TBHB 1948-01
Einführung
[Bearbeiten]Der Artikel TBHB 1948-01 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom Januar 1948. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 10 Seiten.
Tagebuchauszüge
[Bearbeiten][1]
[1] Es ist 1 Uhr nachts, Herr u. Frau Dr. Burgartz sind eben gegangen. Es war wieder sehr nett, besonders da Dr. B. ein Mann ist der immerfort spricht, nicht immer sehr klug, aber lebhaft, sodaß es nie langweilig wird. Zuletzt sahen wir noch meine letzten Bilder. Wir tranken Tee u. aßen Kuchen, teils eigenen, teils den von Frau B. mitgebrachten, recht guten Mohnkuchen. – Dieses Jahr 1948 wird ein schicksalsvolles Jahr werden, – wäre es nur schon vorüber!
Abends 10 Uhr. Es hat viel geschneit in der Nacht u. es war ziemlich kalt, aber jetzt gegen Abend ist es wieder wärmer geworden u. der Rundfunk meldet Tauwetter u. Regen. – Sonst war der Tag sehr ruhig. Morgens packte Fritz zwei Pakete von Berta Wendt aus, die wieder viele Lebensmittel enthielten, sodaß wir keine Nahrungssorgen zu haben brauchen. Mittags aßen wir das Kaninchen, das letzte. –
In Griechenland sowie in Palästina nimmt die Kriegsgefahr rasch zu in Griechenland vielmehr ist der Bürgerkrieg bereits voll im Gange. Der König von Rumänien hat vor einigen Tagen abgedankt. Es konzentriert sich. –
[1]
[1] Es ist wieder Tauwetter eingetreten, nach dem Rundfunk wird es noch wärmer werden.
Von Sandberg Antwort auf meinen letzten Brief. Er möchte gern in meiner Sache mit Protest an die Zentralleitung des Kulturbundes herangehen u. hat es bloß deshalb noch nicht getan, weil ich ihn gebeten hatte, meine Mitteilung vertraulich zu behandeln. Er bittet mich, ihn von dieser Hemmung zu entbinden. Sonst schreibt er ganz richtig, daß die Abgeschlossenheit Ahrenshoops meiner Arbeit viele günstiger wäre [2] als die Unruhe Berlins. Berlin, meint er, wäre ein gutes Pflaster für Menschen, deren Publizität sich auf den gegenwärtigen Tag bezieht. Er meint, daß z.B. Barlach in Berlin sicher nicht seine reifen u. ausgewogenen Werke geschaffen hätte. Dasselbe glaubt er von mir, womit er wohl recht haben dürfte. – Leider teilt er auch mit, daß er vorläufig das Bild „Leuchtturm“ wegen Papierverknappung nicht herausbringen kann, hofft aber, daß es bald möglich sein wird. Auch wegen Wohnungs= u. Arbeitsraum sieht er keine Aussichten für mich in Berlin. Jedenfalls bittet er mich um Antwort, da er der Meinung ist, daß es besser wäre, mit meiner Sache an die direkte u. dafür verantwortliche Stelle zu gehen. – Das werde ich mir nun überlegen müssen.
Ich lese z. Zt. den Paracelsus von Kolbenheyer, dessen ersten u. dritten Band mir Fritz einmal geschenkt hat. Es ist aber ein unmögliches Buch, nicht bloß wegen der altertümelnden Sprache, sondern auch wegen der Gesinnung, die daraus spricht. Ein Schmöker, für den die Nazis nicht umsonst eine große Reklame gemacht haben.
Den ganzen Vormittag brachte ich damit hin, einen Brief an Sandberg zu entwerfen. – Nachmittags hielt ich nach langer Zeit wieder einmal ein Referat vor den Mitarbeiterinnen des BuStu. Ich benutzte dazu das Bild „Der Wartende“ u. sprach über den christlichen Begriff des Wartens im Gegensatz zum sozialistischen Begriff des jetzt schon Haben=wollens. –
Es ist sehr warm geworden. – Der Rundfunk verbreitet die Nachricht, daß der bedeutendste Krebsforscher Schwedens eiligst nach Moskau gerufen sei. Man vermutet, daß es sich um Stalin handelt. –
Sehr warmes, sehr trübes Wetter. Regen. – An Sandberg geschrieben, doch ist die Sache noch nicht klar. Der Brief ist zu lang, ich werde ihn noch einmal schreiben müssen.
