TBHB 1947-11
Einführung
[Bearbeiten]Der Artikel TBHB 1947-11 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom November 1947. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 10 Seiten.
Tagebuchauszüge
[Bearbeiten]{{SeiteST|1|HansBrassTagebuch 1947-10-30 001.jpg|Tag5} [2] sich England neuerdings die größte Mühe zu Deutschland in ein gutes Verhältnis zu treten. Der Vortrag jedenfalls war sehr sympatisch.
Vormittags Brief an Martha geschrieben u. sie um alles unterrichtet. Ferner den Fragebogen vom Ulenspiegel ausgefüllt. – Sonst den ganzen Tag im Tolstoi gelesen. Ein wundervolles Buch.
Im Rundfunk hörte ich, daß in England Gemeindewahlen stattgefunden haben, die einen starken Sieg der Konservativen über die Arbeiterpartei gebracht haben. Dasselbe war eben in Frankreich der Fall, wo die Partei des General de Gaule einen bedeutenden Sieg errungen hat. Aehnlich war es kürzlich auch in Dänemark. Es ergibt sich, daß in allen westlichen Ländern der Sozialismus in die Verteidigung gedrängt worden ist, von den Kommunisten garnicht zu reden. Also auch dies ein Zeichen, daß die politischen Zustände sich immer mehr festigen in einer entschiedenen Gegnerschaft gegen Rußland. – Dieses feiert in den nächsten Tagen den 30. Jahrestag seiner Revolution u. entfaltet eine große Propaganda.
Von Martha eine Karte, datiert 29.10. aus Schwerin. Wohnt bei Riemschneiders. Sie schreibt: „Die Herren kommen in der Woche 16 – 21. November nach Ahrenshoop“, aber sie schreibt nicht welche Herren da kommen wollen u. es geht auch nicht aus dem Zusammenhang hervor.
Endlich ein Brief von Fritz, vier Seiten lang, datiert vom 31.10. – Er ist froh, diese Kur bei Dr. Kunze gemacht zu haben. Dr. K. gibt sich, wie nicht anders zu erwarten war, die größte Mühe um ihn. Die Traubenzuckerkur ist nun beendet, doch hält Dr. K. noch eine weitere Spritzkur mit einem Kreislaufpräparat für nötig. – F. fühlt sich besser, hat keine Anfälle mehr gehabt u. die Kopfschmerzen haben sehr nachgelassen. Er bekommt außerdem Höhensonne, Massage u. Bäder. Bei all dem muß er nun aber bis Mitte November dort bleiben u. kann deshalb nicht mit Martha zusammen zurückkommen. Das ist besonders für M. sehr betrübend, denn sie ist sehr auf seine Umsicht u. Reisehilfe angewiesen. F. wird zwischen dem 15. u. 20.11. mit Dr. K. im Auto nach Bln. fahren u. wird bei dieser Gelegenheit meinen sogen. Schwiegersohn Dr. Isensee u. wohl auch meine Tochter kennenlernen. Er wird also einige Tage in Bln. bleiben u. erst gegen Ende des Monats wieder hier sein.
Das Stilleben macht gute Fortschritte, es wird ein sehr hübsches Bild. – Inzwischen ist mir auch die endgültige Lösung für das Bild „Auswanderer“ eingefallen, das ich als Federzeichnung schon fertig zu haben glaubte. Als ich es aber jetzt wieder ansah, war mir klar, daß es so nicht ging. Die Familie sitzt da wie fotografiert vor einem Schiff, das wie eine Kulisse beim Fotografen dahinter steht. Das ist unmöglich. Ich werde auf dieses Schiff ganz verzichten u. die Familie in einen niedrigen Schuppen setzen, der nach links hin offen ist. So wird sie in einem Raum sitzen, der sie organisch umgibt u. in dem sie aufgeht. Es ist mir so klar, daß ich eine neue Zeichnung nicht zu machen brauche. –
Tolstois Buch fesselt mich sehr.
