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Thrin Wulfen

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Textdaten
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Autor: Ernst Moritz Arndt
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Titel: Thrin Wulfen
Untertitel:
aus: Mährchen und Jugenderinnerungen. Zweiter Theil. S. 340–347
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1843
Verlag: G. Reimer
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Erscheinungsort: Berlin
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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Thrin Wulfen


Nicht weit von Schoritz, zwischen Schoritz und Pudmin, an dem Wege, wo man von Garz nach dem Zudar fährt, lag einst ein kleines Dorf, das hieß Güntz, worin ein paar Bauern wohnten, die nach Schoritz zu Hofe dienten. Die sind aber ganz zerstört mit Häusern und mit Gärten, so daß man dort keine Spur mehr sieht, daß jemals Menschen dort gewohnt haben. In diesem Dorfe Güntz wohnte ein Bauer, der hieß Jochen Wulf, der hatte eine Frau, und die hieß Thrin; das war eine arge Hexe, von deren losen Künsten und bösen Streichen die Leute noch heute zu erzählen wissen. Daß sie aber eine Hexe war, konnte man ihr anmerken an ihrer außerordentlichen Freundlichkeit und Leidigkeit, woraus List und Schelmerei oft hervorlächelten, und an den schönen und leckeren Sachen, die sie immer bei sich trug und womit sie die Hunde und kleinen Kinder an sich lockte. Davor hat den Leuten auch gegraut, daß ihr, wohin sie immer gekommen, die Katzen von selbst auf den Schooß gesprungen sind, was diese Thiere, die eben keine Menschenfreunde sind, sonst nimmer mit Fremden thun. Denn durch die Kinder und durch Leckereien, die sie den Kindern geben, und durch Sälbchen [341] und Kräuterchen, womit sie bei Kinderkrankheiten immer gleich zur Hand sind, drängen sich die alten Hexen in alle Häuser, und Hunde und Katzen dürfen sie nicht zu Feinden haben, weil ihre Arbeit meistens des Nachts ist, wo die andern Christenmenschen schlafen. Doch merkten die Leute ihr und ihrem Manne ihr heimliches und verbotenes Handwerk dadurch an, daß sie sehr reich wurden und daß der Bauer Wulf dreimal so viel Korn und Weitzen verkaufen konnte, als seine Nachbarn, und daß seine Pferde und Kühe, wenn er sie im Frühling ins Gras trieb, so glatt und fett waren, wie die Aale und als ob sie aus dem Teige gewälzt wären. Auch sagten alle Leute, sie habe einen Drachen, und den haben sie des Nachts oft auf ihr Dach herabschießen sehen, wo er ihr Raub und Schätze von andern zutrug. Das ist auch gewiß, und viele Leute haben es erzählt, die bei nächtlicher Weile bei Güntz vorbeigegangen sind, daß es dann auf dem Wege oft geknarrt und geseufzt hat, wie die Räder an schwerbeladenen Wägen knarren und seufzen. Da haben die Leute sich umgesehen oder sind aus dem Wege gesprungen, damit sie nicht übergefahren würden, sie haben aber weder Pferde noch Wagen gesehen und es ist ihnen ein entsetzliches Grauen angekommen. Das ist aber auch der alte heimliche Drache gewesen, der den Nachbarn die Garben gestohlen und sie in des Wulfs Scheunen hat einfahren lassen. Daß die Thrine Wulfen eine arge Wetterhexe war, hat man am meisten auf der Weide und Brache an dem jungen Vieh sehen können. Wenn sie einmal unter eine Heerde kam, gleich streckte ein Kalb alle Viere von sich und hatte den [342] Frosch, oder ein paar Dutzend junge Gänschen machten nicht zum Vergnügen den Drehhals, oder einige Lämmer und Jährlinge wurden Kopfhänger und Kopfschüttler, oder eine Schaar Säue tanzte den Dreher. Sie gebärdete sich bei solchem Anblick, als thue es ihr sehr leid, (die alten Hexen aber können es nicht lassen junges freudiges Vieh zu behexen, und wenn es ihr eigenes wäre) und sie sagte den Hirten oder Nachbarn, sie habe und wisse manche heilsame Mittel gegen solche Übel; sie sollen nur zu ihr kommen und sich eine Salbe holen und die kranken Thierchen damit bestreichen, gleich werde es dann besser mit ihnen werden. Das haben einige gethan, und wirklich hat es strax geholfen, aber den meisten hat gegraut, über ihre Schwelle zu treten, und da hat das liebe Vieh denn dran gemußt. Alle aber haben sich zugeflüstert, Thrin Wulfen habe sie behext und ihnen den Schabernack angethan. So zum Beispiel hatte sie eine Frau, welche sich mit ihr erzürnt und sie eine alte Wetterhexe gescholten hatte, in ihrem eignen Hause festgezaubert, daß sie nicht über die Schwelle zu gehen wagte und alle Thüren und Fenster dicht versperrt hielt. Denn sie glaubte, sie sey in eine Erbse verwandelt, und jeder Vogel, der vorüberflog, war ihr so fürchterlich, daß sie bei seinem Anblick schrie, als fliege ihr Tod heran, ja daß sie bei dem Ton eines Gefieders aus der Luft schon in Ohnmacht fiel und mit Händen und Füßen zappelte; für die Enten, Hühner und Tauben aber in ihrem Hofe war der jüngste Tag gekommen, und sie hatten ihnen allen sogleich bei’m Beginn ihrer Krankheit die Hälse umdrehen lassen. Auch hatte die alte Böse– [343] wichtin es dem Mann dieser Frau angethan, daß er wie ein kindischer und besoffener Narr tanzen mußte, sobald er einen Ziegenbock springen sah. Und dies ist allen Leuten lächerlich und ärgerlich anzusehen gewesen, und das Ärgste dabei ist noch gewesen, daß die Einfältigen vor dem Mann eine Art Grauen bekommen haben, als sey er auch von der Ziegenbocksgesellschaft und von den Blocksbergfahrern; die Klugen aber haben wohl gewußt, von wem diese Bockssprünge herrührten, doch keiner hat es ihr beweisen können. Und man kann wohl denken, wie die alte Bosheit in sich gelacht hat, daß der unschuldige Mann für ihren Gesellen gehalten worden ist. Ihr Vieh war immer das fetteste und muthigste in der ganzen Dorfheerde, und man konnte an vielen Zeichen sehen, daß der Teufel sein Spiel damit hatte; denn fast nie ist ein Stück davon krank worden, und sie hat ihnen solche Kraft und Stärke angezaubert, daß von ihren kleinsten Kälbern die größten Ochsen sich stoßen ließen, und daß ihre Ferkel die wüthendsten Eber aus dem Felde schlugen.