Den ganzen Tag war ein Steuer-Kontrollbeamter da, um das Geschäft zu revidieren. Der Mann kam schon früh morgens als wir noch beim Frühstück saßen, geschwollen von Mißtrauen u. Vorurteil. Er hat redlich gesucht nach Unregelmäßigkeiten, hat aber nichts gefunden. Fritz hat sich bei dieser Sache sehr bewährt. Er hat die ganze Sache allein gemacht u. hat ein großes Geschick entwickelt. –
Den Brief an Sandberg habe ich nochmals ganz neu geschrieben, auf die Hälfte verkürzt. Er ist heute abgegangen.
Morgen früh soll hl. Messe sein, aber P. Conrad habe ich bis jetzt noch nicht gesehen. Möglicherweise ist er gleich zu Frau Strauven gefahren, wo er übernachten soll, oder er kommt erst morgen früh. –
Den Paracelsus habe ich zuende gelesen, ohne einen besonderen Eindruck davon gehabt zu haben.
In der Nacht war sehr starker Sturm, der sich gegen Morgen etwas legte. P. Conrad kam daher ziemlich erschöpft hier an. – Ich beichtete. –
Nach dem Hochamt kam das Ehepaar Dr. Pilster. Die Frau, Tochter des verstorbenen General Hoffmann, u. zwar uneheliche Tochter, bemüht sich seit Monaten, wieder in die Kirche aufgenommen zu werden. Sie ist einmal in Saarbrücken, wo sie als Schauspielerin wirkte, katholisch geworden, dann wieder ausgetreten. Sie führt ein sehr verwirrtes Leben. Ich jetziger Mann ist getaufter Protestant u. religionslos. Sie möchte nun wieder katholisch getraut werden u. der Mann [3] scheint einverstanden zu sein. Man sieht nicht klar durch. Sie hat schon P. Beckmann bedrängt, der die Sache immer wieder hinausgeschoben hat. Nun hat sie heute vor P. Conrad mit Martha u. mir als Zeugen das Glaubensbekenntnis abgelegt, hier in meinem Zimmer, hat dann gebeichtet u. dann das Altarsakrament empfangen. Möge Gott dazu helfen, daß es ihr zum Segen ausschlägt.
Fritz ist von der gestrigen Kontrolle total erschöpft u. mußte im Bett bleiben. Abends geht es ihm besser. Es ist daraus ersichtlich, daß es sich bei ihm in erster Linie um die Nerven handelt, was ich von Anfang an behauptet habe.
Fritz geht es wieder besser, dafür hat Martha starke Kopfschmerzen u. hat sich abends hingelegt.
Vom Anneliese ein interessanter Brief. Sie schreibt über Kurt, der zu ihr gesagt hat, daß er heute mir noch feindlicher gegenübersteht wie früher. Er habe den Wunsch geäußert, nach Ahrenshoop zu kommen, „aber nicht als Friedensengel“ wie Anneliese sich ausdrückt. Sie schreibt, daß sie dies verhindern werde. – Damit rückt also dieser unleidliche Zustand wieder in den Vordergrund. Es wird von Kurt abhängen, ob er eines Tages zu ernsten Konsequenzen führen wird. Wenn er es dazu treibt, gibt es nur die Möglichkeit, daß Martha mit ihm endgültig bricht, oder daß ich selbst das Feld räume. Ich selbst werde jedenfalls alles tun, um eine Auseinandersetzung mit ihm zu vermeiden, da eine Lösung u. Versöhnung nicht möglich ist. Seine Stellung zu mir ist nur aus einem seelischen Komplex heraus zu verstehen, ich könnte mich ebensogut mit einem Geisteskranken auseinandersetzen.
