TBHB 1947-09
Einführung
[Bearbeiten]Der Artikel TBHB 1947-09 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom September 1947. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 11 Seiten.
Tagebuchauszüge
[Bearbeiten]Nachmittags 4 Uhr fuhren Martha u. Fritz in Kurt Spangenberg's Auto nach Rostock, von wo sie morgen früh im Sonderzug weiterfahren werden nach Leipzig zur Messe. Ich bin mit Anneliese allein im Hause, was mir ziemlich lästig ist, ich wäre lieber ganz allein.
Gegen Abend begrüßte mit Frau v. Gutenberg im Garten. Sie ist nochmals für eine Woche hergekommen. Während ihres letzten Hierseins hatte ich ihr, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, über Herrn Venzmer meine Meinung gesagt. Ich hatte geglaubt, daß sie mir das sehr übel genommen hätte; aber das ist offenbar nicht der Fall. Sie zeigte mir Fotos von ihren letzten Arbeiten: ein „Wanderer“, der aber nicht wandert, sondern kerzengerade u. sehr hager dasteht. Er hält einen Stock, stützt sich aber nicht darauf. Es wird nicht recht klar, was das Ganze sein soll. Das andere Bildwerk stellt einen Gefangenen mit gefesselten Händen dar, neben ihm seine junge Frau. Beide Sachen sind recht wenig überzeugend. – Ich nahm sie mit herauf u. zeigte ihr das Bild „Der Wartende“. Sie sah dabei auch das Selbstporträt, das auf der Staffelei stand u. glaubte, daß ich dieses Bild für die Ausstellung „Selbstporträts“ malte, welche der Kulturbund veranstalten will. Ich sagte ihr aber, daß ich mich an Kulturbund-Ausstellungen in Mecklenburg nicht beteilige, nachdem ich bis heute immer noch nicht meine fehlenden Zeichnungen zurückbekommen habe u. man mir auf meine wiederholten Anfragen überhaupt nicht antwortet.
Nachmittags besuchte mich Herr v. Vegesack aus Pirna, ein Maler. Er machte mich auf einen Artikel in der Tägl. Rundschau vom 30.8. aufmerksam, den ich nicht gelesen hatte, da er nur ein Bericht über Parteiversammlungen der SED. vor dem demnächst stattfindenden Parteitage war. In diesem Artikel findet sich ein Passus folgenden Wortlautes: „Es wurden auch Beispiele angeführt, in denen darauf hingewiesen wurde, daß die Bürgermeister besonders in den Dörfern u. kleineren Ortschaften den Kampf gegen Gesetzesübertretungen, gegen Schieber u. verkappte Nazis, die an einzelnen Orten bereits wieder frech werden, nicht energisch genug führen. Nicht überall erteilt die demokratische Oeffentlichkeit diesen Reaktionären u. Nationalisten die gebührende Abfuhr (wie z.B. in Hagenow, Ahrenshoop und anderen Orten.)“ – Es ist nicht klar, ob ich damit gemeint bin, oder nur die Schwarzhandel=Aktion der Kriminalpolizei, oder beides. Das Letztere dürfte zustimmen. Die Gefahr ist jedenfalls deutlich.
Während Herr v. V. bei mir war, kam auch Dr. Kunze, Beide Herren aus Sachsen hatten viele gemeinsame Bekannte. Herr v. V. ließ sich sehr freimütig über das aufreizende Benehmen der hier anwesenden Kulturbund=Bonzen aus. Davon steht freilich nichts in der Tägl. Rundschau, vor allem nichts davon, daß diese Leute die größten Nutznießer des Schwarzhandels sind. –
[2]Ueber Mittag kam Dr. Kunze, um mich zu untersuchen. Er fand Herz u. Lunge in gutem Zustande, doch ergab die Prüfung des Blutdrucks einen Unterdruck. Er schrieb mir ein Rezept für Sciltoral, das ich mir wohl durch Ruth aus Regensburg besorgen lassen muß, in der Ostzone gibt es das nicht. Ferner empfahl er mir Ganzwaschungen oder Teilbäder von Armen oder Füßen in der Temperatur langsam steigend bis 44°.
Nachmittags Herr Triebsch.
Abends gelüstete es mich, einen Schnaps zu trinken u. ich ging dazu ins Seezeichen, doch war dort kein Schnaps zu bekommen. Ich traf das Ehepaar Dr. Kunze, die dort essen. – Herr Möller, der Wirt, bot mir 50 gr. Tabak an für 65,– Rm., den ich kaufte. Dieser Tabak hätte früher höchstens 30 Pf. gekostet.
Nachmittags kam Dora Oberländer u. bestellte, daß Herr Holtz zu morgen Nachmittag 4 Uhr eine Versammlung der Sektion bei Schütz in Niehagen einberufen habe, da er den Vorsitz niederlegen wolle.