[3]Heute Abend las ich das Buch von Tolstoi zuende. Ich bin tief beeindruckt, besonders vom Ende. Wer Deutschland erneuern will, wie der Kulturbund es sich anmaßt, müßte zuerst einmal mit Bezug auf die polit. Gegner, besonders der ehemaligen Nazis, die Lehre dieses Buches befolgen. Diese Lehre aber ist das Christentum. –
In der letzten Nacht fiel mir plötzlich die Lösung für das Bild „Aufbruch“ ein. Fritz hat es vor Wochen in die Diele gehängt, wo ich es täglich sehe u. mich erinnert, daß es immer noch nicht fertig ist. Die Lösung nun besteht darin, daß ich vorn links den Rest einer Mauer malen muß, hinter dem die Alte hervorkommt, u. oben einige leere Dachsparren die schräg herunterhängen, dann bekommt das Bild Räumlichkeit, die ihm bis jetzt völlig fehlt. Ich werde diese Aenderung noch in diesem Jahre malen.
Walter Papenhagen brachte heute die neuen Bilderrahmen, aber noch nicht den Keilrahmen, den er morgen bringen will. Er ist für das Bild „Auswanderer“ bestimmt, aber ich werde dieses Bild nun nicht mehr „Auswanderer“ nennen, sondern „Flüchtlinge“ oder „Auf der Flucht“ oder einfach „Familie“. Dieses Bild kann nun eine Parallele zur „Hl. Familie auf der Flucht“ sein. Dieses Bild werde ich zuerst malen.
Das Stilleben ist fast fertig, es ist farbig sehr schön.
Bisher hatten wir Stromsperre von 4 – 7 Uhr heute auch noch von 8 – 9 Uhr. Diese Sperre des Lichtes ist wirklich überaus lästig.
Vormittags wurde das Stilleben fertig. Es ist in Bezug auf Farbe eines meiner schönsten Bilder.
Walter Papenhagen brachte mir den Keilrahmen für das neue Bild. Ich spannte gleich die Leinewand auf u. werde sie morgen grundieren.
In der Bibliothek fand ich ein anderes Buch von Tolstoi „Die Kreuzersonate“, das ich angefangen habe zu lesen. Ich habe es in sehr jungen Jahren schon einmal gelesen, aber damals nicht verstanden.
Dank der Feier des 30. Jahrestages der russischen Revolution hatten wir heute den ganzen Tag über Strom. –
Die neue Leinewand grundiert.
Die Kreuzersonate ausgelesen. Kein so vollendetes Kunstwerk wie die „Auferstehung“, aber ein sehr nachdenkliches Buch. Besonders der Nachtrag ist wert, daß ich ihn nochmals lese u. darüber nachdenke.
Es war bei Nordwest heute wieder recht kalt.
Telegramm von Martha, daß sie Montag von Bln. nach Stralsund fährt u. am Dienstag hier sein wird. Ich freue mich sehr auf ihre Rückkehr, ich vermisse sie doch immer sehr.
Das neue Bild habe ich mit Kohle auf die Leinewand gebracht.
Auch heute hatten wir keine Stromsperre.
[4]Der unangenehmste Tag des ganzen Jahres ist harmonisch verlaufen. Der Geburtstag meines Vaters! – Es hat zwar den ganzen Tag geregnet u. es war sehr dunkel, aber ich habe mir doch ein schönes Frühstück mit Bohnenkaffee u. Ei bereitet, dazu Weißbrot, u. Mittags gab es sogar Fleisch. Leider war es mit dem Licht wieder vorbei, von 4 bis 7 Uhr war Stromsperre wie üblich. Ich las im Heft „Athena“ u. später begann ich „Irrweg einer Nation“ von Alexander Abusch. – Mittags kam ein Kind von etwa 5 Jahren in die Küche u. bettelte um Brot. Tigerström hatte noch warmes Essen, das wir dem kleinen Mädchen gaben. Das Kind war aus Born, Flüchtlinge, die Mutter war mit einem noch jüngeren Kinde draußen, aber nicht zu erreichen. Wir gaben dem Kinde noch ein Stück Brot mit auf den Weg. Die Mutter schickte natürlich das Kind betteln, weil das mehr Erfolg hat. Es ist schrecklich, zu denken, daß diese Mutter solche Tricks anwenden muß, um überhaupt etwas zu essen zu bekommen. Und das auf dem Lande! –
Sonst war der Tag sehr schön ruhig u. nicht mehr so kalt wie in den letzten 14 Tagen.
Das neue Bild farbig angelegt. Ich glaube, daß dieses Bild noch stärker werden wird als „Der Wartende“. Es wäre schön.
