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Turandots Polterabend

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Autor: Hans Arnold
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Titel: Turandots Polterabend
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 50–52, S. 848–852, 872–875, 887, 890-891
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[848]

Turandots Polterabend.

Erzählung von Hans Arnold. Mit Illustrationen von A. Mandlick.

Das hübsche altfränkische Landhaus, welches man von der Stadt aus am Ende einer langen Allee von Ahornbäumen liegen sieht, war vor einigen Jahren in den Besitz des früheren Bürgermeisters Dorn übergegangen, der es seit seiner Pensionierung mit seiner Frau und einzigen Tochter bewohnte und seine ganze Zeit auf die Instandhaltung des großen Gartens verwendete, der das Haus von drei Seiten umgab. In diesem Garten, der in Obst-, Gemüse- und Blumengarten eingeteilt war, konnte man zu frühster Frühjahrszeit den alten Herrn in einem fleckenlos sauberen Nankingröckchen bei seinen Pflanzungen hantieren sehen, wo er die Hecke stutzte oder wohl auch mit Hacke und Spaten ein Stückchen Land umgrub und Salatsetzlingen ihre Plätze anwies.

Seine Tochter half ihm eifrig bei dieser Beschäftigung, und die Spaziergänger, die ihr Weg an dem Garten vorbei führte, suchten fast ausnahmslos einen Blick über die Hecke und gleichzeiüg unter den großen runden Strohhut des schönen Mädchens zu thun, das da mit so lieblicher Ernsthaftigkeit und so stolzen, anmutigen Bewegungen thätig war, als sei sie eine verkleidete Prinzessin, die Gärtnerdienste thut – aber gern thut.

Daß diese Schönheit ihre erste Blüte hinter sich hatte und den Dreißigern näher stand als den Zwanzigern, hatte vorläufig ihre Anziehungskraft nicht zu vermindern vermocht, – man hatte ihr, der unbeugsamen Hartherzigkeit gegen ihre Freier halber und wegen deren großer Anzahl, schon den Beinamen „Turandot“ gegeben – aber ein Kalaf wollte sich anscheinend in diesem Fall nicht finden, der dies Rätsel zu lösen imstande war.

Es wurde beinahe zur Ehrensache für jeden biederen Junggesellen, der in die Stadt und in die Heiratsjahre kam, sich ein paar Tage oder Wochen – je nach der Naturanlage – heftig in die schöne Käthe zu verlieben und die Probe aufs Exempel zu machen, ob sie denn auch ihm gegenüber unerbittlich bleiben werde – aber das Ergebnis war unweigerlich das gleiche, und die gekränkten Fräulein und Mütter der Stadtgesellschaft hatten sich schon hineingefunden, die zeitweilige Schwärmerei der jungen Männer für die Bürgermeisterstochter wie eine Kinderkrankheit anzusehen, die jeder durchmachen mußte. Daß aber aus fast all diesen abgewiesenen Freiern’ und Anbetern mit der Zeit ebenso treue und begeisterte Freunde für Käthe Dorn wurden, war wohl der beste Beweis, daß ihre Schönheit nicht nur äußerlich war, sondern daß ihr kluger, ruhig heiterer Sinn und ihr warmes Herz dem anmutigen Gesicht entsprachen und es ergänzten.

Und doch hatte dieses schöne Mädchen, das nebenbei das einzige Kind reicher und hochangesehener Eltern war und dem fast jeder Wunsch erfüllt war, noch ehe es ihn ausgesprochen hatte, nicht immer so ruhig, so fertig, so kühl ins Leben geblickt wie an diesem Frühjahrsmorgen. So wird es auch niemand wunder nehmen, daß der Frühlingswind, der heute mit seinem ersten, kühlen, wilden, ahnungsreichen Brausen durch die fast noch laublosen Wipfel strich, bisweilen noch den unvergänglichen, unvergeßlichen Duft alter Tage auf seinen Schwingen daher trug. An einem solchen Frühlingsmorgen war es ja gewesen, wo die schuldlose, glücklose Geschichte dieses reinen Mädchenherzens ihr Endkapitel gefunden hatte, wo der kaum zwanzigjährige Jugendfreund auf Nimmerwiederkehr fortgegangen war und allen denen Recht zu geben schien, die ihn von jeher für einen unverbesserlichen Leichtfuß und Taugenichts erklärt hatten! Die ruhigen gesetzten Menschen konnten es nicht begreifen, wie er den sichern, warmen Platz in des Onkels Comptoir, die Anwartschaft auf ein glänzendes Erbe in den Wind schlagen konnte, weil er sich nun mal in den Kopf gesetzt hatte, Maler zu werden. Ja, die Liebe zur Kunst und zu freiem ungebundenen Schaffen hatte in ihm alles überwuchert, was ihn an die engen Mauern der Vaterstadt festbinden wollte – alles – auch die erwiderte und von den Hauptpersonen begünstigte Kinder- und Jugendliebe zu der schönen Käthe.

An derselben Hecke, die damals noch um einen Fuß niedriger war als heute, hatten sie gestanden, sie an der einen, er an der andern Seite; er hatte den Hut tief in die Stirn gezogen, damit sie nicht sehen sollte, daß ihm Thränen der Wut und des Schmerzes in den hübschen, trotzigen Augen standen. Der Onkel und Pflegevater hatte ihn am Abend vorher beim Skizzieren getroffen, als er eine dringende Arbeit für ihn erledigen sollte, und da diese Vernachlässigung der Pflichten wahrlich nicht zum erstenmal zum Tadel Anlaß gab, hatte der gestrenge Herr Bürgermeister dem Kunstjünger im ersten Aerger sein Skizzenbuch aus der Hand gerissen und in den Ofen gesteckt, in dem zum Glück oder Unglück an diesem Märztage ein helles Feuer flackerte.

Mit den Blättern dieses Skizzenbuches waren aber auch die letzten Bande zu Zunder geworden, die den Jungen an das Haus des alten Herrn fesselten. Käthe verstand ihn sehr gut in seiner ohnmächtigen Verzweiflung und seinem Jammer über den Verlust der stillen Arbeit vieler Jahre; sie war schneebleich und ihr Mund zitterte, als er ihr in fliegenden Worten, von Verwünschungen unterbrochen, davon erzählte, aber sie versuchte doch, dem Brausekopf gut zuzureden. „Er will ja nur Dein Bestes, Peter,“ sagte sie mit halb erstickter Stimme, „versuch’s doch noch einmal – geh’ nicht so im Zorn fort, Peter!“

Da war er heftig aufgefahren: daß sie das sein Bestes nennen könne, wenn er sein Talent vergraben und verschütten sollte, das sei ihm ein Beweis, daß auch sie ihn nicht verstände, daß sie auch schon angesteckt und angekränkelt sei von der Krähwinkelei hier – und sie hatten sich im Zorn getrennt.

Sie sah es noch, wie er den Hut zog und gegen sie schwenkte, und wie er dann mit großen Sätzen auf der Straße fort in den nebeligen Morgen hinein lief und in dem weißlichgrauen Dunst verschwand – um nie wiederzukommen! Zwölf Jahre waren seitdem ins Land gegangen, und Peter Hansen hatte nichts mehr von sich hören lassen.

[849] Daß er nicht „gestorben und verdorben“ sei, davon erfuhren seine ehemaligen Mitbürger durch die Zeitungen. Seit zwei, drei Jahren war er, nach langem Aufenthalt im Auslande, als berühmter Maler nach Deutschland zurückgekehrt, und Geld und Ehren genug flossen ihm zu, um seine ruhmdurstige Seele zu befriedigen.

Seine schöne Jugendliebe hatte ihm zuerst so heftig, so trostverschmähend nachgetrauert, wie man es bei siebzehn Jahren thut, wo man noch nicht erfahren hat, was die Zeit vermag – dann war sie ruhiger geworden, hatte sich bewegen lassen, wieder an Spiel und Tanz teilzunehmen, wie es ihren Jahren zukam, wobei die Empfindung wohl mächtig mithelfen mochte, daß sie keinem nachzutrauern gedachte, der sie so ganz aus seinem Gedächtnis gestrichen hatte. Käthe hatte anscheinend den ungestümen Leichtfuß ganz vergessen, der damals in die blaue Ferne gegangen war.

Daß sie aber nur anscheinend vergessen hatte, das wußte niemand besser als sie selbst!

Wie sie heute stand und sich vom Frühlingswind die dunklen Haare in die Stirn wehen ließ, da ging ihr wieder – zum wievieltenmal wohl! – die alte Zeit durch den Sinn, die sie so ganz verschmerzt zu haben glaubte.

„Wer einmal so war,“ dachte sie still bei sich, „der wird nie wieder ganz, was er war! Man ist eben immer wie ein Mensch, der eine tiefe, fast tödliche Wunde bekommen hat: sie kann sehr gut heilen, so heilen, daß die andern nicht mal mehr die Narbe sehen, und man denkt selber sehr oft: das ist nun ganz vorbei und ganz gut. Dann kommt aber das Frühjahr – oder der Herbst – ein gewisser, kühler Sonnenschein – bestimmte Farben – es kommen Tage, die immer wie eine leise, traurige Melodie an früheres Glück, vergangene Seligkeit mahnen – und dann rührt sich’s in der alten Wunde!“

„Aber ich will nicht mehr!“ sagte sie plötzlich laut vor sich hin, „ich will jetzt wieder vergnügt sein ohne Rückblick, ich will mein Leben noch einmal in beide Hände nehmen und ihm eine vernünftige Gestalt zu geben versuchen – es wird schon gehen!“ Und mit einem raschen Entschluß warf sie ihren Spaten fort und ging zu ihrem Vater hin, der eben beschäftigt war, die neuen Setzlinge zu begießen – vorsichtig und gemächlich, damit keiner zu viel und keiner zu wenig bekäme. Die Unterredung zwischen Vater und Tochter, zu der auch die Mutter, ein feines, stilles, altes Dämchen, ihr Wenn und Aber, ihr Ja und Nein hinzuthat, hatte ein ganz überraschendes Resultat, das wir im Verlauf unserer Geschichte genau und wahrheitsgetreu erfahren werden.