Abends 1/2 9 Uhr erschien unerwartet P. Beckmann, um sich zu verabschieden. Er ging, aber erst noch zu Triebsch u. ist bis jetzt 1/4 nach 10 Uhr noch nicht zurück. Er will bei uns nächtigen u. morgen früh zelebrieren. Er muß oben in der Dachkammer schlafen, da sonst nichts frei ist.
Möglicherweise kommen Martha u. Fritz noch heute Abend zurück.
P. Beckmann kam gestern abend von Triebsch zurück u. bald darauf trafen auch Martha u. Fritz aus Leipzig wieder hier ein. Sie hatten in einem schlecht besetzten Sonderzug eine bequeme Rückfahrt gehabt, auch der Sonderzug zur Hinfahrt war schlecht besetzt gewesen, sodaß heute ein von der Bahn vorgesehen gewesener Sonderzug ausfallen mußte. Der Besuch scheint demnach hinter den Erwartungen zurückzubleiben. Martha traf in Leipzig Otto Wendt. Die Messe war wohl interessant u. sie haben auch gekauft, Fritz meint, für etwa 5000,– Rm. doch wissen sie nicht, wann die Waren geliefert werden können.
P. Beckmann zelebrierte heute früh, wozu etwa 15 Katholiken, rasch zusammengerufen, zugegen waren. Er hielt eine kurze Abschiedsansprache. Der neue Herr, ein P. Konrad, gebürtiger Schlesier, der bis vor kurzem in Breslau geblieben ist, ist bereits in Ribnitz. – Nach dem Frühstück zeigte ich ihm das Bild „Der Wartende“, zu dem er mich ja angeregt hatte u. das ihm ausnehmend gefiel, ebenso wie das Selbstporträt, das morgen vielleicht fertig werden wird. Er fuhr dann mit dem Rade nach Ribnitz zurück. Er hat nun ein schönes Jahr der Sammlung vor sich am Starenberger See.
Nachmittags besuchte mich ein Herr Merz aus Rostock. Belanglos.
Die Sitzung der Sektion, zu der Fritz ging, ergab die Wahl Koch-Gothas als neuen Vorsitzenden. Er nahm die Wahl an.
Im Nordwestdeutschen Rundfunk wurde eben [3] das plötzliche Verschwinden des Thüringischen Ministerpräsidenten Paul bekannt. Dieser Herr war im Sommer hier im Kurhause u. fiel durch sein pompöses Auto mit uniformiertem Schofför auf. Offenbar ist er geflohen, da er bei den Russen in Ungnade gefallen war. Jetzt wird er gesucht, die Russen wollen ihn verhaften, haben ihn aber nicht.
Anneliese Wegscheider u. Nina Bittner sind heute wieder abgereist. Mit Anneliese mußte ich hier allein sein, während Martha in Leipzig war. Es war entsetzlich langweilig. Sie ist eine brave, gute Frau, jedoch mit einem sehr engen Horizont.
Dr. Kunze brachte mir eine Packung von 200 Tabl. Verodigen. Ich muß drei Tage jede Woche je 3 Tabl. davon nehmen, bis es alle ist. Desgleichen Sciltoral, das ich mir aber erst durch Ruth beschaffen muß.
Gestern Nacht ist Doddy Kahlig mitsamt seiner Mutter von den Russen abgeholt worden. Doddy soll sich, großsprecherisch wie er ist, damit gebrüstet haben, daß er Agent den englischen oder amerikanischen Geheimdienstes, sei, was vielleicht stimmen mag, wahrscheinlich aber aufgeschnitten ist. Es soll wegen dieser Sache auch die deutsche Kriminalpolizei hier gewesen sein. Doddy war also gewarnt, doch ist er trotzdem hier geblieben, weil er sich wohl sicher fühlte. In der letzten Nacht ist jedenfalls ein Auto hiergewesen mit zwei GPU=Leuten in Civil Auch Herr Carsten, der Kurdirektor u. russische Agent war dabei. Es ist eine Haussuchung gemacht worden u. man hat Mutter u. Sohn mitgenommen. Hier im Dorf wird es nur wenige geben, die diese Sache bedauern.
Das Selbstporträt ist heute fertig geworden. Ich finde, daß es ein ganz ausgezeichnetes Bild geworden ist. – Nachmittags verabschiedete sich Herr Benthin, dem ich es zeigte u. der sehr entzückt davon war.
Der flüchtige thüringische Ministerpräsident Paul hat übrigens im Sommer zusammen mit Joh. R. Becher gewohnt im Hause Reinmöller. Wahrscheinlich wird Herr B. deshalb jetzt wieder in Verlegenheit sein.