Holzerland war mit seiner Kreissäge da u. hat die 15 mtr. Holz gesägt. Bis 4 Uhr zur Stromsperre war alles geschafft. Leider ist nun das letzte Holz welches noch im Walde liegt, infolge der Bummelei des Herrn Brandt nicht mehr herangekommen. Fritz wird schimpfen, wenn er das hört.
Es hat den ganzen Tag geregnet, aber es war nicht allzu kalt. – Ich lese mit großem Interesse das Buch von Abusch „Irrweg einer Nation“. Es ist sehr interessant geschrieben.
Morgen ist Martha wieder hier! –
Martha telephonierte mittags bei der Post an u. ließ bestellen, daß sie erst abends mit dem Fischland-Express kommen würde. – Ich wartete bis jetzt, 1/2 1 Uhr Nachts –, also eigentlich schon am 12. Nov., vergeblich. Wahrscheinlich ist der unzuverlässige Wagen wieder kaputt u. ich hoffe nur, daß sie nicht unterwegs irgendwo auf der Strecke liegt. Aber es hat keinen Sinn, länger zu warten.
Gestern Nacht um 1 Uhr kam Martha doch noch. Ich war bereits zu Bett gegangen. Sie war von einem Privatwagen mitgenommen worden u. war natürlich von der Reise sehr erschöpft. Das war sie auch heute noch. Sie hat aber in Bln. doch viel Nützliches erreicht. Mir brachte sie Malmittel mit u. ein Glas mit Oel=Deckweiß, sowie eine Tabakpfeife, leider keine Pinsel. Sie hat auch telephonisch mit Onkel Dr. August Brass gesprochen, der jetzt 82 Jahre alt ist u. noch als Rechtsanwalt arbeitet.
Es ist kalt u. es regnet. Heute war es so [5] dunkel, daß ich fast nichts arbeiten konnte.
Immer noch trübe, Regen, kalt u. stürmisch u. sehr dunkel, sodaß ich nur wenig arbeiten konnte. Ein ekelhafter Monat.
Begonnen, abends Tolsoi's „Auferstehung“ vorzulesen, was ich mit großem Genuß tue.
Um 3 Uhr nachm. war eine Sitzung der Sektion im Seezeichen anberaumt, zu der Herr Neumann = Wustrow kommen sollte, um über die Delegiertentagung des Kulturbundes in Schwerin, zu der er entsandt gewesen war, zu berichten, jedoch erschien der Herr nicht. Infolgedessen war die Sitzung überflüssig. Außerdem war sie auch sonst langweilig u. ohne Stimmung. Koch-Gotha war mir gegenüber verkniffen, da er die vorgefaßte Meinung hat, daß ich Sandberg angeregt hätte, eine kritische Bemerkung über Kochs Ausstellung im Sommer im Kunstkaten im Ulenspiegel zu machen. Ich stellte ihn nach Schluß der Sitzung unter vier Augen deshalb zur Rede. Er meinte, Sandberg habe ja nur mit mir verkehrt, worauf ich ihm erwiderte, daß das doch wohl ein etwas zu magerer Grund sei, um mich in dieser Weise zu verdächtigen. Er nahm meine Worte zur Kenntnis u. wir gaben uns auch die Hand, doch ist damit nun doch wohl ein Riß entstanden zwischen ihm u. mir. Er war der einzige von den hiesigen Kollegen, der mir stets mit Freundschaft begegnet ist – bis auf Triebsch –, u. nun ist auch das vorbei. Ich habe mich geärgert, daß ich zu dieser Sitzung überhaupt gegangen bin, von der ich verärgert u. verstimmt zurückgekommen bin.