Auch haben die Leute sie in mancherlei Verwandlungen umherlaufen und herumfliegen gesehen, aber niemand hat sich unterstanden sie anzupacken oder ihr etwas zu thun; auch haben sie die allerwunderlichsten bunten Hunde und Katzen und sogar Füchse und Wiesel bei Tage und bei Nacht um ihren Hof laufen gesehen, aber keiner hat sie angetastet: sie wußten wohl, aus wessen Stall dieses gefährliche Vieh war. Von Älstern und Krähen aber hüpften immer ganze Schaaren auf ihrem Hofe und ihren Dächern, und von ihrem einzigen Hausgiebel uhuheten des [344] Nachts mehr Eulen, denn von allen Häusern und Dächern in Swantow und Pudmin zusammen.

So ist sie in der Nachbarschaft viel herumgestrichen und herumgeflogen auf Schelmstücke und Diebsschliche, und es ist ihr lange genug glücklich gegangen. Der Pastor zum Zudar, der Herr Manthey hieß, hat die meiste Noth mit ihr gehabt, und auch wohl deswegen, weil er dem Bösen selbst den Krückstock reichte, womit er ihn überholen konnte, da er mehr ins Buch der vier Könige guckte als in Bibel und Evangelienbuch. Einmal ist Thrin Wulfen zu seiner Frau gekommen und hat ihr ein Stieg Eier gebracht, und sie und die Frau Pastorin haben einander viel erzählt und sind sehr herzig und heimlich mit einander geworden, so daß die Frau Pastorin endlich die Thrin, als sie Ade gesagt, umhalst hat. Da ist ihr aber geschehen, daß sie vor Schrecken ohnmächtig geworden und wie todt hingefallen ist. Denn was hat sie gesehen? Vor ihren sehenden Augen und unter ihren greifenden Händen ist die Thrin plötzlich eine rothe Füchsin geworden und hat ihr mit den Vordertatzen die Wangen gestreichelt und mit der Schnauze das Gesicht geleckt und dabei recht fürchterlich greinig und freundlich ausgesehen. Das hat die Pastorin später vielen Leuten erzählt, wie es aber weiter geworden, hat sie nicht gewußt; denn als sie wieder zur Besinnung gekommen, war die Thrin weg und auch keine Spur von ihr und der rothen Füchsin mehr da als der Geruch der füchsischen Küsse in ihrem Gesichte und ein paar leichte rothe Streifen, womit sie sie bei der umhalsenden Liebkosung gekratzt hatte. Zuerst hat die Frau Manthey die [345] Geschichte aus Furcht verschwiegen und erst nach Verlauf von Jahren erzählt. Auch Pastor Manthey ist inne geworden, daß er gegen die losen und leichten Künste der Thrin sich nicht mit der gehörigen geistlichen Rüstung gewaffnet hatte, und daß sie an ihn durfte; er hat bemerkt, daß ihm ein Dieb an seine Schinken und Würste kam, und das ist auch die Thrin gewesen. Denn wie manche Nacht ist sie als Katze in Wiemen und Keller und Speisekammern geschlichen, und hat sich eine Wurst eine Spickgans oder ein Stück Schinken nach Hause getragen! Endlich war es ruchbar geworden, daß man oft eine unbekannte graue Katze durchs Dorf laufen gesehen, und daß auch andern Leuten auf eine ähnliche unbegreifliche Weise Manches abhanden gekommen war. Da lauerte der Pastor des Abends und in der Frühe oft genug auf mit einem geladnen Gewehr, aber nimmer hat er den schleichenden Dieb erwischen können. Endlich aber ist ihm die Katze mal in dem Garten in den Wurf gekommen, als er Sperlinge schießen wollte, und er hat ihr unverzagt aufs Leder gebrannt, und sie mit humpelndem Fuß über den Zaun springen und jämmerlich miauen gehört. Der Schäfer aber, der hinter dem Garten eben mit den Schaafen vorbeitrieb, als der Mantheysche Schuß fiel, hat erzählt, es sey neben ihm ein altes Weib über den Weg hingehinkt, die habe jämmerlich gewinselt und geheult, und sie habe ihm geklagt, des Krügers großer Hund habe ihr den Fuß blutig gebissen. So sey sie über die Zudarsche und Schoritzer Haide fortgehumpelt, und man habe ihr Gewinsel noch lange aus der Ferne hören können. Und das war wirk– [346] lich die Thrin aus Güntz gewesen, der Pastor hatte ihr das linke Bein durchschossen.

