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Traum eines Lesers der Gartenlaube

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Textdaten
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Titel: Traum eines Lesers der Gartenlaube
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 572-574
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Traum eines Lesers der Gartenlaube.


     Geehrter Herr Redacteur!

Erlauben Sie mir, Ihnen in wenigen Zeilen eine Erscheinung mitzutheilen, die Sie gewissermaßen hervorgerufen haben, und zwar durch die Gartenlanbe, deren eifrigster Leser ich bin.

Im traulich-warmen Bette, die dampfende Cigarre im Munde, hatte ich wieder das neueste Heft Ihrer Zeitschrift studirt und ließ nun, die feinen Wölkchen nach oben blasend, noch einmal den Inhalt des Gelesenen an mir vorübergleiten. Es war schon spät um Mitternacht und die sonst so belebte Straße todtenstill. Das Licht war verloschen; ich fühlte wie mein Auge allmälig schwerer und müder ward.

Da mit einem Male war mein Zimmer in eine hellerleuchtete Laube verwandelt, deren lebendige Seitenwände sich an der Decke schlossen. Erschrocken blickte ich umher. Mit jedem Augenblicke ward das Licht glänzender und traten die einzelnen Gegenstände deutlicher hervor. Plötzlich erscholl auf der linken Seite ein entsetzliches Klirren und Geschrei und als ich auffahrend meine Blicke dorthin wendete, sah ich, wie ein gewaltiger lebensmuthiger Bock unter einen Haufen dürrer Doctoren und dickbäuchiger Arzneiflaschen fuhr und Alles zu Boden stürzte, was sich ihm entgegenstellte. Entsetzt liefen vor diesem Anprall die Verwahrer der Tropfen und Mixturen davon, unter ihnen der unglückliche Eßlöffel, der, seinen „zweistündigen“ Dienst verlierend, die Hände vor Wuth und Verzweifelung über dem Kopfe zusammenschlug. Wohl richteten einige ergrimmte Medici ihre Geschosse nach dem Bock, aber ohne Erfolg, der tapfere Streiter brauchte seinen Kopf so wacker und räumte nach und nach so vollkommen auf, daß selbst die Kranken oben jubelten und der Tod ein verdrießliches Gesicht schneidend, sich langsam entfernte.

Ganz in der Nähe des Kampfes und wie mir schien, im Zusammenhange mit diesem, war eine Art Geschoß aufgestellt. War es Täuschung oder Wirklichkeit,

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Der Traum eines Lesers der Gartenlaube.

[574] das Geschoß nahm nach und nach die Gestalt eines Mikroskops an, ohne aber seine Eigenschaft als Wurfgeschoß aufzugeben. Aus dieser Kanone der Wissenschaft, die nur mit Gedanken und Thatsachen schießt, sprühten im schönsten Feuer die wunderbarsten Figuren und Gestalten heraus, die lachend und jubelnd durch die Luft fuhren und in ihren wunderbar merkwürdigen Formen als die Geschöpfe einer neuen unbekannten Welt erschienen. Unzweifelhaft unterstützte das Geschoß den Kampf des Bockes, denn deutlich konnte ich bemerken, wie die Flaschen und Doctoren auch vor diesem erschrocken und wuthentbrannt, als sähen sie ihre eigene Schande verkörpert, zurückwichen.

Noch erstaunt über die neue Welt der Wunder, die sich im Mikroskope entfaltete und als klare Thatsache an das Tageslicht geschleudert ward, mußte ich schon wieder erschrocken meine Blicke nach Rechts wenden, von wo sich ein lautes Pusten und Knarren hören ließ. Eine sonderbar komische Gesellschaft wälzte sich da heran. Maschinen mit Menschengesichtern und dürren Spindelbeinen polterten einher, ein Dampfwagen rannte wie ein Pferd davon, eine Locomotive segelte durch die Lüfte, während eine Art Windofen, die Arme in die Seite gestemmt, nach Holz schrie. Die compakte Masse rückte unaufhaltsam vorwärts, wie viel Hindernisse sich auch entgegenstemmten, und je weiter sie vorwärts drangen, desto größer ward ihre Zahl, desto gewaltiger ihre Wirkung.

     War mir von alledem so dumm.
     Als ging mir ein Mühlrad im Kopfe herum,

so athmete ich wieder freier auf, und das süße Gefühl des Wohlbehagens kam über mich, als ich meine Blicke nach Oben richtete. Dort, wie in weiter Ferne, lag das Land der Romantik, das schöne Thüringen mit seinen Bergen und Burgen und von dort herauf kam ein mir wohlbekannter Storch geflogen, Blüthen und Früchte bringend in wunderbarer Schöne, wie sie jetzt immer seltener werden. Mit dieser Aussicht zugleich öffnete sich ein weiter Horizont und als ob in der phantastischen Laube Alles verkörpert werden müßte, was die gedruckte während eines ganzen Jahres geschildert, so entwickelten sich aus dem Dunstkreis das weite, weite Meer mit seinen Klippen und Schiffen, die transatlantischen Gestade mit ihren Alligatoren und kühnen Jägern, das ferne Australien mit seiner Zeltenwelt.

Im Vordergrunde aber und im weiten Talare saß der lorbeerumkränzte Barde, und wie seine Harfe erklang und seinem Munde sinnige Lieder entströmten, verschwanden nach und nach die Gebilde und nur im letzten Augenblicke, als die Schatten der Nacht schon wieder mein trautes Zimmerchen bedeckten, sah ich noch, wie ein kleiner Gnome auf meinem Bette kauzte, der mit kunstfertigem Griffel die gespenstigen Gebilde auf das Papier hinzauberte und sich dann empfahl.

Andern Morgens als ich erwachte, lag die beifolgende Zeichnung auf meinem Nachttische.