Topographia Braunschweig Lüneburg: Gandersheim Stifft
Das Stifft Gandersheim ist vmbs Jahr Christi acht hundert zwey vnd fünffzig / indictione decima quinta, von Ludolpho, welcher ist gewesen deß Witikindi pronepos, dero Zeit Groshertzog zu Sachsen / durch Anrege seiner Gemahlin / die da geheissen Oda / an dem Ort / da heutiges Tages Closter Brunshausen liget / in die Ehre S. Stephani zu bawen angefangen. Wie aber selbiger Ort fast enge vnd vnbequem gefallen / so ist es Anno Christi 856. besser hinunter / an dem Ort zu bawen angestellet / da es noch heutiges Tages belegen / nemblich in [86] dem Bezirck der Fürstl. Braunschweig- Wolffenbüttelschen Statt vnd Ampts Gandersheim / vnd wird von dem Wasser Gande / welches dabey herfliesset / wie auch die Statt vnd Ampt / genennet Gandersheim.
Die Dom- oder Hauptkirche ist zwar anfänglich / wie berührt / in die Ehre Stephani protomartyris zu bawen angefangen / hernacher auff sonderbare Verordnung deß Pabsts / den beyden alten Päbsten / Anastasio vnd Innocentio dediciret / auch deroselben Reliquien von Rom nach Gandersheim transferiret / dem Stephano gleichwol die fürnehmste Capella dabey consecriret.
Der Fundator Hertzog Ludolphus, welcher auch das Dorff Ludolffen / nahe bey Brunshausen / gebawet hatte / an dem Ort / das noch heutiges Tages Ludolffsfeld heisset / ist gestorben / ehe das Stifft zu seiner perfection kommen / vmbs Jahr Christi 859. zu Brunshausen erstmals begraben. Sein hinterlassene Gemahl / Fraw Oda / hat das angefangene Werck vollführet / dazu ihre beyde Söhne / Hertzog Bruno / welcher auch die Statt Braunschweig (Anno 861.) zu bawen angefangen / vnd Hertzog Otto / welcher vmb seiner Ritterlichen Thaten willen genennet Magnus, mit fleiß geholffen. Es ist auch die Gottselige Oda etzliche Jahr zuvor / mit ihrem Herrn selber nach Rom gezogen / vnd hat allda vom Pabst Sergio die Confirmation ihres guten Vorhabens erlanget / auch hernacher ihre drey Töchtere / Hadmost / Gerberg / vnd Christinen / successivè in diesem newen Stifft zu Abbatissinnen verordnet / die auch löblich vnd wol regieret haben.
Anno 881. am Tage Aller Heiligen / ist die newe Dom- vnd Stifftskirche zu Gandersheimb / vom domahligen Hildesheimischen Bischoff Wigberto, bey Zeiten der dritten Abbatissin Christinen / welche / wie berührt / deß Fundatoris Tochter gewesen / solenniter geweihet / an welchem Tage Sie / die Abbatissin Christina / mit ihren Stiffts-Fräwlein / von Brunshausen zur newen Residentz in Gandersheimb gezogen / auch ihres Sel. Vatters deß Fundatoris, wie auch ihrer Schwester Hadmod / vnd Gerberg / beyder gewesenen Abbatissin S. S. Leichnam mit sich in das newe Stifft Gandersheimb gebracht / den Fundatorem in S. Stephani Capell / die Geschwestere Abbatissinne aber an gewöhnlichen Ort in Crypta, herrlich lassen begraben / vnd beysetzen.
Gleich wie nun / laut vnd inhalt der Fundation / Hertzog Ludolphus, am ersten von seinem Eigenthumb das newe Stifft / mit der Gandersheimbschen Marck / vnd vielen andern Gütern / herrlich dotiret / auch privilegium Ludovici Romanorum Regis darüber impetriret hat: Also sind demselben andere hochlöbl. Keysere / Könige / Fürsten vnd Grafen gefolget / die ein besondern Wolgefallen an diesem Stifft gehabt / auch solches dem H. Röm. Reich immatriculiren lassen / vnd ihre respectivè Töchtere / Schwestere / vnd nahe Anverwandte darin gethan: Auch ist in bemelter Fundation versehen / daß die jenige Fräwlein / welche sich zum Geschlecht deß Fundatoris ziehen / nach Befindung ihrer Qualitäten / für andern zu Abbatissinnen / als der höchsten Praelatur dieses Stiffts elegiret werden sollen.
Nach dem haben die Abbatissinne sich beflissen / allerhand schönen Kirchen Ornat vnd Raritäten in diese ihre newe Stifftskirchen zu bringen / Insonderheit Ludgardis / die vierte Abbatissin / Keyser Henrici Aucupis Schwester / hat zu Rom allerhand Heiligthumb erlanget / vnter andern / wie man es dafür hält / das Blut Christi / auch ein Rohr / welches bey deß HERRN Christi Creutzigung gebraucht / vnd dasselbe gewesen seyn soll / welches dem HErrn Christo / als Er von deß Pilati Kriegsknechten verspottet / vnd als ein König gegrüsset / in die Hand gegeben worden.