Es mochten nun so drei bis vier Wochen seit jenem Frühlingsmorgen dahin gegangen sein; die Bäume hatten schon einen zarten, grünen Schleier, und der kräftige Duft der sprießenden Kräuter und Bäume erfüllte nach einem Regentage die Luft und verstärkte sich noch, als die Sonne untergegangen war und der klarste Vollmondschein sich weich und schimmernd auf die Zackengiebel der alten Häuser und in die engen Straßen der Stadt hinein legte mit seinem schmeichlerischen Licht, das alles verschönt, versilbert und mit Zauber umkleidet, was bei grellem Sonnenlicht nüchtern und alltäglich dreinschaut. Durch die mondweißen Straßen rasselte schwerfällig und müde die Postkutsche; jetzt kam sie auf den Markt vor das schöne, alte Rathaus, dessen strenger Gotik die klare Beleuchtung so besonders prächtig zu Gesicht stand, und nun setzte der Postillon sein Horn an den Mund und blies die altbekannte Weise

„Ach du mein lieber Gott,
Muß ich schon wieder fort –
Auf die Chaussee – ohne Kaffee!“

in die Frühlingsnacht hinaus und in die kleine Stadt hinein.

Der einzige Insasse des Wagens versuchte es, mitzusummen so gut es gehen wollte. „Ob das wohl in meiner Heimat ein erbliches Leiden ist, daß die Postillone so mörderlich falsch blasen?“ dachte er mit einer Art schmerzlicher Empörung in sich hinein. „Als ich ein kleiner Junge war, thaten sie es auch schon, und in meiner sentimentalsten Zeit hat mich so ein Kerl auus aller Sentimentalität heraus und in die hellste Wut hinein geblasen; derselbe kann es doch unmöglich mehr sein!“

Es lag eigentlich kein vernünftiger Grund dagegen vor, daß es noch derselbe war! Zwölf Jahre waren erst vergangen, seitdem der Reisende – kein anderer als Peter Hansen – mit französischem Abschied davon gerannt war, und warum sollte ein Postillon, der in jenen Tagen vielleicht ein junger Kerl von vierundzwanzig Jahren war, nicht heute als munterer Sechsunddreißiger sein Stücklein auch ebenso fidel und falsch vom Bock herunter blasen wie damals?

Aber Peter Hansen ging es, wie es den meisten Leuten geht; er selbst hatte sich so verändert in der Welt draußen, daß er meinte, alles andere müsse sich mit ihm verändert haben, und nun mit einer Art ungläubigen, freudigen Staunens bemerkte, wie wenig das der Fall sei.

Denn das weltferne Heimatstädtchen war sich merkwürdig ähnlich geblieben; nur viel größer und imposanter hatte es in der Erinnerung des Zurückkehrenden gestanden; die Erinnerung hat bekanntlich ein starkes Vergrößerungsglas.

Da war ja auch das Wirtshaus „Zum Lamm“ noch! Es hatte sich aber inzwischen als Zeichen der [850] fortgeschrittenen Kultur eine große Spiegelscheibe zugelegt, hinter der man die Honoratioren der Stadt, ohne Entree zu zahlen, bei ihren Früh- und Abendschoppen sitzen sehen konnte, während es diesen würdigen Herren ihrerseits unbenommen blieb, genau festzustellen, was auf der Straße und in logischer Folge innerhalb der Häuser vor sich ging, soweit sie das nicht ohnehin wußten, wie es in kleinen Städten Sitte und geheiligter Brauch ist.

Iu dieses Gasthaus kehrte Peter Hansen ein. Er hing den Mantel mit dem großen Kragen an den Nagel, den weichen Künstlerhut drüber und setzte sich dann an ein Tischchen für sich. Heimlich belustigte ihn das diskrete Kopfwenden, mit dem die seltene Anwesenheit eines Fremden hier aufgenommen wurde. In dem Kreise, am Tisch entdeckte er noch manchen alten Bekannten. Da, der dicke Herr mit der ungeheuren Glatze und der vorstehenden Unterlippe war sein Gymnasialdirektor von ehedem – der Tyrann seiner jungen Jahre! Das spindeldürre Männchen mit dem kornblumenblauen Schlips war der Apotheker – ein gefühlvoller Junggeselle, der die Guitarre spielte und Gedichte in das Tageblättchen schrieb. Ob er zwischenein wohl eine von den Damen heimgeführt hatte, die er so schmelzend anzusingen pflegte?

Der nächste im Kreise, der hübsche, stattliche Mann mit dem goldenen Kneifer und dem klugen, humorvollen Gesicht, war ihm aber fremd, er mußte neu hergekommen und allem Anschein nach der Doktor sein – freilich! der alte Sanitätsrat war ja damals schon fast der Schwächste seiner eigenen Patienten gewesen!

Man debattierte und sprach lebhaft am Honoratiorentisch aber mit gedämpfter Stimme, aus Rücksicht auf den Fremden. Es schien eine große Sache im Werke zu sein, die alle Leidenschaften entfesselte: der Apotheker wurde sichtlich mit Vorwürfen überhäuft und zuckte die spitzen Schultern vor Verlegenheit, als sollten sie ihm über dem Kopf zusammenschlagen.

Peter Hansen konnte es nicht unterlassen, sein Skizzenbuch zu ziehen und so verstohlen wie möglich ein paar von den Köpfen hineinzuzeichnen – neue und alte Gesichter. Wie auf unrechten Wegen ertappt, fuhr er zusammen, als der dicke Wirt ihn, bei Gelegenheit eines frischen Glases, in seiner Beschäftigung überraschte und mit wohlgefälligem Schmunzeln schweigend Kritik übte. Unverkennbar setzte er dann die Gesellschaft am Tisch von seiner Entdeckung in Kenntnis, wie das einem guten Wirt geziemt, der seinen Gästen das Neueste womöglich brühwarm auftischen muß.

Die Unterhaltung wurde daraufhin zunächst noch lebhafter, dann aber merklich stiller. Einer nach dem andern aus der Tafelrunde empfahl sich, nur der freundliche Herr, den Peter Hansen bei sich den „Doktor“ benannt hatte, schien noch bleiben zu wollen. Er sprach halblaut und, wie es unserm Maler vorkommen wollte, mit Bezug auf ihn mit seinen Trinkgenossen, die einverstanden nickten und eben das Lokal verließen, mit einem freundlichen Gruße nach Hansen hin, der mehr zu sagen schien als der Gewohnheitsgruß fremder Wirtshausgäste.

Die beiden Uebriggebliebenen saßen eine Minute schweigsam – jeder an seinem Platz. Peter holte seine Skizzen wieder vor und schraffierte noch an dem Doppelkinn des Gymnasialdirektors, der andere blickte ein paarmal unschlüssig zu ihm herüber, dann stand er auf, trat an den Tisch und stellte sich frischweg als Dr. med. Lenz vor.

„Sie werden es mir verzeihen,“ begann er mit Freimut, „daß ich Sie so ohne weiteres anspreche und Ihnen somit gleich den Eindruck des indiskreten Kleinstädters vermittle – aber darf ich mir vorweg eine Frage erlauben – bleiben Sie längere Zeit hier? Und zeichnen Sie?“

„Ich bin Maler!“ erwiderte Peter Hansen ein wenig befremdet und lud seinen neuen Bekannten durch eine Handbewegung zum Sitzen ein. „Wie lange ich hier bleibe, hängt nicht von mir allein, sondern von diesem und jenem ab, über das ich noch selbst keine Gewalt habe. Sie wissen,“ fügte er leicht und ablenkend hinzu, als der andere ihn fragend ansah, „Stimmung – Beleuchtung – das spricht bei meinem Handwerk alles mit! Aber warum fragen Sie mich, Herr Doktor? Muß man hier etwa zum Malen einen Gewerbeschein haben?“

Der Doktor lachte. „Nein – keineswegs! Wir wollen Sie in der Ausübung Ihrer Kunst nicht stören – im Gegenteil! Ich bin von der ganzen Tischgesellschaft mit einem großen Anliegen an Sie abgeschickt. Es schien uns geradezu ein Wink des Himmels, als der Wirt uns sagte, daß Sie hier in aller Stille unsere wenig malerischen Köpfe malerisch verwertet haben – darf ich?“

Hansen hielt ihm die Blätter hin, der andere stieß einen Ruf überraschten Entzückens aus.

„Das sind ja Kunstwerke!“ rief er lebhaft, „und sie machen mich fast verlegen; ich glaube, ich darf nun mit meiner Bitte gar nicht herauskommen. Sie werden Ihren Stift schwerlich in den Dienst einer Dilettantenbande stellen wollen, die in großer Verlegenheit ist. Sehen Sie,“ fuhr der gemütliche Mann fort, als Hansen schwieg und sich auch im Mienenspiel noch gänzlich abwartend verhielt, „wie Sie uns da vorhin zusammen gesehen haben, können wir eigentlich alles! Der eine kann aus dummen Jungen gescheite Leute machen, der andere kann Häuser bauen, der dritte Pillen drehen, ich kann die Leute gesund machen, wenn sie krank sind, oder thue doch so, als ob ich’s könnte – nur eines können wir alle miteinander nicht: ein Paar lustige Bilder zu einem Polterabendscherz zeichnen, wir sind grenzenlos damit verunglückt, und morgen abend soll die Sache vor sich gehen!“

„Wo wird denn der Polterabend gefeiert?“ frug Peter Hansen mit dem Interesse eines Heimatkindes, das bekannte Namen zu hören erwartet – von den damaligen Kindern mußte ja mehr wie eines inzwischen zu heiratsfähigem Alter gekommen sein. „Wo ist denn der Polterabend?“

„Bei unserm früheren Bürgermeister Dorn,“ erwiderte der Doktor harmlos, „die einzige Tochter – aber was haben Sie denn?“ fuhr er überrascht fort, als Hansen seinen Stuhl so heftig zurückschob, daß von der Erschütterung das Bier im Glase überfloß.

