Torquato Tassos befreytes Jerusalem. Sechster Gesang
Tankred hat mit dem Heiden Argant einen Zweykampf bestanden. Beyde, verwundet, scheidet die Nacht. Am sechsten Morgen drauf soll sich der Kampf erneuern.
Es ließ zurück die grausenvolle Fehde
Bey Allen, so das Kämpferpaar umstunden,
Ein Graun, ein hohes Staunen, tief in jede
Brust eingesenkt, was nicht so bald verschwunden.
So man bey Diesem wie bey Dem erfunden.
Doch wer dem Andern vorzuziehn, ist streitig;
Das Volk, getheilt, bekämpft sich wechselseitig;
Und schwebt in Sorgen, harrend, wer von dannen
Ob es der Wuth gelingt den Muth zu bannen,
Ob Tapferkeit besiegt tollkühnes Wagen. -
Doch mehr noch fühlt, als die besorgten Mannen,
Das holde Kind Herminja Sorg’ und Plagen,
Befahret ihres bessren Theils Vernichtung.
Sie war ein Kind Kassan’s, dem die Gefilde
Von Antiochjen unterthänig waren.
Sammt Reich und Beuten fiel dieß Frauenbilde
Nun aber wies sich ihr der Tankred milde,
Ließ sie kein Leid in ihrer Haft erfahren;
Auf ihres hohen Vaterlands Verheerung
Empfing sie noch als Königinn Verehrung.
Sie frey zurück, der Ritter seltner Güte;
Sorgte, daß Niemand ihr die Hab’ entwandte,
Daß all ihr Gold, all ihr Gestein sie hüte.
Sie sah ihn, der im Glanz der Jugend brannte,
Und blieb von Lieb gefesselt, so die Schlingen
Nur fest und fester zieht beym Gegenringen.
So kam’s, daß, war der Leib auch frey, doch immer
Herz und Gemüthe sich in Fesseln fanden.
Vom süßen Herrn, von den geliebten Banden.
Doch königliche Zucht und Scheu, die nimmer
Aus einer edlen Maid Gemüthe schwanden:
Die zwangen sie, zu Freunden sonder Weilen
Und sie begeben sich gen Sion’s Mauern,
Wo sie beym Heidenkönig Schutz erlangen.
Bald muß sie dort der Mutter Tod betrauern
Vom düsterlichen Leidgewand umfangen.
So im unseel’gen Bann ihr Herz durchdrangen,
Solch sehnend Lieben, das die Seele fühlet,
So großer Gluthen Flamme nie gekühlet.
Sie liebt und glüht; bey’m Hoffen Trost zu holen
Und Speiße den verschlossnen Liebeskohlen
Kann nur Erinnrung, Hoffnung nicht, vergönnen;
Und umjemehr dieß Glühn geheim, verstohlen
Im Busen glimmt, jehöher steigt sein Können!-
Der Tankred her, ihr Hoffen aufzufrischen.
Die andern Städter allzumahl erschauen
So viel, unbändig Volk mit bangem Harme.
Klar aber wird der trübe Blick der Frauen,
Den lieben Freund aufsuchend, rings die Auen
Durchlugt mit sehnsuchtvollem Blick die Arme;
Lugt oft umsonst; oft wähnt sie klar und lauter
Zu sehn, und spricht: „ja, dieser ist mein Trauter!“
Ist dort, gleich wo die Festungsmauer steiget,
Der über Anger und Gebürg sich hebet
Und rings die Lagerstatt der Christen zeiget.
Dort sitzt sie, wann der Sonne Strahl sich hebet
Durchschweift mit Blicken das Gezelt der Franken
Und sendet Seufzer, redet mit Gedanken.