Demnach wie das Stifft also zur perfection kommen / vnd 24. Fräwlein Canonissinne darin gewesen / (welche vnter sich auch verschiedene officia gehabt / darob die eine Commendataria, die andere Praepositissa, wiederumb eine Decana, die andere Cantrix oder Scholastica genennet) sind [87] dieselbe neben dem singen vnd beten / das sie haben verrichtet / in Gottesfurcht vnd löblichen Tugenden / auch im studieren / insonderheit der Lateinischen Sprache / derogestalt informiret vnd geübet worden / daß dieses Stifft Gandersheim nicht allein für ein lobwürdig Bet- vnd Gotteshauß / sondern auch gleichsam als eine hohe Schule / für Keyserl. Königl. Fräwlein / vnd andere Herren Kinder / geachtet vnd gehalten worden.
Was auch dieselbe darin proficiret / solches bezeuget vnter andern die Rosuita / eine Hertzogin zu Sachsen / welche zwar nicht Abbatissin / wie etzliche fürgeben / sondern Scholastica allhier gewesen / eine fürtreffliche Poetin / zur Zeit der Abbatissin Gerbrigae Secundae, (Hertzog Heinrichs zu Sachsen vnd Beyern Tochter) die von Erbawung dieses Stiffts Gandersheimb carmine heroico, einen herlichen tractatum, auch andere opera poëtica geschrieben / welche noch in offentlichen Truck heutiges Tags hin vnd wieder zu finden.
Insonderheit haben Sie müssen die heilige Schrifft oder Bibel / ehe dann die Truckerey auffkommen / mit leibeigener Hand / auff Pergamen oder starck Pappier schreiben / wie noch ohnlängst in Münichhausischer Bibliothec zu Oldendorff / vnter Schaumburg / eine in schwartz Sammet gebundene / zum theil mit güldenen Buchstaben auff Pergamen geschriebene Bibel / von weyland Fräwlein Sophia / Stifft Gandersheimischer Canonissin / Keyser Otten deß Andern Tochter / welche hernacher auch Abbatissin zu Gandersheim worden / sub numero 37. gezeiget.
Es sind auch noch Vrkunde vnd manuscript hin vnd wieder verhanden / darob zu sehen / daß dieses Stifft-Fräwlein / vnd fürnehmer Herren Kindere / zu jenen Zeiten nicht müssig gewesen / sondern allda gleichsam / als in einer hohen Schuel / löblich vnd wol erzogen worden.
Zur Zeit bemelter Abbatissin Gerbrigae secundae, vmb das Jahr Christi 973. ist das Stifft Gandersheim / so viel das Holtzwerck belanget / zum ersten mahl abgebrant / aber von dieser löblichen Abbatissin / welche von dem Pabst selbst ordiniret gewesen / gar herrlich zu restauriren angefangen / vnterdessen bey währender Restauration / hat Sie im Closter Beatae Mariae Virginis, im Newen Dorff Gandersheim / von ihrer nechsten Vorfrawen Abbatissin Windelgart / Anno 940. fundiret / (nunmehr bey die Universität Helmstatt gelegt) ihren Gottesdienst verrichtet / auch dahin etzliche Jungfrawen verordnet / die GOtt den HErrn Tag vnd Nachts mit beten / lesen vnd singen celebriren sollen.
Bey hundert Jahren nach dem ersten Brande / zur Abbatissin Adelheid der Andern / ist dieses Stifft zum andern mahl abgebrant / welches hernacher die Gottselige Abbatissin Fredecunda, vmbs Jahr Christi 1100. wiederumb herrlich anrichten vnd zieren lassen.
Zu der Zeit haben sich etzliche Wunderwerck bey diesem Stifft ereuget / es sind auch Lahme / Blinde / Taube / vnd andere Schwache / wie die Historien melden / miraculose gesund worden.
Bald darauff Anno 1113. ist gefolget Abbatissin Adelheit / die dritte dieses Nahmens / welche vmbs Jahr Christi 1124. das Closter Clauß fundiret / vnd mit dem Gehöltze dabey / auch andern Gütern / Zehent vnd Meyerhöfen stattlich dotiret vnd begabet hat.
Danechst bey Zeiten Adelheit der vierten dieses Nahmens / so in der Ordnung die siebenzehende Abbatissin gewesen / ist das Stifft Gandersheim vmbs Jahr 1160. zum dritten mahl abgebrant / vnd von deroselben Abbatissin Adelheit repariret / hernacher in praesens fünff Bischoffen / wiederumb consecriret vnd geweihet worden. Die Capellen dabey sind von guthertzigen Leuten / in vnd ausser der Statt / gestifftet / vnd confirmationes, auch indulgentiam zu Rom darob erlanget.
