Tunesische Studien
In der Mitte der Nordküste Afrikas etwa, da wo der Busen von Kabes tief nach Süden einbuchtet, scheidet nur ein Hügelland mit wenig bedeckenden Erhebungen das Mittelländische Meer von den unermeßlichen Sandgefilden, die einst ebenfalls mit der salzigen Fluth bedeckt gewesen sind. Dieses Hügelland ist kein felsiges, sondern besteht ebenfalls aus Sand mit leichter Beimischung von Thon oder Lehm, wäre also mühelos zu durchstechen. Gelänge das den französischen Ingenieuren, so würde im Süden der Colonie Algier eine neue Welt entstehen. Das Becken der Wüste liegt theilweise bis 70 Meter tiefer als der Spiegel des Mittelmeeres. Wollte man diesem nun einen Weg in die Sahara öffnen, so würde sich dort sofort ein Binnenmeer bilden. Die unermeßlich reichen Ernten der Oasen brauchten dann nicht ferner auf dem Rücken der Kameele den beschwerlichen weiten Weg über die Gebirge des Atlas nach den nördlichen Hafenstädten zu machen, um für den Weltmarkt verschifft zu werden. Dann
[449][450] würden Schiffe bequem dort angelangen, ihre Fracht abholen, den Arabern der Wüste deren Bedürfnisse zuführen können. Aber noch mehr! Jetzt regnet es fast niemals in der Sahara. Das Binnenmeer würde in diesen heißen Erdstrichen starke Ausdünstungen erzeugen und durch die Wolkenbildung die Regenmenge vermehren. Wasser aber allein ist es, was dem mit guter Fruchterde bedeckten Theile der Wüste fehlt, um sie urbar zu machen, sie mit Palmen, Oelbäumen, Obst und Getreide zu bepflanzen. Vor etwa zwei Jahrtausenden haben ausgedehnte Fruchtgärten den jetzt todtliegenden Boden geschmückt.
Das sind die Gesichtspunkte, von denen die französischen Pläne ausgehen. Die Entwürfe liegen fertig da; sie waren bereits auf der letzten Pariser Weltausstellung veröffentlicht. Mit ihrer Ausführung würde Frankreichs Herrschaft in Afrika nach Süden hin nicht mehr im Sande verlaufen, sondern sich dort befestigen und ausdehnen; sie würden für die wirtschaftliche Hebung des Landes gute Früchte tragen. Eins liegt nur im Wege – Tunis.
Was man als die tunesische Frage bezeichnet, der Streit und die Gegnerschaft zwischen Frankreich und der Regentschaft des Bey, ist eigentlich zurückzuführen auf den Umstand, daß der Weg, den die Wasserarbeiten nehmen müssen, um vom Mittelmeer in die Wüste zu gelangen, vollständig durch tunesisches Gebiet führt. Natürlich möchte man nicht gern viele Millionen Franken in fremden Grund und Boden stecken. Deshalb versucht man an kleinen Vorspielen die Widerstandsfähigkeit des Bey und seiner Regierung, prüft, ob es bald möglich und angänglich sein werde, die Hand über das Besitzthum des Pascha von Tunis auszustrecken, wie man dies vor 50 Jahren über das Land des Dey von Algier gethan hat. Die Klagen eines französischen Privatmannes mußten da zu willkommenem Anhalte dienen. Wie alle Welt in Tunis erzählt, hatte dieser, ein Graf von Sancy, von der tunesischen Regierung Concessionen für ausgedehnte Weideländereien erhalten. Er durfte diese zu eigenem Nutzen verwerthen und übernahm nur die Verpflichtung, fremde, bessere Rindviehracen einzuführen, einen guten Viehstand zu erhalten und zu züchten, um so als Entgelt für jene Bewilligung zur Hebung und Veredelung der tunesischen Viehzucht beizutragen. Herr von Sancy soll aber, nach den Mittheilungen meiner Gewährsmänner in Tunis, sich um die eingegangenen Verpflichtungen wenig gekümmert, soll gar kein Vieh gehalten, sondern die ihm zugewiesenen Ländereien sonst zu seinem Vortheile verwendet haben. Wenn die Regierung, der dies zu Ohren gekommen, den Stand der Dinge hat untersuchen wollen, mußten gefällige Nachbarn dem französischen Grafen ihr Vieh borgen, um seine Weiden damit aufputzen zu können. Das war an’s Tageslicht gekommen; die Regierung hatte darauf dem Herrn von Sancy die Landbewilligungen entzogen. Darob entbrannte der Streit, der schließlich eine über den ersten Anlaß weit hinausgehende Ausdehnung annahm und zu einem politischen, fast zu einem kriegerischen wurde. Frankreich nahm sich seines Bürgers und der Ansprüche desselben an und zwang die schwache, zu jedem Widerstande wie zur Behauptung ihres Rechts und ihrer Würde gänzlich unfähige Regierung des Bey zum Nachgeben: Herr von Sancy behielt seine Ländereien; der Bey zog mit Aufgabe seines Rechtsspruches und seiner landesherrlichen Würde noch einmal den Kopf aus der Schlinge. Alle Welt im Lande hält diese beigelegte Verwickelung nur für den Vorläufer anderer Streitfälle. Die Franzosen meinen freilich höchst naiv, daß Frankreich durch die diesmal bethätigte Friedensliebe genügend bekundet habe, es denke nicht an den Besitz von Tunis. Sonst hätte es den Streit vertiefen, sofort marschiren, das Land besetzen können. So leicht und so schnell mag das nicht gegangen sein. Man hat vorläufig geprüft und erfahren, daß Tunis mit seinen Hülfsmitteln keinen ernsthaften Widerstand zu leisten vermag. Erst muß nur der Plan, das Land zu durchstechen, in der Wüste ein Binnenmeer mit französischen Küsten zu bilden, festgestellt und genehmigt sein, dann wird das Uebrige sich bei nächstem Anlaß schon von selbst finden. Dies ist der Inhalt und Hintergedanke der tunesischen Frage, die im vergangenen Jahre bald nach dem Congresse Europa in Bewegung brachte, Vielleicht hat Frankreich auf diesem Congresse schon die Genehmigung erhalten, in Afrika Entschädigung zu nehmen für seine uneigennützige Haltung im Rathe der Großmächte.
