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TRAN Nummer 16

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Kurt Schwitters
Illustrator:
Titel: TRAN Nummer 16
Untertitel: Das Leben auf blindem Fusse
aus: Der Sturm, 11. Jahrgang, Heft 11-12 (Dezember 1920), S. 152–153
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1920
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Quelle: Blue Mountain Project
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[152] TRAN Nummer 16

Das Leben auf blindem Fusse

Herr P. W., ich nehme an, er heisst Paul Westheim, schreibt in einem Artikel: „Kunst in Berlin“ in der Frankfurter Zeitung vom 25. November 1920: „Ob es nach ebensoviel Jahren nicht auch peinlich sein wird, an Bauer, Wauer, Nell Walden, Schwitters, Nebel erinnert zu werden?“

Sehr geehrter und wenig geschätzter Herr Westheim! Sie sind ein typisches Beispiel für den Kritiker. Der Kritiker hat keine Urteilsfähigkeit. Sie auch nicht. Der Kritiker urteilt infolgedessen stets verkehrt; Sie auch. [153] Der Kritiker weiss es, dass er verkehrt urteilt, und richtet sich deshalb, um sich nicht dauernd zu blamieren, nach dem Urteil Anderer; Sie auch. Es ist Ihnen nicht wesentlich, ob jemand Künstler ist, sondern ob er nach Jahren sich gegen Euch Kritiker durchsetzt, oder nicht.

Wir Künstler urteilen sicherer. Ich weiss es z. B. schon seit meiner ersten Begegnung mit Ihnen, dass es jetzt schon peinlich ist, an Ihre Unfähigkeit erinnert zu werden. In einigen Jahren aber? Schreihen Sie oder schreiben Sie nicht, zetern Sie oder blamieren Sie sich durch falsches Lob, Ihnen kann es nicht mehr helfen. Die Kunst, die Sie nicht kennen, die Kunst hat Sie gerichtet. Draussen auf der Strasse ruft jemand: „Torf, Torf!“ Auch dieser Mann kann die Entwicklung in der Kunst nicht mehr aufhalten; und wenn er noch so laut schreit. Auch sonst sind manche Aehnlichkeiten zwischen Ihnen und dem Torfmann. Ich hoffe, es wird Ihnen nach ebensoviel Jahren nicht peinlich sein, an mich erinnert zu werden. Der Torfmann bleibt sich immer gleich mit seinem Geschrei, Sie auch, in Ihren Kritiken. Der Torfmann handelt mit einer Ware, die ihn nicht wärmt, Sie schreiben über „moderne“ Kunst. (Mensch sein heisst leiden.) Damit Sie mich nun recht verstehen: Ihre Kritiken bleiben sich wesentlich gleich, ob Sie gegen oder für den Expressionismus schreiben, sie bekämpfen die Kunst. (Kann man mit einem Holzschwert kämpfen?) Aber bei aller Feindschaft, unser Holzschwert, gegen die Kunst, erkennen Sie an, was „zur Zeit“ nicht mehr angefeindet werden „darf“, weil es die Menge von Kritikern, die ebenso wenig urteilsfähig ist wie Sie, durch irgend ein unverzeihliches Versehen anerkannt hat. (Man will sich doch nicht blamieren.)

Sie schreiben gegen die Kunst, weil Sie, ich will es Ihnen verraten, die Grösse der Kunst nicht ertragen können. Warum schreiben Sie wohl gegen den Sturm? Der Sturm ist konsequent. Herwarth Walden verwirft nicht, was er erkannt hat und erkennt nicht an, was er verwerfen muss. Das ist Ihnen peinlich. Können Sie mir hier folgen? Herwarth Walden erkennt, er erkennt nicht an. Das ist Ihnen sehr peinlich.

Herwarth Walden kämpft für die Kunst, Sie kämpfen gegen die Kunst. Sie hoffen nun, wie Sie mit der Kunst fertig werden können, d. h. fertig werden zu können gehofft haben, auch mit dem Sturm einmal fertig zu werden. Sie werden allerdings fertig, sind schon fertig, aber nicht mit, sondern durch den Sturm, eben fertig, ganz fertig. (Der Gerechte muss viel leiden.) Der Torfmann draussen ist längst vorbei. Und draussen ruft ein Anderer. Der Andere ruft: „Hasenfelle, Hasenfelle!“ Was kümmert das die Kunst? Haben Sie keine Hasenfelle zu verkaufen, Herr Westheim?

Ich begrüsse Sie in Demut

Ihr sehr ergebener
Kurt Schwitters