Heute war hier Kinderfest. Die Kinder machten abends einen Umzug durch's Dorf im Lampions. Man muß sich wundern, woher die vielen Kerzen u. Lampions kamen. Es war das erste Kinderfest nach dem Kriege u. war sehr hübsch. Die Musik wurde vertreten durch eine Zieharmonika u. Gesang der Kinder, was mindestens ebenso hübsch war wie die Ribnitzer Musik, die früher für diese Gelegenheit engagiert wurde.
Stiller, ruhiger Sonntag. Unentwegt prächtiges Hochsommerwetter, die Trockenheit ist katastrophal in ganz Deutschland.
Vormittags zeichnete ich eine Studie einer verblühten Topfblume. – Nach Tisch Spaziergang mit Martha an der Boddenseite hinter der Schwedenschanze. Dr. Kunze hat mir solch tägliche Spaziergänge verordnet u. er wird wohl recht haben. – Nachmittags war ein Herr Michaelsen mit Frau u. Tochter, Kunsthändler aus Schwerin, in meiner Ausstellung. [4] Alle drei sehr nette, sympatische Menschen. Die Tochter studiert in Frankreich. – Das Wetter scheint sich ändern zu wollen, endlich Regen, aber für die Ernte viel zu spät.
Ueber das Verschwinden des thüringischen Ministerpräsidenten Dr. Paul schweigt sich die Presse verlegen aus, nur die Tägl. Rundschau brachte heute eine kurze u. versteckte Notiz. Heute wurde hier erzählt, daß auch unser mecklenb. Ministerpräsident ausgerückt sei. Das ist natürlich Unsinn, aber es gibt keinen Unsinn, den die Leute nicht glauben.
Gestern Nachmittag besuchte mich der Maler Hinrichs aus Schwerin, ein sehr netter Kerl, aus einfachen, bäuerlichen Verhältnissen stammend. Er will nicht mehr sein, als er ist, sehr bescheiden, dabei aber doch seiner selbst bewußt; Autodidakt, sehr bemüht um seine Entwicklung u. sehr aufgeschlossen für den Expressionismus, wenngleich er selbst auch noch im Naturstudium befangen ist. Der Wille, sich selbst vor der Natur zu behaupten, ist aber stark fühlbar. Er zeigte mir einige Federzeichnungen, alte Katen usw., die mit Schwung gemacht sind. Er hat noch nicht ganz romantische Vorstellungen überwunden, er ist noch nicht zu sich selbst gekommen, aber wenn ihm einmal der Durchbruch zu sich selbst gelungen sein wird, kann man von ihm wohl etwas erwarten. – Er war in Begleitung seiner Freundin, eine ganz bescheidene junge Frau, hübsch u. wie sie nicht ohne Befriedigung betonte: katholisch. Hinrichs ist sehr unzufrieden mit den Schweriner Kunst=Verhältnissen u. er möchte von dort weg. Er erwägt den Gedanken, hierher nach Ahrenshoop zu kommen, was sehr nett wäre, ich würde mich gern seiner annehmen. Besonders auf Venzmer ist er sehr ärgerlich, da dieser nicht nur nichts für die Künstler tut, sondern bei seiner reaktionären Gesinnung jeden Fortschritt hemmt.
Abends kam kurz Dr. Longard mit seiner Frau. Der Kurdirektor Karsten ist schon seit dem Frühjahr bemüht, das Haus Longard zu kaufen oder zu pachten. Was dieser junge, 24jährige Mensch mit diesem Hause will, ist unklar. Jetzt ist ein Herr Heyer (oder ähnlich) mit seiner Familie als Sommergast im Hause. Er ist angeblich ein Onkel von Karsten, aber es bestehen Zweifel, ob das stimmt. Dieser Herr will nun das Haus kaufen oder pachten u. er benimmt sich, als ob er schon der Besitzer wäre. Longards wollen aber nicht verkaufen u. sind sehr mißtrauisch, da offenber bei dieser ganzen Sache etwas unklar ist u. irgend welche Dinge im Hintergrunde zu stehen scheinen, die man nicht durchschaut.
Während Longards da waren –, wir saßen unten in der Diele, kamen Dr. Kunze u. Frau, mit denen wir, nachdem Longards gegangen waren, im Seezimmer saßen. Sie gingen erst kurz vor 12 Uhr. Sie gaben uns Einblick in ihre Familienverhältnisse, in denen auch nicht alles so kleinstädtisch=ehrpusselig ist, wie man denken sollte.
Das Wetter ist nun endlich umgeschlagen, es ist windig, regnerisch u. kühl.
Nachmittags wie gewöhnlich Triebsch.
Vormittags ein mir nicht bekannter Herr aus Brunshaupten im Atelier, um Bilder zu sehen.
Sandberg schreibt, daß ich im das Bild „Der Leuchtturm“ schicken soll.