Die Welt dürfte sich übrigens darob nicht grämen. Denn zunächst würde ein theilweise verödetes, zu schwer zugängliches Land, die Wüste Sahara, dem Verkehre, der Cultur zugänglich gemacht und in eine Reihe paradiesischer Fruchtgärten umgewandelt werden. Dann aber muß man das heutige Tunis, seine Zustände, sein Leben, seine Willkürherrschaft ansehen, sie mit den geordneten Verhältnissen Algiers vergleichen, um ohne jedes Bedauern das Verschwinden dieses einstigen Raubstaates sich vorstellen zu können.
Nicht auf dem beschwerlichen, zeitraubenden Wege durch die Wüste, sondern auf dem zwar weiteren, aber ungleich bequemeren zu Wasser, suchten wir, eine kleine Gesellschaft guter Freunde und schnell befreundeter Reisegefährten, von Algier her Tunis auf.
Die Küstenlandschaft ist von großartiger, hochromantischer Schönheit. Stundenlang fährt der Dampfer einen tief in’s Land einschneidenden Golf hinauf. Zur Rechten springt in dieses dunkelblaue Meergewässer ein felsiges Vorgebirge weit hinaus, umgeben von einer kleinen Sandebene. Auf diesem Vorsprunge hat einst, rings von Wasser umspült, Karthago gelegen, die Nebenbuhlerin des alten Rom, die Beherrscherin des Meeres, der Sitz einer Macht, die in langen Kämpfen mit Rom um die Herrschaft der alten Welt gerungen hat, endlich von diesem bezwungen und völlig zerstört worden ist. Von dem alten Karthago sind nicht einmal mehr kenntliche Ruinen vorhanden. Sein Burgfelsen, vom Meere umbrandet, bildet aber einen malerischen Schmuck der Landschaft. Höhere, wildere Gebirge erheben sich zur anderen Seite des Golfes von Tunis. Ihre herrlich gezeichneten Umrisse, ihre Riffe und Schluchten, ihre Kämme und Schroffen spiegeln sich in dem ruhigen Wasser, das nur an dem Fuß des Gebirges sich zu leichten Schaumflocken kräuselt.
Wir legen an, mitten in diesem Golfe, und gelangen bald in die kleine Hafenstadt Goletta. Hier blickt der ganze Jammer eines verkommenen und verlumpten morgenländischen Despotenstaats uns sofort überall entgegen. Man muß sich vergegenwärtigen, was früher hier gewesen, um voll zu empfinden, was jetzt daraus geworden ist. Die Galeeren der Seeräuberfürsten waren die Schrecken der Meere. Die kühnen arabischen Seefahrer fürchteten sich nicht vor der bewaffneten Macht der großen europäischen Staaten. Mit wilder Lust und frevler Heldenkühnheit zogen sie auf Beute, ihrer barbarischen Raubgier widerstand nichts; mit Schätzen beladen, mit weggeschleppten Weibern, mit gefesselten Christensclaven ruderten sie heim, lebten in wüster Ueppigkeit und umgaben sich mit einer Pracht, wie sie uns arabische Märchen schildern. Feenhafte Paläste mit kühlen Vorhöfen, Springbrunnen, zauberischen Gärten, Sclavenmärkte, auf denen schöne Frauen für den Harem der Großen, Männer für Sclavendienste feilgeboten wurden, verschwenderische Pracht, zügellose Ueppigkeit meinen wir hier überall zu finden, und an der Spitze des Seeräuberstaates einen allmächtigen Herrscher, der Alle in ihren Lüsten und Leidenschaften überbietet.
Dagegen sticht die zwar malerische und eigenthümliche Wirklichkeit scharf ab. Statt der Galeeren, der Flotten, welche die bedeutendste Hafenbucht der alten Welt einst gefüllt haben, sehen wir einige moosige, verfaulte Wracks halb versunken, denn die besseren Schiffe hat der Bey, um seinen Aufwand zu bestreiten, um wenigstens eine Scheinpracht entfalten zu können, längst verkauft. Der Verschwender steht jetzt unter der Controle eines europäischen Finanzausschusses. Seine Heeresmacht ist zusammengeschmolzen auf eine Hand voll Soldaten, traurige alte Kerle, die am Hafen auf Wache stehen, auf den Gassen umherlungern. Die verschossenen Kleider hängen ihnen in Fetzen um die Glieder; ihre Füße haben nie einen Strumpf oder Schuh gekannt. Die Jammergestalten müssen zudem ihren Unterhalt selbst erwerben. Sie legen, auf Posten stehend, das Gewehr zur Seite, ziehen lange Strickstrümpfe hervor und stricken emsig, um wenigstens täglich einige Kupfermünzen zu verdienen. Andere ernähren sich damit, daß sie von Binsen die Körbe flechten, in denen Datteln und Feigen verschickt werden. Von militärischer Zucht ist da keine Rede. Sie belügen sich mit einander, reißen sich die Bissen vom Munde, die ihnen etwa zufallen, und halten beste Cameradschaft mit den in Ketten geschlossenen Gefangenen, die den werthvollsten Hofstaat des Bey ausmachen.
Auf diese Gefangenen hält der Bey große Stücke. Sie sind die beredtesten Zeugen seiner Herrschermacht. Wo er auch im Lande umherziehen, wo er immer seine Residenz aufschlagen möge, immer müssen diese armen in Eisen gelegten Sträflinge in seinem Gefolge sich befinden. Große Verbrecher sind sie selten, [451] fast nie. Der Bey gestattet sich den billigen Luxus, alle, die um kleinerer Vergehen willen geringe Strafen verbüßen, in Eisen schmieden zu lassen. Das klappert so hübsch, nimmt sich so großartig aus, macht jeden kurzen Ausflug zu einem Triumphzuge. Seit man ihm die Sclavenmärkte gesperrt, das Sclavenhalten gelegt hat, sucht er in seinen Gefangenen Entschädigung.