„Nichts! – gar nichts!“ sagte der Maler und fuhr sich mit dem Tuch über die Stirn, „also zu dem Polterabend – und wer ist der Glückliche, der – ich meine, wen heiratet das Fräulein?“

„Ja, das ist eine lange Geschichte,“ sagte der Doktor, „und wenn ich nicht fürchten müßte, Sie zu ermüden – Sie sehen, wie mir scheint, etwas blaß aus!“

„Ich bin den ganzen Tag gereist,“ erwiderte hastig der andere, „aber ich wollte ohnehin noch nicht schlafen gehen – erzählen Sie nur, verehrter Herr Doktor! Wenn ich zu der frohen Gelegenheit zeichnen soll, muß ich ja ohnehin mit den Thatsachen bekannt gemacht werden – nicht wahr? Und so ein Stückchen Roman hört am Ende jeder gern, wenn er auch den beteiligten Personen ganz fremd ist!“

Sein Ton klang nicht so recht ungekünstelt. Der Doktor sah ihm einen Augenblick prüfend in das dunkle, schön geschnittene Gesicht mit dem festen energischen Munde und den Augen eines Träumers – „ein rechtes Künstlergesicht“, dachte er wohlgefällig bei sich.

„Nun, ich will mich kurz fassen,“ begann er dann behaglich, „obwohl das im ganzen, wie Sie merken werden, nicht in meiner Natur liegt!“

„Halt – nur noch eines!“ unterbrach ihn Hansen, „ist der Bräutigam, um den es sich handelt, ein Stadtkind? Und wie heißt er?“

Der Doktor lachte.

„Ja, das ist ja das Sonderbarste an der Geschichte,“ sagte er. „Wie der Bräutigam heißt, kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen, aus dem einfachen Grunde, weil keiner da ist! Die schöne Käthe hat keinen Bräutigam und will keinen haben!“

[851]Was?“ rief da Hansen überlaut und sprang auf, „was? Und dabei Polterabend?“ fügte er mit einem unsicheren Lachen hinzu, als sein neuer Freund ihn wieder kopfschüttelnd betrachtete, „das muß ja wirklich eine sonderbare Geschichte sein, wie Sie schon sagten, Herr Doktor! Doch erzählen Sie weiter,“ fuhr er fort, indem er sich auf die Stuhllehne stützte, „es werden ja wohl nicht mehr so viel überraschende Pointen kommen, die einen nervösen Menschen beinahe dazu bringen können, seinen Stuhl umzuwerfen!“

Er lachte wieder kurz auf. Dem Doktor gingen allerhand schlaue Gedanken durch den Sinn, er gab ihnen aber vorderhand noch keine Worte.

„Na,“ sagte er ruhig, „also ich kann weiter erzählen. Das Fräulein ist seit zwölf Jahren, oder noch etwas länger, das Schönheitswunder der ganzen Stadt; daraus sehen Sie, daß sie nicht mehr allzujung sein kann! Aber sie hat sich alles, was die Jugend ziert, Farben, Frische, Lieblichkeit und Anmut, in ganz merkwürdiger Weise erhalten; Sie können sich denken, oder vielmehr nicht denken, wie schön das Mädchen sein muß, wenn sie heute, wo sie ja fast dreißig Jahr alt ist, mich alten, nüchternen Doktor noch in Ekstase zu bringen vermag! Dabei trägt sie ihre Schönheit nicht wie andere Mädchen, nicht wie einen neuen Hut, den jeder bewundern soll – nein, mit einer gewissen Gleichgültigkeit, die manchmal an Ueberdruß streift und die ihr, wie alles, was sie thut, entzückend zu Gesicht steht! Daß diese Perle des menschlichen Geschlechtes von allerhand Freiern umdrängt, umworben, angefleht und angedichtet worden ist, das werden Sie sich denken können! Aber sie sind alle mit langer Nase abgezogen – warum, das wußte keiner so recht! An eine Herzensunempfindlichkeit mochte man nicht glauben, und so hieß es schließlich, die schöne Käthe habe eine Jugendliebe gehabt – einen Schauspieler oder Sänger oder sonstigen Luftikus, und diesem Sausewind zu Ehren wolle sie ihre vielbegehrte Hand keinem andern geben. Na, das sind Redereien. In jedem Fall ist sie unvermählt geblieben und wohnt mit ihren Eltern in einem alten Landhaus vor dem Thor, das sich der Bürgermeister gekauft hat, dicht am Fluß gelegen.“

„Ich weiß, ich weiß!“ nickte der Maler selbstvergessen, „nur weiter!“

Das Licht, das dem Doktor vorhin aufzuglimmen begann, wurde immer heller.

„Was Tausend!“ sagte er vor sich hin.

„Weiter!“ drängte der andere fast mit Heftigkeit.

„Nun denn – jetzt vor einiger Zeit hat das schöne Mädchen gewissermaßen offiziell erklärt, daß man sie von nun an mit allen Heiratsanträgen verschonen möge; sie werde jetzt einen Hausstand gründen, wie es für ihr Alter schicklich und angemessen sei – aber für sich allein! Die Eltern, die ihr alles zu Willen thun, haben ihr den ersten Stock des Hauses überlassen; den hat sie sich mit lauter neuen, hübschen Sachen anmutig und absonderlich, wie es ihre ganze Art ist, eingerichtet, und morgen will sie da hinaufziehen. Sie will dort Gäste bei sich sehen, eigne Küche führen, die alten Eltern bei sich bewirten, alles haben wie eine junge Frau – nur keinen Mann! Vor etwa acht bis zehn Tagen hat sie mich holen lassen – ich bin so ein bißchen der Vertraute da im Hause und hat mir diesen schnurrigen Plan auseinandergesetzt. „Ich feiere Hochzeit mit meiner Selbständigkeit!“ sagte sie und lachte mich an, daß mir wieder ganz sonderbar wurde – „mit der werde ich mich sehr gut vertragen, sie wird mir nie widersprechen und wir werden sehr vergnügt sein! Sie sehen, ich will nicht heiraten, aber ich will Hochzeit halten und besonders will ich einen Polterabend feiern! Das habe ich mir immer so hübsch gedacht und nie eingesehen, warum wir alten Jungfern diesen Spaß nicht auch haben: einen neuen Lebensabschnitt willkürlich zu bestimmen und lustig darin einzutreten! Sie und unsere andern guten Freunde und getreuen Nachbarn können alle kommen und mich ansingen und andichten und necken und schlecht machen, so viel Sie nur mögen – statt einer Hochzeit lade ich Sie dann in meiner neuen Wohnung zu einem großartigen Abendessen ein, und Sie sollen sehen, daß ich die Wirtin zu machen verstehe!“

„Nun können Sie sich denken, was weiter geschah,“ fuhr der redselige Herr fort und that, als merkte er gar nicht, wie das finstere Gesicht seines schweigsamen Gegenübers heller und heller wurde. „Wir alle, die wir mehr oder weniger in den Ketten der schönen Käthe gelegen haben und die außerdem dem wackeren Bürgermeister und seiner prächtigen alten Frau jeder an seinem Teil zu Dank und Ehrfurcht verpflichtet sind, wir ergriffen die Gelegenheit mit tausend Freuden, uns einmal erkenntlich zu zeigen. Die ganze Bürgerschaft schloß sich nach und nach an, seit mehreren Tagen schleppt alles „Hochzeitsgeschenke“ nach dem Hause am Fluß, und morgen abend soll der seltsame Polterabend stattfinden. Als pièce de résistance und Hauptknalleffekt an diesem großen Abend sollte nun eine Reihe von Bildern vorgeführt werden – Bilder aus dem Leben der Hauptperson, selbstverständlich! – und damit sind wir gründlich reingefallen. Der Apotheker, der uns die Sachen zeichnen sollte, hat wahre Ungeheuerlichkeiten an Geschmacklosigkeit hervorgebracht und selbst beschämt zugestanden, daß er mit seiner Aufgabe nicht zustande zu kommen vermöge. Und nun kommen Sie heute abend wie vom Himmel geschickt, mein Herr Maler – verzeihen Sie, wenn ich Sie aus Mangel einer passenderen Bezeichnung so anrede – und hier stehe ich und bitte: helfen Sie uns aus der Not!“

Peter Hansen stand in tiefen Gedanken. Der Doktor blinzelte ihn schlau von der Seite an.

„Sehen Sie, da kommt erst die Kinderzeit – die Schule – der erste Ball –“

„Und dazwischen doch noch die Tanzstunde im Rathaussaal!“ fuhr der unvorsichtige Maler dazwischen.

„Richtig – die Tanzstunde!“ sagte der Doktor kaltblütig, „na – wie wird’s? Sie haben am Ende genug künstlerische Einbildungskraft, um sich die Reihenfolge selbst zurecht zu denken! Spiritus – merkst du was?“ Er legte bei diesen Worten unserem Helden die Hand auf die Schulter und sah, ihm mit einem so gutmütig pfiffigen Ausdruck ins Gesicht, daß Hansen wider Willen lächeln mußte.

