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Theodor Lobe, Mittheilung von Holtei

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Textdaten
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Autor: K. Holtei
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Titel: Theodor Lobe, Mittheilung von Holtei
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 33, S. 541–542
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[541] Theodor Lobe, Mittheilung von Holtei. Wenn man Ludwig Devrient, im Beginn ruhmreichster Laufbahn, im Besitz all seiner noch unverletzten, unentweihten Naturgaben, in vollster Frische seines Genies zu sehen das Glück genossen, da wird man ihn auch nicht vergessen als Shylock; da wird man ihn sich unwillkürlich zurückrufen, sobald irgendwo ein namhafter Repräsentant des räthselhaft-geheimnisvollen Juden den Schauplatz betritt. So mußte ich auch Ludwig Devrient’s gedenken, da ich im verwichenen Frühling Theodor Lobe vom Wiener Stadttheater auf der Breslauer Bühne, die seinen Namen trägt, als Shylock gastiren sah. Räthselhaft war mir, ich will’s nicht verhehlen, immer das Gebahren und Verfahren im vielfach auszulegenden Charakter des Shylock geblieben. Ich habe mir zuweilen mit der kühnen Erklärung zu helfen gesucht, im venetianischen Wucherer stecke der Gegensatz des weisen Nathan: Nathan der Weise will sich durch Edelmuth für ihm widerfahrene christliche Unbilden rächen; Shylock will es durch boshaften, tückischen Haß! – Aber mein Paradoxon hielt nicht vor. Ich lernte nicht enträthseln, wodurch des Geldmachers Neid auf einen blutigen Irrweg gelenkt wird, zu welchem im Gange seines Geschäftslebens gar keine Spur führt. Lobe hat mich’s begreifen gelehrt; er hat mir’s ad oculos demonstrirt. Die Scene im ersten Act zwischen Antonio, Bassanio und ihm gewährte eine psychologische Lösung dessen, was ich durch den oben „räthselhaft“ genannten Juden bezeichnen wollte. Den Vorgang, wie er im Herzen des von Durst nach Rache gequälten Shylock beginnt, wie man daraus den Durst nach Blut allmählich entstehen, wachsen, den Wucherer überwuchern sieht; diese künstlerische Steigerung dem Darsteller nachzuzeichnen, dem Leser anschaulich zu machen, dazu genügt meine schwache Feder nicht. Etwas dieser Art muß man selbst mit ansehen. Ich hab’ es gesehen. Ich habe dabei auch gehört; und ich habe hörend, wie sehend, bewundert. Der alte Streit: ob der Jude jüdeln (worin Ludwig Devrient, glaub’ ich, zu weit ging), oder ob er (nach Tieck’s oft vertretener Ansicht) den wilden Christenhasser, von jeglichem Jargon gesäubert, zum poetisch-gerechtfertigten Heros durch reinstes Hochdeutsch erheben soll, dieser unfruchtbare Streit wird beigelegt aus Lobe’s Munde. Wie er voll ruhiger Besonnenheit Manches rhythmisch abwägend vorträgt, so [542] könnte schier Nathan der Weise betonen, ohne Frevel an Lessing; wie er von neidischem Grimm, von blinder Wuth sich an anderen Stellen fortreißen läßt, so ziemt es dem Schacherer des Rialto, dem Genossen eines Tubals und Consorten. Da ist nicht eine Viertelnote zu hoch oder zu niedrig; da ist nur sichere Lebenswahrheit, beobachtende Menschenkenntniß, der Natur treulichst abgewonnen, von der ersten bis zur letzten Silbe. Hamlet’s berühmtes „Leicht von der Zunge weg“ ist wie für seine Sprechweise erfunden.