Er darf sich diese Entschädigung aber nur durch die eigenen Landeskinder bereiten. Die Rechtspflege ist in Tunis so verrufen, daß, wer nur irgend kann, bei den Consuln der auswärtigen Mächte rechtlichen Schutz sucht. Bei den fremden Zuzüglern wäre das selbstverständlich; indessen auch Leute, deren Voreltern schon im Tunesischen geboren sind, die hier mit eigener Familie leben, wollen nicht Untertanen von Mohammed es-Sadok sein. „Ich bin Grieche, ich Engländer, Franzose, Italiener, Amerikaner,“ antworten die Leute, wenn man mit ihnen im Kaffeehause plaudert. Keiner aber hat je sein Vaterland gesehen. Von Malta, Sicilien, Algier und den Balearen sind die Voreltern einst eingewandert; hier haben sie sich verheirathet, Geschäfte gegründet, ihre Landsmannschaft aber keineswegs geopfert für das zweifelhafte Glück tunesische Bürger zu werden. Denn das hat sein Bedenken.
Der Bey ist oberster Richter im Lande. Zweimal in jeder Woche hält er Gericht. Als einziges Gesetz gilt ihm der Koran, und sein persönliches Belieben als höchste und einzige Instanz. Im Palaste von Goletta, hier am Strande des Meeres, wo er den Sommer über lebt, sitzt er während dieser Zeit zu Gericht. Das ist possierlich anzusehen. Mit seinen Lieblingen, einer Schaar von vierzig bis fünfzig schönen Knaben und Jünglingen, aus denen er je nach Laune seine Minister, Generale, hohen Würdenträger ernennt, zieht er umher, die begünstigten begleiten ihn in den Gerichtssaal. Der Angeklagte darf sich nicht vertheidigen; der Bey läßt sich die Sache vortragen und fällt dann den Spruch. Viel Mühe mit langen Begründungen seines Urtheils giebt er sich nicht. Macht er einen Hieb mit der flachen Hand senkrecht durch die Luft, so heißt das kurzweg: Aufhängen! Ein horizontaler Schlag mit der Hand bedeutet: Kopfabschlagen! Auf Weiteres läßt er sich selten ein; höchstens noch wird sein Richterbewußtsein lebhafter erregt, wenn er einen reichen Uebelthäter zu großer Geldstrafe verurtheilen kann.
Gewöhnliche Strafen, Kette, Galeere müssen die Getreuen nach eigener Einsicht dictiren, und ein festes Strafmaß wird dabei selten verhängt. Die Verwandten des Verurtheilten mögen kommen und diesen losbitten. Bringen sie dazu einen strotzenden Geldbeutel mit, so hat das Gesuch jedenfalls schnelleren Erfolg.
Aber auch außerdem sollen die tunesischen Landeskinder mancherlei Widerlichkeiten ausgesetzt sein. Der Bey betrachtet sich als Herr und Eigenthümer von allem Grund und Boden im Lande. „Gefällt Dir dieser Garten?“ fragt er bei guter Laune wohl einen seiner Günstlinge; „gut, ich schenke ihn Dir.“ Wenn er so etwas einmal mit dem Besitze französischer Unterthanen hat thun wollen, so ist dann doch sofort von den Consulaten wirksam Einspruch erhoben worden. Mag also Herr von Sancy in dem Streite mit der Regierung des Bey damals im Unrecht gewesen sein, die Rechtszustände sind derartig im Lande, daß hier Schlauheit, Willkür, brutale Macht immer Recht behält. Der Bey hat es hinnehmen müssen, daß man auch einmal den Speer umkehrt und ihm damit zu Leibe geht. Alles in diesem Lande macht den Eindruck, als spüre Jedes, daß es mit dem Reste von Herrlichkeit zu Ende geht, daß Verwaltung, Rechtszustände und Besitz in der Auflösung begriffen sind.
Die Regierung thut nichts für den Verkehr. Auf einem französischen, italienischen oder englischen Dampfer kommen wir an; auf einer englischen Eisenbahn fahren wir vom Hafen zur Hauptstadt, die eine Stunde entfernt im Lande liegt, zwischen anmuthigen Hügeln. Von diesen Hügeln umkränzt, zwischen dem Hafen und der arabischen Hauptstadt, liegt der klare Spiegel eines Landsees, El Bahira genannt. Das Landschaftsbild, das wir während der Fahrt genießen, ist lieblich, eigenthümlich, voller orientalischer Typen. Von drüben her grüßen die Minarets der Residenzstadt, die aus einer Unmasse weißer, würfelförmiger Häuser besteht. Auf den Vorsprüngen der Hügel, die in den Bahirasee hinausblicken, liegen maurische Schlößchen, Landhäuser der Begüterten, von Gärten umschlossen, in denen die Banane reift, die schlanken Palmen dicht voll Dattelfrüchten hängen.
Der Landsee ist seicht und sumpfig. Früher verkehrte auf ihm ein kleiner englischer Dampfer. Der hat die Fahrten einstellen müssen, weil der Grund mehr und mehr verschlammt, weil ganz Tunis den Bahira als seine Cloake benutzt und allen Unrath dort hinein versenkt. Die Engländer hatten sich erboten, das Wasser zu canalisiren und sich durch den Schiffsverkehr, sowie durch die Kunstschätze des alten Karthago bezahlt zu machen, die sie in dem See zu finden hofften. Der Bey will das nicht erlauben.
Es geht die Sage, daß zwei ungeheure Säulen von massivem Golde einst in den See versenkt worden seien. Die möchte er den Engländern nicht gönnen, sie für sich selbst fischen, vielleicht um einige drückende Schulden zu bezahlen, vielleicht um das flotte Leben noch einige Zeit weiterführen zu können. Aber er selbst kommt nicht dazu, den Bahira zu reinigen; er kommt überhaupt zu nichts mehr. Jetzt bauen die Franzosen eine Bahn aus dem Innern von Algerien bis nach Tunis quer durch das Land. Wird nun noch das Canalwerk nach der Wüste hin ernstlich in Angriff genommen, so findet sich gewiß wieder eine zweite tunesische Frage.
Im Bahirasee stehen träumerisch Tausende von farbeprächtigen Flamingos mit zartem rosenrothem Gefieder aufgereiht, um nach Fischen zu schnappen; auf den schilfigen Uferwiesen weiden Rudel von Kameelen; aus dem Röhricht flattern Schnepfen auf, als unsere Maschine vorüberknattert. Die Jäger der Gesellschaft lachen vergnügt. Jeder hat sein Schießzeug mit und will in Tunis jagen. Denn auf allem Grund und Boden, selbst in dem eingefriedigten Privatbesitz, steht Jedermann die Jagd gänzlich frei. Die Genügsamen knallen zwischen die Wachtel- und Krammetsvögelschwärme; Bequeme miethen ein Boot und lauern den Schnepfen auf, möchten auch wohl gar einen der scheuen Flamingos erlegen. Ganze Jagdzüge von unternehmenden Engländern und Franzosen brechen auf nach dem Innern, suchen die Wildschweine auf, jagen den Schakal, die flinke Gazelle, das große Vogelwild.