„Beichten Sie mal!“ fügte der Doktor hinzu, „Sie haben die schöne Käthe wohl auch gekannt? Mir dürfen Sie’s ruhig sagen; ich will’s auch mit Offenherzigkeit vergelten und Ihnen gestehen, [852] daß ich meinerzeit ein sehr zierliches Körbchen von ihr erhalten habe – mit Achtung und Freundschaft und Sympathie gefüllt und vergoldet – aber ein Korb blieb’s doch! Na? wie ist’s? Haben Sie in Ihrer Künstlerwerkstatt etwa auch so ein Dingelchen stehen? Verstaubt und halb vergessen? aber doch da? –“

„Nein,“ sagte Peter Hansen mit herzlichem Ton, „nein, lieber Herr Doktor, das habe ich nicht! Aber gekannt hab’ ich das Fräulein vielleicht besser als ihr alle – und daß, wer sie gekannt hat, sie auch lieb gehabt hat, das brauche ich Ihnen, wie ich eben höre, nicht zu erzählen. Ja, ich gestehe Ihnen ehrlich, daß die Erinnerung an dieses liebe Mädchen fast das stärkste Band gewesen ist, das mich nach einem wilden Wanderleben hierher zurückgezogen hat, und da braucht es wohl keiner weiteren Worte, um Ihnen zu versichern, daß ich mich gern mit Hand und Herz, mit Pinsel und Farbenkasten in den Dienst der schönen Gefeierten stelle und Ihnen alle Bilder malen will, die Sie nur irgend haben mögen, und sollte ich die Nacht zu Hilfe nehmen. Geben Sie mir Ihre Skizzen und Notizen, und dann lassen Sie mich allein; ich bin jetzt gerade in der richtigen Verfassung und werde schon was Vernünftiges zustande bringen!“

Er nahm die Papierrolle aus den Händen des Doktors entgegen und drängte ihn dann fast zur Thür hinaus.

Der Doktor ging sehr zufrieden seiner Wege, pfiff ein paar Takte und dachte bei sich: „Wenn der um zehn Jahr früher gekommen wäre, da hätten wir am Ende einen Kalaf für unsere Turandot gehabt!“

[872] Die Nacht war vergangen und ein herrlicher, taufunkelnder, sonniger Morgen brach an – das Wetter schien sich an den allgemeinen Huldigungen des Städtchens für die schöne Käthe beteiligen zu wollen.

Die Heldin des Tages war, ihrer Gewohnheit entsprechend, mit der Sonne aufgestanden und in den Garten gegangen, wo sie die Ranken der Himbeersträucher anband und mit der Baumschere sachverständig dazwischen herum hantierte. Ihr anmutiges Gesicht sah ruhig und heiter aus; die Vernunftheirat, die sie heute mit sich selbst zu schließen im Begriff stand, mußte wohl das Richtige sein; sie sang leise vor sich hin in der Morgensonne und hatte so recht das befriedigende Gefühl des „von neuem Anfangens“, wie es uns mit dem Frühjahr so gern beschleicht.

Mit solchem Eifer war sie bei ihrer zierlichen Arbeit, daß sie es gar nicht bemerkt hatte, wie ein Fremder geräuschlos an die Hecke getreten war und ihr mit einem Blick gerührten Entzückens wohl schon fünf Minuten lang zugesehen hatte, bis er sich endlich entschloß und durch ein leises Räuspern die Aufmerksamkeit der einsamen Gärtnerin auf sich zu ziehen suchte.

Sie blickte empor -– sah in ein dunkelgebräuntes, offen blickendes Gesicht, sah zwei Hände, die sich ihr über die Hecke entgegen streckten, und stand stumm und sprachlos. Nicht einen Augenblick zweifelte sie, wer es sei, der ihr da so plötzlich gegenüber stand; das Blut schoß ihr sinnverwirrend in den Kopf und dann zum Herzen zurück; sie hielt wie geblendet die Hand vor die Augen und lehnte sich blaß und still an das Gitterwerk der Himbeersträuche zurück.

Da hatte aber auch schon Peter Hansen mit einem Satze, der vor zwölf Jahren nicht hätte kühner sein können, die Hecke übersprungen und stand neben ihr, den Hut in der Hand.

„Käthe – liebe Käthe!“ rief er mit feuchten Augen, „habe ich Dich – habe ich Sie erschreckt? Wollen Sie mir nicht Guten Tag sagen und die Hand geben, nach so langer Zeit?“

Das vertraute „Du“ der alten schönen Tage hatte sich ihm unwillkürlich in „Sie“ umgewandelt, als sie sich so rasch, so unheimlich rasch gefaßt hatte und nun mit einer hoheitsvollen Freundlichkeit vor ihm stand, die ihm mit einem Schlage klar machte und klar zu machen hatte, daß zwölf Jahre eine lange Zeit sind und daß sein Konto von diesen zwölf Jahren her noch unbeglichen war.

„So sind Sie wieder einmal in der Heimat, Herr Hansen?“ sagte sie mit kühler Ruhe und gab ihm die feine schmale Hand, die er auf so vielen seiner Bilder aus der Erinnerung angebracht hatte, „man hat Sie lange nicht hier gesehen, und Sie sind ja wohl auch mit niemand in Verbindung geblieben! Sie werden manches hier verändert finden – die Stadt ist größer und wir Menschen älter geworden! – Ihnen ist es gut ergangen?“

Er sah sie, während sie so sprach, mit einer Art von dumpfer Verwunderung an. War das wirklich seine Jugendliebe? War diese ernsthafte, stolze, junge Dame mit dem schlicht zurückgestrichenen schweren Scheitel, der den feinen Kopf so vornehm einfaßte – war sie denn wirklich identisch mit dem schönen lustigen Kinde von damals, dem die dunklen Haare nur so um die Stirn flogen, und das sie so wild zurückzuschütteln verstand?

Und hatten diese großen ernsthaften Augen ihn immer so ruhig angeblickt – oder hatte er sie zuletzt in angstvollen Thränen schwimmend auf sich gerichtet gesehen und die Bitte gehört: „Peter, geh’ nicht fort – geh’ wenigstens nicht im Zorn fort, Peter!“

Hatte er damals geträumt, oder träumte er jetzt? So tief war er in diese Gedanken verloren, daß er sie ihre Frage wiederholen ließ: „Es ist Ihnen gut ergangen?“ ehe er mit Ungestüm darauf antwortete: „Nein – es ist mir nicht gut ergangen, Käthe – wenn ich es mir auch nie so klar gemacht habe wie in diesem [873] Augenblick – wir müssen uns nur erst darüber einigen, was wir beide unter ,gut‘ verstehen! Wenn Sie damit meinen, daß meine Kunst mir einen angesehenen Namen, ein sicheres Brot und ein reiches Leben gebracht hat – dann muß ich wohl mit Ja! auf Ihre Frage antworten; aber wenn es sich darum handelt, ob meinem Leben nichts fehlt, ob ich gar keinen unerfüllten Wunsch mit mir herumtrage und herumgetragen habe, dann läßt sich freilich sehr darüber streiten, ob es mir gut gegangen ist!“

„So hoch versteige ich mich gar nicht!“ sagte sie, und mit derselben kühlen Liebenswürdigkeit, die aber zugleich einen leisen Spott durchschimmern ließ, fügte sie hinzu: „Ein Geschick, dem nichts fehlt – das ist doch ein gar zu kühner Wunsch, selbst für einen Künstler, der freilich immer meint, daß für ihn eben das Beste gut genug ist, und daß er zum Leben nur zu sagen braucht: ‚Bäumchen, rüttl’ dich, schüttl’ dich!‘, damit es ihm alles zuwirft. Ich bin eine zu prosaische Natur für solche Märchengedanken!“

Die leise Bitterkeit, die in ihren Worten klang, gab ihm zum erstenmal Hoffnung, daß ihre Ruhe nicht ganz natürlich sein möchte. Er empfand mit einer Art von Empörung, wie schnell, wie sicher und diesmal – wie unheilbar ihn seine schöne Jugendfreundin wieder in ihren Bann verstrickt habe, und seiner kecken Natur gemäß, die immer in Sprüngen auf ihr Ziel loszugehen gewohnt war, wollte er einen Gewaltstreich versuchen. Sein Glück bei Menschen, mit dem man ihn oft geneckt hatte, hier konnte es ja einmal die Probe bestehen – eigentlich zum erstenmal, daß ihm wirklich etwas daran gelegen war!

Er trat rasch auf sie zu.

„Käthe, wir wollen uns doch nicht mit Wortgefechten und Komödien aufhalten,“ sagte er. „Ich bin wiedergekommen – ich sage es Ihnen ehrlich, ohne selbst genau zu wissen, warum – nur in dem dunklen Gefühl, daß mir bei allen Erfolgen der beste Erfolg noch vorenthalten sei! Ich habe Sie wiedergesehen – und seitdem ist alles in mir klar, sonnenklar geworden! Was mich zurückführte, war derselbe starke, unwiderstehliche Trieb, der es dem Mandervogel im Süden sagt, wenn es daheim Frühling wird und da bin ich wieder, Käthe! Nicht mehr der ungestüme, wilde Junge steht vor Ihnen, der damals sein Glück, wie ein blinder Narr, von sich warf, sondern ein fertiger Mann, der es sich holen kommt – ein Glück, das viel größer ist, als es ihm in seinen kühnsten Träumen vorschwebte, und das daheim auf ihn gewartet hat. Zu Ihren Füßen, Käthe, will ich –“

Sie hob mit einer leichten, bestimmten Bewegung die Hand in die Höhe und hielt ihn zurück. Eine lebhafte Glut des Unwillens hatte während seiner letzten Worte ihr Gesicht bis unter die dichten Haarwellen überflutet, die feinen dunklen Augenbrauen zogen sich fast drohend zusammen.

