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Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Wichtlein im mittlern Werrathale

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Das wilde Heer im Werrathale Thüringer Sagenbuch. Erster Band
von Ludwig Bechstein
Das Mädchen von Schwarza
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44.
Wichtlein im mittlern Werrathale.

Fast in allen Gegenden, wo im Volke die Sage vom wilden Heereszuge lebt, sei es, daß der Wode als dessen Führer erscheine, oder Frau Holde, treten Wichtlein auf. So war es auch in der Umgegend von Meiningen der Fall, sowohl in unmittelbarer Stadtnähe, als entfernter, aber der meiningensche Chronist Sebastian Güth verrückte den Standpunkt der alten Sage, verjüngte sie, und schuf aus den Wichtleinshöhlen, die aus der Urzeit her dem Volke bekannt waren, Zufluchtsörter der Bevölkerung in den Hunnenzeiten. Die nüchterne Geschichtschreibung nahm der altheidnischen Mythe ihren Schimmer. Güth in seiner „gründlichen Beschreibung der Stadt Meiningen“ schildert das Wüthen der Hunnen im Jahre 923, und sagt wörtlich: „Für solcher Angst und Furcht, und damit die Leute für des Hunnen Wüthen und Toben etlichermaßen [70] sicher sein möchten, haben sie Löcher in die Berge und Felsen gemacht, und sich darinnen verborgen, dergleichen nicht allein zu Meiningen am Drachbergund an der Trifft, sondern auch in der Nachbarschaft an dem Dolmar und zu Dillstedt zu finden sein, welche letztere zumal gar bequem erbauet, daß auch ein frischer Quellbrunn in einem ausgehauenen Stein darinnen zu sehen. Solche Löcher hat man vor Zeiten Zwärg-Löcher und Wichteleinswohnungen genannt, weil die hiesigen Leut, so sich derselben bedienet, gegen die Hünnen als kleine Zwärg oder Wichtelein (so haben die Alten die Kinder zu nennen gepflogen) geschienen.“ So bestätigt Güth selbst das Vorhandengewesensein der alten Zwerg-Sage, indem er sie beseitigt. Seine Angabe ist zudem eine ganz irrige. Wol mag die schwache Bevölkerung vor den Hunnen in schwerzugängliche Waldungen geflohen sein, um sich darin verborgen zu halten, die bekannten, und noch immer so genannten Wichtleinshöhlen aber boten keinen Raum dazu dar; ich bin als Knabe unzähligemale in diese kleinen Felsklüfte gekrochen, die so raumbeschränkt, so eng und so niedrig sind, daß kaum ein Knabe, nicht aber ein Erwachsener darin stehen kann, auch sind derselben nur sehr wenige. Jedenfalls war in früheren Zeiten die Wichtleinsage in unserer Gegend mehr vorherrschend, und es ist sehr möglich, daß sie dem heutigen Dorfe Wichtshausen den Namen verlieh, das bereits im Jahre 922 als Wightigeshuson urkundlich vorkommt. Es liegt zwischen Meiningen und dem von Güth erwähnten Dorfe Dillstedt, an der Hasel, und ganz in seiner Nähe, zur Linken dicht am Wege nach Dillstedt zieht sich eine zerklüftete Felswand mehrere hundert Schritte lang hin, an der man, zunächst [71] bei Wichtshausen, eine in das Innere führende Oeffnung gewahrt. Diese Wand heißt der „Wichtelstein,“ oft auch nur einfach der „Stein,“ und das Wichtleinsloch soll tief und weit unter der Erde wegführen. Ein Mann sei einst hineingekrochen, habe den Eingang nicht wieder finden können, und habe sich, nachdem er lange sich mühsam fortgetappt, in einem Keller zu Schwarza gefunden, das eine Stunde weit von Wichtshausen entlegen ist. Nach andern soll eine Gans diesen Marsch durch den Wichtelstein gemacht haben. Diese Gegend ist überhaupt sehr sagenreich, doch gehört sie weiter hinauf zum Gebiete des Thüringer Waldes, bei dessen Durchwanderung sie nochmals berührt wird. Nur einer scherzhaften Wichtshäuser Sage sei noch gedacht: Ein Graf von Henneberg hatte einen Hofzwerg und Narren, der hieß Buch-Klaas, und war aus Wichtshausen. Der ritt einmal mit seinem Herrn im Walde und Gehölze herum, deren Bestand zu besehen, und der Graf sagte zu ihm: Sieh einmal Klaas, was für schöne Bäume ich da herum stehen habe! Darauf lachte der Zwergwichtel hellauf, was er nur lachen konnte, und rief: Du hast hier Bäume stehen, denkst Du? Denkst, die schönen Bäume wären Dein? Dein sind nur die Krummen – die Geraden gehören den Förstern. – In Wichtshausen steht noch Buch-Klaasens Stammhaus.