Ich erfuhr auf dieser Sitzung auch, daß Herr Dr. Fiesel, der Museumsleiter von Rostock, kürzlich hier in Ahrenshoop gewesen ist, um von Triebsch ein Bild für das dortige Museum zu kaufen. Damit erklärt sich, wieso Triebsch sich neulich einen Marderpinsel bei mir lieh, um ein Bild zu signieren. Erzählt hat er mir nichts davon. –
Es wurde auch davon gesprochen, daß Herr Venzmer nicht mehr Vorsitzender der Sektion in Schwerin sein soll, aber Genaues wußte niemand. – Ferner war davon die Rede, daß die Sektionen des Kulturbundes aufgelöst u. geschlossen zum sogen. Freien Deutschen Gewerkschaftsbund zur Gewerkschaft 17 überwiesen werden sollen. – Die Organisation wird, wie man sieht straffer. Jetzt herrscht allgemeine Spannung, da am 25.11. die große Konferenz in London beginnen soll, von der Deutschlands nächste Zukunft abhängt. – Herr Molotow hat kürzlich in einer Rede gesagt: „Die Atombombe ist kein Geheimnis mehr“. Es wird sogar gesagt, die Russen hätten bereits praktische Versuche damit gemacht in der Nähe des Baikalsees. Das Grauen vor der Zukunft wird stärker! –
Gegen 1/2 5 Uhr kam P. Conrad, der morgen hier Gottesdienst halten wird. Wir wollten gerade Kaffee trinken u. luden ihn ein. Wir verplauderten die Zeit der Stromsperre bis 7 Uhr bei Kerzenlicht u. aßen dann zusammen Abendbrot. Danach brachte ich ihn in tiefster Finsternis durch zahllose Pfützen deren Wasser mir oben in die Schuhe lief, zum Hause Longard, wo er übernachten [6] soll. – Fritz schickte wieder Zeitschriften u. einen Brief nach dem er in dieser kommenden Woche mit Dr. Kunze nach Bln. fahren wird, wo er noch allerhand erledigen will. Wir können ihn kaum vor dem 1. Dezember erwarten, aber wahrscheinlich wird er seinen Geburtstag am 4.12. auch noch in Bln. verleben wollen. – Von Finanzamt bekamen wir die unangenehme Nachricht, daß vom 17. – 22.11. bei uns eine Betriebsprüfung stattfinden wird. Die dazu notwendigen Unterlagen hat Fritz nach Bln. mitgenommen u. befinden sich bei Dr. Birkenfeld. Es ist zu spät, das Finanzamt davon zu benachrichtigen.
Früh 9 Uhr Gemeinschaftsmesse, die heute schon besser klappte. P. Conrad ist ein ganz ausgezeichneter Prediger. Sonst ist er sehr gehemmt u. man kann daher nicht viel mit ihm anfangen. Nach der Messe frühstückte er bei uns. Wir besprachen Weihnachten. Wir werden, so Gott will, diesmal hier eine Mitternachtsmesse haben.
Heute habe ich zum ersten Male die Zentralheizung geheizt. Das Haus war schön warm. Sonst nichts Besonderes.
Es ist recht unangenehm kalt, windig, regnerisch u. dunkel sodaß ich nur wenig malen konnte. Abends Tolstoi vorgelesen, heute die ergreifende Stelle, wo die Maslowa auf der Bahnstation den hell erleuchteten Waggon vorüberfahren sieht, in dem Necheljudow sitzt. Diese Scene ist von einer unerhörten Meisterschaft.
Heute fiel der erste Schnee, der mittags in Regen überging. Dabei war es wieder so dunkel, daß ich fast garnicht arbeiten konnte.
Morgen ist protestantischer Buß= u. Bettag, der offizieller Feiertag ist. Da die BuStu. deshalb geschlossen bleibt, werde ich die Zentralheizung wieder in Gang bringen u. wir werden uns ein Sonntags-Frühstück, d.h. Bohnenkaffee u. ein Ei, gönnen.
Unsere Trude hat Scharlach bekommen u. liegt zuhause. Den ganzen Oktober hindurch war sie in Urlaub. Diese Krankheit wird abermals vier Wochen dauern. Hoffentlich ist sie dann wenigstens wieder gesund.
Die Finanzamts=Beamten haben sich bis jetzt nicht bei uns sehen lassen.
Schöner Tag mit warmem Haus u. gutem Frühstück. Da für uns kein eigentlicher Feiertag u. das Wetter hell war, arbeitete ich am Vormittag.