„Halt!“ sagte sie, „wir verstehen uns, glaube ich, nicht recht, Herr Hansen! Was meinen Sie damit, daß das Glück, welches Ihnen vorschwebte, größer ist, als Sie es geträumt haben? Meinen Sie, daß dies armselige Gesicht mit seinem bißchen roter und weißer Farbe bei dem alternden Mädchen sich noch besser ausnimmt, als Sie es sich versprochen haben? Denn nur das können Sie doch mit dem ,Glück‘ meinen! Was sonst aus mir geworden ist, das wissen Sie ja gar nicht und können es nicht beurteilen! Wenn Sie mein Leben während der letzten zwölf Jahre gelebt hätten, dann würden Sie wissen, daß Sie sich keinen schlechteren Anwalt hätten wählen können als das, was die Leute meine Schönheit zu nennen belieben und was mir wahrhaftig nur ein paar sehr kurze Jahre hindurch Freude gemacht hat. Und das Glück hätte ,auf Sie gewartet‘, sagten Sie? Das ist doch ein bißchen viel Künstlerstolz, und den muß ich Ihnen dämpfen, wenn ich Ihnen sage: nein – ich habe nicht auf Sie gewartet – es ist mir gar nicht in den Sinn gekommen!“

Er sah finster zu Boden, aber er antwortete nicht – er hatte einen Zweig von der Hecke gerissen und zerpflückte ihn, während sie sprach, in lauter kleine Stücke und Stückchen, ohne aufzublicken.

„Was wäre denn wohl aus mir geworden, wenn ich die ganzen langen Jahre auf Sie gewartet hätte?“ frug sie hart und fast ein wenig verächtlich weiter. „Ein verkümmertes Pflänzchen, das aus Mangel an Sonnenlicht sich in die Ecke zurückzieht und keinem zu Nutz und Freude blüht. Nein – als ich – ich will Ihnen nicht abstreiten, daß es lange gedauert hat! – aber als ich einsehen lernte, daß Sie es übers Herz brachten, nicht nur fortzulaufen, sondern auch fortzubleiben – daß kein einziges Mal Ihnen der Gedanke kam, mich mit einem Wort darüber aufzuklären, was aus Ihnen geworden sei – als ich nur durch die Ankündigungen Ihrer Bilder da und dort erfuhr, daß Sie noch lebten und daß es Ihnen wohl erging, da habe ich zu gärtnern angefangen, Herr Peter Hansen! Nicht bloß hier bei den Weinranken und Himbeersträuchern – nein, mich an mir selbst und an meinem eigenen Herzen. Ich habe mich aufgerichtet und festgebunden an meiner Selbstachtung und meinem Mädchenstolz – und habe die Ranken abgeschnitten, die sich noch an die alte Zeit festklammern wollten. Ich habe mir gesagt, daß es meiner nicht würdig wäre, um Einen zu trauern, der mich so vergessen konnte! Und nun bin ich fertig mit mir! Ich habe die schweren Jahre hinter mir, wo die Jugendfreuden abfallen wie die ersten Blätter im Herbst; ich weiß jetzt ganz genau, was ich am Leben habe – und es würde mir gar nicht in den Sinn kommen, meine Ruhe noch einmal in den Wind zu werfen, damit ein beliebiger Springinsfeld, und sei er zehnmal ein berühmter Maler und heiße er auch Peter Hansen, sie wieder auffangen und damit Fangball spielen kann!“

Sie hatte sich so in heißen Zorn hineingeredet, daß sie ihn zum Schluß gar nicht mehr ansah. Er hatte sich wie zerschmettert auf die Gartenbank fallen lassen, den Stock in die Erde gesteckt, die Hände darauf, und starrte düster vor sich hin, mit eben dem traurigen Blick, den sie vor Jahren so an ihm geliebt hatte. Genau so finstere Augen hatte er damals gemacht – sie wandte den Kopf unruhig ab.

„Und nun seien Sie mir nicht böse!“ sagte sie in unsicherem, weicherem Ton, „sehen Sie, das mußte vom Herzen herunter! Nun können wir das Blatt umwenden und ein neues Kapitel anfangen – gute Freunde werden, wie es sich für ein altes Mädchen ziemt, das sich jeden Heiratsantrag und jede Liebeserklärung ohnedem von heute an kontraktlich zu verbitten gewillt ist!“

Sie sah ihn nicht mehr an, um sich besser gegen ihr eigenes Herz wehren zu können – sie sah an ihm vorbei, in die blaue Luft hinein, einer Lerche nach, die eben leise trillernd in den Himmel stieg.

„Was wollten Sie denn hier anfangen?“ frug sie nach einer Weile in halb trotzigem Ton.

Er griff nach seinem Hut, den er vorhin von sich geschleudert hatte. „Das werde ich ja wohl für mich behalten dürfen!“ sagte er [874] kalt, „was ich jetzt will, das weiß ich dafür um so besser! Es ist ein eigen Ding mit dem Wiederkommen, und es soll mir nicht zum zweitenmal passieren! Leben Sie wohl, Käthe – diesmal fürs ganze Leben! Und wenn Sie in Ihrem Sonnenglück, in Ihrer ruhigen Abgeschlossenheit mal Zeit dazu finden, an einen fahrenden Gesellen zu denken –“

Die Stimme wurde ihm unsicher – die Augen gingen ihm über. Und ehe sie es sich versah, ehe sie’s verhindern konnte, hatte er sie in seine Arme gezogen und ihr liebliches Gesicht ungestüm geküßt. „Seien Sie nicht böse, Käthe, aber es ging nicht anders!“ sagte er dann ganz einfach und treuherzig, winkte ihr mit der Hand zurück und verschwand ebenso, wie er gekommen war, mit einem Satz über die Hecke – gerade wie vor zwölf Jahren – aus ihrem Garten und aus ihrem Leben!

Und Käthe stand noch einen Augenblick – halb betäubt und erschreckt, halb empört, und dann rief sie plötzlich, ohne Ueberlegung, einfach auch „weil es nicht anders ging“, laut und schmerzlich hinter ihm her: „Peter – Peter Hansen – ich hab’ es ja nicht so schlimm gemeint!“ – aber das hörte er nicht mehr!


Inzwischen war der Maler in starkem Laufschritte, wie ihn innerliche Erregung vorschreibt, ein paar Stunden lang im Felde herumgelaufen – ohne selbst zu wissen, was er that und was er vorhatte.

Erst als er sich todmüde und heiß am Stadtthor wiederfand, geriet er auf den verständigen Gedanken, einmal nach der Uhr zu sehen. Da wurde ihm klar, daß er ja mit der Mittagspost hatte weiter reisen wollen, und daß die seit einer Stunde und länger über Berg und Thal gerasselt war und er das Nachsehen hatte – wie es überhaupt heute sein Los zu sein schien! – Sich nach einer anderen Fahrgelegenheit umzuthun oder überhaupt augenblicklich an die Weiterreise zu denken, daran verhinderte ihn eine so bleierne Müdigkeit, wie er sie kaum je vorher gespürt hatte. Kein Wunder, er war so erschöpft von der anstrengenden Reise des vorigen Tages und der durchwachten und durchzeichneten Nacht! Denn er hatte sein Versprechen an den Doktor treulich gehalten, und sein Stift war geflogen wie im Fieber, bis die Sonne am Himmel stand.

Und statt nun die versäumte Ruhe nachzuholen, war er mit den ersten Morgenstunden aufgebrochen und wie ein Aepfeldieb um des Bürgermeisters Garten geschlichen, bis er seine alte Liebe wiedersah – und bis sie ihn so unbarmherzig seiner Wege gehen hieß. Die Erregung dieses Vorgangs und alles, was er seiner Natur in den letzten achtundvierzig Stunden als Extraleistung zugemutet hatte, rächte sich jetzt bitter; er war wie zerschlagen und zerschmettert und fühlte eigentlich nichts weiter als eine unbeschreibliche Sehnsucht nach Schlaf und Ruhe, in der alles andere – Vergangenheit und Zukunft – zu versinken schien.

So schlich er müde, wie nach schwerer Krankheit, ins Wirtshaus zurück, gab Befehl, daß ihn niemand stören solle und wenn er bis zum jüngsten Tage zu schlafen beliebe, und fiel auf seinem Bett sofort in den schweren traumlosen Schlummer, der sich nur dann einzustellen pflegt, wenn Körper und Geist gleichmäßig abgemattet sind. –

Inzwischen war man in der Stadt eifrig und heiter mit den Vorbereitungen zu dem seltsamen Polterabend der schönen Käthe beschäftigt, der gerade seiner Seltsamkeit halber den guten Leuten den meisten Spaß zu verheißen schien.

Ein Ständchen der Stadtkapelle, das an schrillem Mißklang und gutem Willen nichts zu wünschen übrig ließ und sogar den Postillon hätte beschämen können, der Peter Hansen am vorigen Abend so aus der Fassung geblasen – ein solches Ständchen hatte den Anfang der Huldigungen gemacht.

Zum größten Glück war das Programm noch vorher von dem alles anzettelnden und alles arrangierenden Doktor Lenz verändert und das verfängliche Lied „Schier dreißig Jahre bist du alt“ gestrichen worden, obwohl die Turandot es schwerlich übelgenommen hätte, da sie es in neuerer Zeit liebte, mit ihrem Alter zu kokettieren wie andere Mädchen mit ihrer Jugend.

