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Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band/Der Thränenkrug

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Die fleissige Spinnerin Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band
von Ludwig Bechstein
Der gefährliche Werber
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[177]
309.
Der Thränenkrug.

Zu Bodelwitz, ohnweit Pößneck, hatte eine Mutter das Unglück, daß ihr einziges Kind starb. Sie beweinte es ohne Aufhören und ihr Jammer war herzzerschneidend. Kein Ende fand sie ihrer Thränen und als sie nun drei Nächte lang unaufhörlich geweint hatte und wieder auf dem Gottesacker an des Kindes Grabe kniete, da war es gerade Perchthenzeit, und es zog die Perchtha vorüber mit ihrem Kinderseelenheer und da war auch jenes Kindlein dabei, das trug ein Krüglein in seinen Händchen, das war voll Thränenfluth bis an den Rand, konnte deshalb den andern nicht folgen, und nicht über eine Umfriedung gelangen, darüber die anderen schnell hinwegkamen. Da wollte es die Mutter hinüberheben, und das Kindlein sagte: Ach Mutter, siehe, das sind Deine Thränen, die Du um mich geweint hast, und so noch viele in den Krug fallen, so kann ich nimmer zur Ruhe gelangen. Und die Mutter hob sanft das Kind und da sagte es:

[178]

„Ach wie warm
Ist Mutterarm!“

Die Mutter aber konnte nicht anders, sie weinte noch einmal ihr volles Herz aus, daß der Thränenkrug schier überzufließen drohte, dann aber weinte sie keine einzige Thräne mehr.

Ganz dieselbe Sage begegnet auch in Wilhelmsdorf bei Ranis.