Ueber künstliche Beleuchtung im Hause
Ueber künstliche Beleuchtung im Hause.
Je großartigere und ungeahntere Fortschritte die moderne Technik des Beleuchtungswesens macht, desto mehr ist die Frage des Publicums berechtigt: Welche Beleuchtungsart sollen wir in unserem Hause einführen? Bei welcher Art läuft unser Auge die geringste Gefahr? Die Antwort ist nicht ganz leicht zu geben.
Daß ein allzu helles Licht das Auge blendet, ist bekannt; das Sehen in elektrisches Bogenlicht, in die Sonne, in den Blitz, auf große Schneeflächen ruft Zerstörungen in der Netzhaut des Auges hervor, die häufig ganz unheilbar sind; auch haben alle Augenärzte die Beobachtung gemacht, daß Handwerker, welche viel der Einwirkung von blendendem Lichte ausgesetzt sind, z. B. Heizer, Glasbläser, Schmiede, oft an Entzündung oder Vertrocknung der Sehnerven leiden. Um so starke Lichtquellen handelt es sich aber bei unserer Zimmerbeleuchtung niemals. Allein wir können auch bei den schwächeren Beleuchtungen in unseren Wohnungen einen allgemeinen Lehrsatz anwenden, den wir der täglichen Beobachtung des Tageslichtes entnehmen. Jedermann weiß, daß das zerstreute (diffuse) Tageslicht niemals blendet, weil eben die Lichtquelle selbst dem Auge entzogen ist. So müssen wir auch die künstliche Lichtquelle dem Auge entziehen und nur das diffuse Licht, welches von ihr ausgeht, in’s Auge gelangen lassen; alsdann wird von Blendung nie die Rede sein. Da man aber die Flamme im Zimmer dem Auge nicht vollkommen entrücken kann, wird man bei allen Lichtquellen, bei Gas, Petroleum, selbst bei Glühlicht immer Glocken anwenden müssen, sei es aus mattem Glase, aus Milchglas oder aus Porcellan etc.
Diese Glocken nehmen allerdings sehr viel Licht; Hartley in London hat gefunden , daß die gewöhnlichen Milchglaskugeln 33 bis 60% Licht entziehen, ein matter Lampenteller sogar über 60%. Die Lichtmessungen[1] betreffs dieses Punktes waren bisher complicirt. Vor Kurzem aber hat der Professor Leonhard Weber in Breslau ein überaus sinnreiches Instrument erfunden, welches das Ausführen dieser Messungen ungemein erleichtert, und mit Hülfe dieses Weber’schen Photometers hoffe ich den Werth der verschiedenen Reflectoren von Blech, Glas, Porcellan etc. für die einzelnen Beleuchtungsarten ermitteln und in einem späteren Artikel mittheilen zu können. Bis jetzt kann man nur rathen, einen Schirm oder Reflector so zu wählen, daß die größte Lichtmenge durch denselben nach unten auf das Buch oder die Arbeit geworfen wird, während die Flamme selbst dem Auge möglichst entzogen bleibt. –
Viel wichtiger als die Frage der Blendung ist jedoch bei unserer künstlichen Beleuchtung die Frage: Welchen Schaden erfährt das Auge durch zu geringe Beleuchtung?
Das Gesetz, nach welchem die Sehschärfe von der Lichtintensität abhängt, kennen wir noch nicht mit voller Sicherheit. Unumstößlich fest steht nur, daß bei Abnahme der Beleuchtung die Sehschärfe beträchtlich sinkt, ferner daß bei Kurzsichtigen die Sehschärfe bei schlechter Beleuchtung viel schneller abnimmt, als bei Normalsichtigen, und daß ein Gleiches in höherem Alter beobachtet ist.
Wenn aber die Sehschärfe abnimmt, müssen wir uns den Gegenständen, um sie zu erkennen, noch mehr nähern, und gerade diese dauernde Annäherung birgt ernste Gefahr für das Auge. Beim Naheblick muß sich nämlich ein Muskel im Auge zusammen ziehen, der sogenannte Accommodationsmuskel; dabei zerrt er die Aderhaut nach vorn und gestattet der Krystalllinse, die für den Naheblick nothwendige stärkere Krümmung anzunehmen.