Endlich langen wir in der Hauptstadt an.
Tunis hat sich in seinem Charakter völlig als orientalische, arabische, maurische Stadt erhalten, während in den benachbarten Städten von Algerien die Kabylen, Araber, Mauren in bestimmte Winkel zurückgedrängt worden sind und durch den immerwährenden Verkehr mit den Franken viel von ihrer Ursprünglichkeit verloren haben. Der Tag unserer Ankunft ist ein Freitag. Das ist der Sonntag der Muselmanen. Da lohnt es nicht, ist der Stadt umherzuschlendern, denn die Bazare sind leer, die Schreibstuben, die Schulen, die Werkstätten geschlossen; in die Moscheen und die Schlösser darf man nicht hinein. Die Männer schreiten zu den Thoren hinaus. In weite Gewänder von hellfarbigem Tuche gehüllt, mit schweren Goldstickereien bedeckt, wandeln sie majestätisch einher wie die Könige aus dem Morgenlande. Oft umhüllt ihnen ein goldgestickter Burnus von seidenem Florstoffe die hohe Gestalt; immer windet sich ein golddurchwirktes weißes Schleiertuch als Turban um das Haupt. Die Männer sind sehr schön, von freiem Anstande, schlankem Wuchse, olivenfarbener Haut, mit großen, weitgeschnittenen Augen, die bläuliches Perlmutterweiß füllt. Sie verstehen ihre Gewandungen zu tragen und zu werfen wie Griechen und Römer. Selbst der kleine Junge schlägt den Burnus in edlem Faltenwurf um die Schulter, daß es eine Freude ist, ihm zuzusehen. Viele Araber aus Algier erkennt man an der abweichenden Tracht. Es sind das meist wohlhabende Leute, die sich dem französischen Joche, den verachteten Christen nicht haben beugen wollen und hierher übergesiedelt sind, um unter mohammedanischer Herrschaft zu leben und zu sterben. Die Frauen wagen sich selten aus den verschlossenen Häusern hervor. Sie mummen ihr Gesicht in schwarze Tücher, die aussehen wie Masken, gleiten scheu an den Mauern hin und fürchten den Blick des Fremdlings.
Wir verlassen die große Promenade der Europäer, die von dem Marinethor der Stadt zu den Gestaden des Bahira führt und gegen Abend stark besucht wird. Wir folgen den Eingeborenen, die das Spazierengehen nicht kennen. Ihr Ziel ist einer der zahlreichen maurischen Friedhöfe, der Begräbnißstätten, die rings um die Stadt liegen. Uns Christen wird der Eintritt streng gewehrt. Mit lauten Flüchen, mit Steinwürfen und Schlägen verscheucht man den Ungläubigen von der heiligen Stätte. Aber wie Alles in Tunis, so sind auch die Kirchhöfe und ihre Mauern gänzlich verfallen. Man sieht durch einen Riß, über eine [452] in Ruinen zerborstene Wand in das Heiligthum hinein. Viele dieser Todtenstätten sind arg verwildert. Disteln, Nesselstauden, hohes Gras wuchern um die Steine, die den Leichnam decken. Ueberall ragt am Kopfende ein steinerner Turban, ein dicker Knopf auf langem Steinhalse über das Grab hinaus. Wie im Leben die Zahl der Schnüre von Kameelhaar, die der Araber um’s Haupt wickelt, seine Vornehmheit, seine Stellung anzeigen, so windet man auch um das Steinmal dieselbe Zahl von Schnüren. Einige der maurischen Kirchhöfe, besonders derjenige in der Nähe der Burg und des Beypalastes, sind besser gehalten. Dort leuchten die hellen Grabstätten aus tiefem, verwildertem Dickicht, aus Myrthe, Rosmarin, Tamarisken hervor. Die Stimmung ist eine ungemein ernste, melancholische auf diesen Friedhöfen. Hier hinaus schlüpfen die tunesischen Frauen an uns vorüber. Sind sie erst auf dem Friedhofe angelangt, wo sie sich unbelauscht wissen, so fällt das verhüllende äußere Gewand. In ihre flatternden weißseidenen Haiks gekleidet, schreiten sie von einem Grabe zum andern. Sie beten; sie kauern nieder, füllen die Luft mit Wehklagen und lautem Geheul. Die allgemeine Klage geht über in ein Gespräch mit dem Todten. Sie fragen ihn nach der Schuld, die sie begangen, ob sie ihre Pflicht vergessen hätten, weil der Geliebte sie so grausam verlassen. So stöhnen, über die Gräber gebeugt, Mütter, Weiber, Kinder. Schnell gleitet manchmal ein Leichenzug an den weißen Trauergestalten vorüber. Er hat Eile, denn so lange das Grab nicht geschlossen ist, sucht der Würgengel, nach dem Glauben des Propheten, neue Opfer. Der Abend beginnt sich über die Flur zu senken. Da erschallt das Abendgebet des Muezzin von dem Minaret der nächsten Moschee herüber – der Feiertag ist zu Ende; eilig huschen die wieder vermummten Gestalten im Halbdunkel ihren engen Gassen zu.
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Die wenigen Europäer in Tunis, die zudem ebenfalls halbe Tunesier sind, wohnen in einem eigenen kleinen Stadttheile, nahe dem Marinethor. Dort flattern die Banner aller Nationen von den Häusern der Consuln; dort finden wir einen auf europäische Art eingerichteten recht guten Gasthof. Eine andere, gänzlich fremde Welt umfängt uns in der eigentlichen Stadt. Ein Gewirr enger Gäßchen mit verschlossenen kleinen Häusern, hügelan steigend – so stellt sich dieselbe äußerlich dar. Auf halber Höhe liegt der ausgedehnte Prachtbau der großen Moschee, oben krönt den Hügel die Kasba, die feste Burg, die einst das Land beherrscht hat, jetzt aber ebenfalls verfällt wie Alles hier, und unmittelbar darunter lagern sich die breiten Fronten des Dar el Bey, des Regentenschlosses, das aber niemals mehr bewohnt wird. Der Bey kommt nur höchst selten in die Stadt, vergnügt sich auf den Schlössern der Umgebung mit seinen jungen Gespielen und nimmt selbst die hohen Staatshandlungen draußen im Bardo oder im Strandschlosse von Goletta vor.