Heute habe ich wieder zu malen begonnen. Ich habe das schon fertig geglaubte Bild „Familie“ wieder auf der Staffelei stehen u. habe einige recht bedeutende Änderungen vorgenommen. Ich glaube, daß ich noch einiges zu tun haben werde, bis dieses Bild wirklich fertig ist.
Heute, war es den ganzen Tag über so dunkel, daß es unmöglich war, zu malen. Dazu war ich so müde, daß ich den ganzen Vormittag im Sessel verbrachte u. dabei meist schlief. Auch den Nachmittag verbrachte ich nicht viel anders. Diese Müdigkeit ist eine große Plage.
Ueber Mittag war ein junger Herr aus Schwerin bei Fritz, der uns den Herrn herüberbrachte. Dieser junge Herr ist ein neuer Angestellter der Kulturbundes u. scheint eine Art Adjutant zu sein, u. zwar für Kleinschmidt, wie auch für Bredel. Er scheint sich auf einer Besuchsreise zu befinden, um alle wichtigeren Wirkungsgruppen aufzusuchen u. kennen zu lernen. Er wohnt im Kurhause. Ich habe ihm nun den ganzen Vorgang mit mir erzählt. Er machte sich fleißig Notizen u. wird zuerst Kleinschmidt die Sache vortragen Es wird interessant werden, was dabei herauskommen wird. Er machte einen harmlos-gutmütigen Eindruck, intelligent, ohne doch ein besonderes Licht zu sein. Hoffentlich war er kein Spitzel. Er hat bisher, wenn ich ihn richtig verstanden habe, irgendwie bei den Russen gearbeitet. Um hinterhältig zu sein, war er zu schlicht, er müßte sich denn unwahrscheinlich gut verstellen. Übrigens war der Mensch 2 mtr. groß.
Am Familien-Bilde gearbeitet. Es geht jetzt seiner Vollendung entgegen, vielleicht wird es morgen fertig.
Es geht das Gerücht, daß Stalin gestorben sei. Der amerikan. Außenminister Marshall erklärt, ihm [4] sei nichts davon bekannt.
Das Bild „Familie“ ist fertig. – Fritz, der arme Kerl leidet an den Zähnen, er wird sich erkältet haben. Es ist wieder trübe u. dunkel.
Nach dem Frühstück ein neues Paket von Berta Wendt ausgepackt, das wieder viel schöne Sachen enthielt. – Danach packte ich mit Fritz Bilder ein, die er mit nach Berlin nehmen soll. Er will am Dienstag fahren. Ich habe nur auf Sperrholz gemalte Bilder ausgesucht: „Vernichtung – Verblühte Salvie – Die Schiffbrüchigen – Stilleben mit Flasche – u. Stilleben mit Napfkuchen“. – Dazu noch mehrere Handzeichnungen u. auch Fotos der größeren Bilder. Ferner kommt noch der „Leuchtturm“ dazu, den Fritz vom Ulenspiegel abholen soll. Mit allen Bildern soll er zur Galerie Schüler gehen u. sehen, ob Schüler bereit ist, eine Ausstellung zu machen.
Es ist etwas Frostwetter, aber offenbar nicht von langer Dauer.
Ich zeichnete einen Entwurf zu einem kleinen Engelbild, zu dem ich während der Weihnachtstage durch sehr hübsche, silberne Papierengel von Li Loebell angeregt wurde.
Wieder ein Paket von Ruth Laub, vorwiegend mit Kleidungsstücken, aber auch einigen Nahrungsmitteln. Für mich fiel ein Hut ab.
Fritz fährt morgen nach Berlin.
