Tramin (Die Gartenlaube 1897)
[200] Tramin. (Zu dem Bilde S. 197.) Den „Rheingau Tirols“ hat man mit Recht das herrliche Berggelände genannt, das im Süden von Bozen den steilen Felswänden des Mendelgebirgs in malerischer Reizesfülle vorgelagert ist und, von Burgen und Schlössern, Dörfern und ländlichen Herrensitzen übersät, seine Rebgelände, Maisfelder und Obstbaumhaine hinunter zur rauschenden Etsch sendet. Denn wie im Rheingau von allen Rheinweinen die köstlichsten gedeihen, so reifen auf den sonnigen Porphyrhängen jenes gesegneten Erdstrichs die edelsten Weine Tirols. Neben dem „Kalterer Seewein“, dessen liebliche Geburtsstätte den Lesern der „Gartenlaube“ ein Bild im vorigen Jahrgang, Seite 693, vorführte, ist es in erster Linie das Rebenblut des „Traminers“, dessen Duft und Feuer mit jedem neuen Herbst den alten Ruf der Gegend wahrt. Tramin liegt von den uralten Ortschaften des „Ueberetsch“ dem Fluß und der ihm entlang nach Trient führenden Eisenbahn am nächsten, zu Füßen des Mittelbergs, den der Monte Roën mächtig überragt, und eine Wegstunde unterhalb des von einem seiner Ausläufer verdeckten Kalterer Sees. Beim Dorfe Neumarkt ist die Haltestelle der Bahn für den noch eine Stunde seitwärts gelegenen Ort. Von alters her war das stattliche Dorf ein Hauptstapelplatz für den Weinhandel der Gegend. Und darauf beruht es wohl auch, daß gerade nach ihm eine Rebe benannt ist, die seit langem in vielen Gegenden Deutschlands und Oesterreichs heimisch ist und ihren Mutterboden gewiß in der Umgebung von Tramin gehabt hat, ohne doch mit dem Weine verwandt zu sein, der heutzutage in den Weinbergen von Tramin geerntet wird. In anderer Höhenlage, unweit davon, ist diese „Traminer Rebe“ zu Hause.
Wie auch die übrigen Ortschaften des Ueberetsch hat das liebliche Tramin, das nahe an 2000 Einwohner zählt, einen fast städtischen Charakter. Die Weinbauern, welche hier wohnen, erfreuen sich wahrer Herrensitze. Selbst den starken hellschimmernden Mauern, die an der Straße vor und hinter dem Dorf die fruchtbaren Rebgärten eingrenzen, merkt man den Reichtum an, welchen seit Jahrhunderten der Ort aus der Ernte seiner Reben zieht. Die Häuser am Marktplatz sind kleine Paläste mit schönen schmiedeeisernen Balkonen und hohen Thorgewölben. Ihre Bauart ist schon ganz italienisch; der schlanke gotische Glockenturm mit seinen romanischen Schallöffnungen, die Fensterkonstruktion der Häuser mit den vorgewölbten Eisengittern, die steinernen Portale vor den Gärten, aus denen sich über Lorbeer- und Olivenbüschen Cypressen und Pinien erheben – all dies versetzt uns nach Italien. Und italienisch ist auch das Klima, dessen Gunst der Traminer sein berühmtes Feuer zu danken hat. Die Bewohner von Tramin jedoch sind Deutsche; deutsch klingt das Geplauder der waschenden Mägde vor den großen steinernen Brunnen und die kräftige Rede der Fuhrknechte und Küfer, die vor dem und jenem Haus an den rinderbespannten Lastwagen um die Verladung mächtiger Weinfässer besorgt sind. Heinrich Noë, der jüngst verstorbene vortreffliche Kenner der Schönheiten Tirols wie seiner Weine, faßt diesen Eindruck in die Worte zusammen: „Aus unserer Staatengeschichte haben wir, uneingedenk unserer Ahnen, die Empfindung in uns aufgenommen, daß wir ein nordisches oder wenigstens transalpines Volk seien. Wir fühlen uns fremd in der Nähe von Oelbäumen. – Hier aber wird die Muttersprache noch immer im Schatten des Feigengeästs, des Lorbeers, des Oelbaums, der Myrte und der Pinie gesprochen.“ Freilich ist die italienische Sprachgrenze nicht weit. Schon die nächste Station der Südtiroler Eisenbahn, Salurn, ist das letzte der deutschredenden Dörfer. Und auch die prächtige Alpenstraße, die sich hoch oben hinter dem Monte Roën vom Ueberetsch zum Mendelpaß emporwindet, führt in Thäler mit bereits welscher Bevölkerung. Im Etschthal selbst ist aber die Sprachgrenze wenigstens keine Weingrenze! Und auch jenseit der ersteren wachsen Reben, die von einem so patriotisch fühlenden Kenner wie Heinrich Noë, selbst neben dem „Traminer“, höchsten Preises wert gefunden wurden. P.