Vom Kulturbund Güstrow erhielt ich einen Brief u. glaubte, es würde darin die endgültige Festsetzung der Ausstellung meiner Bilder u. des projektierten Vortrages enthalten sein. Statt dessen teilt man mir mit, daß man, „nach Verhandlungen mit der Landesleitung des Kulturbundes in Schwerin sich hat entschließen müssen, die Ausstellung Ihrer Bilder u. den geplanten Vortrag vorerst ausfallen zu lassen, solange die zwischen Ihnen u. der Landesleitung in Schwerin bestehenden Differenzen nicht ausgeglichen sind.“
So etwas ist nun schlechthin empörend. Es handelt sich natürlich immer noch um die [7] Affäre dieses Sommers. Von der Landesleitung Schwerin habe ich niemals, weder mündlich noch schriftlich, eine Stellungnahme zu dieser Sache erhalten, nach der ich mich hätte rechtfertigen können. Mir ist also von einer „Differenz mit der Landesleitung“ garnichts bekannt u. erfahre davon erst durch dieses Schreiben aus Güstrow. Da die Landesleitung offensichtlich auch kein Bedürfnis fühlt, mir von dieser „Differenz“ Mitteilung zu machen u. ich mich niemals rechtfertigen kann, so heißt das, daß diese Differenz niemals beseitigt werden wird. Das heißt praktisch, daß ich dauernd von jeglicher öffentlichen Veranstaltung ausgeschlossen werde, was wiederum so viel heißt, daß ich aus dem Kulturbund ausgeschlossen worden bin –, nur meinen Mitgliedsbeitrag darf ich weiter zahlen. Das Tollste ist, daß ich davon garnichts weiß. Wer hat das verfügt? Wo ist ein solcher Beschluß gefaßt? Aus wem besteht überhaupt diese Landesleitung? Landesleiter ist Herr W. Bredel. Kann dieser Herr einfach dergleichen verfügen, ohne andere Personen zu hören, ohne Beschluß? Wenn das nicht Diktatur u. Faschismus ist, dann weiß ich nicht, was es dann sein soll! – Ich werde an Kleinschmidt schreiben u. ihn um Rat u. Auskunft bitten. – Und dabei hat Martha noch vor wenigen Tagen in Schwerin mit dem Intendanten Kähler aus Wustrow gesprochen, der von der ganzen Sache offenbar auch nichts weiß. –
Nachmittags während der Stromsperre war Margot Seeberg da.
Gestern war übrigens auch der Steuerbeamten zur Revision da, ging aber wieder, da Fritz nicht da war.
Heute besonders dunkel, aber sehr milde. Konnte nur in der Mittagszeit etwas arbeiten.
Abends nach dem Essen bei Küntzels, da Paul Geburtstag hatte. Er ist 65 Jahre geworden. Auf dem Wege dorthin gingen wir am Baltischen Hof vorbei, wo sich ein Passbild-Photograph mit der Herstellung von Passbildern abgab. Alle Einwohner mußten sich dort photographieren lassen, wofür 5 Rm. zu zahlen waren. Es sollen neue Personalausweise angefertigt werden. Für einen Familienvater mit größerer Familie ist das eine erhebliche Belastung.
Vormittags versuchte ich, einen Brief an Kleinschmidt zu schreiben wegen der Sache mit Güstrow, ebenso an Güstrow selbst. Ich hatte gestern bereits einen Brief entworfen, heute glückte mir, wie ich glaube, ein dritter Entwurf.
Ein schöner, ruhiger u. stiller Sonntag. Vor allem war es draußen ziemlich warm 10°, gestern auch schon. Hatte heute wieder die Zentralheizg. in Gang gesetzt, sodaß es auch im Hause überall schön warm war.
Vormittags schrieb ich Briefe: an Onkel August, dem ich für seinen leider vergeblichen Besuch bei Martha in der Lüneburgerstraße dankte u. sonst über mich berichtete. Sodann schrieb ich an Kleinschmidt einen nochmals redigierten Brief, der nun nach meiner Meinung sehr [8] meisterhaft ausgefallen ist, sowie an den Kulturbund in Güstrow.
