnheit der Gattenliebe mit dem natürlichen Triebe, welcher Zärtlichkeit zum Kinde verlangt, in Streit begriffen wäre. Die Bärin sehnte sich offenbar nach ihrem hohen, wie sie gelangweilten und verstimmten Gemahle. Ihre Sehnsucht ließ sie die Mutterpflichten vergessen. Gefühllos schleppte sie ihre Kinder in der Zelle auf und nieder, unachtsam warf sie die Hülflosen auf den harten Boden hin. Das eine starb schon wenige Stunden nach der Geburt, wie es schien, an Nabelverblutung, das andere folgte ihm zwei Tage später nach. Die abscheuliche Mutter hatte es verschmachten lassen! Unbekümmert um die Leiche ihres Kindes, verlangte sie einzig und allein nach dem Bären, und als ihr Begehr erfüllt wurde, stürzte sie sich gleichsam frohlockend auf ihn zu, beinah in seine Arme.

Meine Entrüstung über die Erbärmliche wurde gemildert durch diesen Beweis des Gefühls. Ich war pflichtschuldigst erbaut und gerührt von solch treuer Anhänglichkeit an den Gatten. Ich konnte nicht unterlassen, meiner abscheulichen – von einem verkrüppelten Schöngeist auch gebührend gerügten – Angewohnheit Folge zu geben, nämlich den Bären mit dem Menschen, bezüglich dessen eheliche Treue mit der des erhabensten Thieres zu vergleichen. Das Ergebniß meines Nachdenkens söhnte mich aus mit den Bären.

Ich sollte abermals getäuscht werden. Mitte Mai begann die Bärzeit. Wir hatten in unserem Zwinger außer den Eisbären, den nordamerikanischen Baribals und unseren gemeinen Bären noch einen männlichen Aasbären, welcher unverkennbar große Sehnsucht nach weiblichem Umgange an den Tag legte. An der Treue des ersterwähnten Bärenpaares zu zweifeln, wäre mir als Frevel erschienen, und ich ging deshalb um so lieber auf den Wunsch der Gesellschaft, gedachtem Junggesellen zu einer passenden Lebensgefährtin zu verhelfen, ein, als ich hoffte, daß die gegenseitige Hingebung des ersten Bärenpaares auch dann nicht gestört werden würde, wenn ich ein zweites treuinnig verbundenes Paar zu ihm bringen würde. Es wurde also eine Bärin für den verheirathungslustigen Aasbären gekauft und zu ihm gebracht. Die Holde konnte allerdings nicht zu den Schönheiten ihres Geschlechts gezählt werden. Sie hatte ihre erste Jugend auf Reisen zugebracht und als Schaustück in Thierbuden geglänzt. Im Laufe dieses wechselreichen Lebens war sie, vielleicht bei einem unliebsamen Streite mit einem der Herren wandernden Thierkundigen, um eins ihrer Augen gekommen. Aber sie war ein Weib und bewahrte jedenfalls die Würde und wenigstens einige Reize ihres Geschlechts.

Petz, der ehrlose Bär, war sichtlich erfreut, mit ihr vereinigt worden zu sein. Er schien die Schönheitsmängel der ihm Bestimmten als Folge neidischer Mißgunst des Schicksals zu betrachten, mit welcher oder welchem nicht zu rechten. Mit großer Zärtlichkeit nahte er sich ihr, und bald hatten sich Beide verständigt. Die Zeit schien günstig, das verbundene Paar dem andern zuzugesellen. Es geschah. Die Thür der Zelle wurde aufgewunden, die einäugige Bärin schritt voran, ihr Gemahl, dessen Brust Hochgefühle zu durchwogen schienen, folgte. Beide befanden sich im Zwingerraume, mit dem anderen Paare zusammen.

