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Thomasnacht im Böhmerwalde

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: A. T.
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Titel: Thomasnacht im Böhmerwalde
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 27, S. 868
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1898
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[868] Thomasnacht im Böhmerwalde. (Mit Abbildung.) Mit der zwölften oder spätestens mit der ersten Stunde schließt das Volk gewöhnlich die Feier der „heiligen Nächte“, welche sich durch das ganze Jahr zerstreut finden. Nur der Thomastag, der kürzeste Tag des ganzen Jahres, macht hiervon eine Ausnahme. Im Böhmerwald ist oft schon die vierte Morgenstunde angebrochen, ehe man sich zur Ruhe legt. Später als sonst wird Abendbrot gegessen, und kurz vor zehn Uhr finden sich alle in der großen Familienstube zusammen. Mutter und Tochter lassen das Spinnrad schnurren. Der Vater schnitzt und lehrt den Sohn das gleiche. Auf dem Herde hängt der Kessel, worin das Wasser siedet, von dem noch in spater Stunde ein Festkaffee gebraut werden soll. Der große Tisch ist dicht an die Ofenbank geschoben, die sich rings an den Wänden fortsetzt, und die kleine Lampe erhellt das berußte Zimmer nur halb. Unverwandt die Augen auf den Becher gerichtet, an dem er arbeitet, erzählt der Vater, wie sein Großvater den heiligen Thomas auf einem feurigen Wagen vom Osser nach dem großen Arber habe fahren sehen, und wie das Feuer doch noch niemals einen Waldbrand verursacht habe. Sein verstorbener Vater habe heute im Grabe eine unruhige Nacht: denn er habe auch Thomas geheißen, und alle Toten dieses Namens müssen diese Nacht auf dem Friedhofe die Ankunft ihres Schutzheiligen erwarten. Sie helfen ihm dann aus dem Wagen und begleiten ihn zu dem Kreuze, das plötzlich wie von Feuer zu strahlen anfange. Dort kniee der Heilige nieder, bete, gebe allen seinen Segen und verschwinde unter dem Kreuze. Erst jetzt dürfen die Thomasbrüder wieder ihre Gräber aufsuchen, um ein Jahr darin zu schlummern, bis die gleiche Stunde sie wieder zu dem gleichen Dienste rufe. – So lehrt der alte Aberglaube der Böhmerwaldbauern. Um Mitternacht erwarten sie den Wagen. Jetzt hebt die Glocke zum Schlage aus und die erregte Einbildungskraft vermeint, wirklich den Wagen rasseln zu hören: lauter, weit lauter als im Vorjahre donnert er durch die Luft hin. Da ist große Gefahr. Alles kniet nieder, spricht das Thomasgebet, und der Hausvater ruft andächtig aus: „Heiliger Thomas, beschütze uns vor allen Uebeln!“ Unter Zittern und Zagen betet alles ein Vaterunser. Der Mutter stehen die hellen Thränen in den Augen. Unterdessen ist’s spät geworden. Der heiße Kaffee und die Wecken stärken und ermuntern wieder die gedrückten Gemüter. Jetzt ist’s zwei Uhr. Da endlich tönt das Horn des Nachtwächters, und gleich darauf erklingt sein Lied:

„Meine lieben Männer und Frauen, laßt euch sagen,
Die heilige Glocke hat grad zwei Uhr geschlagen,
Nehmts ench in acht vor Feuer und Licht,
Daß euch durch deu heiligen Thomas nichts geschicht!“

Altem Brauche gemäß trägt der Nachtwächter jedes Jahr in dieser Nacht einen langen weißen Bart, eine schwarze Kutte und auf dem Haupte eine mächtige Bischofsmütze. Der Hausvater geht an die Thür, um dem Nachtwächter dem Herkommen gemäß einige Kreuzer zu geben, und nun erst geht’s zu Bett, nachdem noch einmal das Haus durchsucht ist und die beiden Kühe im Stalle mit Dreikönigswasser und geweihtem Salz besprengt sind. Denn auch sie sind in Gefahr vor den Schrecken der Thomasnacht. A. T.     

Thomasnacht im Böhmerwalde.
Nach einer Originalzeichnung von A. Liebscher.