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Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band/Der Jägerstein

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Teufelsbad und Teufelskreise Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band
von Ludwig Bechstein
Die Kirche zu Schmiedefeld
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[32]
170.
Der Jägerstein.

Eine Strecke unter den Teufelskreisen auf dem Schneekopf, an denen es niemals geheuer ist, und wo es die Reisenden schon oft geneckt, irre und in bodenlose Sümpfe geführt hat, steht ein Denkstein mit einer alten jetzt kaum noch lesbaren Inschrift zum Gedächtniß einer Unglücksthat, welche die Sage des Volks zu einer zauberischen Verblendung umgewandelt hat. Ihr zufolge lebte zu Gräfenrode, am jenseitigen Fuße des Schneekopfs, nach Arnstadt zu, ein Förster, der hatte einen Jägerburschen, mit welchem er in Unfrieden lebte, und den er daher auf mancherlei Weise tückte und ärgerte. So gab er ihm, der noch dazu sein Vetter war, den Auftrag, einen Feisthirsch zu schießen, der seinen Stand im Schneekopfreviere hatte, und dort herum wechselte und sich sehen ließ, das war ein prächtiger Hirsch von sechzehn Enden oder noch darüber. Aber der Jägerbursche, der Caspar hieß, vermochte nie den Hirsch zu schießen, obschon er denselben oft ganz nahe sah und schußgerecht vor sich hatte; entweder versagte sein Gewehr oder der Schuß ging fehl, und der Hirsch ging gemachsam seiner Wege, sah sich auch wohl noch einmal nach dem Jäger um, und machte ihm mit dem stattlichen Geweih eine Reverenz. Kam nun der Caspar Abends nach Hause, und hatte den Hirsch nicht geschossen, so regnete es Spott- und Stichel- und Stachelreden – was für ein geschickter und jagdgerechter Schütze er sei, und die Hirsche würden ihm demnächst eine Dankadresse dafür überreichen, daß er sie so menschen- und hirschefreundlich zugleich behandle, und sie schone, und ob vielleicht seine [33] Büchse nicht mehr töde? da solle er doch einen Feuermolch oder Unk hinein laden, und dergleichen – und das alles wurmte den Caspar sehr, ging daher zu einem alten Jäger, der bewährt war in Jägerkünsten, guten und schlimmen, und klagte diesem Miß- und Ungeschick. Der alte Jäger schüttelte den Kopf und sagte: Dir soll bald geholfen werden. Gehe morgen in aller Frühe nach Gehlberg in die Glashütte; nimm Deine Kugelform mit, und forme Dir eine Kugel aus reiner Glasmasse. Auf alle Fälle hat Dir ein Feind einen Weidmann gesetzt, aber das Glas widersteht allem Zauber und allem Bösen, deswegen können sich auch der Teufel und die Hexen nicht im Spiegel sehen. Mit dieser Kugel, die Du stillschweigend in Deine Büchse laden mußt, schieße Du nur in Gottes Namen auf den Hirsch. Caspar befolgte diesen einleuchtenden Rath, ging Abends abermals wegen dem Hirsch auf den Anstand, und brauchte gar nicht erst zu warten, so kam der kapitale Bursche und äsete sich, und schaute sich um. Ein Blitz – ein Ruf: in Gottes Namen! und da brach der Hirsch zusammen, und freudig eilte Caspar zu ihm hin, ihm den Genickfang zu geben, falls er nicht völlig gut dahin getroffen haben sollte, wohin er gehalten, nämlich nach dem Kopfe. Aber o Schreck – da lag kein Kapitalhirsch – da lag mausetod der Prinzipal und Vetter, der sich durch böse Weidmannspraktiken selbst in den Hirsch verwandelt hatte. So hatte er seinen Lohn dahin. In das Kirchenbuch zu Gräfenrode wurde aber der Unglücksfall folgendermaßen eingetragen: „A. 1690, den 16. Septbr. ist der Fürstl. Sachs. Forst-Knecht, Herr Joh. Valentin Grahow, Abends nach 4 Uhr von seinem Vetter Caspar, der ein Jäger-Bursch war, im Walde am Schneekopf, [34] Kopf, in Verblendung einer Hirschgestalt, an den Schlaf durch den Kopf geschossen worden, da Knall und Fall eins gewesen.“