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Tombola auf dem Markusplatz in Venedig

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Textdaten
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Titel: Tombola auf dem Markusplatz in Venedig
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 153, 164
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[153]

Die Tombola auf dem Markusplatze in Venedig.
Nach einer Originalzeichnung von E. Rosenstand.

[164] Tombola auf dem Markusplatz in Venedig. (Zu dem Bilde S. 153.) Dem Italiener ist das öffentliche Lottospiel etwas, das zu seinem Leben unbedingt gehört, ein nationales Vergnügen, an welchem er so fest hängt, daß er in die höchste Aufregung gerät, falls im Parteienstreit nur ein Wort davon auftaucht, dies vom Staate unterhaltene Glücksspiel aufzuheben. Ein Rütteln an dem Bestande der Lotterie würde in Italien sicher zur Revolution führen. In der Lotterie spielen hier alle Kreise der Bevölkerung vom Herzog bis zum Bettler. Jedes Dörfchen, jedes Städtchen hat seine Banca di Lotto, in welche das Volk seine oft vom Munde abgesparten Centesimi trägt, um die Woche hindurch bis zum Samstag, dem Ziehungstage, die Hoffnung zu haben, vielleicht mit einem Gewinne herauszukommen. Ohne Zweifel hat dieser Hang zum Glücksspiel seine sehr bedenklichen Seiten, und die wirtschaftlichen Verhältnisse Italiens wären ohne dasselbe gewiß bessere; es ist aber dem Italiener, besonders dem Mann und der Frau aus dem Volke, so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, daß kein Fest in Italien gefeiert werden kann ohne Tombola, ohne Geldlotterie. Die Tombola, ein Lottospiel, das in seinem Verlauf dem bei uns allbekannten Kinderlotto sehr ähnelt, giebt einem Volksfest in den Augen der Italiener erst seine rechte Würze, und das Abhalten einer Tombola auf öffentlichem Platz wird selber wieder zum Volksfest. Ein guter Zweck findet sich auch hier leicht für dergleichen.

Unser Bild versetzt uns auf den Markusplatz von Venedig während des Abhaltens einer Tombola. Eine herrlichere Dekoration für diese volkstümliche Veranstaltung läßt sich nicht denken als der mächtige Platz vor der in Gold- und Farbenschmelz prangenden Markuskirche, den die prächtigen Fronten der Procurazien und der Nuova Fabbrica umrahmen, und auf dessen riesigen glatten Trachytquadern es sich schöner lustwandelt als auf irgend einem Parkett. Von alters her thut er dem venetianischen Volk denn auch die Dienste eines Festsaals; hier ist sein „Corso“, hier das Stelldichein der Fremden vor allem des Abends, wenn eine verschwenderische Fülle von Gasflammen ihr Licht über ihn breitet und der klare Sternenhimmel sich wölbt über das festlich gestimmte Bild des – oft bei Musik – auf- und niederwogenden Getümmels. Die Kaffeerestaurants in den Arkaden, die ihre Stühle und Tische bis hinaus auf den Platz stellen dürfen, bieten den Ermüdenden Rast und Erquickung. Längst vor Beginn einer „Tombola“, die stets abends stattfindet, hat sich das Publikum mit Losen versehen, welche an eigens dafür errichteten Verkaufsständen zu haben sind. Ein einfaches Los, das selten mehr als 50 Centesimi (40 Pfennig), oft weniger kostet, enthält zehn Ziffern in zwei Reihen; es wird von großen Bogen abgeschnitten, die man auch im ganzen und in größeren Teilstücken erwerben kann. Auch der Pavillon, in dem die Ziehung stattfindet, ist aufgestellt worden, beim Herannahen des Abends ist derselbe bald dicht umdrängt. Doch ein über den Platz zu ihm hinführender Gang muß für den Verkehr mit den Gewinnern frei bleiben. Trompetenfanfaren verkünden den Anfang der Ziehung. Oberhalb des hell erleuchteten Pavillons ist eine Vorrichtung angebracht, welche die gezogene Zahl weithin sichtbar aufzeigt. Wohl verkündet sie auch ein Ausrufer, aber die Stimme trägt nicht über die tausendköpfige Menge, die sich durch die herrschende Spannung nicht hindern läßt, sich zu amüsieren. Und damit auch alle Anwesenden auf der Piazza die Zahl sofort erfahren, ist dem Pavillon gegenüber, nach der Markuskirche zu, ein viereckiges, etwa 10 Meter hohes Holzgerüst aufgestellt, auf dessen vier Wänden die gezogene Zahl, sobald sie über dem Pavillon erscheint, ebenfalls in großen Lettern sichtbar wird. Die Zahl geht aber auch von Mund zu Munde und wenn – wie in unserem Fall es die 57 bewirkt – ihr Erscheinen die Meldung eines Gewinns herbeiführt, entsteht eine allgemeine Bewegung. Der Gewinner meldet sich unter dem Beifall seiner Umgebung, er besteigt einen Stuhl und begleitet sein lautes Rufen mit heftigen Armbewegungen; fällt die Gunst Fortunens, wie auf unserm Bild, einer Dame zu, so kann sie sicher auf ritterliche Unterstützung zählen. Ein bengalisches Flammensignal zeigt dem Publikum weithin das Ereignis an. Mit Zurufen aller Art begleitet man den Gang des Glücklichen zur Kasse; aber stellt sich dann heraus, daß er sich geirrt und das Spiel unnötig aufgehalten hat, muß er unter Zischen und Pfeifen seinen schleunigen Rückzug antreten.

Es wird eine Quaterne, eine Quinterne und die „Tombola“ ausgespielt, d. h. wer zuerst von den fünf Zahlen einer Reihe vier hat streichen können, bei wem zuerst sämtliche Zahlen einer Reihe heraus sind, und schließlich derjenige, auf dessen Los alle Nummern beider Reihen gezogen sind, erhält einen der drei Preise; 300, 400 und 1000 Lire sind für dieselben ein vielfach üblicher Satz. Das Ausspielen derselben nimmt oft mehrere Stunden in Anspruch. Je weiter die Zeit vorrückt, je mehr sich die Spannung auf den Hauptgewinn hinausdehnt, um so lebhafter, erregter wird die Stimmung. Ueberall lärmt es fröhlich durcheinander. Durch die erwartungsvolle Menge schieben sich Händler und bieten ihre Waren feil, Kellner winden sich mit ihren Brettern voll Kaffeeschalen, Bierkelchen und Eisgläsern durch die Tischreihen, Blumenmädchen und kleine Buben drängen sich an die Fremden auf der Jagd nach dem „Soldo“, an den Tischen selbst amüsieren sich schöne Damen und modisch gekleidete Herren – das ist ein Bild so echt italienischen Lebens, daß niemand es vergißt, der es jemals gesehen hat!