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Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Sagen vom alten Schlosse Liebenstein

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Hexen-Steinbach Thüringer Sagenbuch. Erster Band
von Ludwig Bechstein
Die Teufelsmahten
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[259]
135.
Sagen vom alten Schlosse Liebenstein.

Das alte, längst als Ruine die romantische Gegend des Badeortes Liebenstein zierende Bergschloß, welches sich auf ziemlich hohem, vom „Hain“ umgrünten Berggipfel über ersteren erhebt, ist von mancher Sage geschmückt. Den Namen aber, wie lieblich er klinge, und wie viel auch schon in seiner Nähe und in seinem Schattenhaine geliebt worden sein mag, trägt es nicht von der Liebe, sondern von der Loibe, Wald, wenn nicht vom Vornamen Lewin, der früh in der Familie derer von Stein begegnet. Schon bei der Erbauung dieses Schlosses wurde [260] nach der alten heidnischen Opfersitte ein Kind, das von seiner Mutter verkauft wurde, lebendig in die Mauer eingeschlossen; das rief, ohne sein Verderben zu ahnen, Anfangs: „Mutter! ich sehe Dich noch!“ dann schrie es kläglich: „Mutter! ich sehe Dich nicht mehr!“ Und bald darauf erfaßte Reue die unnatürliche Mutter, und sie stürzte sich von dem Felsen; nun umwandelt sie als unseliger Geist das alte Gemäuer, und lauscht dem Gewimmer ihres Kindes, und will es mit den Nägeln aus der Mauer graben. Manche sagen, man höre das Kind nur alle sieben Jahre wimmern, und die Maurer, die es eingemauert, seien in Eulen verwandelt worden, die noch erbärmlicher schrien als das Kind, und die so lange um die Trümmer fliegen müßten, als noch ein Stein derselben auf dem andern stehe. – Außer dieser Spukfrau wandelte sonst auch noch eine andere weiße Frau in den Trümmern umher, die ist aber erlöst worden durch ein Mädchen aus Schweina, welchem die gespenstige Wandlerin erschienen war, und ihr die Bedingungen gesagt hatte, an deren Erfüllung sich jener Erlösung knüpfte. Die Jungfrau mußte in den Kirchen zu Liebenstein, Barchfeld und Witzelrode opfern, und zwischen Ostern und Pfingsten für die Armen Brot backen, dann am goldenen Sonntage hinauf zur Burg gehen, was sie auch alles that, nur wurde sie durch Besuch etwas verspätet, und mußte eilen, doch nahm sie die besuchende Freundin mit. Oben an den hohlen Fenstersimsen stand schon ihrer harrend die schleierweiße Dame, und winkte sehr hastig und ängstlich, sich zu sputen. Die Mädchen eilen rasch empor, und hören, als sie in das Burgpförtchen eintreten, eine himmlische Musik; mitten in dem engen Raume des Mauerumfanges aber steht eine Truhe voll [261] Kleinodien und Münzen offen da, die weiße Frau erscheint mit einem ganz verklärtem Gesichte, deutet nach dem offen da stehenden Schatze, und giebt zu verstehen, etwas auf denselben zu werfen; die Jungfrau, welcher derselbe bescheert war, war aber so befangen und furchtsam – und da begann drunten in Liebenstein die Uhr zwölfe zu schlagen, und mit dem ersten Schlage rief die weiße Frau mit einem zärtlichen und dankbaren Blick: Heil Dir! Heil mir! Ich bin erlöst! – Indem verschwand sie, verschwand auch der Schatz und verstummte die Musik. So hatte für ihr Erlösungswerk die Jungfrau für den Augenblick keinen Lohn, aber es ist ihr hernach immer wohl ergangen, sie hat Segen gehabt, und ist eine glückliche Braut und Frau geworden.

Manche wollen sogar Nachts zwei weiße Jungfrauen, mit Schlüsselbunden am Gürtel, vom alten Schlosse herab nach dem kleinen Teiche an der Straße, die von Schweina nach Liebenstein führt, erblickt haben, in welchem Teiche die Jungfrauen sich dann gebadet. In früher Zeit, als das neue Schloß im Dorfe Liebenstein selbst noch von einer Adelsfamilie bewohnt war, zeigte sich in demselben eine schleierweiße Ahnfrau jedesmal, wenn in dieser Familie ein Todesfall eintreten sollte. – In der Grotte am Erdfall, in welche Felsengänge tief in den Berg hinein führen, giebt es Wasserjungfern, die tief unter der Erde ihre krystallenen Wohnungen haben, und durch meilenweite Gänge mit verrufenen Berghöhlen und Nixenflüssen in Verbindung stehen.

Zu einer Zeit hörten ein Paar Liebensteiner Männer, daß ein Schatz droben in der Ruine stehe, den ein Geist bewache. Da legten sie Geld zusammen, und holten drüben [262] von Dermbach vor der Rhön einen Jesuiter, der sollte den Geist zitiren und bannen, ihn auch fragen, womit der Schatz versetzt sei. Dieß geschah und der beschworene Geist sagte, der Schatz könne mittelst eines ganz schwarzen Hahnes, an dem aber bei Leibe kein einziges weißes Federchen sein dürfe, gehoben werden. Nun war ein Mann dabei, den nannten seine Freunde Rakkelkappe, einer von den sehr klugen, wie es deren giebt, der sagte, solchen Hahn wolle er bald beischaffen. Schaffte auch einen kohlschwarzen Hahn bei, der nur ein einziges kleines weißes Federchen im Schwanze hatte, und dieses raufte ihm der sehr kluge Rakkelkappe heraus, so hatte der Hahn kein weißes Federchen mehr. War ein rechter Schlaukopf, der Rakkelkappe.

Um die Mitternachtstunde trafen nun die Schatzgräber abermals droben im alten Schlosse Liebenstein ein, gruben ein Loch, hielten darüber den Hahn, und stachen ihn mit einem Messer in die Brust, und ließen das Blut in das Loch träufeln. Da that es einen Krach, als breche der ganze alte Liebenstein zusammen, und eine Geisterstimme schriee: Jetzt will ich dem den Hals umdrehen, der dem Hahn die weiße Feder ausgerauft hat! – Und alsbald kam ein Gespenst mit Hörnern, das stieß die Schatzgräber alle über den Haufen, den Rakkelkappe aber zuerst, und verfolgte sie bis eine ganze Strecke den Berg hinunter. Alle kamen mehr tod als lebendig heim. Der sehr kluge Rakkelkappe starb vom gehabten Schreck nach drei Tagen. Von diesen Männern ging nie wieder einer hinauf in das alte Schloß.