[5]Nach der Studie einer verblühten Topfblume eine Federzeichnung gemacht. Nachmittags Kaffee auf der Terrasse, da das Sommerwetter wiedergekommen ist. Herr u. Frau Dr. Kunze waren unsere Gäste, die bis gegen 1/2 7 Uhr blieben. Ehe sie gingen, kam ein Frl. Blank aus Dresden, angeblich Geschäftsführerin des dortigen Kulturbundes, um meine Bilder zu sehen. Sie meinte, daß im nächsten Jahre wieder in, Dresden eine große Kunstausstellung stattfinden würde.
Endlich erscheinen jetzt in der Presse Notizen über die Flucht des Dr. Paul. Danach sind außer ihm selbst u. seiner Frau noch vier weitere Personen geflohen, in zwei Autos.
Durch den Nordwestdeutschen Rundfunk wurde heute bekannt, daß es sich bei einer der Personen, die mit Dr. Paul geflohen sind, um den Oberbürgermeister von Jena handelt. Das Gerücht, daß der Schriftsteller Plivier ebenfalls geflohen sei, wird dementiert.
Die Federzeichnung der verblühten Blume wurde heute fertig. Sie ist gut geworden, sodaß ich ein Bild daraus machen werde.
Dr. Longard verabschiedete sich, er fährt am Sonntag nach Bln. zurück. Die Vermietung seines Hauses an Herrn Heyer hat er rückgängig gemacht.
Nach wie vor sehr warmes Sommerwetter.
Vom Kulturbund in Güstrow ein Brief, nach welchem man dort Wert darauf legt, Bilder von mir im Foyer des dortigen Stadttheaters zu zeigen u. einen Vortrag von mir über Expressionismus zu hören. Der Termin für beides steht jedoch noch nicht fest.
Ein überaus warmer Sommertag.
Vormittags das neue Blumenbild angelegt. Nachmittags, war die Gattin des ehemals Hallenser, jetzt Leipziger Oberspielleiters (Rückert?) bei uns zum Bohnenkaffee, den sie spendierte, zusammen mit ihrer kleinen, sehr niedlichen Tochter. Wir saßen auf der Terrasse. Später zeigte ich ihr meine letzten Bilder, wobei Herr Dr. Janasch – Berlin dazu kam. Ob diesem meine Bilder Eindruck gemacht haben, konnte ich nicht feststellen, da er viel sprach über die Kunst=Situation in Berlin, aber über die Bilder nichts sagte.
Um 9 Uhr hl. Messe im „Musikzimmer“. Dr. Rudlof kam einige Minuten zu spät total erschöpft an, er hatte bei Hof Körkwitz eine Radpanne gehabt u. hat den ganzen Weg, das Rad schiebend, zu Fuß zurückgelegt. Das Rad ließ er in Wustrow zur Reparatur, sodaß er auch nachher nach Wustrow zu Fuß zurückmußte. Er frühstückte bei uns. Zum Fest „Kreuzerhöhung“ hielt er diesmal, abgesehen von seinen Schwimmbewegungen, eine ganz gute Predigt.
Gegen 1/2 3 Uhr nachm. verabschiedeten sich Kunzes nun endgültig. Merkwürdig wie sehr dieser Mann sich zu mir hingezogen fühlt, es standen [6] ihm beim Abschied die Tränen in den Augen. Ich zeigte seiner Frau noch rasch auf ihren Wunsch den „Christkönig“ u. die „Himmelskönigin“. Dr. K. möchte gern das letztere Bild auch noch haben. Der „Fischland=Exress“ war, wie sich dann ergab, derart überfüllt, daß Kunzes nicht mitkamen. Das Auto kam später nochmals zurück, um die zurückgebliebenen Gäste direkt nach Rostock durchzufahren. Auch diese zweite Fuhre war überfüllt, aber Kunzes sind nun wirklich fort.
Vormittags war zuerst die Frau des Malers Otto Nagel da, später kam auch er. Ich freute mich, diese Leute kennen zu lernen. Er macht einen düsteren Eindruck, sie ist eine ungemein sympatische Russin von der Art der alten Zeit, wie sie es jetzt wohl nicht mehr gibt. Da beide mit Becher sehr befreundet zu sein scheinen, liegt mir an dieser Bekanntschaft etwas. Nagel selbst war vom „Wartenden“ sehr stark beeindruckt u. spendete dem Bilde größte Anerkennung.
Am Nachmittag erwarteten wir vergeblich den Maler Oldenburg aus Stralsund, dessen Frau hier ist u. die seine sympatische Persönlichkeit ist. Er wollte seine Frau hier abholen, kam aber nicht, sondern schickte nur ein Auto, das ihm als Leiter des Kulturbundes von Stralsund zur Verfügung steht. Er wird, wie Frau O. sagte in nächster Zeit hierher kommen u. wird uns dann besuchen.