„Sie muß eben immer etwas Apartes haben,“ sagten die älteren Damen des Städtchens auch hierbei wieder, wie bei manchem andern Anlaß im Leben des reizenden Geschöpfes. „Sie muß eben immer etwas Apartes haben,“ hieß es überhaupt in Bezug auf den heutigen Polterabend – aber darin hatten ja die Leute eigentlich recht!

Man redete über Käthe so mancherlei in diesen Stunden, die dem Feste vorausgingen, man flüsterte mit zusammengesteckten Köpfen, daß der Doktor Lenz wohl nicht umsonst so unablässig um die Anordnung bemüht sei: er wolle gewiß die Hoffnung noch nicht aufgeben, daß dem Schein-Polterabend noch mal ein wirklicher folgen werde, bei dem ihm eine minder nebensächliche Rolle zuerteilt werden sollte.

Als man nun gar den wackeren Herrn am späten Nachmittag noch einmal zum Landhaus des Bürgermeisters hinaus pilgern sah, da dachte wohl mancher und manche: „Er will am Ende noch einen letzten Sturm wagen“ und prophezeite sich und seinen Bekannten wohl gar einen andern Ausgang des heutigen Festes, als er geplant war. – Aber seine Mitbürger thaten dem Doktor unrecht; er ging durchaus nicht in selbstsüchtiger Absicht nach dem Landhaus – er war hinaus gerufen worden, und zwar durch ein Billet der Heldin des Tages, das ihm in seltsam aufgeregter Schrift und aufgeregten Worten zu wissen that, daß sie den alten Freund sprechen müsse und das bald.

Als der Doktor die Hausthür mit dem schweren blitzenden Metallgriff ins Schloß fallen ließ und in die große kühle Diele trat, kam Käthe die breite Holztreppe herunter ihm entgegen; sie stützte sich auf das Geländer, als wenn sie müde wäre, und ihr Gesicht hatte nicht viel mehr Farbe als ihr weißes Kleid.

Sie legte aber, als der Doktor fragen und sprechen wollte, sachte den Finger auf den Mund und führte ihren alten Freund in das Gartenzimmer zu ebener Erde, in dem die Spätnachmittagssonne ihr Spiel trieb und auf den weißlackierten steifen Möbeln mit den feinen Goldrändchen flimmerte und glänzte. Dort lud sie ihren Gast mit einer Handbewegung zum Sitzen ein, sie selbst blieb vor ihm stehen, die Augen auf den Boden geheftet und mit einem Ausdruck bekümmerter Unsicherheit, den der Doktor noch nie auf ihrem schönen Gesicht gesehen hatte.

„Nun?“ frug er endlich in freundlichem Ton, da die Pause [875] anfing beängstigend zu werden, „nun? was haben Sie denn, Fräulein Käthe? Soll ich ein Rezept gegen Nervenverstimmungen schreiben, die Sie doch, nach eigener Versicherung, Ihr Leben lang nicht gekannt haben?“

Sie schüttelte mit einem halben unsichern Lächeln den Kopf und schwieg wieder, wie unfähig, die rechten Worte zu finden.

„Oder,“ fuhr der Doktor beobachtend fort, „ist Ihnen die Vernunftehe mit dem lieben Selbst leid geworden? Haben Sie sich mit ihm entzweit und wollen statt des Solo doch lieber ein Duett zu singen versuchen?“

Sie wurde glühend rot und blickte rasch in die Höhe.

„Haben Sie ihn gesehen?“ frug sie hastig und im selben Augenblick tief erschrocken über ihre Unbedachtsamkeit.

Der Doktor sah, dem Anschein nach, sehr verblüfft drein.

„Wen?“ frug er und that erstaunt und ahnungslos, während er sich ein innerliches „Aha!“ nebst stillem Triumph über seine Anlage zur Pfiffigkeit gestattete.

„Ich meine – ich dachte – ich meinte – meinen Vater!“ brachte Käthe in größter Verlegenheit und nicht sehr glaubwürdig hervor.

Der Doktor schüttelte bedächtig den Kopf.

„Hören Sie mich einmal an, Fräulein Käthe,“ begann er dann ernsthaft, „wenn ein Mensch den Doktor holen läßt, dann nimmt man gewöhnlich an, daß ihm etwas fehlt! Und wenn der Doktor ihn dann kurieren soll, so muß er vor allen Dingen wissen, wo es fehlt! Sie haben mich holen lassen – was Sie meines Wissens um Ihretwillen noch nie gethan haben – ich komme im Drange der Geschäfte, in Polterabendsorgen, und nun stehen Sie vor mir wie ein kleines Schulmädchen, das beim Aufgabenabschreiben ertappt worden ist, lassen den Kopf hängen und wollen mir keine Auskunft geben. Ja, was soll ich denn da eigentlich mit Ihnen anfangen?“

Der lustig liebenswürdige Ausdruck seines Gesichts und der gemütliche Ton der kleinen Strafrede hatten Käthe ihre Fassung wieder gebracht. Sie lächelte den guten Freund mühsam an.

„Sie haben vollständig recht!“ sagte sie mit einem gewaltsamen Ansatz zur Selbstbeherrschung, der ihr kümmerlich genug gelang, „lachen Sie mich nur tüchtig aus – das wird mir gut thun! Ja, lieber Herr Doktor, ich habe ein Anliegen, ich weiß nur nicht, wie ich es Ihnen am besten vortragen soll. Mir fehlt nichts – oder mir fehlt doch vielleicht allerlei – jedenfalls aber habe ich etwas zu viel und das ist ein Polterabend! Ich will ihn nicht haben, und ich mag ihn nicht haben, und Sie sollen das undankbare Amt übernehmen, den Gästen allen zu sagen, daß sie heute abend zu Hause bleiben möchten – daß ich krank geworden wäre – Sie sollen’s auch den Eltern sagen! – Mir ist der Gedanke zuwider, und ich mag nicht mehr – ich könnte es gar nicht ertragen, heute abend – glauben Sie mir!“

Der Doktor zog das erregte Mädchen sachte auf einen Sessel neben sich nieder.

„Nun sagen Sie einmal, was ist denn in Sie gefahren?“ fragte er ruhig. „Haben Sie uns allen - mich nicht ausgeschlossen! – nicht schon genug zu raten aufgegeben, daß Sie heute – heute vor allen Tagen im Jahr, noch einmal damit anfangen müssen? Das sieht ja meiner klugen, verständigen guten Freundin gar nicht ähnlich, daß sie so ihren eigenen Gefühlen und Wünschen mir nichts, dir nichts die Zügel auf den Hals wirft und sie durchgehen läßt – ganz unbekümmert darum, ob sie ein paar anderen Menschen den Blumengarten zertreten, an dem sie ein ganzes Weilchen gebaut haben! Denken Sie doch einmal daran, wie die guten Leute hier alle – mich abermals nicht ausgeschlossen! – sich seit Wochen Mühe gegeben haben, ein doch von Ihnen selbst erdachtes Pläsir in Scene zu setzen, wie sie nun nach und nach selbst Vergnügen daran gefunden haben und sich darauf gefreut haben – und nun – um einer Laune willen, wie sie Ihnen wirklich gar nicht zu Gesicht steht, weil man sie so gar nicht an Ihnen gewöhnt ist, soll das alles umsonst gewesen sein?!“

„Nein!“ sagte Käthe jetzt energisch und hob ihre thränenfeuchten Augen ehrlich zu dem Sprecher auf, „nein – Launen habe ich nie gehabt, lieber Freund, und werde wohl jetzt nicht damit anfangen – aber etwas andres habe ich gehabt, was mir wohl keiner zutraut – eine alte Liebe habe ich gehabt – und sie erst heute für immer verloren! Und wenn mir da – an dem Tage nicht gerade nach Spaß und Scherz und Polterabend zu Mute ist, das kann mir doch wahrhaftig keiner verdenken!“

Und sie schlug die Hände vors Gesicht und brach in ein leidenschaftliches Weinen aus, das um so schmerzlicher auf den Zuhörer Eindruck machte, weil es mit ihrer sonstigen kühlen und beherrschten Weise in so grellem Widerspruch zu stehen schien.

Der Doktor ließ sie ruhig ausweinen, und dann nahm er ihre Hand und behielt sie in der seinen.

„Nun, Fräulein Käthe, seien Sie verständig,“ sagte er mit Herzlichkeit, „jetzt wollen wir zunächst einmal sehen, ob wir die Sache, die Sie so außer sich selbst gebracht hat, nicht in logischer Folge erfahren. Wir wollen mal ,Frage und Antwort‘ spielen, damit Sie nicht zu erzählen brauchen! Sie sollen nur nicken und schütteln – dann werde ich mir das übrige mit meinem gewohnten Scharfsinn schon zurecht denken. Sie wollen? Das ist recht! Also – die alte Liebe! Ist er Ihnen untreu geworden? Nein! Oder Sie ihm? Auch nicht! Ist er ein Taugenichts? Was – so viel Nein! Ist er ein Maler? Ja? Ist er hier? Nein? – Das stimmt nicht, Fräulein Käthe – er ist hier, und ich habe ihn selber gesehen und bin gestern abend mit ihm im ,Lamm‘ zusammengewesen – er ist hier!“

„Nein!“ stieß Käthe unter erneutem Thränenstrom hervor, „er ist nicht mehr hier – er ist abgereist – er hat mir heute morgen auf immer Lebewohl gesagt – und er kommt nie – nie wieder!“

„Na!“ sagte der Doktor, „das wollen wir erst mal sehen! Geben Sie mir Vollmacht, Fräulein Käthe, und ich gehe und bringe die Sache in Ordnung – seien Sie ganz ruhig – wenn nicht heute, dann morgen. Wenn man von einer so schönen Jugendliebe im Aerger fortgeht, um nienie wiederzukommen, dann pflegt man, meiner langjährigen Erfahrung nach, am nächsten Tage wieder da – oder gar nicht abgereist zu sein; lassen Sie mich mir mal machen! Ich habe schon schwierigere Sachen wieder ins rechte Geleis gebracht,“ setzte der Doktor mit großem Selbstgefühl hinzu.