Von diesem Turm lauscht sie dem Kampfgewitter;
Da pocht ihr Herz so heftig bey’m Betrachten,
Ist der, der drunten schlägt die Todesschlachten!“
So steht sie dort, in Aengsten schwer und bitter,
Des zweifelhaften Klingenspiels zu achten,
Und stets, so oft den Säbel zückt der Heide,
Doch wie sie recht es hört, wie sie vernommen,
Der wilde Kampf soll bald auf’s neu beginnen:
Da fühlt sie sich ganz ohne Maas beklommen,
Ihr Herzblut augenblicks zu Eis gerinnen.
Nun läßt sie die verschwiegne Zähre rinnen;
Bleich, blutlos, ganz verstöret in Gebehrden
Läßt das Erbangen, läßt der Schmerz sie werden.
Die Seele zeigt ihr ein Gebild voll Grauen,
Und Schlaf dünkt ärger nun, denn Tod, der Frauen,
Von Träumen stets, seltsamem Spuck gestöhret.
Den lieben Ritter glaubt sie dann zu schauen,
Blutend, zersetzt! glaubt, daß den Ruf sie höret:
Fühlt Aug’ und Busen sie von Thau begossen.
Doch was ihr Herze schlagen macht und bangen,
Ist nicht blos Angst vor jenem sechsten Morgen:
Auch um die Wunden, die er jetzt empfangen,
Und die Gerüchte, die umher sich schwangen,
Vergrößerten, was fern war und verborgen.
So glaubte sie: zerquält, gemartert lieg’ er,
Und schon dem Tode nah, der kühne Krieger.
Dem Töchterlein die Mutter einst ertheilet,
Und des Gesangs, mit dem man jede Wunde
Genäsen macht und all die Schmerzen heilet, -
Die Kunst, die, fortgepflanzt von Mund zu Munde,
So wünschet sie, daß nun durch ihre Hände
Ihr vielgeliebter Herr Genäsung fände.
Den Freund zu heilen, dahin geht ihr Trachten,
Und pflegen soll sie hier des Feindes Leben:
Mit argem Todeskraut ihm zu vergeben.
Doch muß sie bald so schnöde Kunst verachten,
Wovor die fromm jungfräul’chen Hände beben;
Das aber wünscht sie, daß die Kräutersäfte
Und ohne Beben würde schon sie gehen,
Wie fremd sie war, in all die Feindesschaaren.
Denn oft schon hat sie Schlacht und Mord gesehen,
Ein mühevoll und schwankend Loos erfahren,
Mehr als sie durch Geburt ihr eigen waren;
Daß nicht so leicht gleich überall sie stutzet
Und den geringern Schreckensbildern trutzet.
Vor Allem scheucht der kühne Gott der Minne
Bey Tigern glaubte sie und mitteninne
Bey Asiens Gift und Schlangen sich geborgen.
Doch bangt es jetzt auch ihrem kühnen Sinne
Um’s Leben nicht, macht doch der Ruf ihr Sorgen.
Und zwey gewalt’ge Gegner: Ehre, Liebe.
„O Mädchen – also klingt’s von jener Seite –
Der mein Gebot und Spruch stets heilig galten:
Keusch blieb dir Geist und Leib durch mein Geleite,
Dies holde Mädchenthum wirft die Befreyte
Jetzt weg, das die Gefangne rein erhalten?
Ach, was kann in dein zartes Herz dir senken
Solch einen Rath? was kannst du hoffen, denken?
Der Zucht und keuschen Sitte dir entwinden?
Willt hin zum argen Feind des Heidenthumes,
Nächtliche Buhle! dort Verschmähn zu finden?
Stolz sagt der Sieger: deines Königthumes
Nicht würdig bist du mein; für andre Leute
Sey die gemeine, schlechtwillkommne Beute!“
Dann wird zur Lust sie wieder hingezogen
Vom falschen Gott, der kosend um sie fleuget:
O junges Blut? von Bärenmilch gesäuget?
Daß flieh’n du müßtest Liebespfeil und Bogen,
Verschmähtest, was so süße Lust erzeuget?