Wie ich höre, hat Otto Nagel schon früher stets günstig über meine Bilder gesprochen, auch Becher gegenüber, der aber, wie man sagt, den Expressionismus zu stark ablehnt, um Verständnis für mich zu haben. Dieser Herr ist wirklich sehr eigenartig. Er ist abends oft im Kurhause, wo er sich häufig so betrinkt, daß er wankend hinausgeht. Seine Sekretärin war früher Sekretärin von Dr. Mertens, dem Oberbürgermeister von Jena, der zusammen mit dem Landespräsidenten Dr. Paul flüchtig ist. Mertens u. Paul waren beide im Sommer hier, Paul hat bei Becher gewohnt. Diese eng scheinende Verbindung ist Herrn Becher nun vor den Russen wahrscheinlich sehr unangenehm, sodaß er seine Sekretärin jetzt nach Berlin geschickt hat. – Alles das sind graue Schattengestalten, die sich nur mühsam, am Leben erhalten. – Die Flucht von Dr. Paul u. Dr. Mertens verursacht hier unter den Gästen allerhand Gerüchte. Auch das Gerücht, daß Plivier geflohen sei erhält sich trotz eines Dementis des Nordwestdeutschen Rundfunks hartnäckig am Leben.
Nachmittags hatte ich den sehr angenehmen Besuch von Herrn Dr. Jaenicke u. seiner netten, jungen Frau. Herr Dr. J. war stellvertretender Landrat, als ich Bürgermeister war u. er hat mich damals dienstlich besucht, als ich gerade aus dem Krankenhause entlassen worden war. Seitdem haben wir uns nicht wieder gesehen. Wir sprachen von den politischen Zuständen u. ich ersah sofort, daß Herr Dr. J. genau dieselben Ansichten hat, wie ich. Da er u. seine Frau dann vor meinen Bildern recht vernünftige Fragen stellten, fiel es mir leicht, ihnen etwas zu sagen. Beide waren dadurch in steigendem Maße interessiert, sodaß es sehr anregend war. Sie waren fast zwei [7] Stunden bei mir u. ich habe das sichere Bewußtsein gute Freunde gewonnen zu haben.
An den Kulturbund in Güstrow geschrieben, ob sie mir ein Lastauto schicken können. Ferner an den Kulturbund in Rostock geschrieben, der meine Anfrage vom 17. Juni über den Verbleib meiner zwei Zeichnungen bis heute nicht beantwortet hat, obgleich ich am 20. August eine Antwort schon einmal angemahnt hatte.
Immer noch sehr warmes Sommerwetter.
Ein sehr heißer Tag, über 30° im Schatten.
Nachmittags auf der Terrasse zum Kaffee Frau Dr. med. Kirchner, die sich dann meine Bilder ansah. Eine sehr sympatische Frau. – Abends Frau. Dr. med. v. Monroy aus Schwerin nett aber langweilig. – Frau Dr. Kirchner erzählte, daß auch zwei höhere Beamte des Schweriner Ministeriums flüchtig geworden sind gen Westen.
Nachmittags bei Frau Dr. v. Monroy zum Tee mit vorzüglichem Kuchen, sonst aber langweilig. Als wir zurück kamen war Herr Pahl=Rugenstein mit Frau Venzmer in der BuStu. Herr P-R. wollte gern meine letzten Bilder sehen. Frau V. begrüßte mich etwas verkniffen. Wir gingen ins Atelier, wo ich den „Wartenden“, das „Selbstportät“ u. den „Leuchtturm“ zeigte, sowie mehrere der letzten Zeichnungen. Für diese interessierte sich Herr P-R. besonders. Er bat um Fotos von acht bis neun Zeichnungen, die er bestimmte u. ferner um einige persönliche Notizen über mich selbst. Er will in der Zeitschrift „Bildende Kunst“ einen Artikel mit Bildern über mich bringen. Im vorigen Jahre wollte er eine Ausstellung meiner Bilder in Zehlendorf im „Haus am Waldsee“ arrangieren, aber es wurde nichts daraus. Ich werde sehen, ob nun aus diesem Artikel etwas werden wird. Im Uebrigen war er sehr nett u. sehr angetan von meinen Bildern. Er versteht schon etwas u. hat ein sehr sicheres Urteil. Frau Venzmer, die immer dabei war, staunte wohl, daß er mich so rückhaltlos anerkannte u. wurde immer liebenswürdiger. Ihr Mann, der gegenwärtig auch wieder hier ist, nachdem er vorher schon hier gewesen war, hat noch nicht Gelegenheit genommen, sich meine Ausstellung anzusehen.