Käthe sah zweifelhaft zu ihm auf.

„Aber nun versprechen Sie mir vor allen Dingen etwas,“ fuhr der Doktor fort, „Sie lassen heute abend die Polterabendscherze, die Glückwünsche und harmlosen Späße der guten Leute so ruhig, so gefaßt, so liebenswürdig über sich ergehen, wie wir’s alle an Ihnen gewöhnt sind, und haben mal Zutrauen zu Ihrem alten Doktor und Verehrer, dem es doch eine Ehrensache ist, daß seine erste und hoffentlich einzige Kur an Ihnen gelingen soll. Also Geduld und Fassung – und ein paar rötere Backen zu heute abend, Fräulein Käthe! Das ist gar kein Gesicht für eine Braut, die heute Polterabend feiert, und wenn’s auch einer ohne Bräutigam ist.“

Er nickte ihr zu und ging.

Käthe blieb zurück, zwischen Furcht und Hoffnung schwankend, und mit einem so unruhig schlagenden Herzen, wie sie sich’s garnicht mehr zugetraut hätte.

[887] Käthe nahm allerlei vor, womit sie ihre Unruhe zu beschwichtigen suchte. Sie sah in Küche und Keller zum Rechten; sie stieg in ihre neue kleine Wohnung im ersten Stock hinauf, die sie sich so vergnüglich und so ganz nach eigenem Geschmack eingerichtet hatte; sie setzte sich an den zierlich eingelegten Nähtisch und versuchte es, sich die Vormittagsstunden auszumalen, in denen sie hier fleißig und emsig zu sticheln gedacht hatte – für wen?! Hübscher wäre es schon, für jemand zu arbeiten, der sich daran und darauf freute, was ihre flinken Hände zustande brachten!

Sie wandte den Blick zum Fenster und sah gedankenvoll ins Land hinaus – auf das friedliche Bildchen der kleinen Stadt, in deren Fenstern die niedersteigende Sonne ein rotglühendes Abendfeuer entfachte, und auf deren Kirchturmhahn sie blitzte. An dieser Aussicht hatte sie sich erfreuen wollen, aber wie viel hübscher würde es sein, wenn jemand – ein ganz bestimmter jemand – diese Straße entlang käme und sie ihn schon von fern sähe, wie er den breitrandigen Hut gegen sie schwenkte.

Sie trat unwillig vom Fenster zurück – wie frei hatte sie sich geglaubt und gefühlt, mit welcher überlegenen Ruhe ihr Leben in die eigene Hand nehmen wollen, und mußte es nun erleben, daß über all die friedlichen, sonnigen Bilder, die sie in die Zukunft gemalt, der Wolkenschatten der Vergangenheit fuhr und sie unruhig machte!

Sie verließ eilig das kleine Paradies, das sie sich geschaffen, und schloß es so energisch hinter sich ab, als könnte sie die rebellischen Gedanken auch hinter Schloß und Riegel legen, die wie kleine Kobolde um sie her tanzten und ihr den klaren Sinn verwirrten, so daß sie sich selbst nicht mehr zu kennen glaubte.

Sie wollte sich die Zuversicht zu ihrem Lebensplan, der ihr so traurig unter den Händen zerbröckelte, bei denen wieder holen, denen sie ihn vor wenig Wochen wie eine Landkarte aufgezeichnet hatte – bei den guten Eltern, die ja nur den einen Wunsch kannten, sie glücklich zu wissen, und die es ja auch für ein Glück ansahen, daß sie ihr Geschick so selbständig in die Hand nahm. Denn wenn auch alles noch gut werden konnte – wenn der Freund ihr den Flüchtling wieder einfangen konnte: die Möglichkeit war ja doch immer vorhanden, daß sie ihn wirklich verloren hatte und daß sie seine Existenz aus dem Exempel ihres Lebens streichen mußte wie eine Zahl! Dann durften ihr doch nicht lauter Nullen übrig bleiben! Und so ging sie langsam, wie müde, in das Polterabendzimmer, wo alles schon festlich hergerichtet war und wo die beiden alten Leute friedlich beisammen saßen und mit halb wehmütiger Freude auf die schönen, geschmückten Räume sahen, in denen ihrem Kinde bald gehuldigt werden sollte.

Käthe schob sich zwischen die Eltern und faßte beider Hände. „Nun ist es so weit!“ sagte sie mit einer Heiterkeit, der die nassen Augen zu widersprechen drohten, „nun erlebt ihr es auch, daß euer Kind Polterabend feiert! Jetzt wünscht mir ’mal gerade so Glück, als wenn ich morgen wirklich eine ehrsame Hausfrau würde – nicht bloß eine von eigenen Gnaden. Gerade so!“ wiederholte sie dringlich und drückte die Hände der Eltern mit Leidenschaftlichkeit zwischen den ihren.

Die beiden Alten schwiegen erst eine ganze Weile – die Mutter strich ihrem schönen Kinde sanft über das Haar – dann sagte sie mit einigem Zögern: „Gerade so, Käthel, wie wenn Du einen braven Mann nähmst, können wir Dir nicht Glück wünschen – gewiß ebenso warm – ebenso von ganzem Herzen, geliebtes Kind – aber doch nicht mit der Zuversicht, die wir fühlen würden, wenn Du Dich entschlossen hättest, nach Deinen vielen ,Nein!‘ auch einmal ,Ja‘ zu sagen: wenn Du Dich nicht eigenwillig gegen jede Form gesträubt und gewehrt hättest, in der das Glück Dir entgegengebracht worden – vielleicht gar vorbeigegangen ist – wer kann’s wissen! Sieh,“ fuhr die alte Frau fort, als Käthe etwas entgegnen wollte, „wäre es so gekommen, wie es kommen mußte, hätte der liebe Gott Dir einen einsamen Weg bestimmt, dann würden wir uns über die heitere Entschlossenheit [890] freuen, mit der Du ihn auch allein gehen willst. Aber Dein Weg ist selbst gewählt, Herzenstochter, und wenn die Kinder eigne Wege gehen, dann sehen die Eltern immer besorgt hinterher – das ist nicht anders! Und daß Du allein bleiben willst –“ Sie brach ab.

Käthe hing den Kopf. „Allein?“ gab sie zurück, „Ich bin doch nicht allein – ich habe ja euch – ihr Guten, Geliebten –“

„Ja, das hast Du,“ sagte der Vater ruhig, „aber wie lange hast Du’s? Wer weiß denn, Käthel, wie lange uns die Lebensfahrt noch bei einander läßt und wann die Wegscheide kommt, wo wir Dich allein weiterschreiten lassen müssen, und wir hätten es lieber gesehen, wenn wir dann einen Gefährten auf der Wanderschaft neben Dir gewußt hätten, Wenn’s bei uns immer stiller wird und es wäre da oben in Deinem neuen Quartier immer lustiger und lauter geworden, wir hätten eure jungen Stimmen gehört – und später noch lustige, kleine Stimmen dazu! Es ist nun ’mal nicht anders – wenn die Eltern aufhören, den Kindern Eltern im strengsten Sinne zu sein, dann möchten sie gern Großeltern sein – das haben wir beiden Alten uns immer so schön gedacht – na, es sollte nicht sein!“ –

„Aber nun mache ihr das Herz nicht schwer,“ sagte die Bürgermeisterin und stand auf, „wir haben eingewilligt, daß sie ihr Reich allein hat, und nun wollen wir ihr nicht mit Bedenken und Seufzen den Eingang verrammeln. Es kam uns beiden nur vorhin so unwillkürlich der Gedanke, wie hübsch es gewesen wäre, wenn Du einen Polterabend gehabt hättest wie andere Mädchen auch, Käthe – aber wie er nun einmal ist, soll er so vergnügt sein, wie Du ihn Dir nur irgend hast träumen können, und nun wird es Zeit, ernstlich dran zu gehen; es wird schon dunkel und die Lampen müssen angezündet werden.“

Damit stand die alte Frau eilfertig auf, nickte der Tochter liebevoll zu und ging hinaus, der Vater folgte.

Käthe stand in tiefem Sinnen.

„Also die Eltern hätten’s auch lieber gewollt!“ sagte sie leise vor sich hin, Sie wußte selber nicht, ob sie ihre Zweifel hatte bestärkt oder verscheucht sehen wollen, und der Gedanke, mit dem sie sich zu trösten versuchte, daß dies nur die letzten Wellenschläge der Ungewißheit seien, ließen ihr den Hafen, in den sie heut’ einlaufen wollte, nicht reizvoller erscheinen.

Darüber war denn der Abend gekommen.

Das alte Haus an der Landstraße strahlte im Lichterglanz; vor den Thüren brannten große Pechpfannen und warfen ihren rötlichen Schein weit in die Baumallee hinaus; in einer Viertelstunde sollten die Gäste kommen.

Käthe benutzte diese letzte Minute, um sich, ein großes Spitzentuch über Kopf und Schultern geworfen, in den dunklen Garten zu flüchten und dort in rastlosem Auf- und Niedergehen unter den Bäumen ihr Herz zur Ruhe zu sprechen, so gut es eben gehen wollte.