Das zeigte sich am deutlichsten im „Faust“, in welchem Drama ich Lobe als Mephisto sah. Ja, so prägnant im Ausdruck, so schlagfertig in der kurzen Replik, so glockenrein in unermüdlicher Volubilität müßte Junker Voland, der „Schalk unter Geistern die verneinen“ seine Mittheilungen machen, wenn er uns einer Conversation würdig hielte. Ja, auch für diesen Baron aus der Hexenküche hatte Herr Lobe wieder einen ganz aparten, zuversichtlich-entschiedenen Klang der Stimme (was in der Musik timbre heißt), der mit schneidender Schärfe sich freche Unfehlbarkeit anmaßte und von vornherein jeder Gegeneinwendung den Faden abschnitt. Die infernalische Schlauheit seiner Aussprüche verbat sich eo ipso alle Widerrede; sie drang schmerzhaft in’s Gefühl bei denjenigen Doctrinen, deren Weltklugheit sich leider nicht immer wegleugnen läßt, mag es flugs der Satan sein, der sie ausstößt. Jedes Wort ein Stich, jeder Lehrsatz eine Wunde in’s Gemüth des Hörers. Vollendet war auch die pantomimisch-illustrirende Begleitung des tief durchdachten, makellosen rednerischen Vortrags. Ich bin ehrlich genug, einzugestehen, daß ich, was fließende Recitation, was Articuliren, Accentuiren betrifft, sollst ebenso unausstehlich krittlich werden mag, wie etwa der emeritirte Stallmeister, der jugendliche Bereiter in der Manége mustert. An Lobe’s Mephistopheles hab’ ich kein Tädelchen ausgespürt. Vermißt jedoch hab’ ich (um bei der lautersten Wahrheit zu bleiben!) eine Eigenschaft, deren Entbehrung vielleicht außer mir keinem andern Anwesenden aufgefallen ist, die wahrscheinlich auch ich nicht empfunden haben würde, wäre nicht im Gedächtniß mir jener Abend aufgewacht, wo zu Goethe’s achtzigjähriger Jubelfeier die erste Faust Aufführung in Weimar stattfand, und wo La Roche seinem Teufel eine Dosis ironisch-aristokratischen Höllenhumors beimischte, von welcher ich etliche Körnchen an zwei oder drei Stellen gern in Lobe’s Mephistopheles eingestreut hätte. Das ist aber auch die einzige Rüge, die ich anzubringen wüßte. Sie mag um so unbedeutender sein, weil sie bei mir doch wahrscheinlich nur aus der stets getreuen Verehrung für den Zeugen Weimarischer Herrlichkeit, für den Jubilar des Wiener Burgtheaters, für La Roche entstand – und weil sie übrigens dem Teufel des Lobe-Theaters keinen Eintrag im Ganzen that.

Fragt nun der Leser, was mich veranlaßt, auf meine alten Tage in dieses Blatt, das sonst Theaterkritiken gar nicht bringt, mich einzuschleichen mit einem Aufsatze, dessen schwatzhafte Breite der verwünschten „Reclame“ so ähnlich sieht, wie ein Ei dem andern? Dann lautet meine Antwort einfach folgendermaßen:

Jene dem Greise nachsichtig zugestandene Erlaubniß, mitunter in kindische Geschwätzigkeit verfallen zu dürfen, würde ich schändlich mißbrauchen, wollte und könnte ich davon besondere Wirkung erwarten. Achtet noch Jemand auf Aeußerungen des Einzelnen im Geräusch unzähliger Stimmen, die voller tönen? Ich begnüge mich schon, wenn es mir gelingt, hier und da Kennern und Freunden recitirenden Dramas ein aufmerkendes „Sieh doch, der Alte hat ja völlig Feuer gefangen!“ zu entlocken. Vor Denen aber, welche mich vorlaut schelten, will ich mich rechtfertigen – und zwar durch ein Gleichniß.

Friedrich Schlögl, der geist- und herzbegabte Verfasser des vielgelesenen Buches „Wiener Blut“ (nomen est omen!), erzählte mir kürzlich von einem Spaziergange mit Ferdinand Raimund, bei welchem dieser seinem Begleiter – neben welchem er den ganzen Tag hindurch stumm in Gedanken versunken hergegangen war – auf dem Gipfel eines Berges plötzlich laut zugerufen habe: „Nein, aber die Schönheit!“ – Darf Unsereiner, nachdem er dem Theatertreiben fast entfremdet und vielfachen finsteren Ahnungen vom Versinken dramatischer Kunst hingegeben war, beim unerwartet glänzenden Aufsteigen eines ihn neubelebenden Gestirns am düsteren Wolkenhimmel nicht ebenso hinausrufen, was ihn mit freudiger Hoffnung erfüllt? Ist es nicht zugleich Pflicht der Dankbarkeit? Keineswegs um Lobe zu loben, der meiner nicht bedarf; nein, meinetwegen, der Wahrheit zu Ehren habe ich versucht anzudeuten, was ich bei seinen Darstellungen empfand.

Wir klagten so häufig: „Es werden keine großen Schauspieler mehr geboren!“ Nun, hier ist einer unterwegs. Soll man ihm nicht glückliche Reise wünschen?
K. von Holtei.