Das Wesentlichste beim Naheblick ist also ein Muskelzug; dieser aber bewirkt eine Erhöhung des Druckes im Inneren des Augapfels und leistet einer Dehnung der hinteren Theile der Augenhäute Vorschub. Zugleich wird die Aderhaut gezerrt, der Kopf vornübergebeugt, und so werden, wenn das Nahesehen längere Zeit fortgesetzt wird, Reizungszustände herbeigeführt, die sehr wohl geeignet sind, ein normales Auge kurzsichtig und ein kurzsichtiges noch kurzsichtiger zu machen.
Alle Augenärzte sind darin einig, daß anhaltendes Nahesehen, besonders bei ungenügender Beleuchtung, ein die Myopie (Kurzsichtigkeit) im höchsten Grade begünstigendes Moment ist.
Der statistische Nachweis wurde schon vor 18 Jahren von mir an mehr als 10,000 Schulkindern geführt, daß die Myopie namentlich in den höheren Schulen außerordentlich verbreitet ist, daß sie dort stets von Classe zu Classe immer mehr Kinder ergreift, und daß auch der durchschnittliche Grad der Kurzsichtigkeit von Classe zu Classe zunimmt. Meine Beobachtungen sind seitdem bei mehr als 50,000 Schülern in anderen Städten von den besten Forschern bestätigt worden, und ich konnte in der hygieinischen Ausstellung zu Berlin im vorigen Jahre ein graphisches Tableau vorführen, das allein aus 9400 Beobachtungen in 24 deutschen Gymnasien gestützt folgendes erschreckende Resultat zeigte: „Durchschnittlich sind in Sexta 22%, in Quinta 27, in Quarta 36, in Tertia 46, in Secunda 55 und in Prima 58% Schüler kurzsichtig!“
Alle Unterrichtsbehörden sind vor Kurzem von dem Herrn Minister von Goßler aufgefordert worden, ähnliche Untersuchungen anstellen zu lassen, deren Details von der wissenschaftlichen Prüfungsdeputation in Berlin vorgeschlagen werden sollen. Wenn wir also mit Freude und Dank anerkennen, daß die Staatsbehörden jetzt aller Orten, ganz besonders im Elsaß, in Hessen [659] und in Preußen, wachsam sind, um der größeren Verbreitung der Kurzsichtigkeit in den Schulen vorzubeugen, so haben wir die doppelte Verpflichtung, Alles aufzubieten, um auch bei der häuslichen Beschädigung unseren Kindern jede Gelegenheit zur Entstehung oder Vermehrung der Kurzsichtigkeit zu nehmen.
Wir müssen also, um die Annäherung des Auges an die Arbeit zu verringern, auch die künstliche Beleuchtung im Hause zu einer möglichst glänzenden gestalten. Meine Ansicht geht dahin, daß jedes Kind seine eigene Lampe habe, damit es seinen Arbeitsplatz hinreichend erleuchten könne.
Die Zeiten, in denen bei den sogenannten Studirlampen eine Person am Tische stets den Oelkasten zugedreht erhielt, sind längst vorüber, die allgemeine Einführung des Petroleums hat die Reservoirs nach unten verlegen lassen; allein um so nothwendiger ist es, daß keine Arbeitslampe ohne Glocke oder Schirm, welcher das Licht nach unten wirft, angewendet werde.
Dasselbe gilt von den Gasflammen. Was nützt dem Schreibenden die Erhellung des Raumes 1 Meter über seinem Kopfe, wenn der Arbeitsplatz dunkel bleibt?! Hier empfehle ich schon seit vielen Jahren Blechschirme, welche oben 10, unten 40 Centimeter Durchmesser und 12 Centimeter Höhe haben; solche bewähren sich in der Taubstummenanstalt zu Breslau ganz gut; eine so armirte gute Gasflamme reicht für 4 Kinder, die an einem Tische arbeiten, aus. Gewiß ist Glühlicht noch mehr vorzuziehen, denn es verbessert die Sehschärfe im Allgemeinen und die Farbensehschärfe im Besonderen wegen seiner größeren Intensität; aber auch hier muß durch Glocken das Licht nach unten geworfen werden.