Als sie von fern den Doktor kommen sah, der als Hausfreund und Festordner etwas früher erschien als die anderen, drückte sie sich scheu in den tiefen Schatten der Bäume, in der begreiflichen Feigheit, die eine Entscheidung lieber hinausschieben möchte als ihr einen Schritt entgegen thun.

Der Doktor bemerkte sie auch nicht oder schien sie doch nicht zu bemerken – er ging, ohne rechts und links zu blicken, ins Haus hinein. Dort begab er sich stehenden Fußes zu den alten Herrschaften.

Die saßen, der Bürgermeister im Frack mit den Ordenszeichen, die Mama im silbergrauen Seidenkleide, mit dem Spitzenhäubchen anf dem weißen Haar, wie ein altes Brautpaar Hand in Hand unter den Familienbildern und erhoben sich beim Eintritt des Doktors, um ihn mit ihrer einfachen, feinen Herzlichkeit zu begrüßen.

Was der Doktor noch mit ihnen so kurz vor Thoresschluß zu verhandeln hatte, das weiß ich nicht – ich weiß nur, daß die beiden Alteu uach der kurzen Unterredung sehr bewegt und sehr vergnügt aussahen und dem guten Freunde immer einmal übers andere die Hände schüttelten. Daraus dürfen wir wohl schließen, daß er mit allem, was er vortrug und erbat, ihre volle Billigung hatte, und können dem Ausgang seiner Sendung beruhigten Herzens entgegen sehen, da wir ja der schönen Turandot trotz alles warmen Interesses nicht so nahe stehen wie ihre Eltern.

Es war aber Zeit, daß alle Privatkonferenzen und Vorbereitungen ein Ende fanden, denn schon kamen die ersten Gäste nach Ortssitte die Laternchen als tragbare Straßenbeleuchtung mit sich führend – den Bamngang entlang; es folgten bald mehrere, und eine fröhliche, angenehm erwartungsvolle Menge strömte zur festgesetzten Stunde in die Zimmer, um die Braut ohne Bräutigam zu begrüßen, zu beschenken und zu beglückwünschen zu dem neuen Lebensabschnitt, den sie auf eine so absonderliche Art zu beginnen gedachte.

Ein Teil des großen Saales, in dem die Vorstellungen vor sich gehen sollten, war durch einen Vorhang abgeschlossen und solchergestalt zur Bühne umgewandelt. Vor denselben war ein Lehnstuhl geschoben – einer, als sofort greifbarer Unterschied dieses Polterabends vor andern seinesgleichen – und in diesem Lehnstuhl saß „Fräulein Turandot“ als Hauptperson.

Aller Blicke hingen mit lachender Spannung an ihr, während sie so ernsthaft und still drein sah wie ein Opferlamm, das morgen mit einem aufgezwungenen Freier getraut werden soll, so daß das Schlagwort: „Sie muß doch immer etwas Apartes haben!“ wieder einmal zur Anwendung zu kommen drohte.

Statt des üblichen Brautkranzgedichts erschien hier der Mops mit dem Strickstrumpf – die Attribute des alten Fräuleins, dann marschierte eine Kompagnie Freier auf, jeder einen mächtigen Waschkorb mit betrübten Mienen in den Händen tragend, mancherlei Scherze, Anspielungen auf die Prinzessin Turandot und den nun doch ausgebliebenen Kalaf flogen hin und her, und neben lustigen und liebevollen Aufmerksamkeiten fehlte auch hin und wider der kleine Stachel nicht, den Neid und Schadenfreude dem lieben Nächsten unter Blumen reichen läßt.

Aber Käthe hielt dem Doktor Wort: sie nahm alles mit gleicher Fassung hin; sie lachte, wo es erwartet wurde, und sah gerührt aus, wenn man es verlangte, ganz programmmäßig.

Der Doktor stellte diesen befriedigenden Erfolg seiner heutigen Standrede mit innerlicher Genugthuung fest, während er hin und her ging, um die Sache zu überwachen.

„Eigentlich bin ich doch ein guter Kerl!“ dachte er mit stiller Rührung bei sich, „daß ich mir solche Mühe um einen Polterabend gebe, der von Rechts wegen der meinige hätte sein sollen – wenn es nach mir gegangen wäre!“

Als Schlußeffekt des Ganzen kamen nun die Bilder aus dem Leben der Hauptperson, eins nach dem andern. Die schönen Augen der Braut ohne Bräutigam wurden immer größer, ihr Atem ging immer schneller, als Kinderstreiche und Jugendträume, um die außer ihr nur noch einer wissen konnte, in meisterhaften Strichen vor ihren Augen vorbeizogen, als ein leises Raunen der Bewunderung und des Staunens um sie her flüsterte und immer die Frage wieder hörbar wurde: „Wer hat das gemacht?“, die sie so gut hätte beantworten können.

Der Apotheker kämpfte im Hintergrund einen verzweifelten Kampf mit sich selbst, ob er sich nicht als den Autor vorstellen sollte, denn alle Welt wußte, daß er die Bilder hatte zeichnen sollen. Schließlich aber verzichtete er auf diesen Ruhm, ein Viertel aus Anstandsgefühl und drei Viertel aus dem beschämenden Bewußtsein heraus, daß es ihm doch keiner geglaubt hätte!

Als nun aber ein Bild kam, wo Käthe, nur im verlorenen Profil zu sehen, im Garten stand und eine schlanke Jünglingsgestalt, [891] den Hut in der Hand schwingend, nur eben noch in der dämmernden Ferne zu sehen war, da schien es doch, als wenn der Doktor, der die ganze Zeit hinter Käthes Stuhle gestanden und sie scharf beobachtet hatte, ihrer Selbstbeherrschung zu viel Zutrauen geschenkt hätte. Sie preßte die Lippen zusammen, um die Thränen zurückzudrängen – schüttelte ein paar mal heftig den Kopf, als wollte sie sich selbst zur Vernunft bringen und dann verbarg sie plötzlich das Gesicht hinter dem Taschentuch und machte Miene, ihren Platz zu verlassen.

Auf diesen Moment schien der Doktor gewartet zu haben.

Er warf einen fragenden Blick auf den Bürgermeister, der ernst, aber freundlich nickte, gab ein Glockenzeichen, und als der Vorhang zusammenrauschte, beugte er sich zu seiner schönen Freundin. „Nur noch zwei Minuten Kopf hoch, Fräulein Käthe, und ein heiteres Gesicht!“ Da flog der Vorhang wieder zurück und vor der überraschten Polterabendgesellschaft stand ein Fremder, im Salonanzug, mit strahlenden Augen und strahlendem lachenden Gesicht – „Das ist mein Polterabendscherz!“ rief der Doktor mit seiner lustigen Stimme in die überraschte Versammlung hinein, „der hat die Bilder gemalt – unser berühmter Landsmann, Herr Peter Hansen!“

Und Peter Hansen trat vor den Vorhang auf Käthe zu, als wollte er ihr, wie jeder andere Darsteller, ein Geschenk überreichen. Wie es zuging, das hat später niemand mehr zu sagen gewußt – aber im selben Augenblick flog Käthe von ihrem Stuhl auf und in seine Arme und rief unter Thränen und Jubeln: „Peter – Peter Hansen – also bist Du doch nicht abgereist!“

Damit war denn eine Verlobungsanzeige an die ganze Gesellschaft abgestattet, wie man sie sich nicht bündiger und klarer hätte wünschen können, wenn sie vom Turme herunter geblasen worden wäre!

Nun folgte das fröhliche Stimmendurcheinander, Umarmen, Glückwünschen und Händeschütteln, wie es seit Menschengedenken von solchen großen Momenten unzertrennlich zu sein pflegt! Die lieben Alten, die vom Doktor ins Komplott gezogen worden waren und vorher mit Peter Hansen eine Privatunterredung gehabt hatten, nahmen mit sehr gerührter und vergnügter Miene die Gratulationen ihrer Gäste zu ihrem berühmten Schwiegersohn entgegen, und es war schwierig für den Doktor, die Ruhe noch einmal soweit herzustellen, daß er zu Wort und Gehör kam.

Als es aber doch geschah, hatte man inzwischen statt des einen Lehnstuhls die gebräuchlichen zwei vor die Bühne geschoben, und der brave Freund und Arrangeur krönte sein Werk, indem er mit ein paar improvisierten Versen den ebenfalls improvisiert herbeigeschafften Brautkranz überreichte, wofür ein Dank aus zwei schönen Augen ihm zuteil wurde, der ihm das Herz beinahe noch zum Schluß weich gemacht hätte – wenn er nicht ein Philosoph gewesen wäre, der sich mit jedem Jahr mehr das verständige Motto zur Richtschnur gelten ließ: „Na – denn nicht!“

Die Hochzeit konnte freilich auf diesen Polterabend nicht so schnell folgen, wie das gewöhnlich der Fall ist! – Als sie aber nach einigen Monaten doch gefeiert wurde und der Doktor an der Seite einer reizenden Brautjungfer sein Teil an Turandots Polterabendfeier und ihrem überraschenden Ausgang mit stolzer Befriedigung zum Vortrag brachte, da hob der glückliche Peter Hansen sein Glas und trank ihm zu: „Vivat sequens!“ was denn auch, wie wir dem Leser nicht verschweigen wollen, bald und fröhlich in Erfüllung gegangen ist.

Aber heute noch sagen die guten Leute in dem kleinen Städtchen, wenn sie von dem Polterabend der ehemaligen „Turandot“ sprechen: „Sie mußte eben immer etwas Apartes haben!“ Und das stimmt auch, denn sie hat ein ganz besonderes Glück gefunden und hat es nie bereut, daß sich zu ihrem Polterabend doch noch schließlich ein Bräutigam eingestellt hat – wenn das auch nichts Apartes war, sondern etwas ganz Vernünftiges!