Seit 4 Uhr früh sind wir alle unterwegs. Anni Kuhn schlief in der Nacht bei uns, damit sie heute früh Fritz zum Fischland-Expreß mit der Karre begleiten konnte, denn dieser fährt wegen des aufgeweichten Weges nur noch bis zum Kiehl in Niehagen. Bei der Dunkelheit u. dem schlechten Weg ist der Anmarsch dorthin mühsam u. zeitraubend. Schon bald, nachdem Fritz gegangen war, kam Anni zurück. Fritz ist beim Bäcker Saatmann wieder schwindlig geworden u. hingefallen. Er schickte Anni zurück, kam dann aber selbst bald nach. Es war klar, daß er nicht reisen konnte u. wir steckten ihn gleich ins Bett, er hat Veronal genommen u. schläft. Martha u. ich haben nun überlegt, daß es das Ratsamste sein wird, wenn sie nun selbst nach Bln. fährt. Nachdem nun einmal alles so weit vorbereitet ist u. eine Rücksprache mit der Galerie Schüler doch überaus wichtig erscheint, wird diese Reise unumgänglich sein. Sie wird wohl am Donnerstag früh fahren, u. zwar mit dem Motorboot ab Althagen das erst um 6 Uhr fährt, wobei allerdings die Gefahr besteht, den Anschluß an den Schweriner Zug nicht zu erreichen. Trude Dade soll mitfahren bis Ribnitz. In Schwerin kann Martha bei Frau Dr. v. Monroy übernachten u. am nächsten Morgen nach Bln. weiterfahren, sodaß sie dann Freitag Mittags in Bln. ist. Sie wird dann gleich nach Erledigung dieser Ausstellungsangelegenheiten wieder zurückkommen.
Abends kam wieder ein Brf. von W. Wauer. Er teilt mit, daß von Schwerin nach Bln. zweimal wöchentlich ein Lastautoverkehr bestehen soll u. daß er die Landesleitung Schwerin interessieren will, sich des Transportes anzunehmen. Er läßt also nicht locker! – Aber erstens wird die [5] Landesleitung ihm was husten –, ausgerechnet für meine Bilder soll sie sich interessieren! – Und dann sind damit die Bilder ja noch nicht in Schwerin, – u. das ist das allerschwerste. – Es hat heute wieder den ganzen Tag geregnet. Kurz vor 10 Uhr gab es bei uns Kurzschluß u. der Strom ist nicht zu bewegen, wieder in Gang zu kommen. Die Wege sind grundlos, sodaß ich keinen Fuhrmann bekommen würde, um die Bilder nur bis zum Kiehl zu bringen.
Dieser Wauer scheint unbedingt den Ehrgeiz zu haben, meine Bilder als erster in Bln. zu zeigen. Es ist natürlich peinlich, wenn Schüler sich zu einer Ausstellung entschließen sollte, Herr W. würde dann sehr verschnupft sein, nachdem er sich so große Mühe gegeben hat. Andererseits wäre es sehr töricht von mir, Herrn W. der Galerie Schüler vorzuziehen, denn Herr W. hat so gut wie garkeine Presse u. gilt auch sonst nicht besonders viel unter den berliner Kunstkritikern. Eine Ausstellung meiner Bilder bei ihm ist für ihn selbst vorteilhafter als für mich; aber dennoch möchte ich ihn nicht unnötig ärgern.
Ich ließ mir aus der alten Schranktür von Walter Papenhagen das Bildformat für das neue kleine Engelbild zurechtschneiden. Ich fragte gleichzeitig, ob er mir wohl Keilrahmen machen würde, obwohl ich selbst keine Leisten mehr habe. Ich glaube, daß Walter es schon tun würde, aber der Alte ist ein solcher Geizkragen, daß kaum damit zu rechnen ist. –
Heute endlich wieder klares, helles Wetter, dabei milde. Habe das kleine Engelbild angelegt, das sicher sehr hübsch wird.
Fritz geht es wieder gut. Ruth schreibt ihm heute u. legt dieselbe Ansicht dar, die ich habe, daß es sich bei ihm ganz allein um eine seelische Belastung handelt. – Martha wird nun übermorgen nach Berlin fahren. Fritz ist wieder gesund, weil er weiß, daß er selbst nicht zu fahren braucht.
Es ist helles, klares Wetter bei leichtem Frost. Martha wird morgen nach Bln. fahren, vorausgesetzt, daß der Bodden nicht über Nacht so zufriert, daß das Motorboot nicht fahren kann. Ich diesem Falle müßten wir die Sache endgültig aufgeben.