Ist denn dein Busen Demantstein und Eisen,
O gehe nur, wohin dein Wunsch dich führet!
Doch kannst du grausam wol den Sieger meinen?
Hat nicht dein Schmerz mit Schmerzen ihn gerühret?
Litt Er nicht mit bey deinem Leid und Weinen?
Wo’s gilt, dem Treuen hülfreich zu erscheinen!
Der fromme Tankred schmachtet hin im Schmerze:
Du heilst den Feind, o hart und danklos Herze!
Ja, heil’ Arganten, daß es seinem Schwerde
So wähnst du, daß die Schuld gezahlet werde?
Solch einen Lohn soll seine Huld ihm bringen?
Wie kannst du saümen dich von der Beschwerde
Gottlosen Marterdienstes loszuringen?
Dorthin zu ziehn, im schnellsten Flug entflohen?
Wohl wär’ es Menschenpflicht und wohl empfände
Herminia herzinniges Vergnügen,
Des Mitleids und der Heilung zarte Hände
Daß so durch sie des Freundes Leid verschwände,
Die Glut heimkehrte den verstörten Zügen,
Und sie an seiner Huld, die nun zerronnen,
Sich dürfte, als an ihrer Gabe, wonnen.
Und des erhabnen Ruhmes stolzer Beute,
Wann er mit süßem, züchtigen Umfangen,
Und mit glückseel’ger Hochzeit sie erfreute,
Gepriesen einst, hochausgezeichnet prangen
Dort in Italja’s wunderschönem Lande,
Des Muths und Glaubens wahrem Vaterlande.“
So wird sie, ach! von Hoffnungswahn betrogen,
Träumt Seligkeiten im bethörten Sinne!
Wie ohne Fahr sie aus der Stadt entrinne.
Schildwachen halten rings die Burg umzogen,
Schildwachen gehn rings auf der Mauerzinne;
Auch wagt kein Tor bey diesen Kriegsunruhen,
Es weilet oft Herminja bey Klorinden,
Um lang an ihrer Nähe sich zu weiden;
Dann wird bey Ihr das junge Roth sie finden,
Bey Ihr die Abendsonne beym Verscheiden.
Umfängt ein Lager auch die schönen Beyden;
Und kein Gedanke, der – bis auf die Liebe –
Geheim dem Mädchen vor dem Mädchen bliebe.
Nur hievon thut ihr nie Herminja Kündung;
Dann deutet anders sie des Herzens Zündung,
Und thut, als quäl’ ihr Ungemach sie immer.
So stund, bey so herzinniger Verbündung,
Herminjen offen stets Klorindens Zimmer,
Nie schlossen sich der Freundinn ihre Pforten.
Einst kömmt sie hin, und anderswo verweilet
Klorinde grad. Still steht sie, in Gedanken;
Sie sinnet, wie sie klug von hinnen eilet,
Da in verschiedne Pläne noch sie theilet
Den irren Geist in zweifelvollem Schwanken,
Erblickt sie an der Wand Klorindens schönen
Schlachtrock und Wehrschmuck, und beginnt zu stöhnen.
Ist doch die wunderkühne Maid erkieset!
Wie neid’ ich sie! nicht um der Schönheit Rosen,
Nicht um den Mädchenruhm, den sie genießet:
Nein, weil kein lang Gewand sie hemmt den grosen
Ihr Kleid ist Stahl. Wann sie zu gehn begehret,
Wird nie durch Furcht noch Scheu es ihr gewehrt.
Konnte mein Loos nicht gleiches mir erlauben,
So starken Leib, ein Herz so unerschrocken,
Umtauschen dürfte Frauenschley’r und Rocken?
Daß nie mein feurig Sehnen Sturmwindschnauben,
Platzregen schreckte, Gluth und Winterflocken?
Daß kühn ich ständ’, in Sonn’-, in Mondenscheine,
Dann durstest Du nicht, wilder Fürst Argante!