Morgens Regenwetter u. so dunkel, daß ich nicht malen konnte. Ich schrieb dafür einen kurzen Lebensabriß für Herrn Pahl=Rugenstein, der mich darum gebeten hatte. Das Wetter klarte sich später wieder auf. Nachmittags war ein Maler aus Lübeck da, dessen Namen ich nicht behalten habe. Es kamen dann Herr u. Frau Schmidt, Berlin, Bühnenbildner u. Regisseur, sie die Tochter von Dr. Ziel. Wir sprachen nachdem sie sich die Bilder besehen hatten auch über den Fall Ziel. Abends war Frl. Fiege da, Sekretärin von Pfr. Tomberge, die bei Triebsch wohnt.
Mit Fritz haben wir Sorge, seine Anfälle von Bewußtlosigkeit wiederholen sich beängstigend oft.
[8]Das kleine Bild „Verblühte Salvie“ wurde heute fertig. – Nachmittags zum Kaffee auf der Terrasse war der junge Freund des Dr. Kunze, ein Maler aus Meissen mit seiner Frau bei uns. Nachher zeigte ich ihnen meine Bilder. – Abends kam noch Dr. Meyer zu Fritz, dessen Anfälle nicht aufhören. Seit den letzten 3 Tagen hatte er 3 Anfälle. Es ist sehr besorgniserregend. Dr. M. war der Ansicht, daß Fritz der Einladung Dr. Kunzes nach Meissen zu kommen u. bei ihm im Krankenhause eine Traubenzuckerkur zu machen, möglichst rasch folgen solle. – Es war heute wieder wärmstes Sommerwetter. –
Sehr ruhiger Sonntag. Mittags u. Abends kleine Gewitterschauer, sonst schönes Sommerwetter.
Ich habe gelesen von Anatol France: Die Götter dürsten. Jetzt lese ich von B. Kellermann: Der 9. November. Beide Bücher behandeln das gleiche Thema: Revolution; aber wieviel leichter, eleganter u. witziger ist An. France gegenüber dem sturernsten, witzlosen, schweren Kellermann. Er kann überhaupt nicht lachen. –
Das Gerücht, daß der Schriftsteller Plivier nach dem Westen ausgerückt ist, scheint doch wahr zu sein, es erhält sich hartnäckig u. wird von Leuten erzählt, denen man glauben sollte.
Regnerisch u. windig, ziemlich kühl. Der Sommer scheint nun endgültig vorbei zu sein.
Entwurf gezeichnet für ein Bild „Auswanderer“. Es ist formal recht gut, doch müßte es wohl noch etwas mehr werden.
Nachmittags fotographierte Fritz die Zeichnungen, von denen Pahl-Rugenstein Fotos haben will. Morgen will er die drei letzten Oelbilder fotographieren.
Federzeichnung gemacht vom Entwurf „Auswanderer“. Nachmittags kam Dr. Wolter, um mit mir die Angelegenheit dieses Sommers zu besprechen, da er, wie ich schon gehört u. wie es Prof. Rienäcker bestätigt hatte, aus dem Kulturbunde rausgeworfen worden ist wegen seiner russenfeindlichen Aeußerungen bei jener Diskussion. Er erzählte mir auch von jener anderen Diskussion, von der auch Prof. R. gesprochen hat, in der Dr. W. sich über den §218 in einem nazistischen Sinne geäußert haben soll. Nach Aussage des Dr. W. sieht diese Sache nun freilich anders aus, – aber ich kann da kein Urteil haben. Dr. W. wehrt sich jedenfalls dagegen, daß er aus dem Kulturbunde ausgeschlossen werden soll, ohne daß man ihm die Gründe dafür angibt u. ihm Gelegenheit gibt, sich zu verteidigen, was wiederum, wie Dr. W. nicht ohne Recht sagt, durchaus dem nazistischen Brauch ähnelt. Er möchte gern, daß ich mich in dieser Sache bei Kleinschmidt verwenden soll, falls dieser nochmals herkommt.
Während Dr. W. bei mir war kam Prof. Wunsch u. seine Frau, Professor an der Hochschule für Musik in Berlin, um meine Bilder zu sehen. Beide sind Niederrheiner, er ist Katholik, allerdings abtrünnig. Als ich das merkte, [9] sprach ich nur noch von der katholischen Kirche.
Bleistift-Zeichnung von zwei Schiffbrüchigen gemacht. – Von William Wauer eine Karte. Er hat gehört, daß ich im „Haus am Waldsee“ ausstellen soll u. möchte, daß ich mich für ihn verpflichte. Er hat wohl Angst, daß ich ihm durch die Lappen gehe.