In der Dunkelstunde während der Stromsperre unterhielt ich mich mit Martha über die Möglichkeit einer Uebersiedlung nach Berlin. Eine Neigung dazu ist längst bei mir vorhanden, doch schreckte ich bisher vor der Strapaze zurück, die ein solcher Umzug bedeuten würde. Außerdem ist es ja auch hoffnungslos, in Bln. eine einigermaßen genügende Wohnung zu finden. Bei ihrem letzten Besuch in Bln. hat Martha jedoch mit allerhand Leuten gesprochen, die angeblich die Möglichkeit haben, nicht nur eine Zuzugsgenehmigung zu erwirken, sondern auch eine Wohnung in westlichem Vorort im amerikan. Sektor zu besorgen. Ein solcher Plan ist sicher noch zu früh u. noch nicht durchführbar, aber die Hauptsache ist, daß ich mich gesund genug fühle, um eine solche Sache auf mich zu nehmen u. daß ich auch innerlich völlig bereit zu einem solchen Unternehmen bin. Die Unverschämtheit, mit der dieser Kulturbund sich herausnimmt, einen Boykott über mich zu verhängen, hat dem Faß den Boden ausgeschlagen. Ich will mir solche Frechheiten nicht mehr bieten lassen. Aber zunächst muß das Ergebnis der Londoner Konferenz abgewartet werden, die übermorgen beginnt u. wahrscheinlich sehr bald scheitern wird. Es gibt wohl kaum jemanden, der nicht mit einem Scheitern rechnete. Wenn es der Fall ist wird die Ostzone ganz an Rußland ausgeliefert sein u. damit der SED., u. wie lange das dann dauern wird, wissen nur wenige. Ueber's Jahr wird in Amerika der neue Präsident gewählt. Ob Truman trotzdem oder gerade deshalb im Frühjahr losschlagen wird? wer kann es wissen! – Wie dem auch sei, – ich werde, so Gott es will, auf jeden Fall den Plan der Umsiedlung nach Bln. ausführen, da auch Martha sehr für diesen Plan eingenommen ist.
Koch-Gotha lädt schon wieder zu einer Sitzung der Sektion zu morgen ein, es steht die Verlesung des Berichtes über die Delegierten-Versammlung des K-B. in Schwerin auf der Tagesordnung, also des Berichtes, den letzhin Herr Neumann hätte halten sollen, wenn er erschienen wäre. Koch-Gotha bemerkt, daß die Verlesung pünktlich um 3 Uhr beginnen wird, da sie sehr umfangreich ist u. das Tageslicht ausgenützt werden muß. – Ich habe mich entschlossen, nicht hinzugehen, da dieser Bericht auf jeden Fall im Sinne der SED. gefärbt ist u. weil mir dieser ganze Kulturbund überhaupt zum Halse heraushängt.
Das Bild „Familie“ oder „Flüchtlinge“, wie ich es vielleicht nennen werde, macht langsame Fortschritte. Es ist meist zu dunkel zum Malen.
Morgen fängt die Außenminister-Konferenz in London an. Man ist allgemein sehr nervös.
Nachmittags war die Sitzung der Sektion, zu der alle Mitglieder außer mir selbst erschienen waren. Martha war hingegangen, um zu beobachten u. zu berichten. Herr Neumann – Wustrow war diesmal da u. es wurde der Bericht der Delegierten-Konferenz in Schwerin verlesen, zu dem Koch-Gotha richtig bemerkte, daß er parteipolitisch zurechtgemacht sei. Herr Neumann las dann eine Resolution des Kulturbundes zur Londoner Außenministerkonferenz vor, der von allen Anwesenden unterschrieben werden sollte [9] Diese Resolution war aber ebenfalls nichts anderes als Aufruf der SED. zur sogen. Einheit Deutschlands, unter der die SED. eine Einheit unter Kommunismus versteht. Koch-Gotha lehnte seine Unterschrift wütend ab. Er scheint sich ja überhaupt sehr temperamentvoll geäußert zu haben. Um so besser, daß ich nicht da war. Ich hätte natürlich im gleichen Sinne gesprochen u. man hätte mir daraus wieder einen neuen Strick drehen können. Man einigte sich schließlich dahin, daß niemand die Resolution unterschrieb u. nur allgemein gesagt werden sollte, daß sie verlesen worden sei u. daß die Anwesenden einverstanden seien.
Die Konferenz in London hat heute begonnen.
Heute war merkwürdigerweise den ganzen Tag über keine Stromsperre.
Es ist wieder scheußlich kalt u. windig geworden. Von Fritz traf ein Telegramm ein, daß er am Sonntag nach Stralsund fährt, dort übernachtet u. am Montag früh in Ribnitz sein will. Ich bin sehr gespannt, wie es mit seiner Gesundheit steht.