So schmal sind die Gassen, daß Wagen nur in sehr wenigen verkehren können, und selbst wenn ein Trupp beladener Kameele zu den Herbergen, Lagerstätten und Bazaren zieht, muß man sich fest an die Häuser drücken, um von den reihenweise dahertrottenden Höckerthieren nicht belästigt zu werden. Jede Gasse
[509][510] ähnelt der andern. Maurische Hufeisenbogen überwölben die Thüren; zierlich geschmiedetes Gitterwerk umspinnt die Fensteröffnungen, und maurische Linienspiele, kleine Blumenmuster, phantastische Verschlingungen, von Gyps geformt oder in den Stein gemeißelt, ziehen sich an Thürwölbungen, Fenstern und Mauern entlang. Solche reizende Einzelheiten fesseln bei jedem Schritt den Blick. Sonst sind die Häuser selbst einförmig und nüchtern. Manchmal steht das äußere Thor offen, und dann sehen wir wohl in einen kleinen Gartenhof, eine Art offener Vorhalle. Leicht geschwungene Bogenstellungen umgeben den Raum; mit bunt glasirten Fliesen sind die Wände überzogen; aus einer Brunnenschale in der Mitte rauscht ein feiner Wasserstrahl empor, und grüne und farbige Dachziegel springen weit vor und umrahmen das Ganze. Da haben wir das vornehme maurische Haus, von dem Märchen und Reisebeschreibungen erzählen, das immer seltener wird und das vielleicht nur noch in Tunis zu finden sein mag. Weit größere Pracht mag sich wohl noch hinter den fest verschlossenen Pforten bergen, denn das orientalische Haus kehrt seine glänzendste Seite dem Inneren zu. Vielfach sind die Ueberreste altrömischer Bauten von den Muselmännern benutzt worden. Antike Säulen aus dem zerstörten Karthago, Marmorbalken, andere Bauglieder sind oft in die orientalischen Häuser hineingeflickt und zu Prellsteinen oder zu Stufen der Moscheeneingänge verwendet.
Der Mohammedanismus des Abendlandes hat gänzlich andere Bauweisen, wie derjenige der Türkei und ihrer östlichen Provinzen, selbst bis tief nach Aegypten hinein. Dort giebt die edle Kugelform der ehemals christlichen Sophienkirche von Constantinopel das Vorbild für alle Moscheen im Reiche. Hier folgt man mehr spanischen, maurischen Bauwerken, schlägt weit ausgebauchte Hufeisenbogen, liebt schlanke Säulen, freie Vorhöfe, Tonnengewölbe, die gänzlich mit phantastischen Linienverschlingungen in Gyps bedeckt und belebt sind. An die Alhambra, die Zisa von Palermo wird man hier weit mehr erinnert, als an die Prachtbauten von Constantinopel.
Freilich stiehlt das Auge nur gelegentlich solche Eindrücke zusammen. Das Volk, sonst von formeller, etwas feierlicher Freundlichkeit, von gemessenem Phlegma, wird heftig und wild, wenn man nur den unreinen Fuß auf die zur Pforte eines Moscheehofes führende Stufe setzt. Auch daran merkt man, wie hier Sitten, Religion und alter Brauch sich rein und streng erhalten haben, mehr als irgend anderswo auf mohammedanischem Gebiete. In den türkischen Städten bedarf es zwar eines Erlaubnißscheines zum Besuche der Moscheen, in dem nahen Algerien aber, wo derselbe arabische Volksstamm wohnt, wie in Tunis, geht man unbelästigt ein und aus durch alle Moscheen.
Um die große Moschee ziehen sich verdeckte Gänge nach allen Richtungen. Dort liegen die Bazare, die Waarenhöfe, die Werkstätten; dort findet der nomadisirende Araber einen „Chan“, eine Herberge, die ihn mit seiner Waare aufnimmt; dort sucht der Wüstensohn eine der zahlreichen Schreibstuben auf, in denen er Rath findet, die dicken Bücher und Handschriften selbst nachschlagen oder auch einen der stets anwesenden Schriftgelehrten mit Abfassung von Actenstücken, Gesuchen oder Testamenten beauftragen kann. In diese Bazargänge drängt sich das Leben von Tunis zusammen, ein Getriebe von sinnverwirrender Fremdartigkeit und Mannigfaltigkeit. Ist Tunis auch die Hauptstadt des kleinen Fürstenthums, besitzt es selbst über 100,000 Einwohner, so wird sein Volkscharakter doch nicht durch diese seßhaften Bewohner allein bestimmt. Es bildet den großen Markt, den Hauptverkehrsplatz, die Stapelstätte für Alle, die tief aus dem Lande, aus den Oasen der Wüste, von den Bergfluren des benachbarten Tripolis, wie der algierischen französischen Provinzen kommen.
Während wir in den anderen Gassen nur wenigen Menschen begegnen, herrscht hier dichtes Gewühl, lautes Geschrei, lebhafter Handel und Wandel, sodaß es Mühe macht, sich zurechtzufinden. Der eine der überdeckten Gänge bildet den Gewürzbazar. Da sitzt in jeder Bude ein Muselmann in langem Kaftan, hohem Turban, mit untergeschlagenen Beinen auf dem hohen Tische zwischen Kräutern, Straußeneiern, bunten Wachskerzen, Räuchermitteln, Essenzen und allerlei Heilmitteln. Rosenöltropfen in lange Röhrenfläschchen gebannt, wohlriechende Rattenschwänze und Spezereien legt er uns mit stummem Kopfbeugen zur Auswahl vor. Das Anpreisen scheint ihm seine Würde zu untersagen; wie ein Fürst den ihm gebührenden Tribut, streicht er das Geld ein, und sein großes dunkles Auge senkt sich kaum merkbar zum Abschiedsgruße. Lebhafter geht es in dem Stoff- und Gewebebazar zu. Arabische Teppiche mit wundervollen Mustern liegen in einzelnen der kleinen Buden aus; florartige Seidenzeuge mit Atlasstreifen oder Gold durchwirkt, wie die Vornehmen sie zum Burnus verwenden, lange, gazeartige Seidenbänder mit goldener Stickerei, die man zu Turbanen kunstvoll um’s Haupt schlingt, reizen die Kaufbegierde auch der Europäer, ebenso die großen orientalischen Wollendecken, die wie alle die anderen Gewebe aus den Haushaltungen, den Händen der Weiber im Lande hervorgehen und hier an den Markt gebracht werden. In einem andern Bazar liegen Juwelen und Geschmeide aus. Dort allein sieht man auch Weiber. Gänzlich verhüllt, die Gesichter unter Schleiermasken verborgen, hocken sie auf den Bänkchen der Verkäufer, lassen die funkelnden Brillanten durch die fetten Hände gleiten und weiden die strahlenden Augen an dem Glitzern der edeln Steine. Anderswo giebt es Waffen, alte und neue, lange Flinten, kunstvoll ausgelegte Dolche, Pistolen von ausgezeichneter Arbeit in gestickten Ledertaschen.