Das Minimum von Licht, bei welchem ein Auge noch arbeiten kann, ist kaum anzugeben, da individuell die größten Verschiedenheiten beobachtet werden. Ich möchte empfehlen, daß das Minimum eine derartige Helligkeit sein soll, daß bei derselben die feinste Perlschrift, z. B. diese Zeile
noch bequem aus 1/2 Meter vom gesunden Auge gelesen werden kann. Es scheint mir dies bei 10 Normalkerzen der Fall zu sein.
Es handelt sich aber gar nicht so sehr um die Feststellung des Minimums, unsere Aufgabe ist vielmehr, soviel wie möglich Licht zuzuführen, damit das Auge sich der Arbeit nicht zu nähern und der Kurzsichtigkeit zugeführt zu werden braucht. Ist die Lichtquelle zu hell, so kann man sie immer mäßigen, aber gegen zu geringes Licht kann man sich nicht schützen; man kann nie genug künstliches Licht zur Arbeit haben. –
Eine dritte, sehr wichtige Frage lautet: Welchen Schaden erfährt das Auge durch zu heiße Beleuchtung? Ein Gefühl von Trockenheit im Auge tritt ein; die von der Schleimhaut des Auges, der sogenannten Bindehaut, gelieferte Feuchtigkeit, welche den vorderen Theil des Augapfels bedeckt, verdunstet zu schnell. Das ist recht lästig; denn es wird dabei nicht blos das Auge, sondern auch der Kopf erwärmt; man empfindet Kopfschmerz und kann nicht mehr weiter arbeiten.
Bekanntlich enthalten die verschiedenen Lichtquellen verschiedene Mengen von Wärmestrahlen, das sind diejenigen Strahlen, welche im Spectrum jenseit des rothen Endes liegen. Man kann sie am besten mit berußten Thermometern messen. Ich fand bei Messungen, die ich in der Breslauer Gasanstalt mit Herrn Director Schneider vornahm, daß nach 10 Minuten ein Thermometer von einer Gaslampe doppelt so stark erhitzt wurde, als von einer Edison-Lampe, die dieselbe Lichtstärke hatte.
Die Empfindlichkeit des Auges gegen Wärme ist übrigens bei den verschiedenen Personen auch eine sehr verschiedene. Vor 15 Jahren untersuchte ich die Augen von 132 Schriftsetzern, von denen ich 51% kurzsichtig fand. Nur 72 stimmten für Gas, die andern der geringeren Hitze wegen für Petroleum. Von 72 Uhrmachern fand ich nur 9% kurzsichtig; sie arbeiten mit der Lupe und strengen ihre Accommodation weniger an, können also weniger zur Kurzsichtigkeit neigen; sie müssen bei ihren feinen Arbeiten die Flamme ganz nahe: 25, selbst 18 Centimeter an das Auge bringen, und in der That stimmten 54 unter den 72 für Oel oder Petroleum, da das Gas ihr Auge zu sehr austrockne.
Freilich kann die Hitze verringert werden, wenn die Flamme recht hoch über dem Kopfe steht, allein die Helligkeit nimmt bekanntlich nicht wie die Entfernung, sondern wie das Quadrat der Entfernung ab; man muß also eine doppelte und selbst vierfache Menge von Licht haben, wenn man die Hitze vermeiden will. Das Glühlicht aber erhitzt fast gar nicht, ist also gewiß das Arbeitslicht der Zukunft.
Es fehlen noch Messungen der Temperaturerhöhung bei bestimmter Höhe der Lampe über dem Kopfe; ich persönlich kann stundenlang ohne jede Störung arbeiten, wenn eine Gasflamme (Rundbrenner von 24 Millimeter Durchmesser), von Porcellanteller und Glocke umgeben, 1/2 Meter über meinem Kopfe sich befindet. Für Schulen wünschen die Straßburger Aerzte die Flamme einen Meter hoch über dem Kopfe.