Eine allgemeine Bestürzung sämmtlicher Bären war die Folge meines übereilten Beginnens. Sämmtliche vier Bären schlugen in seltener Uebereinstimmung klappend ihre achtungswerthen Gebisse zusammen, schnaubten, brummten, brüllten. Sie fürchteten sich gegenseitig, wie die beiden alten Weiber in Gellert’s Fabel. Die frühere Eigenthümerin der Wohnung stieg auf den Kletterbaum und sah ängstlich nach unten; die Neuvermählte gerieth in Todesangst, gedachte plötzlich vergangener Zeiten und begann alle Unarten zu [12] zeigen, welche Raubthiere anzunehmen pflegen, die einen Theil ihres Lebens im engen Käfig verbracht haben. Sie sprang gleichsam tanzend wie rasend auf und nieder – offenbar aus reiner Angst. Die beiden Bären umgingen sich mit vielsagenden Blicken und noch mehr verrathendem Gebrumm, beschnupperten sich, brüllten und bogen beide ängstlich die Köpfe zur Seite in berechtigter Erwartung furchtbarer Ohrfeigen, welche gegenseitig ausgetheilt werden konnten. Die ursprüngliche Gebieterin des Zwingers saß oben auf dem Kletterbaume und schnappte, die Einäugige tanzte, als ob ihre Glieder aus Stahl gebaut wären und durch Dampfkraft bewegt würden, die edlen Recken fuhren in ihren gegenseitigen Prüfungen fort. Von Minute zu Minute wuchs die Aufregung; die Zwingerbärin war ganz außer sich, obwohl ihr Herr Gemahl sie wiederholt zu beruhigen versuchte, zu ihr hinaufstieg, sie beschnüffelte und dabei brummte, als wolle er ihr Muth einsprechen.

Dagegen schien auch sie ihn zum Handeln antreiben zu wollen; er zeigte aber durchaus keine Lust, mit dem anderen Kämpen anzubinden. Scheinbar in höchster Seelenruhe ging er im Zwinger auf und nieder, ohne sich um den Eindringling zu kümmern. Um so aufmerksamer bewies er sich gegen die Einäugige, gegen das Weib seines Feindes und dies in Gegenwart seiner rechtmäßigen Gemahlin! – eine Aufmerksamkeit, die sich bis zu den zärtlichsten Liebkosungen steigerte.

Diese betrübende Verirrung des einen Bären fand selbst im Herzen des anderen Wiederhall, und erregte in ihm tugendhafte Entrüstung. Eine furchtbare Ohrfeige, welche er dem Sünder verabreichte, war das Ergebniß eines länger währenden Nachdenkens über die verdammenswerthe Handlung, welche schamlos in seiner Gegenwart begangen worden war. Die Ohrfeige, welche einen Ochsen betäubt zu Boden geworfen haben würde, war das Zeichen zum Kampfe, welcher sofort in ernsthafter Weise begonnen wurde und – in Wohlgefallen sich auflöste. Die feigen Kämpen begnügten sich mit einer gegenseitigen Umarmung etwas stürmischer Art, fletschten die Zähne, schnappten, schnauften und ließen plötzlich wieder von einander ab, worauf sie, grollend zwar, aber doch unschlüssig und zwecklos im Zwinger umherliefen. Ich war empört. Jede Katze, jeder Hund, – jede Spitzmaus würde sich muthiger benommen haben! Ich verachtete die Feiglinge aus tiefster Seele.

Man begreift, daß ich wenig Vertrauen mehr hatte, an alten Bären die ihnen nachgerühmten guten Eigenschaften zu entdecken. Ich wandte mich also um so lieber zwei jungen, der Erziehung fähigen Bären zu, welche wir bald nach diesem Vorfalle erhielten. Meine Hoffnung wuchs, als sie wirklich gewissen Erwartungen zu entsprechen schienen. Ein zweites Paar, in etwa gleichem Alter, kam mir sehr erwünscht, ich hatte jetzt vier hoffnungsvolle Zöglinge.

Um der Wahrheit die Ehre zu geben, muß ich gestehen, daß sich alle vier ihres Namens durchaus würdig, d. h. als echte Bären zeigten. Höflich und artig konnte man sie nicht nennen, diese Söhne der Wildniß; man hatte vielmehr oft Gelegenheit eine große Ungeschliffenheit an ihnen zu rügen. Dabei schienen sie eine hohe Meinung von der Richtigkeit ihrer Ansichten zu besitzen; wenigstens bekundeten sie eine merkwürdige Starrköpfigkeit in der Beschäftigung, die sie sich einmal vorgenommen. Aber sie waren ganz ungemein, ich möchte sagen bestechend komisch. Ihr Auftreten hatte mit dem kleiner Buben, welche die ersten Hosen und zwar dem zarten Kindesalter entsprechend eingerichtete Hosen tragen, täuschende Ähnlichkeit; ihr Benehmen erinnerte an gewisse liebenswürdige Unarten, wie solche als Ergebnisse einer, wenn auch nicht gerade allen Ansprüchen genügenden, so doch ungebundenen Erziehung munteren Kindern anhaften. Unsere vier Bären waren, um es ungeschminkt zu sagen, vollendete Flegel.