Mit meinem Herrn den ersten Kampf verwalten:
Ich war’s dann, die ihm erst entgegen rannte,
Und könnt’ ihn jetzt vielleicht gefangen halten;
Feindinn ein leicht und mildes Joch erhalten,
Und diese Fessel, welche mich umwinden,
Würd ich, durch seine, süß und linde finden.
Und wenn sein Arm dagegen meinem Blute
Durch Schwerdschlag durfte die vom Liebesmuthe
Geschlagne Wunde also doch gesunden.
Dann mogte, wenn der matte Leib nun ruhte,
Und wenn den Frieden meine Seel’ erfunden,
Der Asch’ und dem Gebein: ein Grab und Zähren!
Doch ach, ich wünsch’ Unmöglichkeit! vom Schwarme
Thörigter Träume nur lass’ ich mich jagen!
Doch bleib’ ich hier? soll’ ich in feigem Harme,
Nicht bleib’ ich, nicht! Muth stärkt mir Herz und Arme!
Sollt’ ich nicht auch einmal den Panzer tragen?
Nicht kurze Zeit gewachsen seyn den Waffen,
Sind gleich die Glieder schwach und zart geschaffen?
Mich stark, die hohe Kraft in Schwache bringen,
Die oft dem feigen Hirsche Muth anfachten,
Gewaffnet kühn zum Kampf hinan zu dringen.
Ich suche mit der Wehr ja keine Schlachten,
Klorinden spiel’ ich; sicher werd’ ich gehen,
Lass’ ich mich als ihr Ebenbildniß sehen.
So hoff’ ich, daß ich leicht durchs Tor entrinne;
Kein Torwart mag Klorinden widerstreben.
Mir, dünkt mich, öffnet sich nur dieser eben.
Zufall begünstigt und der Gott der Minne
Harmlosen Trug, den Er mir eingegeben.
Wohl günstig ist die Stunde für die Sache,
Beschlossen ist’s. Gespornet, hingerissen
Von Liebeswahnsinn, ohne Rast und Zagen
Nimmt sie Klorindens Waffenzeug, beflissen
In ihr Gemach, dicht neben, sie zu tragen.
Die gingen, als sie kam; leicht kann sie’s wagen.
Auch deckt die Nacht den Raub nun zu, der Diebe
Befreundete Gefährtinn und der Liebe.
Als nun die Dunkel sie am Himmel schaute
Rief sie den Knappen schnell mit leisem Laute,
Der stets sich ihr erwies als Vielgetreuer;
Und eine Zof’, ihr lieb und hold: vertraute
Ein Theil den Beyden von dem Awenteuer,
Und daß ein andrer Grund sie weiter ziehe.
Indeß nun rasch der treue Schildgeselle,
Was ihm zur Reise nöthig dünkt, bereitet:
Nimmt sie das Kleid ab, das in stolzer Welle
Und steht im Unterkleid so schön zur Stelle,
So schlank, daß es den Glauben überschreitet!
Wobey ihr Niemand weiter Hülf’ erweiset,
Als die Erwählte, welche mit ihr reiset.
Jungfräul’che Brust und Lockengold zumahle;
Die Mädchenhand greift nach dem schweren Schilde,
Fast überwältigt von dem wicht’gen Stahle;
Sie zwingt sich keck zu seyn, recht kriegrisch wilde,
Auf lacht der Liebesgott! so selbst zufrieden,
Wie, als er barg im Weiberrock Alziden.
O wie die übermächt’ge Last sie preßte,
Wie mühsam regt sie sich, wie langsam schreitend!
Die bey ihr gehn muß, stützend und geleitend.
Doch Lieb’ und Hoffnung helfen ihr auf’s beste,
Dem schwachen Leib stets neue Kraft bereitend:
Bis sie den Weg zum Knappen bin vollbringen,
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: 87.