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Tigerjagd in Ostindien

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Textdaten
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Autor: India Gazette
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Titel: Tigerjagd in Ostindien
Untertitel:
aus: Das Ausland, Nr. 152 S. 608
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
Auflage:
Entstehungsdatum: 1828
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[608]

Tigerjagd in Ostindien.

Eine Abtheilung Seapoy’s, die in den Waldungen von Dehra Brennholz fällte, verlor einen der ihrigen, der durch einen Tiger ergriffen und in das Gebüsch geschleppt wurde. Da sie voraussahen, daß man den Tiger am nächsten Morgen, wenn er träge und überfüllt wäre von dem Schlachtopfer, das er während der Nacht verzehrt, leicht auffinden würde; so kehrten die übrigen sogleich in ihre Standquartiere zurück, um Nachricht von dem Unfall zu geben, der sie betroffen hatte, und sich zum Feldzuge gegen den Räuber vorzubereiten. Am folgenden Morgen rückten 150 Mann von dem Bataillon, begleitet von drei europäischen Officieren aus, um den Tod ihres Cameraden zu rächen, und nachdem sie sich in kleinen Detaschements rings um die steile waldige Schlucht, in welcher der Tiger hauste, vertheilt hatten, drangen sie allmälig von allen Seiten gegen das Centrum vor, und jagten bald den Feind auf, dessen Geheul und Gebrüll auf einem so ungleichen Boden, wo es des hohen und dichten Gebüsches wegen nicht möglich war, das Thier nur auf drei Schritte von sich entfernt zu sehen, den solcher Jagden Ungewohnten eben kein besonderes Vergnügen machen konnte. Nach einer Jagd von mehreren Stunden, in welcher mancher Schuß gefallen war, kam man auf die Vermuthung, daß man mit mehr als einem Feind zu thun habe; da das beständige Wiedererscheinen des Thiers in den entgegengesetztesten Richtungen im Verlauf von wenigen Minuten, unmöglich das von einem und demselben seyn konnte. Um drei Uhr Nachmittags gelang es, dasselbe bis beinahe an das Ende der Schlucht zu treiben, die hier frei von Holz war, und daher den Jägern den vollen Anblick des schönen Thiers gewährte. Mehrere Schüsse hatten es bereits getroffen, und es nahm jetzt zur Selbstvertheidigung alle seine Kräfte zusammen. Durch seine Wunden gereizt fiel es eine Partie nach der andern an, und obgleich aufs neue an mehr als einer Stelle verwundet, fuhr es in seinen Angriffen mit unermüdlicher Wuth fort. Schon war es im Begriff einen der Europäer, Namens Shore, zu ergreifen, als ein Seapoy zwischen ihn und den Tiger sprang. Dieser packte ihn sogleich beim Arm und zerfleischte ihn schrecklich; ein allgemeiner Kampf erfolge, rechts und links wurden alle Flinten abgefeuert; endlich war das Ungeheuer zu Boden geworfen und der Seapoy, dem es kurz zuvor gelungen war, sich los zu reißen, gerettet. Da er in eine wattirte Jacke gekleidet war, so hatte er weniger gelitten, als man hätte glauben sollen, und einige Tage darauf war er völlig hergestellt. – Da der Tiger jetzt scheinbar todt war, so drängte sich die ganze Jagdgesellschaft dicht um ihn herum, als er zu ihrem Erstaunen sich wieder aufraffte und mit der äußersten Wuth sie anfiel. Diese letzte Anstrengung würde, wenn auch nur momentan, noch großes Unheil angerichtet haben, da alles unvorbereitet, und nicht eine einzige Flinte mehr geladen war; wenn nicht die tapfern Seapoys, auf ihre Tulwars (Seitengewehre) vertrauend, sich in Masse auf ihn geworfen und ihn in Stücken gehauen hätten. Das ungeheure Thier, das die unerhörte Länge von 9 Fuß 7 Zoll hatte, wurde am folgenden Morgen von dem Bataillonsarzt secirt, der in seinem Magen noch einige Knochen von den Füßen und einen Theil der Eingeweide des Unglücklichen fand, den er getödtet hatte; außerdem etwas wie von einem Kuheuter, den Huf eines Hirsches und eine silberne Spange, welche an einer darauf befindlichen Devise von Gona Dieran, dem Jemandar der 3ten Compagnie, für das Eigenthum, eines schönen jungen Mädchens Namens Suedri erkannt wurde, die vor einiger Zeit auf unerklärliche Weise verschwunden war, wie man glaubte mit ihrem Geliebten.

Den nächsten Morgen umzingelte das ganze Corps dieselbe Schlucht; und sie waren nicht fünf Minuten in das Gebüsch gedrungen, als das Lärmgeschrei erhoben wurde, man sehe zwei Tiger sich der Linie nähern: der eine davon, wie er sich eben zusammenschmiegte, um einen Sprung auf einen Engländer in der Gesellschaft zu thun, als einige Schüsse ihn trafen und auf der Stelle todt niederstreckten. Der zweite wurde, indem er versuchte sich durch das dicke Gebüsch zu schleichen, durch mehrere Schüsse, aber nur leicht, verwundet. Hierdurch gereizt wandte er sich plötzlich gegen seine Verfolger und fiel auf die äußerste Reihe ihrer rechten Flanke, als ein alter Havildar, einer der besten Scharfschützen des ganzen Corps, vortrat und ihn gerade durch das Herz schoß. Kurz darauf wurde ein großer Aufruhr auf der linken und an dem obern Ende der Schlucht gehört, wo ein dritter männlicher Tiger gesehen wurde, der sich einen Sergeantmajor zum Gegenstande seines Angriffs auserwählt hatte, einen Mann von unansehnlicher kleiner Gestalt, der aber, obgleich im Augenblicke ganz allein, den Muth nicht verlor, sondern sich – wie er sagte – bereit hielt, „die Cavallerie zu empfangen“ und sein Feuer aufsparte, bis das Thier, im Begriff auf ihn los zu springen, und nur noch drei Schritt von ihm entfernt, seinen Schuß in die Brust erhielt, der ihn unter einen niedern Baumzweig warf, aus dem er sich nicht loswickeln konnte; worauf er sogleich von den Tulwars und Kukries der Seapoys, die indeß herbeigeeilt waren, in Stücken zerhauen wurde.
India Gazette, March 1.