So lange die lieben oder, wie die schönen Besucherinnen unseren Gartens sich auszudrücken pflegten, die „süßen“ Thierchen gesättigt in ihren Käfigen lagen, beschäftigten sie sich mit der anerkennenswerthen Arbeit, an ihren Vordertatzen zu saugen. Dabei ließen sie ununterbrochen ein beifälliges Gesumm – denn Gebrumm konnte man es nicht nennen – vernehmen, welches schließlich mit lautem Schmatzen beendet wurde. Hatten sie sich an dieser tiefsinnigen Beschäftigung Genüge gethan, so begannen sie zur Abwechslung eine kleine Balgerei, welche in aller Freundschaft begonnen, durch die Zauberwirkung einer unverhofft empfangenen Ohrfeige aber regelmäßig zu ernsterem Kampfe umgewandelt wurde und mit erklärtem Unfrieden endete. Grollend und mit den kleinen Schweinsaugen bösartig schielend oder dem Anderen Zornesblitze zuschleudernd, zog sich hierauf jeder wieder in seine Ecke zurück, betrachtete in wehmüthiger Erinnerung an die süße Mutterbrust seine Pranken, begann an ihnen zu saugen, begann zu summen und summte allen Zorn aus seinem Herzen. Bald regten sich der Uebermuth und die jugendliche Spiellust wieder, ein neues Kampfspiel wurde ausgeführt, von Neuem veruneinigte man sich, und wiederum mußten die Tatzen herhalten. Ich beneidete die Bären förmlich um diese Tatzen, welche so treffliche Ableiter des Unmuths zu sein schienen, weil ich bedachte, daß unsere guten Landesväter, hätten wir solche Tatzen, doch recht zufrieden, froh und glücklich sein würden.

Die Stunde des Fressens veränderte bei den jungen Bären natürlich das ganze Wesen. Sie wurde schon lange vorher durch ein höchst aufrührerisches Gebrüll als eine sehnlich erwartete verkündet. Der Magen schien sich durch Gesumme nicht einschläfern zu lassen, verlangte vielmehr sein Recht in ungestümer Weise. Mit unbeschreiblicher Gier fielen die Bären über ihr Futter her; sie zeigten sich so recht als das, was sie sind, als das Schwein unter den Raubthieren. Von anständigem Fressen, wie man es bei Katzen oder Hunden trotz alles Hungers beobachten kann, war keine Rede. Unsere Bären erstickten fast über der Arbeit und schienen richtig bei den Schweinen die Regeln des Anstandes erlernt zu haben. Sobald der Trog, welchen man ihnen bis zum Rande gefüllt hatte, geleert worden war, legten sie sich, befriedigt von den Freuden des Lebens, wiederum nieder und summten, an den Tatzen saugend, gar vergnüglich.

Wenn ich eben andeutete, daß Bären mit den Schweinen in manchen Stücken übereinstimmen, muß ich zum Ruhm der ersteren sagen, daß sie sich durch ihre Reinlichkeitsliebe von letzteren unterscheiden. So lange ein Bär Wasser zu seiner Verfügung hat, badet er sich, und in der Regel hält er sein Fell immer in Ordnung. Unsere jungen Bären konnten im engen Käfig die Wohlthat des Bades nicht empfangen; sie mußten deshalb zuweilen an das Wasser gebracht und dort gebadet werden. Das Becken, in welchem ein Seehund zwanzig Stunden des Tages verträumte, schien mir besonders geeignet, um als Badewanne zu dienen. Besagtes Becken war aber freilich einige hundert Schritte von den Käfigen meiner Zöglinge entfernt, und wir mußten also jedesmal mit ihnen einen guten Theil des Gartens durchschreiten.