Doch wandern wir auch durch die Reihen, in denen das einfache Handwerk sich angesiedelt hat. Jeder Geschäftszweig wohnt beisammen in seinem eigenen Bazar. Die Tischler, die Schuhmacher, die Sattler, die Trödler, die Flintenmacher haben ihre eigenen Bezirke. Gastlich räumt der arabische Handelsmann uns einen Polstersitz sich zur Seite ein, und von dort können wir das Menschengewühl ruhig ansehen. Er erklärt uns, so weit sein Bischen Französisch oder Italienisch reicht, was wir zu wissen begehren. Es ist ein buntes Völkergemisch, das da bei uns vorüberstreift!
Der Eingeborene, in weite Gewänder von feinem maisgelbem, bläulich-grauem, blaßrothem Tuch gehüllt, das mit farbigen Schnüren oder Goldfäden reich gestickt ist, tritt vornehm und sicher, als Bürger der Hauptstadt auf. Den Reichsten trägt ein brauner Diener den langen Tabaksbeutel, das Pfeifenrohr und die kleine gestickte Geldtasche nach. Aber auch die Aermeren, die Arbeitenden erscheinen nicht ohne Gemessenheit und Würde. Die nomadisirenden Araber, die Beduinen, die Tunis als eine Art Stammeshauptstadt betrachten, kommen mit ihren Kameelen, mit dem ganzen Tribus hierher. Sie hüllen sich in flatternde weiße Stoffe und bergen das Haupt in weiße Tücher, um welche Schnüre von braunem Kameelhaar gewunden werden. Sie sind die schönsten von allen. Ihre Gesichtsfarbe glänzt in blassem Oliv; ihr großes dunkles Auge tritt aus dem bläulichen Perlmutterweiß lebhaft hervor, und ihre hochgeschwungenen Brauen, ihre langen Wimpern geben dem Antlitz einen edlen Ausdruck. Da und dort taucht der braune Biskris auf, der Sohn der Oasen, welcher den kupferfarbenen Körper kaum mit einem kurzen schmutzig weißen Wollenhemd bedeckt, einen knappen Mantel lose um die Schultern schlägt, um an keiner Handarbeit behindert zu sein. Denn er ist der Dienstling für Alle, leitet und treibt die Kameele, trägt Lasten, besorgt schnellfüßige Aufträge und lungert in den Bazaren umher, um auf ehrliche oder unehrliche Weise Geld zu verdienen. So stuft die Farbenschattirung sich ab bis zum tiefen Negerschwarz. Meist mögen diese blankhäutigen, schwarzen Kerle einst als Sclaven der Araber aus der Wüste mit hierhergebracht worden sein. Die Sclaverei hat gesetzlich aufgehört, die Neger aber sind entweder freiwillig in dem alten Abhängigkeitsverhältnisse verblieben, oder leben nun hier als selbstständige Leute. Sie sind indeß in die Bevölkerung nur eingesprengt, bilden keine eigentliche Gruppe derselben.
Als eine solche bezeichnet unser tunesischer Handelsmann uns aber die Juden. Der arabische Jude, der vielleicht mit den aus Spanien vertriebenen Mauren sich in Nordafrika angesiedelt haben mag, hält keine Gemeinschaft mit den aus Europa hergekommenen Israeliten. Wie diese sich an ihre Landsleute, an Deutsche, Franzosen, Italiener in Lebensart, Sprache, Tracht und Geselligkeit schließen, so gehört der orientalische Jude fest zu den Arabern. Er kleidet sich wie sie, spricht ihre mit dem Hebräischen verwandte Sprache und lebt in ihren Stadttheilen, wenn auch gesondert in eigenen Judenvierteln. Es bedarf eines besonderen Scharfblickes, um den Juden von dem Muselmann zu unterscheiden.
Nur die orientalische Jüdin zeichnet sich aus. Sie ist äußerlich eine andere in Algier, in Constantine, in Tunis. Ueberall dort aber ist sie das einzige Weib, das sich offen und zwar gern [511] auf der Straße zeigt, das Beziehungen anknüpft, den Eintritt in ihr Haus gestattet, das die orientalischen Straßen- und Volkstypen durch das „Ewig-Weibliche“ bereichert. Denn die arabische, maurische, tunesische Frau sieht man niemals oder nur scheu und vermummt, und was Reisende von ihren Beziehungen, Abenteuern, Erlebnissen mit arabischen, kabylischen, maurischen Mädchen und Frauen rühmen, das bezieht sich alles auf Jüdinnen, die sich im Hause ganz den eingeborenen Weibern gleich tragen.
