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Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band/Der Falkenstein

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Die Jungfrau des Heidentempels Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band
von Ludwig Bechstein
Wasser in Bergen
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[3]
152.
Der Falkenstein.

Im Dietharzer Grunde, dem man aber eine gute Strecke in seiner Thalenge folgen muß, erhebt sich ein Felskoloß, der Falkenstein, auf dem eine Ritterburg gestanden haben soll, welche jedoch der Geschichte verklungen ist, und geht es mit ihr, wie mit der Krachenburg bei Dietharz; in der Nähe stand auch das Haus Waldenfels, dessen Trümmerstätte so beschränkt ist, daß nur ein Thurm darauf gestanden haben kann, doch lebt dasselbe noch im Volksmund als der „Ale Filsch" (Alte Fels). Gleichwohl soll auf der Burg Falkenstein, deren Name sich auf dem Harz in einem stattlichen, noch erhaltenen und auch sagenreichen Burgbau wieder findet, ein Raubritter gehaust haben, der die Reisenden fing und diejenigen, welche nicht vermochten, sich loszukaufen, oder [4] sich loskaufen zu lassen, den steilen Felsen herabstürzte, daß ihr Blut an Zacken und Klippen ablief. Aus diesem Blute sind die vielen Blutnelken entsproßt, die zwischen den Klippen und Klunsen des Falkensteins wachsen und blühen. Eine Abwandlung dieser Sage läßt jedoch diese Blumen dem Blute eines Ritters entsprießen, welcher auf dem Falkenstein ermordet wurde.

Einst verstieg sich eine Frau am Falkenstein, an dessen Rückseite, wo derselbe zugänglich ist – denn vorn erhebt er sich schroff und senkrecht – ziemlich hoch, um das Waldgras abzusicheln, als auch Heilkräuter zu sammeln. Sie hatte ein ganz kleines Kind bei sich, und mit hinauf genommen, und setzte es, da es ihr bei ihrer Arbeit hinderlich war und noch nicht laufen konnte, an eine sichere Stelle, gebot ihm, allda ruhig zu bleiben und mit Blumen und Steinchen zu spielen, worauf sie ihrer Arbeit nachging und oblag. Das Kind spielte auch eine Zeitlang, aber bald genug wurde es ihm langweilig, immer an einer Stelle zu sitzen; es rutschte fort und weiter und weiter vor bis zum jähen Felsenabhang und noch weiter vor, und mit einemmale hörte die Mutter ihr Kind einen durchdringenden Schrei ausstoßen. Entsetzt schaute sie auf, starrte nach der Stelle, wo sie das Kind hingesetzt hatte – fort war es, doch Spur genug im Grase war vorhanden, wohin es sich bewegt – und vom steilen, thurmtiefen Felsenabhang war es hinabgestürzt. Die Frau knickte in die Knie vor Schreck, dann kroch sie zitternd und bebend hinab, und umlief den Fels im weiten Umweg, die arme kleine zerschmetterte Leiche heim zu tragen. Und wie sie an die Stelle kam, wo diese liegen mußte, da saß ihr Kindlein frisch und munter und [5] spielte mit drei rothen Nelken und stammelte freudig: Mutter! Mit Engel defloge! Mit Engel despielt — Engel Blumme gebe.