Als auch die Bischoffe zu Hildesheim in wiederauffbawung dieses Stiffts / Zustewer gethan / zu weilen auch im Nahmen deß Pabsts / ein vnd andere Abbatissinne zu Gandersheim ordiniret vnd confirmiret haben / wiewol etzliche Abbatissinne von denen Bischoffen zu Hildesheim / vmb [88] allerhand Consequentz zu vermeiden / sich nicht haben confirmiren lassen wollen / also daß bißweilen sonderbare Päbstliche Legaten verordnet / bißweilen Mentz / Paderborn / vnd andere Bischoffe die Confirmation vnd Einführung verrichtet / so haben doch ermeldte Bischoffe zu Hildesheimb / contra Gandersheim quaestionem status moviret / vnd dieses Stifft vnter ihre Jurisdiction ziehen wollen / welchem die Abbatissinne vnd Stifftfräwlein zu Gandersheim sich widersetzet / also / daß die Sache zum Proceß gediehen / vnd an den Päbstlichen Stuel zu Rom erwachsen / vorab weil Stifft Gandersheim fürgewendet / vnd mit vhralten privilegiis stattlich erwiesen hat / daß es immediatè ad sedem Romanam gehörig / keinem Bischoff zu Hildesheim vnterwürffig / insonderheit Abbatissa Mechtildis, welche ist gewesen eine Gräfin von Woldenberg / in ordine die Zwantzigste / hat diesen Streit tempore Pontificis Innocentii Tertii hefftig urgiret / auch Commissionem ad Episcopum Palaestinum Qvidonem erlanget / vnd zu wegen bracht / daß derselbige Bischoff Quido in Teutschland kommen / (1.) die Abbatissin Mechiteldam primam nomine Rom. Pontificis selbst confirmiret / (2.) die Stifft Gandersheimsche privilegia, sonderlich von denen alten Päbsten Agapeto et Joanne ertheilet / renoviret / Auch (3.) das Stifft Gandersheim frey erkant / vnd von dero Stifft Hildesheimischen Impetition absolviret hat / wie diese Historia in corpore juris Canonici libro secundo Decretalium Epistolarum Gregorii tit. 30. cap. 4. per tot. zu befinden.
Nach dem bemeldtes Stifft Gandersheim an Gütern abzunehmen beginnet / sind denen Fräwlein Canonissinnen etzliche Canonici, die mit zum Capitulo gehören / zugeordnet / auch die statuta auff Fräwlein vnd Herren zugleich gerichtet / vom Pabst Martino Quinto, 1417. confirmiret.
Die Canonici haben keinen besondern Decanum, sondern Ehr Senior ist primarius, vnd wird in Statuten genant Bursarius, welcher / wann Streitigkeiten vnter ihnen fürfallen / potestatem concordandi hat.
Vnd ob wol nicht ohne / bey diesem vhralten löblichen Stifft noch heutiges Tages fürnehme / hohe vnd niedrigen Standes Lehenleute verhanden / die ihre Lehen zu begebenden Fällen / in gebührender weise suchen vnd empfahen. So ist doch / wegen allerhand Vmbstände / vnd Mangel der Intraden / der Numerus tam Canonissarum, quam Canonicorum, heutiges Tages so weit restringiret / daß nechst der Abbatissin / nur vier Stifftsfräwlein / Herren Kindere / cum inclusione Decanae admittiret werden / denen zwar acht Canonici zugeordnet / daß allemahl vier in residentia seyn sollen.
Vber das auch bey dem Predigstuel / zu Erhaltung eines General Superintendenten / ein Canonicat / uti beneficium curatum, sampt zween Vicarien / S. Michaëlis vnd Bartholomei gewidmet / auch dem Capellan / item Schuel-Collegen / vnd Organisten / etzlicher Vicariat Intraden / an statt ihrer Besoldunge zugeordnet / im übrigen dieses vhralte löbl. Stifft / so viel müglich / in seiner Consistentz erhalten wird.
Biß dato / als viel man Nachrichtung findet / sind 42. Abbatissin gewesen. In diesem 1653. Jahr ist Abbatissinne Fraw Maria Sabina / Gräfin zu Solms / Fraw zu Müntzenberg / Wildenfels vnd Sonnenwald.
Decanissa Fräwlein Dorothea Hedwig / Hertzogin zu Schleßwig / Holstein / Stormarn / vnd der Ditmarssen.
Erste Canonissin Fräwlein Johan Elisabeth / Gräfin zu Solms / Fräwlein zu Müntzenberg / Wildenfels vnd Sonnenwald.
Andere Canonissin Fräwlein Amelia Margretha / Wild- vnd Rheingräfin / Gräfin zu Salm / Fräwlein zu Vinstingen vnd Putlingen.
Dritte Canonissin Fräwlein Anna Amelia / Gräfin zu Leiningen vnd Dachsburg / Fräwlein zu Aspermont.
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