TBHB 1947-12-20
Einführung
[Bearbeiten]Der Artikel TBHB 1947-12-20 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 20. Dezember 1947. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über zwei Seiten.
Tagebuchauszüge
[Bearbeiten][1] Es herrscht eine trostlose Dunkelheit. – Das Bild „Aufbruch“ ist wirklich jetzt fertig u. gut. Wenn es auch in einzelnen Details vielleicht besser sein könnte, so hat es nun doch einen großen, einheitlichen Stil u. das Detail soll mir egal sein. Ich habe das Bild heute morgen mit Fritzens Hilfe wieder an seinen Platz in der Diele aufgehängt.
Vorgestern schrieb ich an Schwester Gertrud Dobczynski nach Barth einen Weihnachtsbrief. Es fiel mir sehr schwer, denn ich habe garkeine weihnachtlichen Gedanken. Der Zusammenbruch der Londoner Konferenz u. die furchtbare Ungewißheit, welches die Folgen sein werden, lastet wie ein Alpdruck. Das Jahr 1948 wird ein schweres Schicksalsjahr sein –, so wie vor 100 Jahren.
Heute kommen die Herren des Kulturbundes aus Schwerin, um hier den Kindern eine Weihnachts-Bescherung zu bereiten. Auch Joh. R. Becher ist gestern abend gekommen. Die Weihnachtsbescherung ist dabei wohl bloß ein sozialistisches Aushängeschild, es wird wohl um Anderes gehen. Ich denke, daß auch Kleinschmidt kommen wird. Aus der Presse ersehe ich, daß er nicht wieder zum Vice-Prasidenten gewählt worden ist. Er wackelt wohl auch. –
Gestern war Deutschmann bei mir. Er hatte vor der Entnazifizierungs-Kommission in Rostock gestanden u. ist zum „Aktivisten“ erklärt worden, d.h., daß er künftig nur in untergeordneter Stellung als Arbeiter tätig sein kann. Ich riet ihm, Berufung einzulegen u. im Berufungsverfahren nicht bloß schriftliche Zeugnisse bei zu bringen, wie er es getan hat, sondern die Zeugen selbst heranzubringen. Er soll es sich ruhig ein Auto kosten lassen, ich würde dann selbst nach Rostock mitfahren.
Es quält mich, daß ich weder für Martha noch für Fritz irgend etwas als Weihnachtsgabe habe. Aber wie soll ich etwas beschaffen! Es ist eine jämmerliche Zeit! – Das Schlimmste ist, daß ich tief verstimmt bin über Martha's Bedenken wegen meiner Ausstellung im Sommer. Es ist das ein betrübender Mangel an Mut, der mich sehr lähmt. Zwar werde ich natürlich die Ausstellung meiner Bilder erzwingen, aber was nützt mir das, wenn ich weiß, daß Martha nicht den Mut hat, für mich einzustehen.
Abends wird im Rundfunk bekannt, daß die beiden Vorsitzenden der CDU. Jakob Kaiser u. Ernst Lemmer von den Russen gezwungen worden sind, ihre Aemter niederzulegen. Grund: sie haben sich mit ihrer Partei geweigert, an dem sogen. „Volkskongreß“, teilzunehmen, der während der Tage der Londoner Konferenz auf Einladung der SED. stattgefunden hat. Damit wird erwiesen, daß dieser Volkskongreß eine rein russische Veranstaltung war, die als Druckmittel in der Londoner Konferenz dienen sollte. Ferner: daß die Russen jetzt nach London es nicht mehr nötig finden, noch länger die Fiktion aufrecht zu erhalten, daß wir in einer Demokratie leben, sie lassen die Maske fallen. Und endlich: daß mit dem Aufgehen der CDU. in die SED. sehr bald zu rechnen ist. – Es ist das alles furchtbar u. berührt mich besonders, da es mir zeigt, daß auch mein Plan, nach Berlin zu gehen, sinnlos ist. Niemand kann wissen, ob die Amerikaner u. Engländer nicht doch Berlin aufgeben werden, da nun ja eine Vereinigung der drei Westzonen stattfinden wird u. in deren Folge eine besondere [2] deutsche Regierung in Westdeutschland entstehen wird. Hauptstadt wird dann Frankfurt. Natürlich wird dann in der Ostzone eine Sowjet-Regierung entstehen mit der Hauptstadt Berlin u. die Russen werden dann alle aufhängen oder verhaften, die nicht mit ihnen arbeiten wollen oder bisher gegen Rußland gearbeitet haben. –
Hier in Ahrenshoop wurden heute auch die Stromsperrstunden ab 1. Jan. 48 bekannt. Danach wird der Strom gesperrt. früh von 6 – 8 Uhr, mittags von 11 – 1 Uhr u. nachmittags von 5 – 10 Uhr. Es ist das praktisch so, daß es überhaupt kein Licht mehr geben wird. – Es ist das alles überaus deprimierend u. wäre hoffnungslos, wenn ich nicht überzeugt wäre, daß zum Frühjahr dennoch eine gewaltsame Aenderung der gesamten Verhältnisse eintreten wird. Diese wird zwar neues Elend mit sich bringen, aber wir sind nun so weit, daß wir ein Ende mit Schrecken dem Schrecken ohne Ende vorziehen.