Ich denke jetzt, nachdem der Gedanke einmal ausgesprochen worden ist, viel an unsere Uebersiedlung nach Berlin. Möchte dieser Wunsch doch in Erfüllung gehen. Aber erst soll einmal die Londoner Konferenz zu einem Resultat kommen, damit man sieht, was werden wird. –
Von Fritz Zeitungspäckchen u. beiliegender Brief aus Berlin. Er kommt also wohl am Montag zurück. Er schreibt, daß er sich gesundheitlich wohl fühlt, aber er teilt auch mit, daß er das Bild „Weidenkätzchen“, das Dr. Kunze mitgenommen, aber noch nicht bezahlt hat, wieder zurückbringt, angeblich, weil die Frau des Dr. K. das Bild nicht will. Das ist eine bittere Enttäuschung, da ich mit diesen 2000,– sicher gerechnet hatte. –
Mit meinem Bilde komme ich nur schwer vorwärts. Es ist alles gut, nur die Figur der Frau macht große Schwierigkeiten.
Heute hat mein Bild gute Fortschritte gemacht, indem ich die Frauengestalt erheblich viel dunkler gemacht habe, wodurch sie besser in den Raum hineingemalt ist. Ich hoffe, daß ich morgen fertig werde.
Es ist recht kalt, jedoch ziemlich windstill.
Es scheint mir so, als wäre mit meiner Blase wieder irgendetwas nicht in Ordnung. Es ist wohl dieses Klima hier, das ich nicht mehr gut vertrage.
Es geht das Gerücht, daß ab Montag die Stromsperre täglich von 6 bis 10 Uhr abends sein soll, satt wie bisher von 4 bis 7 Uhr. Es wäre schrecklich.
Es war so dunkel, daß man so gut wie garnicht arbeiten konnte, nur zwischen 11 – 12 Uhr wurde es etwas heller. Ich benutzte diese Stunde, um das Bild fertig zu machen, ob es nun wirklich fertig ist, muß sich erst zeigen, – ich glaube nicht.
Schöner, ruhiger Sonntag. Zentralheizung, sodaß es auch bei mir warm ist u. ich nicht so [10] frieren muß, wenn ich zu Bett gehe. – Von Dr. Kunze ein sehr ausführlicher Brief über Fritzens Gesundheit. Er beurteilt ihn optimistisch u. glaubt, daß die Kur Erfolg gehabt hat. – Ueber die Rückgabe des Bildes schreibt er sehr nett. Er hat eine große Steuer-Nachzahlung leisten müssen u. die baulichen Veränderungen, die er in seinem Privathause hat machen lassen, scheinen ebenfalls mehr gekostet zu haben, als er veranschlagt hatte. Das ist ja immer so. Jedenfalls konnte er bis zu Weihnachten den Preis für das Bild nicht zahlen u. er schickt es deshalb zurück. Das ist nun sehr dumm, er hätte das Bild behalten u. später zahlen sollen, das wäre mir viel lieber gewesen. –
Er schreibt weiter, daß mein sogen. Schwiegersohn Heinrich Isensee seiner Einladung nach Meissen zu kommen, nicht gefolgt sei. Er selbst wollte ja mit Fritz nach Bln. fahren u. Isensee besuchen, doch ist auch das nicht geworden. Er meint, daß Fritz nun Isensee besuchen u. Grüße ausrichten solle, doch hoffe ich, ehrlich gesagt, daß Fritz dies nicht tun wird. Morgen wird Fritz, so Gott will, ja wieder hier sein.
Der Kulturbund veranstaltet jetzt dauernd scheinheilige Protestkundgebungen wegen seines Verbotes in der Westzone u. dem englischen u. amerikan. Sektor Berlins. Die Rede Bechers auf einer neuerlichen Kundgebung die ich hier aufbewahren möchte paßt wörtlich auf das, was der K-B. mit mir treibt. Man kann diese Rede ohne weiteres auch so formulieren:
„Das Verbot des Malers Hans Brass u. seiner Arbeit im Kulturbunde zur demokrat. Erneuerung Deutschlands kam durch eine Denunziation u. eine gewissenlose Hetze von Seiten des Präsidenten u. des Landesleiters Dr. h.c. Willi Bredel zustande. Braß hatte erwartet, gehört zu werden. Jeder Versuch einer Rechtfertigung aber wurde zurückgewiesen. In einem abgekürzten Geheimverfahren wurde Brass verurteilt. Es ist unzulässig, einen Maler, noch dazu einen solchen, der für die demokrat. Erneuerung arbeitet, zu verbieten u. einfach zum Verschwinden zu bringen.