Abends war Herr Talheim mit seiner Frau bei uns. Er ist Briefmarkenhändler in Meissen u. bekannt mit Dr. Kunze Wir zeigten ihm die Marken, die wir bei Kriegsende kauften. Er sagte uns, daß alle Marken des Dritten Reiches im Handel verboten sind u. daher im Augenblick nicht realisierbar sind. Abgesehen davon, werden wir das hineingesteckte Geld wohl wieder herausbekommen, aber leider sind es eben in der Ueberzahl Marken des Dritten Reiches, besonders aus Böhmen u. aus dem Protektorat.
Vormittags fotografierte Fritz die letzten drei Oelbilder u. die Zeichnung zum „Mann im Kerker“. Von den vorher fotografierten Zeichnungen hat er Abzüge gemacht die ganz vorzüglich sind, besonders die Bleistiftzeichnungen sind gut geworden.
W. Wauer habe ich geantwortet u. ihm geschrieben, daß vorläufig die Transportschwierigkeiten noch zu groß sind, da ich keine Kisten habe.
Abends wurde im Nordwestdeutschen Rundfunk ein Gerücht besprochen, nach welchem die Ostzone demnächst zu einer Sowjet=Republik gemacht werden solle. Dieses Gerücht ist dementiert worden, was ja erfreulich ist, aber der Nordwestdeutsche Rundfunk sagt mit Recht, daß das auffällige Interesse, welches Rußland am eben stattgefundenen Parteitag der SED. an den Tag gelegt hat, nicht geeignet gewesen sei, solche Gerüchte zu zerstreuen. Zur Eröffnung dieses Parteitages ist nämlich Oberst Tulpanow erschienen u. hat eine größere Rede gehalten. Das war nun allerdings beim Parteitag der CDU., der kürzlich war, auch der Fall, aber dort hat sich Oberst Tulpanow mit einigen Worten der Begrüßung begnügt, während er hier in langer Rede seiner besonderen Sympatie für die SED. Ausdruck gegeben hat. – Außerdem wurde im Rundfunk gesagt, daß die so sehnlichst erwartete November=Konferenz in London, die uns endlich den Frieden bringen soll, wahrscheinlich verschoben werden wird. – Ob dies mit jenem Gerücht zusammenhängt? – Die Luft ist ungeheuer mit Spannungen geladen, die in der gegenwärtig tagenden Vollversammlung der UN. zum Ausdruck kommen. Es ist tatsächlich nicht zu sehen, wie man sich im November in London mit Rußland einigen soll, wenn das in der Vollversammlung der UN weniger möglich ist als je. Man spricht selbst bei solchen Gelegenheiten ganz laut von der Möglichkeit eines neuen Krieges, der unvermeidlich zu sein scheint. Ich denke oft daran, daß vor Ausbruch dieses letzten Krieges die große Konjunktion von Jupiter u. Saturn, stattfand, die sich dann bald danach nochmals wiederholte. Man kann das dahin deuten, daß die Großmächte sich nicht einigen können u. es bald nach dem Kriege zu einem neuen Krieg kommen wird. Es ist entsetzlich!
[10]Das Bild „Verblühte Salvie“ habe ich nochmals vorgenommen u. es weiter durchzuführen. Es war zu sehr im Naturalismus stecken geblieben.
Schönes Herbstwetter.
P. Pius Longard sandte aus Maria Laach einige Sterbezettel zum Tode seiner Mutter. Sein Brief enthält auch einen handschriftlichen Gruß von P. Theodor Bogler, der Prior ist.
Hans Wendt sandte mir ein Exemplar der mir bisher unbekannten Zeitung „Die Zeit“, in dem ein Aufsatz „Bild des modernen Künstlers“ von Werner Haftmann enthalten ist. Dieser Aufsatz ist in der Tat sehr gut. Es wird da darauf hingewiesen, daß das Verhalten des Künstlers zum Religiösen durch seinen Individualismus charakterisiert wird, durch seine Ich=Bezogenheit. Natürlich erst seit der Renaissance. Das Ich in seiner Selbstbezogenheit ist nach Pascal „hassenswert,“ denn es liegt darin eine latente hochmütige Rebellion gegen Gott. Von Barlach las ich gerade vor einigen Tagen den Ausspruch, daß die Persönlichkeit eine „Falle“ sei, in der der Künstler stecke. Um der Gefahr zu entgehen, die in diesem Selbstbewußtsein liegt, gehört ein starker, kindlicher Glaube u. die Bereitschaft, dieses Ich=Bewußtsein u. seine Selbstgerechtigkeit aufzugeben. –
Es ist dann weiter die Rede von der der modernen Kunst innewohnenden Hermetik u. der Beziehungslosigkeit des Künstlers zum Volksganzen. Es wird klar ausgesprochen, daß das garnicht anders sein kann u. daß die Forderung nach einer „volksverbundenen Kunst“ eben ein Unsinn ist. – Der Artikel schürft sehr tief u. ist sehr wertvoll.
