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Ueber Bild, Dichtung und Fabel

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Johann Gottfried Herder
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Titel: Ueber Bild, Dichtung und Fabel
Untertitel:
aus: Zerstreute Blätter (Dritte Sammlung) S. 87-93
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Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1787
Verlag: Carl Wilhelm Ettinger
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Erscheinungsort: Gotha
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
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[87]

II.


Ueber
Bild, Dichtung und Fabel.
––––––

[89] Der Mensch ist ein so zusammengesetztes, künstliches Wesen, daß, Trotz aller Anstrengung, in ihm nie ein ganz einfacher Zustand möglich ist. Zu eben derselben Zeit, da er siehet, höret er auch und genießt unvermerkt durch alle Organe seiner vielartigen Maschiene Einflüsse von außen, die zwar größtentheils dunkle Empfindungen bleiben, jederzeit aber auf die Summe seines ganzen Zustandes ingeheim mitwirken. Er schwimmt in einem Meer von Eindrücken der Gegenstände, wo Eine Welle leiser, die andre fühlbarer ihn berühret, immer aber mancherlei Veränderungen von außen sein Inneres reizen. Auch in diesem Betracht ist er eine kleine Welt, wie ihn Protagoras in einer andern Absicht das Maas der Dinge nannte, die ihn umgeben. [90] Unter seinen Sinnen sind Gesicht und Gehör diejenigen, die aus dem Ocean dunkler Empfindungen ihm Gegenstände am nächsten und klärsten vor die Seele bringen; und da er die Kunst besitzt, diese Gegenstände durch Worte vestzuhalten und zu bezeichnen: so hat sich insonderheit aus dem Gesicht und aus dem Gehör eine Welt menschlicher Wahrnehmungen und Ideen in seiner Sprache geordnet, die auch noch in der fernsten Ableitung die Spuren ihres Ursprunges zeigen. Selbst die feinsten Wirkungen der Seele hat man daher aus dem Gesicht und Gehör bezeichnet, wie es die Namen, Anschauungen und Ideen, Phantasieen und Bilder, Vorstellungen und Gegenstände nebst hundert andern Worten der Art, zeigen. Nach dem Auge hat sodann Ohr und Gefühl, insonderheit die tastende Hand, der Seele die meisten Ideen gegeben; der Geschmack und Geruch weniger, insonderheit in den nordischen Regionen. [91] So viel man gegen den Namen Aesthetik, als Philosophie des Schönen betrachtet, eingewandt hat: so wenig sollte man ihn jetzt eingehen lassen, da bereits, und vorzüglich von Philosophen unsrer Nation, eine Reihe der vortreflichsten Bemerkungen an diesen Namen geknüpft sind. Er ist auch kein unschicklicher Name, sobald man eine Philosophie der sinnlichen Empfindungen darunter meinet, von welcher die Philosophie des Angenehmen, des sinnlich-Vollkommenen und Schönen zwar nur ein Theil, aber gewiß nicht der verächtlichste Theil ist. Jede Empfindung, so wie jeder Gegenstand derselben hat nämlich seine Regeln der Vollkommenheit in sich, die jeder Philosoph aussuchen muß, damit er den Punkt ihrer höchsten Wirkung finde und aus ihm Regeln für seine Kunst ableite. Zu diesem Zweck muß er nothwendig die Empfindungen mehrerer Sinne vergleichen, was in Jedem derselben ursprünglich [92] und abgeleitet sei, bemerken und vorzüglich ein Auge darauf haben, wie Ein Sinn den andern unterstützt, berichtiget und aufkläret. Könnte dieser schöne Theil der Philosophie einen bessern Namen als Aesthetik finden, da dieser Name ja sowohl den Umfang seiner Gegenstände, als das Subject ihrer Wirkung genau bezeichnet? Eine Philosophie des Geschmacks, des Schönen u. f., die nur von Einem Sinne ausginge, müßte zur Philosophie der gesammten Empfindungen nothwendig nur unvollkommene Bruchstücke liefern.

Wenn also das Gesicht der reichste, feinste und klärste Sinn ist, eine Welt von Empfindungen der Seele zu geben und zu bezeichnen: so muß sich an ihm auch die Philosophie sinnlicher Gegenstände vorzüglich und für alle andre Sinne üben. In der Mathematik hat sich die Optik [93] nicht nur selbst sehr ausgebildet, sondern sie hat auch die Grundlage fast aller andern Wissenschaften werden können, eben weil die Natur uns in der Structur des Auges und in den Gesetzen des Lichtstrals das schönste Muster einer feinen Genauigkeit vorlegte. Für die Philosophie der Empfindungen ist eine Theorie des Lichts und des Bildes von gleich mannichfaltigem Nutzen, sobald man sie in den Erscheinungen verschiedner Kunstwerke aufzusuchen und zu den allgemeinsten Regeln zu erheben strebet.