Die ewigen Geldverlegenheiten des Bey haben das Glück der tunesischen Juden gemacht; sie haben ihn den Juden in die Arme geführt, und diese haben solche Verbindungen zu benutzen gewußt, nicht nur zu guten Geschäften, sondern auch zur Besserung ihrer gesellschaftlichen Stellung. Diese Errungenschaften tragen besonders die Jüdinnen zur Schau. Die reiche Jüdin, meist strotzend von Körperfülle, schlendert grell aufgeputzt durch die Bazargänge, sicher, daß keine Frau eines mohammedanischen Stammes sie dort durch Schönheit oder Glanz verdrängt. Ihr Antlitz trägt sie frei, seine Farben oft noch gehoben durch künstlich aufgetragenes Schwarz auf den Augenbrauen, durch Weiß und Roth auf Stirn und Wangen. Den Kopf krönt eine kleine Kappe von Goldstoff, nicht selten mit Edelsteinen besetzt. Daraus fällt über das Hinterhaupt ein dünner, kurzer Schleier, nur zur Zier, nicht zur Verhüllung. Der ganze Unterkörper bis zur Hüfte steckt in einem Tricot von Baumwolle oder Seide, auf dem Spitzenstreifen oder Weißstickereien glatt aufliegen. Darüber wird dann nur noch eine Blouse von feuerfarbener oder heller Seide geworfen, die kaum bis auf die Schenkel reicht, den Unterkörper gänzlich frei läßt und an die oberen Theile sich bei jedem Schritte anschmiegt.
Diese Jüdinnen sind die auffälligsten Erscheinungen in dem bunten tunesischen Straßenleben. Durch den Abstand ihres freien Wesens von dem scheuen Benehmen der vermummten mohammedanischen Weiber ist man versucht, sie alle für herausfordernd, ja noch für schlimmer zu halten. Aber die angesehenen, ehrbaren, reichen Frauen watscheln ebenso grell geschmückt, grell gekleidet auf den Straßen umher, wie jene Tänzerinnen im Judenviertel, zu denen uns Abends ein Miethling des Gasthofes führt, mit einer großen Laterne in der Hand, denn das Innere der Hauptstadt besitzt keine Straßenbeleuchtung. Dort, in ihrem Gemach, führt die Jüdin mit einigen Gespielinnen bei ohrenzerreißender Blechmusik Tänze auf, die theils aus lebhaftem Geberdenspiel, theils aus Zuckungen, Vorschnellen des feisten Körpers, aus Zurückweichen und Haschen bestehen. Zu solchen Abendunterhaltungen finden sich nicht nur neugierige Fremde ein, auch der Muselmann, für den sie ja eigentlich bestimmt sind, sucht sie gerne auf, als einzige abendliche Lustbarkeit.
Einem Maler müßten die Straßenbilder von Tunis eine unerschöpfliche Fundgrube bieten. Die Künstler klagen nur, daß man jeden Versuch solcher Thätigkeit mit Steinwürfen verhindere; denn der Muselmann hält es für Entweihung und Raub, wenn man ihm seine Züge stiehlt. Noch eigenthümlichere Bilder geben einzelne kleine, nischenartige Räume, die zwischen den Bazaren sich öffnen. Da sehen wir Barbierstuben, Kaffeehäuser, öffentliche Schreiber, Kinderschulen. Am zahlreichsten sind die ersteren. Junge Bursche, selbst prächtig frisirt, mit blanken Messingbecken und langen Messern ausgerüstet, bewegen sich in dem engen Raume, der rings von einem Polsterdivan umgeben ist. Gravitätisch, in beschaulicher Ruhe hocken längs der Wände die ehrbaren Männer von Tunis wie Wachsfiguren, oft zehn oder fünfzehn neben einander. Sie harren geduldig, bis der braune Junge seine Künste an ihnen vollführt, bis er sie mit duftendem Wasser, mit seinem Pudermehl verschönt hat, und sitzen selbst darnach noch eine Weile, wenn nicht neue Kundschaft sie vertreibt.
Lebhafter geht es im Kaffeehause zu. Auch das ist ein kleines, nischenartiges Loch. Hinten auf einem kleinen Kohlenherde steht die Messingkanne mit dem chocoladendicken Kaffee, daneben winzige, henkellose Tassenköpfe, nicht größer als eine halbe Eierschale. An dem Boden, auf dem Divan, bis vor die Thür kauern, hocken, liegen die Gäste, und jeder stellt solche Eierschale mit dem braunen, sehr starken Tranke neben sich, erhält eine lange Pfeife, deren Rohr bis auf die Erde reicht, und verträumt hier Stunde auf Stunde. Manchmal schieben zwei ein Schach- oder Damenbret zwischen sich auf den Polstersitz und spielen eine Partie oder lassen sich auch wohl Karten reichen, um am Erdboden, auf Teppiche gelagert, ein Spiel zu machen. Am liebsten blicken die Leute schweigend und träumend in’s Leere. Es bilden sich da aus den herrlich gewandeten, schönen Gestalten köstliche Gruppen, denen man gern bei ihrem Nichtsthun zuschaut. Im eigenen Hause fehlt den Männern jede Geselligkeit, alle Unterhaltung; das Kaffeehaus muß ihnen diese gewähren.
Am interessantesten aber sind die öffentlichen Schreibe- und Lesestuben. Dort sitzen die Schriftgelehrten, die Advocaten, die Männer der Feder beisammen. Sie brüten über dicken Bänden, über kunstvollen Handschriften, in die sie, die Brille auf der Nase, das Antlitz halb vergraben. Oft sieht man einige mit einander streiten; oft versehen sie dem Laien Schreiberdienste. Sie lassen sich durch Straßenlärm, durch das Geschrei der Ausrufer, durch die Kameelzüge bei ihrer Arbeit nicht stören und sitzen halbe Tage lang in ihren Schriften verloren.
Mehr seitab liegen die Knabenschulen, die sich gewöhnlich in der Ecke einer Moschee einnisten. Für Bequemlichkeit, für gute Haltung des Körpers sorgt dort Niemand. In einem öden Raume hocken die Jungen auf dem Estrich, und der Lehrer thront zwischen ihnen. Er leitet die Lautirübungen, spricht laut vor, und die Bengel plärren gewissenhaft nach. Wer’s nicht richtig macht, dem winkt der alte Muselmann mit dem langen Stecken. Man kritzelt auch die arabischen Schriftzeichen auf den großen Tafeln nach, die an die Lehmwand gehängt werden. Alles sitzt oder kauert vielmehr bunt durch einander, scheint im Allgemeinen aber emsig bei der Sache zu sein. Auch die Schulen liegen, höchstens durch ein offenes Vorgemach getrennt, frei in den Gassen, und man kann sehen und hören, was dort getrieben wird. Die Jungen blicken wohl neugierig umher, kichern und plaudern, genau so wie überall in der Welt, aber der Stecken des Schulmeisters stellt Ordnung und Aufmerksamkeit wieder her. Sobald das Zeichen zum Schlusse gegeben wird, wickelt der Knäuel am Boden sich aus einander; die Knaben schlagen den Burnus um die Schulter und wandern so gemessen heim wie die Alten.