Doddy u. seine Mutter sind wieder da. Doddy hat heute Fritz den Hergang der Dinge erzählt. Danach ist er also von der Sekretärin Bechers u. noch jemandem denunziert worden u. der Kurdirektor Karstens hat darum gewußt. Dieser Herr Karsten hat darauf Doddy gewarnt u. hat ihm geraten, sofort zu fliehen. Herr K. steht in geheimnisvoller Verbindung zu einem Herrn Heyer, der das Haus Longard kaufen wollte, woraus aber nichts wurde, da Dr. L. Mißtrauen gegen Herrn H. hegte, denn irgendetwas stimmte da nicht, Karsten wollte ursprünglich das Haus Longard selbst kaufen, was merkwürdig war für einen jungen Mann von 24 Jahren ohne Beruf. Später tauchte Herr Heyer auf, den Karsten hier erst kennen lernte, ihn aber gleichwohl sehr bald „Onkel“ nannte. Herr Heyer wollte Herrn K. im Hause Longard einsetzen. – Nun, das alles waren dunkle Geschäfte, aus denen dann nichts wurde. Jetzt nun waren die Herren Karsten = Heyer scharf auf das Haus Kahlig, die „Gute Laune“, das Haus der Mutter Doddys. Der Plan war nun so: Doddy sollte bei den Russen angezeigt u. dadurch unter Druck gesetzt werden. Karsten sollte dann als guter Freund auftreten u. sollte Doddy warnen. Man rechnete damit, daß Doddy mit seiner Mutter nach Berlin fliehen würden, wo sie in den engl. Zone eine Wohnung haben, um sich der Verhaftung zu entziehen. Herr K. wäre dann nach Berlin gefahren u. hätte Doddy klar gemacht, daß er [11] ihm, Karsten, seine Freiheit zu verdanken hätte, daß er, Doddy, nun aber doch nicht mehr nach hierher zurück könne u. daß es deshalb besser sei, das Haus an Herrn Heyer zu verkaufen. – Dieser Plan ist nun mißglückt u. Herr Karsten, dieser Russen-Spitzel, ist bei den Russen selbst in eine mißliche Lage gekommen, denn er hat ja Doddy gewarnt vor den Russen. – Die Verhaftung vor 3 Wochen hat sich übrigens so abgespielt, daß zuerst Doddy verhaftet u. in einem Auto fortgebracht wurde. Gleich danach ist ein zweites Auto gekommen u. hat auch die Mutter fortgebracht. Beide haben dann in Rostock in Einzelhaft gesessen u. haben von einander nichts gewußt. Sie sind einzeln verhört worden. Diese Verhöre haben nichts Belastendes ergeben, sodaß beide wieder entlassen wurde. Erst jetzt erfuhr Doddy, daß auch seine Mutter in Haft gewesen war.
Heute wurde das Bild „Verblühte Salvie“ endgültig fertig. Ich brachte Leisten zu Papenhagen, um einen neuen Rahmen für die „Auswanderer“ machen zu lassen. Leider ist Walter krank. Ich hoffe, daß er Montag wieder da sein wird.
Buchungen für die BuStu. Septemberabschluß gemacht. – Nachmittags war der Architekt Emmerich da, mit dem wir den Neubau der BuStu als Projekt besprachen. Er wird einen vorläufigen Plan machen. Abends war Herr Talheim mit seiner Frau da u. sah Marthas Briefmarkensammlung an, die ziemlich wertlos ist, sehr entgegen den Erwartungen. Es scheint, daß das Sammeln von Marken doch nicht so einfach ist. –
Sturm u. Regen. –
Brief an Haus Wendt geschrieben u. für Zusendung des Zeitungsartikels gedankt.
Brief an Pahl=Rugenstein geschrieben u. neun Fotos nach Zeichnungen geschickt, die er mit einem Aufsatz in der Presse verwenden will. Hoffentlich ist es nicht bloß Gerede. – Ebenfalls an Herbert Sandberg geschrieben, daß Fritz nach Berlin kommt u. das Bild „Der Leuchtturm“ selbst hinbringen wird. Dem Brief habe ich das Foto nach der Zeichnung meines Selbstbildnisses beigelegt.
Nachmittags suchte mich Deutschmann auf, der nochmals ein Schriftstück für seine Entnazifizierung brauchte.
Immer noch Sturm mit Regenschauern u. recht kalt, sodaß wir heute abend nicht im Seezimmer saßen.
Neue Zeichnung für ein Bild „Bettler“ gemacht. Es ist stürmisch u. kalt.
Abends war Kläre Baumgarten, geb. König bei uns.Sie wohnen in der englischen Zone, es geht ihnen dort recht gut u. tragen sich mit der Absicht, in's Saarland überzusiedeln, wo es ihnen vielleicht noch besser gehen wird. Es ist schon so, daß wir in der russischen Zone am schlechtesten daran sind.