.... Der Präsident u. der Landesleiter haben aber von Anfang an eine verständnislose, wenn nicht gar feindliche Haltung bewiesen.
.... zu denen in erster Linie die Wahrung der Freiheit der Persönlichkeit u. das Recht auf freie Betätigung .... gehören“. –
Die ganze Scheinheiligkeit dieser Leute kommt hier klar zum Ausdruck. Wenn man sie mundtot machen will, schreien sie Zeter u. Mordio, machen aber selbst jeden mundtot, der nicht nach ihrer Pfeife tanzt.
[An dieser Stelle ist ein Zeitungsartikel eingeklebt mit Unterstreichungen von Hans Brass und der Quellenangabe:]
Protestkundgebung des Kulturbundes / Scharfe Anklage J. R. Bechers
Berlin (Eig. Ber.). Im großen Sendesaale des Berliner Rundfunks hielt am Mittwochabend der Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands eine öffentliche Protestkundgebung ab. Aus allen Sektoren Berlins waren die Mitglieder des Kulturbundes, und viele Freunde zusammengekommen, um mit der Zentralleitung Verwahrung einzulegen gegen die Unterdrückung des Kulturbundes im britischen und amerikanischen Sektor Berlins.
Als Sprecher des Kulturbundes kamen zu Worte sein Präsident Johannes R. Becher, Generalsuperintendent Dr. Krummacher, Greta Kuckhoff, Prof. Bennedik, Intendant Legal und Ernst Lemmer. In seiner scharf formulierten Ansprache sagte Becher u. a.: „Das Verbot des Kulturbundes im britischen und amerikanischen Sektor Berlins kam durch eine Denunziation und eine gewissenlose Pressehetze von deutscher Seite zustande. Der Kulturbund hatte erwartet, gehört zu werden. Jeder Versuch einer Rechtfertigung aber wurde zurückgewiesen. In einem abgekürzten Geheimverfahren wurde der Kulturbund verurteilt. Es ist unzulässig, eine Gemeinschaft von Menschen, noch dazu eine solche, die für die demokratische Erneuerung arbeitet, zu verbieten und einfach zum Verschwinden zu bringen.
Es ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, daß eine große freiheitliche Kulturorganisation in einer Paragraphenschlinge erwürgt werden kann.
Bei gutem Willen und Verständnisbereitschaft vor allem der amerikanischen Dienststellen hätte sich eine einheitliche Stellungnahme zum Kulturbund wohl erzielen lassen können. Amerikanische Dienststellen haben aber von Anfang an eine verständnislose, wenn nicht gar feindliche Haltung bewiesen. Die britische Militärregierung zeigte Entgegenkommen. Der Kulturbund dankt der französischen Militärregierung, daß sie dem amerikanischen Verfahren nicht gefolgt ist.
Die Überparteilichkeit des Kulturbundes ist vielen Deutschen ein Dorn im Auge. Sie wollen die Vernichtung einer Organisation, die bestrebt ist, um jeden Preis einen Bruderkrieg zu vermeiden, und die alles daran setzt, ausgleichend und versöhnend zu wirken. Eine solche Organisation ist für die Parteigänger des kalten Krieges und eines deutschen Bruderkrieges untragbar. Das ist der wahre politische Hintergrund des Verbotes.
Wir sind unter keinen Umständen gewillt, das Verbot einer demokratischen Organisation ohne Widerspruch hinzunehmen. Dieses Verbot am Vorabend der Londoner Konferenz hat gezeigt, wer die Einheit Deutschlands wirklich will. Der Kulturbund wird sich auch weiterhin mit allen Kräften der Schaffung von Verhältnissen widmen, zu denen in erster Linie die Wahrung der Freiheit der Persönlichkeit und das Recht auf freie Betätigung freiheitlicher Organisationen gehören.“
Die Protestversammlung nahm nach den Ansprachen eine Resolution an, in der noch einmal zusammenfassend das Verbot des Kulturbundes im britischen und amerikanischen Sektor Berlins beleuchtet und zurückgewiesen wird.