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Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Fische auf Bäumen

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Die weiße Frau auf Tennberg Thüringer Sagenbuch. Erster Band
von Ludwig Bechstein
Die Gründung vom Kloster Reinhardsbrunn
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143.
Fische auf Bäumen.

Dicht unterm Schlosse Tenneberg ist die freundliche Waldstadt Waltershausen erbaut, deren Namen man theils einfach und doch simpel vom Walde, theils gesucht von Balderich, dem Sohne des Königes Bisinfried von Thüringen ableitete. Heinrich der Finkler erhob den Ort zur Stadt, und umzog ihn mit Mauern. Er gewann vier Vorstädte, blieb aber doch klein. Die Stadt führt in ihrem Siegel einen schwimmenden Karpfen zwischen drei Bäumen, und soll es mit dieses Wappens Entstehung eine besondere Bewandtniß haben. Vor dem Waldthore am Strömelberge sprang eine schöne Quelle, welcher der sonst ziemlich wasserarmen Stadt das Trinkwasser zuführte. Da geschah es eines Tages, daß in Folge einer Erderschütterung die Quelle so heftig ausbrach, daß sie als ein wilder Bergstrom sich in das Thal ergoß, der durch das Waldthor [277] in die Stadt herein braußte, sie und die ganze Gegend furchtbar überschwemmte, und bis in die oberen Stockwerke der Häuser drang. Da war guter Rath sehr theuer, zudem das Wasser, obschon die heftige Strömung bald nachließ, fort und fort allzustark hervorquoll. Man fand allerlei Fische, Aale, Karpfen, Hechte und Forellen auf Bäumen, und das wurde Anlaß, zum Angedenken an diese Fluth das Stadtwappen so zu bestimmen, wie es nach der Hand an vielen Urkunden ersichtlich ist. Der Stadtrath berief aber auch zugleich einen nekromantischen Mönch aus Reinhardtsbrunn, daß er die Quelle besprechend stopfte, und dieser erheischte als Sühne für den zürnenden Wassergeist den berühmten Sammetärmel, mit dem sich in kleinen thüringischen Städtlein, wie man auch von Plaue bei Arnstadt, Blankenburg, Wasungen u. A. meldet, ehedem der Bürgermeister Sonntags aus dem Fenster legte, um die Leute glauben zu machen, er besitze einen völligen Talar von Sammet. Sothanen Aermel stopfte der Reinhardsbrunner Mönch unter gemurmelten Zaubersprüchen in die Quelle, und alsbald hörte sie auf zu fließen, und zwar so, daß auch kein Tropfen mehr ausfloß. Da war guter Rath abermals theuer, denn es gab nun kein Trinkwasser mehr zu Waltershausen, und das gute Bier, das man daselbst schon seit hundert Jahren braut, verstand man noch nicht zu brauen, ist auch schwer, Bier zu brauen ohne Wasser. Da wurde die Stadtgemeinde Waltershausen mit der Dorfgemeinde Wahlwinkel einig um einen Bach, den die erstere der letzteren um ein Stück Tannenwald abtauschte, und mit großen Kosten in die Stadt leiten ließ. Jene Quellstätte heißt heute noch „Der Sammetärmel“.