10 Uhr abends: Das Motorboot wird morgen wegen des zu befürchtenden Eises nicht fahren, es ist heute Nachmittag gleich wieder nach Ribnitz zurückgekehrt. Martha will dennoch versuchen, nach Bln. zu kommen mit Herrn Neuendorf aus Althagen, der ebenfalls nach Bln. will. Sie ist aus diesem Grunde noch heute abend zu Frau Kurth – Althagen, gegangen, um bei dieser zu übernachten. Herr N. will versuchen, morgen früh ein Auto nach Ribnitz zu bekommen. Ich habe Martha eben zu Frau K. gebracht Es ist nicht übermäßig kalt, windstill u. nicht so sehr dunkel.
Von Martha bisher keinerlei Nachricht, wie sie weiter gekommen ist.
Vormittags Unterredung mit Trude Dade, welche demnächst ein Kind erwartet. Der Vater ist der Sohn [6] von Dr. Meyer, mit ihm hat Trude seit längerer Zeit eine Liebschaft. Es fing das schon an, als der junge Peter Meyer noch Gymnasiast war. Er studiert jetzt u. hält sich in diesem Semester in der Westzone auf.
Trude überraschte uns vor einiger Zeit mit dem Plan, eine Reise nach der Westzone unternehmen zu wollen. Es dauerte eine Weile, bis wir hinter den Grund dieses Planes kamen, daß sie nämlich dort unbemerkt ihr Kind bekommen wollte. Zum Glück hat sich diese geplante Reise immer wieder zerschlagen. Ich habe ihr nun heute die Unsinnigkeit dieses Planes klar gemacht. Es ist unter den gegenwärtigen Verhältnissen einfach unmöglich. Wie will sie sich u. ihr Kind ernähren? Wo will sie wohnen? Wie will sie dann mit einem Säugling die Rückreise machen. Sie wollte nach München zu ihrem Bruder Heinz. Die Reise würde 4 – 5 Tage in Anspruch nehmen. Sie hat wohl eingesehen, daß es so nicht geht. Ich habe ihr gesagt, daß sie das Kind hier bei uns im Hause bekommen kann. Der elterliche Katen in Althagen, in dem ja schon noch die beiden verheirateten Schwestern mit ihren Männern wohnen, außer den Eltern, ist ja wirklich zu eng, als daß sie dort das Kind bekommen könnte. Wenn sie auch hier bei uns das Kind nicht bekommen will, dann hat sich die gutmütige Frau Hanschak bereit erklärt, sie bei sich aufzunehmen. – Trude hat es eingesehen, sie mag nun mit Martha besprechen, was sie tun will. – Wichtig ist natürlich daß man Dr. Meyer von der Sache in Kenntnis setzt. Es weiß bisher von nichts, wie sie sagt. Ich habe ihr gesagt, daß ich das tun würde. Sie hat Angst davor, aber das ist egal. Ich habe Dr. M. bestellen lassen, er möge doch einmal bei mir vorsprechen, wenn er gerade in Ahrenshoop ist. Ich denke, er wird am Montag kommen. Es wird eine peinliche Ueberraschung für ihn sein, aber um so notwendiger ist es, ihn so bald wie möglich in Kenntnis zu setzen.
Nachts u. Vormittags hat es sehr stark geschneit, dann aber ist Tauwetter eingetreten.
Nachmittags kam Frl. v. Tigerström zurück, die einige Tage in Berlin gewesen war, wo sie ihren Bruder getroffen hat. Sie hat bei Nina Bittner gewohnt. Sie brachte, die Nachricht mit, daß Martha gestern, am Sonnabend um die Mittagszeit in Bln. eingetroffen ist u. gleich vom Bahnhof aus zu Sandberg gefahren ist. Also wird sie auch heute morgen bei Schüler gewesen sein. Es ist erstaunlich, was Martha leistet. Sie will am Donnerstag wieder zurückfahren, sodaß sie Freitag hier sein wird. Ich bin gespannt, ob sie etwas erreicht haben wird. –
Ich las den Kommentar zum heutigen Sonntags-Evangelium in dem Buch von Fr. Tillmann. Sonst lese ich seit heute Ilja Ehrenburg: Der Fall von Paris. –
Ich vollendete heute das kleine Engelbild, das sehr hübsch geworden ist. Sogar einen passenden Rahmen fand ich dafür.