Zu den Körpern, welche die Wärmestrahlen wenig oder gar nicht durchlassen, und die man „athermane“ (wärmelose) nennt, gehören die Glassorten; schon hieraus folgt der Nutzen von Cylindern. Schuster und Bär in Berlin, Besitzer einer großen Lampenfabrik, haben, um die strahlende Wärme zu verringern, in ihren sehr empfehlenswerthen hygieinischen Normallampen[2] zwei Cylinder über einander angebracht. Durch den Uebercylinder wird die Temperatur anfangs um 2° später, wenn auch er sich erwärmt, um 1° herabgesetzt. –
Ueber den Nutzen dieser oder jener Farbe des künstlichen Lichtes sind die Ansichten noch sehr getheilt; Versuche über die Ausdauer bei verschieden gefärbten Lichtquellen liegen nicht vor. Einzelne Personen können mit blauen Gläsern oder bei blauen Cylindern (die freilich viel Licht nehmen) länger und bequemer schreiben andere, wie Fieuzal und Javal in Paris, empfehlen im Gegentheil gelbe Brillen. Die Frage ist noch nicht gelöst; möge Jeder in dieser Beziehung nach seiner Empfindung verfahren!
Dagegen müssen wir noch einiges über den Schaden sagen, den zuckende Beleuchtung hervorbringt. Beim Zucken wechselt die Beleuchtungsintensität überaus schnell. Wie lästig ist es uns, an einem Staketenzaune vorüberzugehen, der von der Sonne beschienen wird! Wenn wir vom Dunkeln ins Helle kommen, müssen wir uns bekanntlich erst längere Zeit an den Uebergang gewöhnen; dagegen wird unsere Netzhaut auf das Peinlichste gereizt, wenn beim Zucken der Flamme die Intensitäten so überaus schnell wechseln; das zuckende Licht ist unerträglich. Man merkt das besonders, wenn man in einem Hôtel bei einer Kerze einen Brief schreiben will. – Die Petroleumlampen haben stets ihren Cylinder, nur die Gasflamme läßt man häufig ohne solche. Das ist aber ganz unverantwortlich; bei offener Gasflamme soll wegen des Flackerns niemals gearbeitet werden. Seit wir die unzerspringbaren Glimmercylinder haben, ist auch aus pecuniären Rücksichten keine Veranlassung mehr vorhanden, sich auf offene Flammen zu beschränken. Bei dieser Gelegenheit sei bemerkt, daß die Gesundheitspolizei auch darauf sehen sollte, daß in Restaurationen, Conditoreien und Cafe’s, in denen Zeitungen gelesen werden, alle offenen, in Schalen brennenden Gasflammen beseitigt würden, damit die Augen der Leser vor dem zuckenden Lichte bewahrt werden.
Von den offenen Gasflammen zuckt nur die Albocarbonflamme niemals. Das Gas nimmt durch die Naphthalindämpfe bedeutend an specifischem Gewicht zu, gewinnt also auch an Stabilität. Die Albocarbonflamme ist mir persönlich – und ich habe bei allen Beleuchtungsarten viel gearbeitet – die liebste; sie giebt das hellste weiße Licht, flackert nicht und ist auch nicht so heiß, als die anderen Gasflammen; nur muß man darauf achten, daß sie nicht nach einiger Zeit rußt.
Mit Recht hat man früher darüber geklagt, daß das elektrische Licht beim Lesen anstrengt, da es fortwährend kleine Zuckungen mache; namentlich ist dies bei dem Jablochkoff’schen Bogenlichte der Fall gewesen. Ich habe aber auf der hygieinischen Ausstellung in Berlin im Pavillon der deutschen Edison-Gesellschaft eine Anzahl Glühlampen gesehen, die nicht die leiseste Zuckung zeigten. Die Ursache war die höchst vollkommene Regulirung der daselbst thätigen Dampfmaschine von Ludwig Löwe. Mit diesen Fortschritten der Technik fällt also auch das letzte Bedenken gegen das Glühlicht zur Arbeit fort.
Fasse ich alles zusammen, so komme ich zu folgenden Sätzen: Da das diffuse Tageslicht dem Auge niemals schädlich ist, so müssen wir seine Eigenschaften bei der künstlichen Beleuchtung möglichst nachzuahmen suchen; sie darf daher 1) nicht blendend sein, 2) nicht spärlich sein, 3) nicht die Augen erhitzen und 4) nicht zucken.
- ↑ Vergl. den Artikel über das „Messen des Lichts“ in Nr. 4 d. Jahrg.
- ↑ Vergl. „Zwanglose Blätter“, Beilage zu Nr. 49, Jahrgang 1881.