Dieser geistliche Schuß gab einen großen Glückswandel. Thrin lag wohl ein Vierteljahr elend im Bette, dann sah man sie wieder, aber sie humpelte mit einem lahmen Beine, und erzählte den Leuten, sie sey bei’m Äpfelschütteln vom Baum gefallen und habe sich dabei das Bein verrenkt. Nun ging es ihr aber schlimm. Weil sie nicht mehr so flink auf den Füßen war als sonst, so konnte sie, wann die Begier zu hexen mit plötzlicher Lüsternheit in ihr aufstieg, nicht mehr geschwind zu Andern oder zu Fremden kommen, sondern mußte ihr Eigenes behexen. Da ward denn fast täglich irgend etwas verdreht gelähmt oder umgebracht. Bei Tauben Hühnern und Gänsen fing es an, und mit dem großen Vieh hörte es auf. Und wie viel der alte Jochen Wulf sie auch prügelte, das half alles nichts: die Hexenlust ist ein unauslöschlicher und unbezwinglicher Trieb. Als also alles Federvieh verdorben oder erwürgt war, da ist die Kunst über die Ferkel und Lämmer hergefahren, darauf an die Kälber und Schaafe, endlich an die Kühe und Pferde. Der Bauer hat nun immer wieder neues Vieh kaufen müssen, und in solcher Weise ist in ein paar Jahren der Reichthum vergangen und das ungerechte Teufelsgut zerronnen. Ja ihr eignes einziges Kind hat sie zum Krüppel hexen müssen; und der alte Wulf ist aus Angst, daß ihm zuletzt Ähnliches widerfahren möge, in die weite Welt gegangen, und ist auf immer ein verschollener Name geblieben. Einige erzählten aber, die Thrin habe ihn verwandelt, und habe wegen [347] seiner Sünde die Macht dazu gehabt, weil der alte Schelm um ihre Hexerei gewußt und die Früchte davon gehehlt und mitgenossen habe; und so müsse er nun als ein gräulicher Wehrwolf rundlaufen und die alten Weiber und Kinder erschrecken. Die Thrin aber sey nach der Flucht des Wulf als eine arme Bettlerin aus der Wehr geworfen und habe zuletzt in Pudmin gewohnt, sey aber zu Zeiten immer noch hin und wieder als eine lahme Katze oder Füchsin umgegangen oder habe als eine lahme Älster auf Bäumen und Dächern herumgehüpft; endlich aber sey sie vor das Gewehr eines Freischützen gerathen, wodurch die Katzengestalt für immer festgemacht worden. So haben viele Leute sie öfter als eine wilde graue Katze an dem Güntzer Teiche sitzen gesehen, auch als kein Haus mehr da stand; auch haben andere es dort um die Mitternacht häufig miauen und prusten und pfuchsen gehört, daß ihnen vor Grauen die Haare zu Berge gestanden.