Heute fand die mit Spannung erwartete Kontrollrats-Sitzung in Berlin statt, die jedoch ohne jede Sensation verlaufen ist. Sokolowski, der vorher in Moskau war, brachte die Ansicht des Kreml vor, daß [7] die letzthin in Frankfurt beschlossenen Wirtschaftsmaßnahmen eine Verletzung der Potsdamer Beschlüsse darstellten u. verlangte deren Aufhebung. Man hat das anscheinend lediglich zur Kenntnis genommen, ebenso wie man den englisch-amerikan. Vorschlag einer deutschen Währungsreform lediglich zur Kenntnis genommen hat. Da die Sitzung aber drei Stunden lang gedauert hat, ist nicht gut zu erkennen, was die Herren in diesen drei Stunden eigentlich getan haben. Der französische Vertreter hat die Sitzung vorzeitig verlassen. – Warum? – darüber schweigt des Sängers Hoflichkeit. – General Clay ist unmittelbar nach der Sitzung nach Washington abgeflogen. Warum? – Auch darüber wird nichts gesagt, es heißt nur, daß er bis zum Sonntag wieder zurück sein will. –
Von Martha keine Nachricht. – Auch auf Dr. Meyer, der im Dorfe war, wartete ich vergeblich.
Von Martha Telegramm, daß sie erst am Montag, 26. Jan. über Stralsund zurückfährt. Sie ist also erst Dienstag wieder hier. Hoffentlich gibt es bis dahin Verbindung zwischen hier u. Ribnitz. Es herrscht leichter Frost, etwas Schnee, das Motorboot fährt nicht. M. telegraphiert, alles wäre in Ordnung, sie hätte am 20.1. Rücksprache in der Galerie Schüler.
Ferner ein Brf. von Joseph Faensen, der mir in seinem Hause in Bln-Hermsdorf ein Zimmer 4 x 4 mtr. als Atelier anbietet.
Sodann ein Brf. von einem Frl. Ingrid Czerschau aus Freiberg i. Sa. Sie hat im Sommer meinen Vortrag gehört u. ist immer noch voll Begeisterung. Sie hat eine Art Exposé über diesen Vortrag geschrieben in dem sie behauptet, ich gliche „mit meinem silberhaarigen Apostelkopf eher einem Theologen als einem modernen Maler“. –
Das Buch von Ilja Ehrenburg „Der Fall von Paris“ ist dramatisch u. fesselnd geschrieben. Habe den ganzen Tag gelesen u. bin morgen durch.
Man hat uns heute den Zähler des elektr. Stroms für den Warmwasser-Speicher ausgebaut, sodaß es nun mit dem Warmwasser aus ist. Ich glaube, daß wir in zehn Jahren keinen neuen Zähler mehr bekommen werden. Schon vor längerer Zeit hat man das Zuleitungskabel des Telephons abgenommen, sodaß wir auch dann keinen Fernsprech-Anschluß bekommen können, wenn es uns gelingen sollte, irgendwo einmal einen Apparat aufzutreiben. Alles geht dahin, anstatt Aufbau immer noch weiter Abbau.
Heute Nachmittag war Dr. Meyer bei mir. Er nahm die Nachricht mit bemerkenswerter Gelassenheit auf. Er sagte, daß er die Sache geahnt hätte. Trude wäre Weihnachten bei ihnen in Wustrow gewesen u. er habe nachher seiner Frau gesagt, daß Trude seiner Meinung nach schwanger sei. Frau Dr. M. hat Trude danach gefragt u. sie hat es abgestritten. Dr. M. sagt, daß die Hauptschuld Trude's Mutter trifft mit deren Erlaubnis Peter nachts bei Trude geblieben sei. Peter ist 19 Jahre alt, Trude 23 Jahre. Er hat noch garnicht angefangen zu studieren, sondern er hat in Rostock nur praktisch gearbeitet u. das tut er auch gegenwärtig. – So unangenehm Dr. M. die Nachricht auch war, so war er mir doch dankbar, daß ich ihn ins Bild gesetzt habe.
