TBHB 1947-09-14
Einführung
[Bearbeiten]Der Artikel TBHB 1947-09-14 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 14. September 1947. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über zwei Seiten.
Tagebuchauszüge
[Bearbeiten][1] Um 9 Uhr hl. Messe im „Musikzimmer“. Dr. Rudlof kam einige Minuten zu spät total erschöpft an, er hatte bei Hof Körkwitz eine Radpanne gehabt u. hat den ganzen Weg, das Rad schiebend, zu Fuß zurückgelegt. Das Rad ließ er in Wustrow zur Reparatur, sodaß er auch nachher nach Wustrow zu Fuß zurückmußte. Er frühstückte bei uns. Zum Fest „Kreuzerhöhung“ hielt er diesmal, abgesehen von seinen Schwimmbewegungen, eine ganz gute Predigt.
Gegen 1/2 3 Uhr nachm. verabschiedeten sich Kunzes nun endgültig. Merkwürdig wie sehr dieser Mann sich zu mir hingezogen fühlt, es standen [2] ihm beim Abschied die Tränen in den Augen. Ich zeigte seiner Frau noch rasch auf ihren Wunsch den „Christkönig“ u. die „Himmelskönigin“. Dr. K. möchte gern das letztere Bild auch noch haben. Der „Fischland=Exress“ war, wie sich dann ergab, derart überfüllt, daß Kunzes nicht mitkamen. Das Auto kam später nochmals zurück, um die zurückgebliebenen Gäste direkt nach Rostock durchzufahren. Auch diese zweite Fuhre war überfüllt, aber Kunzes sind nun wirklich fort.
Vormittags war zuerst die Frau des Malers Otto Nagel da, später kam auch er. Ich freute mich, diese Leute kennen zu lernen. Er macht einen düsteren Eindruck, sie ist eine ungemein sympatische Russin von der Art der alten Zeit, wie sie es jetzt wohl nicht mehr gibt. Da beide mit Becher sehr befreundet zu sein scheinen, liegt mir an dieser Bekanntschaft etwas. Nagel selbst war vom „Wartenden“ sehr stark beeindruckt u. spendete dem Bilde größte Anerkennung.
Am Nachmittag erwarteten wir vergeblich den Maler Oldenburg aus Stralsund, dessen Frau hier ist u. die seine sympatische Persönlichkeit ist. Er wollte seine Frau hier abholen, kam aber nicht, sondern schickte nur ein Auto, das ihm als Leiter des Kulturbundes von Stralsund zur Verfügung steht. Er wird, wie Frau O. sagte in nächster Zeit hierher kommen u. wird uns dann besuchen.
Wie ich höre, hat Otto Nagel schon früher stets günstig über meine Bilder gesprochen, auch Becher gegenüber, der aber, wie man sagt, den Expressionismus zu stark ablehnt, um Verständnis für mich zu haben. Dieser Herr ist wirklich sehr eigenartig. Er ist abends oft im Kurhause, wo er sich häufig so betrinkt, daß er wankend hinausgeht. Seine Sekretärin war früher Sekretärin von Dr. Mertens, dem Oberbürgermeister von Jena, der zusammen mit dem Landespräsidenten Dr. Paul flüchtig ist. Mertens u. Paul waren beide im Sommer hier, Paul hat bei Becher gewohnt. Diese eng scheinende Verbindung ist Herrn Becher nun vor den Russen wahrscheinlich sehr unangenehm, sodaß er seine Sekretärin jetzt nach Berlin geschickt hat. – Alles das sind graue Schattengestalten, die sich nur mühsam, am Leben erhalten. – Die Flucht von Dr. Paul u. Dr. Mertens verursacht hier unter den Gästen allerhand Gerüchte. Auch das Gerücht, daß Plivier geflohen sei erhält sich trotz eines Dementis des Nordwestdeutschen Rundfunks hartnäckig am Leben.