So lange die Bären noch klein waren, ging die Sache vortrefflich. Die Thüren der Käfige wurden geöffnet, alle vier Insassen stürzten in’s Freie, schnaubten sich gegenseitig an, balgten sich und rannten hierauf hierher oder dorthin, in der entschiedenen Absicht, Beute zu machen. Sie stürzten sich mit Raubthiereifer auf jedes lebende Geschöpf ohne Unterschied der Größe, zeigten sich einer Taube oder einem Affen gegenüber äußerst muthig, Angesichts eines Ziegenbockes aber erbärmlich feig; sie rannten auf jedes Ding in blindem Eifer los und erschraken vor allem Ungewohnten; sie versuchten das gestern vergeblich Ausgeführte heute wieder, ohne gewitzigt zu werden; sie zeigten sich charakterlos, feig, störrisch, vergeßlich, dumm, boshaft und tückisch, vor Allem aber schweineartig gefräßig. Von den Fischkörben, den Vogel- oder Affenkäfigen im Hofe waren sie kaum wegzubringen, und wenn wir es wagten, sie mit Gewalt zu entfernen, fielen sie wüthend über uns her und bissen und kratzten gehörig. Mit Schlägen konnte man sie nicht bändigen, es gab nur ein Mittel sie zu locken, ein Mittel so abgeschmackt, wie die Bären selber. Man mußte schnell vor ihnen weglaufen, dann eilten sie ohne Besinnen nach. So wurde es möglich, sie, immer im Trabe freilich, durch den ganzen Garten zu führen.

Unsere Ausgänge waren für alle Zuschauer höchst ergötzlich. Die vier jungen Bären, welche wie Hunde hinter mir oder dem beauftragten Wärter herliefen, jedes Ding unterwegs untersuchten, die Körbe der Gartenarbeiterinnen durchwühlten, bei dem Erfrischungsgebäude auf Stühlen und Tischen herumkletterten und tausend andere Tollheiten in plump-täppischer, komisch-ernsthafter Weise trieben, mußten auch einen erklärten Murrkopf erheitern und belustigen. Ich selbst bemühte mich oft genug vergebens, den meiner Stellung würdigen Ernst zu bewahren.

In der Regel kam ich mit meinen Zöglingen ohne besondere Zwischenfälle zum Seehundsbecken. Dort wurden die Bären gepackt und in das Wasser geschleudert. Das Bad war ihnen

[13]

Der Spaziergang zum Bade.
Nach der Natur aufgenommen von H. Leutemann.

[14] stets äußerst unangenehm und dem Seehund nicht minder. Dieser fürchtete sich vor den zottigen Eindringlingen und die Bären natürlich vor dem Seehund. Es kam zu überaus drolligen Vorgängen. Krampfhaft hielten die Bären am Gitter sich fest, ärgerlich brummte der Seehund und wüthend schlug er mit der einen Flossenhand auf’s Wasser, wenn man sich anschickte, die Bären in das Becken zu werfen. Land- und Seethiere standen sich unbedingt feindlich gegenüber. Waren endlich alle fünf im Wasser, so suchte der Seehund die Bären von der Tiefe aus zu schrecken, und diese wiesen ihm die Zähne, sobald er sich oben zeigte.

Nach Beendigung des Bades wußten die Bären ihrer Glückseligkeit kaum Ausdruck zu verleihen. Sie kollerten sich wie übermüthige Buben auf dem Rasen herum, kletterten an den Bäumen in die Höhe, schreckten die Lama’s und schnauften andere Thiere an, setzten die Leute in Schrecken und trieben ähnlichen Unfug.

Das schöne Vergnügen währte aber nur sehr kurze Zeit. Alle Bemühungen, die Bären erziehen zu wollen, scheiterten an der Bildungslosigkeit derselben. Ihre harmlose Munterkeit verlor sich, ihre Rohheit, ihr grobes, ungeschliffenes Wesen zeigte sich mehr und mehr. Als sie den neunten Monat ihres Lebens erreicht hatten, waren sie ganz dasselbe, was ihre Eltern sind – echte Bären nämlich, zu näherem Umgange gänzlich ungeeignet, boshaft, unzuverlässig, stumpfgeistig, dumm, kurz, freundlicher Behandlung gänzlich unwürdig. Jetzt stecken sie im sicheren Käfig und werden mit Vorsicht behandelt. Vielleicht erzähle ich ein anderes Mal mehr von ihnen.




Anmerkung des WS-Bearbeiters:

Dieser Beitrag erschien als Nr. 2 in der Reihe Bilder aus dem Thiergarten
Nr. 1 Ein Gang durch den Thiergarten zu Hamburg siehe Heft 51 des Jahrgangs 1863
Nr. 3 Im Raubvogelgebauer folgt in Heft 11.