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Heute kam ein Telegramm von Rechtsanwalt K. aus Düsseldorf. Monheims Anwalt, der mitteilte daß er vom 26. bis 31. Jan in Bln. sei u. dringend Martha sprechen wolle. Es handelt sich um den Verkauf des Monheimschen Hauses hier. Wir haben gleich an Martha, die ja übermorgen von Bln. abfahren wollte, telegraphiert. Sie wird nun also dort bleiben müssen.
An Frl. Ingrid Czerschau in Freiberg/Sa. geschrieben als Antwort auf den kürzlich erhaltenen Brief.
Morgens Gemeinschaftsmesse, P. Conrad. Er predigte ausgezeichnet über den Sinn der Gebetsoktav für die Einigung der Christenheit, deren Abschluß heute ist. Nachher beim Frühstück ging P Conrad zum ersten Male etwas aus sich heraus, wahrscheinlich erleichtert durch die Abwesenheit Marthas. Es fragte mich über Wesen u. Geist der modernen Kunst, die, wie er mir gestand, für ihn fremd sei. Ich hielt ihm ein regelrechtes Referat u. ich hatte den Eindruck, daß er gut folgen konnte. Was ich ihm sagte, war ihm völlig neu u. muß erst von ihm verarbeitet werden, aber beim Abschied bedankte er sich ausdrücklich dafür.
Ich lese das Buch von Katharina Kippenberg: „Rainer Maria Rilke“. Es ist nicht leicht zu lesen u. erfordert wiederholte Lektüre. Heute las ich den Abschnitt über Rilkes Engel=Begriff, der mir sehr viel gegeben hat. Ich pflege schon seit einiger Zeit eine besondere Gebetsandacht zu meinem Schutzengel. Meine bisherige Anschauung über Engel ging dahin, daß ich sie mir als von Gott ausgehende Kräfte vorstelle, die natürlich unkörperlich sind, doch aber gewisse Persönlichkeits-Eigenschaften habe. Jetzt sehe ich, daß speziell die Schutzengel der Menschen dann eben nichts anderes sind, als die Gedanken Gottes über uns, d.h. also, daß mein Schutzengel genau das ist, was Gott will, was ich werden soll. Ich nähere mich dann also diesem Schutzengel in dem Maße, wie es mir gelingt dem ähnlich zu werden, was Gott von mir will. Und genau so ist es mit dem Teufel, der die Negation des Willens Gottes ist. Es ist dann also so, daß der Schutzengel zwar ganz der Gedanke Gottes ist, daß er aber gewissermaßen auch von mir abhängig ist, je nach dem ich ihn im Fleische darstelle. Es ist das ein sehr lebendiger u. fruchtbarer Gedanke, der meine Andacht sehr befruchten wird.
Nachmittags Bilder von Picasso gesehen. Ich werde morgen nochmals am Bilde „Familie“ arbeiten. – Auch das früher gemachte Selbstporträt muß gelegentlich sehr eingehend überarbeitet werden. –
Telegramm von Martha, daß sie heute Nachmittag von Bln. abgefahren ist. Sie bleibt über Nacht in Stralsund u. ist morgen Mittag hier.
Am Bilde „Familie“ gearbeitet. Die ganze linke Seite habe ich stark überarbeitet u. sehr aufgehellt.
Das Familien=Bild ist nun fertig.
Mittags 1/2 12 Uhr traf Martha ein, von der anstrengenden Reise total erschöpft. Sie legte sich gleich [9] ins Bett, aß aber dann doch mit uns Mittag.