Wer weiß, was aus diesen kleinen Tunesiern noch einmal wird. General Kheredim, der allmächtige Großvezier, ist als schöner circassischer Knabe, welchen Piraten auf den Sclavenmarkt gebracht hatten, von dem Sultan, den die junge Gestalt mit dem intelligenten Kopf gereizt, gekauft worden. Mustapha ben Ismail, der andere Minister, war in Tunis Kaffeehauskellner und hat den braunen Mokka jahrelang bereitet, bis auch an ihm der Bey Gefallen gefunden. Rang, besondere gelehrte Vorbildung, Beschäftigung mit den Staatswissenschaften scheint also nicht nothwendig zu sein, um hier zu den höchsten Würden zu gelangen. Wir fuhren eines schönen Nachmittags hinaus nach dem Bardo. Da begegnete uns die Staatscarosse des Mustapha ben Ismail, des noch immer geliebten Günstlings. Er ist ein schöner junger Mann von kaum dreißig Jahren und wohnt stets in unmittelbarer Nähe des Bey, der ihm indessen verstattet hat, einige Frauen zu nehmen. Mustapha begleitet den Bey auch in den Bardo zu den wöchentlichen Gerichtssitzungen. Heute stand dieser Palast, welcher eine Stunde außerhalb der Stadt landeinwärts in einer von Hügeln umschlossenen Ebene liegt, der Besichtigung offen. Eine Wasserleitung aus alter Zeit, noch von den römischen Karthagern erbaut, spannt ihre Bogen über den Weg. An den öffentlichen Brunnen rasten Kameele; da trinken durstige Biskris; da bieten Händler Datteln, Feigen, Apfelsinen oder fettes Backwerk feil, das zu den Leckerbissen der niederen Araber gehört.
Der Bardo ist Palast, Festung, kleine Stadt, Exercirplatz, alles zusammen, und der Verkehr ist hier ungehindert. Dicke Mauern schließen den ganzen Bezirk ein, und nur zwei Thore gewähren Zutritt. Dort stehen Wachposten, wieder arg zerlumpt, wieder strickend und Körbe flechtend. Ein Gewirre niedriger Lehmhütten umgiebt den Herrscherbau. In ihnen nisten kleine Handwerker, und da giebt es Buden mit Naschwerk, Kaffeehäuser, aber auch Magazine, Heuschober, Karawanserais, in denen die Kameeltreiber mit ihren Thieren nächtigen. Endlich kommt man zum ersten der Vorhöfe, dann zu einem zweiten, dritten, schließlich zu dem Palaste.
Hier könnte man wieder an die Wunder von „Tausend und eine Nacht“ glauben. Schlanke, gewundene Säulen tragen die maurischen Hufeisenbogen, die rings um die Wände laufen; Springbrunnen rauschen aus Marmorschalen auf; ein Netzwerk [512] von Stucklinien, Schnörkeln, Pflanzengebilden umzieht Wände, Gewölbe und Flure. Die Pracht steigt, je weiter wir vordringen. Eine Marmortreppe, von ruhenden Löwen getragen, führt hinan; und mit glasirten Platten sind die Wände der Vorhallen bedeckt, auf denen vielfarbige Musterspiele glänzen. Der phantastische Schmuck von Stucklinien wird immer lebhafter; die Säulen werden immer schlanker, und die maurischen Bogen schwingen sich immer kühner empor. Das Ganze wirkt zuerst bezaubernd. In diese Märchenpracht einer vergangenen Zeit blickt nur die Verkommenheit und Armseligkeit der Gegenwart hinein und stört den Eindruck. Den zerlumpten Soldaten hat man Brettchen unter die nackten Füße legen müssen, damit sie sich auf den Marmorfliesen bei stundenlangem Stehen nicht den Tod holen. Die herrlichen maurischen Hallen, der Thronsaal, die Gemächer, die einst angelegt wurden von den üppigsten und prachtliebendsten Herrschern ihrer Zeit, sind oft verunstaltet worden durch schäbige Papiertapeten, durch altmodische harte Möbel mit grellen Damastbezügen, wie unsere Großeltern sie in die Putzstuben stellten, durch Stahlstiche an den Wänden. Der Herrscher des Volkes, welches die besten Teppiche der Welt wirkt, legt in seine Säle widerwärtige englische Decken mit großen Blumen. Das Alles sticht schreiend ab gegen das, was der Bardo einst gewesen, wozu er von den üppigen Piratenfürsten angelegt worden ist.
Wir treten hinaus auf einen der Altane, unter uns liegt das Manöverfeld, auf dem die Reiterspiele veranstaltet werden, die das Auge und den Sinn des Herrschers oder seiner Gäste ergötzen. Eine freundliche Landschaft umgiebt den Bardo. Seine alten Gemäuer blicken hinab auf die nahe Manuba, wo in hübschen, aber keineswegs prachtvollen Landhäusern der Bey, seine Lieblinge und die Großen des Landes wohnen. Die Flur ist grün, mit Palmengärten, Oelhainen, Blumen- und Obstgärten geschmückt. Nur der Weinstock fehlt. Der Spiegel eines kleinen Süßwassersees senkt sich in das kesselförmige, von Hügelkränzen umgebene Land, und von Süden her kommen breitere Wege und schmale Kameelpfade über die Berge herab. Dort mündet die Wüste aus, und nach dorthin dehnt sich das unermeßliche Hinterland ohne Grenzen; dahin soll die Pforte sich öffnen, die das Wasser des Meeres über das Land ergießt und eine bequeme Straße zur Sahara schafft. Links im Osten liegt die Hauptstadt: die Kasba mit dem Beypalaste hoch oben an die Ringmauer gelehnt, von dieser sich hinabsenkend das weiße Häusergewirr von Tunis, aus dem die von offenen Säulenstellungen gebildeten Minarets emporragen. Noch weiter im Osten glänzt der Spiegel des Bahirasees. Den Hintergrund schließen die bläulichen Hochgebirge, die riesenhaft aus dem Golfe des alten Karthago sich erheben; in weitem Rund umschließen sie die bergige Landzunge, auf der die wenigen Trümmer der untergegangenen Stadt den Boden bedecken.