In der Galerie Schüler hat sie einen vollkommenen Mißerfolg gehabt. Schüler selbst war ablehnend u. wußte mit meinen Bildern nichts anzufangen, obgleich Sandberg sich die größte Mühe gab, ihn zu interessieren. Martha packte die Bilder wieder ein u. fuhr nun kurz entschlossen zu William Wauer. Dieser war, als er die Bilder sah, sofort aufs Höchste begeistert. Er behielt alle Bilder u. Zeichnungen da u. will nun unbedingt zum April eine Kollektiv-Ausstellung machen. Er hat sich bereits an die Landesleitung des K-B. in Schwerin gewandt wegen Transport-Erleichterung u. will alles aufbieten, um aus dieser Ausstellung für mich –, u. für sich –, einen großen Erfolg zu machen. Ich bin nun einverstanden, man muß sehen, was daraus wird. Diese Sache mit Wauer kommt mir derart entgegen, daß ich, wie ich glaube, mich nicht länger sträuben darf. Wenn Fritz gefahren wäre, wie es erst beabsichtigt war, wäre dieser ja nie zu Wauer gegangen, er hätte sich resultatlos von Schüler abfertigen lassen u. er wäre unverrichteter Dinge zurückgekommen. Wauer scheint wirklich der Weg zu sein, der mir gewiesen ist u. ich werde nun alles darauf einstellen.
Vormittags Keilrahmen aufgespannt für eine Neufassung jenes betenden Engels, den ich 1944 als erstes Bild malte. Den Keilrahmen hat mir Martha aus Berlin mitgebracht.
Nachmittags Dr. Burgartz zu einem Plauderstündchen.
Heute vor 27 Jahren lernten Martha u. ich uns kennen. Es war der Ball der sozialistischen Monatshefte im Rheingau in Berlin. – Wir begingen den Tag mit einem sonntäglichen Frühstück mit Bohnenkaffee u. Ei. Auch sonst verlief der Tag ruhig u. schön. Vormittags zeichnete ich das neue Bild auf u. legte es farbig an. Es wird zweifellos besonders schön. Es wird das Bild meines Schutzengels u. alle Gedanken, die ich in letzter Zeit über diesen hatte, finden darin ihre Gestalt. Herrschend ist der Ausdruck einer großen Demut. Ich bin über dieses Bild sehr glücklich u. habe lange nicht mehr eine solche Befriedigung beim Malen verspürt. Ich hoffe, daß ich durch dieses Bild meinem Schutzengel um einen großen Schritt näher komme.
Als wichtigste Nachricht: Gandhi ist ermordet worden. Menschliche Gemeinheit, Borniertheit u. Bestialität hat es fertig gebracht, einen Mann zu ermorden, der wahrscheinlich der größte unter allen zur Zeit lebenden Menschen der Welt gewesen ist. –
Vormittags am Engel gearbeitet. Nachmittags an W. Wauer geschrieben u. den Ausstellungs-Prospekt überlegt. Ich möchte darin sechs Bilder unterbringen, dazu ein kurzer Text mit biographischen Daten, dann den Katalog der ausgestellten Bilder. W. Wauer hat einen sehr schlechten Drucker, seine Drucksachen sehen häßlich aus, ich will versuchen, ihm die Herstellung des Prospektes abzunehmen, da ich fürchte, daß es sonst nichts Gutes wird. Der Prospekt aber ist sehr wichtig, ich will ihn an viele Menschen senden.
In der Zeitschrift „Heute u. Morgen“ ist ein bebilderter Aufsatz von Pahl-Rugenstein über die Diehn-Bitt. Ich [10] werde das zum Anlaß nehmen zu einer Anfrage, ob er die Fotos meiner Zeichnungen erhalten hat.
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[10] Am Engelbild gearbeitet. – Nach Tisch wünschte Frau Triebsch das Bild „Familie“ zu sehen, von dem ihr Dr. Burgartz erzählt hat. Er findet dieses Bild so gut, mich selbst befriedigt es garnicht so sehr.
Katalog für die Ausstellung Wauer zusammengestellt. Ich habe 40 Oelbilder u. 20 Zeichnungen ausgewählt, habe dann aber kein Bild mehr hier, sodaß ich in der BuStu. nichts ausstellen kann. Das Selbst=Zeugnis für den Prospekt nochmals durchgearbeitet.
Frühlingwarmes Wetter bei Sonnenschein. Versuchte, einen Spaziergang zu machen, ging aber rasch wieder nachhause.